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Afghanistan im Brennglas

von Wilhelm Achelpöhler und Uli Cremer

 

“Wie in einem Brennglas werden in den Folgen des Luftangriffs vom letzten Freitag alle grundsätzlichen Fragen sichtbar, die wir im Zusammenhang mit unserem Einsatz in Afghanistan zu beantworten haben.” so Bundeskanzlerin Angela Merkel am 8.9.2009 in ihrer Regierungserklärung im Deutschen Bundestag. Recht hat sie. Das Bombardement, dem über 100 Menschen zum Opfer fielen, ist ein Anlass, den Bundeswehreinsatz generell unter die Lupe zu nehmen.

 

 

1. Die Zahl der Opfer des Krieges steigt

 

Der Tod dieser Menschen bringt den Krieg in Afghanistan wieder auf die Titelseiten der Zeitungen. Er machte zunächst deutlich, wie sehr die Menschen in Afghanistan unter dem Krieg leiden: Die Zahl der zivilen Opfer des Kriegs wächst weiter, auch im Jahr 2009. Nach dem am 31.7.2009 veröffentlichen Halbjahresbericht der UN Mission für Afghanistan sind in den ersten sechs Monaten des Jahres 1013 Zivilisten getötet worden, 24 Prozent mehr als im selben Zeitraum des Vorjahres. Verantwortlich dafür, dass immer mehr Menschen in Afghanistan im Krieg sterben, sind aus Sicht der UN Mission sowohl die NATO als auch die Aufständischen. Wörtlich heißt es in dem Halbjahresbericht: “Both Anti-Government Elements and pro-government forces are responsible for the increase in civilian casualties.” Endnote Die Bundeswehr hat am 4. September 2009 ihren Beitrag zur Fortschreibung dieser traurigen Statistik geleistet.

 

Auf Seiten der NATO und ihrer Verbündeten sind bereits über 1.000 SoldatInnen gefallen. Auch hier steigen die Opferzahlen Jahr für Jahr.

 

 

2. Zahl der westlichen Soldaten auf sowjetischem Niveau

 

Seit 2002 hat sich die Anzahl der westlichen Soldaten von 12.000 auf heute 108.000 (!!!) erhöht. Dabei sind noch nicht einmal die Bewaffneten privater Sicherheitsfirmen mitgerechnet (ca. 3.000 Endnote ). Zum Vergleich: Die Sowjets hatten 1988/89 ca. 120.000 Soldaten stationiert. Entsprechend warnt Zbigniew Brzezinski (1979 als Sicherheitsberater des US-Präsidenten Carter für den Aufbau und die Unterstützung der Mudschahidin verantwortlich, heute Berater von Obama) im September 2009: „Wir riskieren, dass uns in Afghanistan genau dasselbe Schicksal ereilt, wie die Sowjets Endnote .“

 

Jahr für Jahr haben die westlichen Staaten nach militärischen Misserfolgen die Dosis erhöht und mehr Soldaten geschickt. Für 2010 ist zu befürchten, dass bis zu 45.000 weitere US-Soldaten geschickt werden. Andere NATO-Staaten werden vermutlich folgen, so dass in 2010 die Truppen um ca. 50% aufgestockt sein werden! Die argumentative Logik ist wie jedes Jahr: Die zusätzlichen militärischen Kräfte werden die Wende bringen. Andererseits gestand US-Präsident Obama im März 2009 offen ein, dass der Krieg nicht zu gewinnen ist Endnote .

 

Das internationale Forschungsinstitut Icos veröffentlicht jedes Jahr Informationen über die Ausbreitung der afghanischen Aufständischen: 2007 kontrollierten sie 54% der Provinzen, 2008 waren es 72% im Jahr 2009 sind gar 80 % Endnote .

 

 

3. Die Situation im Norden Afghanistans ist nicht friedlich

 

Der Luftangriff vom 4.9.09 macht einmal mehr deutlich, dass das Bild von den “zwei Afghanistan” ein Wunschbild ist. 2006 malte Jürgen Trittin im Bundestag das Bild zweier Länder, die fast nichts miteinander zu tun hätten: “Es gibt nicht das eine Afghanistan. Es gibt zwei Afghanistan. Es gibt das Afghanistan des Nordens. Hier wird gebaut, hier gehen Millionen, auch Mädchen, wieder zur Schule. Hier gibt es eine positive Entwicklung und hier wird Nation-Building betrieben. Hier gibt es eine wesentlich von Deutschen angeführte zivil-militärische Kooperation. (...) Ganz anders ist die Situation im Süden, in den Gebieten der Paschtunen an der Grenze zu Pakistan. Hier dominiert der Krieg. Bewaffnete Aufständische beherrschen weite Teile des Landes. (...) Im Süden ist Krieg. Hier ist das Glas nicht halb voll, hier ist es wahrscheinlich dreiviertel leer und es leert sich täglich weiter. Diese Entwicklung ist mit dem Begriff der Irakisierung des Südens beschrieben worden.” Endnote Diese Vorstellung von einem friedlichen Einsatz der Bundeswehr, die gar nichts mit der brutalen Jagd auf Terroristen durch die USA im Rahmen von OEF zu tun hätte, war schon vor dem 4.9.2009 unzutreffend. War ISAF zunächst tatsächlich eher eine Palastwache für die Regierung Karzai und auf Kabul beschränkt, so ist seit 2006 die Kriegsführung in ganz Afghanistan Sache von ISAF, die seit 2003 der NATO unterstellt ist. Das Zusammenwirken von OEF und ISAF ist eng, bei wichtigen Kommandeursposten gibt es Personalunion zwischen beiden militärischen Operationen. Deutschland ist nicht erst seit September 2009, sondern seit vielen Jahren am Afghanistan-Krieg beteiligt. Dieser wird nach gemeinsamen Regeln und unter einem gemeinsamen Kommando geführt. In den letzten Jahren haben auch andere NATO-Truppen Luftunterstützung angefordert und erhalten - mit ähnlichen schrecklichen Folgen.

 

Dass auch im Norden Afghanistans von der Bundeswehr Krieg geführt wird, auch dies macht der Vorfall deutlich. Aus Sicht der Bundeswehr war es ein “Erfolgreicher Einsatz gegen Aufständische im Raum Kunduz” so der Titel der Pressemitteilung der Bundeswehr vom 6.9.2009 Endnote . Eine Meldung, typisch für eine Kriegspartei. Und auch die Meldungen der folgen 14 Tage machen deutlich - es herrscht Krieg in Afghanistan. Am 5.9. werden drei Kilometer von Kunduz entfernt fünf Soldaten der Bundeswehr verwundet Endnote , in der Nacht vom 9. auf den 10. September werden Bundeswehrsoldaten mit Handfeuerwaffen und Panzerabwehrwaffen angegriffen Endnote , am 15.9. September kommt es zu einem Sprengstoffanschlag auf Bundeswehrsoldaten Endnote am 16.September werden acht Soldaten bei einem Gefecht 12 km von Kunduz entfernt verletzt Endnote .

 

In Zukunft dürfte in Nordafghanistan noch mehr gekämpft werden, weil die westlichen Staaten ihren militärischen Nachschub zunehmend über Russland abwickeln. Wie seit Jahren die Nachschubrouten über Pakistan von den Aufständischen attackiert werden, liegt in der Kriegslogik, dass nunmehr auch die Nordroute vermehrt ins Visier der Aufständischen gerät. O-Ton FAZ: „Der Hauptnachschubsweg von Europa über Russland und Zentralasien, den das deutsche Kontingent schon benutzt, wird in der Folge einer Öffnung für die amerikanische Logistik auch die strategische Hauptachse zur Stabilisierung Afghanistans werden. Damit wird dem deutschen Anteil eine zentrale militärische Funktion auch ohne Truppenverlegung in den Süden zuwachsen: die Grenz- und Nachschubsicherung im Norden...“ Endnote Nach dem Besuch Obamas in Moskau (im Juli 2009) vermeldete die FAZ: „Am Montag wurde ein Rahmendokument für die militärische Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern ... und ein Abkommen unterzeichnet, das es Amerika erlaubt, militärische Güter für die in Afghanistan kämpfenden Truppen sowie militärisches Personal auf dem Landweg oder durch den Luftraum Russlands zu transportieren... Medwedjew versprach, der Transitweg durch Russland für den Transport von Gütern und Ausrüstung der internationalen Truppen solle aktiviert werden.“ Endnote Der Verzicht auf die von der Bush-Regierung geplante Raketenabwehr in Polen und Tschechien ist ein weiteres Verständigungssignal Richtung Moskau und muss auch vor dem Hintergrund des Afghanistan-Krieges gesehen werden, bei dem Russland fest an der Seite der NATO steht.

 

 

 

 

4. Die Bundeswehr ist Kriegspartei

 

Die Reaktionen von afghanischer Seite auf den Tod zahlreicher Dorfbewohner wurden in der hiesigen Presse erfreut zitiert. Mohammed Omar, Gouverneur der Provinz Kunduz bezeichnete das Vorgehen der Bundeswehr am 4.9.2009 als “vorbildlich”. Der zuständige Oberst Georg Klein habe "die richtige Entscheidung zur richtigen Zeit getroffen und dabei sehr besonnen gehandelt", sagte Mohammed Omar dem Spiegel Endnote . Die FAZ zitiert Äußerungen wie: “Das haben die Deutschen richtig gut gemacht...ich bin auch der Meinung, dass die Deutschen ein ganzes Dorf bestrafen sollten, wenn sie von dort beschossen werden.” Endnote Und der Vorsitzende des Provinzrates Ahmadullah Wardak meinte gar: “Wenn wir noch drei Operationen wie gestern durchführen, dann ist die Situation in Kunduz friedlich und stabil Endnote . In der FAZ vermerkte Friederike Böge dazu treffend: “In Kunduz lässt der Vorfall die ethnischen Spannungen, die sich in der nördlichen Provinz seit längerem verschärfen, deutlich zutage treten.” Endnote Deutlich wird damit insbesondere, dass die Bundeswehr auf der Seite einer Partei in den bei Beginn der Intervention 2001 keineswegs beendeten afghanischer Bürgerkrieg eingetreten sind. Es war der Einsatz der westlichen Truppen, der das Blatt 2001 zu Gunsten der Nordallianz in diesem Bürgerkrieg wendete, die als Bodentruppe des Westens in Kabul einmarschierte. Die Bundeswehr war folglich im Bereich der “Verbündeten” stationiert. Die Friedlichkeit der Lage im Norden Afghanistans war daher weniger einem sensiblen Handeln der Bundeswehreinsatzkräfte geschuldet, als vielmehr dem Umstand, dass sie als Verbündeter betrachtet wird. Deshalb haben die dortigen Autoritäten auch gar nichts gegen einen Einsatz wie am 4.9. einzuwenden, gilt er doch dem paschtunischen Feind. Künftige Solidaritätsadressen afghanischer Persönlichkeiten sollte man deshalb etwas kritischer betrachten.

 

 

5. Konflikte innerhalb der NATO

 

Nach dem Angriff vom 4.9.2009 setzte eine beispiellose Kritik seitens der westlichen Verbündeten an dem Vorgehen der Bundeswehr ein. Am deutlichsten wurde dies daran, dass US General McChrystal einen Journalisten der Washington Post sowohl zu seiner Inspektion des Tatorts, also auch zu seinen Besprechungen mit den Bundeswehrmilitärs mitnahm, was dieser dann zu einem bemerkenswerten Artikel in der Washington Post veranlasste, der sich sehr kritisch mit der Bundeswehr auseinandersetzt Endnote . Innerhalb eines Militärbündnisses dürfte ein solches Vorgehen Seltenheitscharakter haben und deutlich machen, wie auf Seiten der USA die Rollenverteilung innerhalb des Bündnisses gesehen wird. Damit verweist die Auseinandersetzung innerhalb der NATO auf jenen Konflikt, der den Einsatz der Bundeswehr von Anfang an prägte. Als die US-Regierung den 11.9. 2001 zum Anlass für die Schaffung einer neue Weltordnung genommen hatte, wurde dies auf Seiten der damaligen deutschen Regierung keineswegs kritisch gesehen, man wollte aber dabei sein, um machtpolitisch nicht zur Bedeutungslosigkeit verdammt zu sein. Joschka Fischer formulierte dies so: „Die Entscheidung ‚Deutschland nimmt nicht teil’ würde auch eine Schwächung Europas bedeuten und würde letztendlich bedeuten, dass wir keinen Einfluss auf die Gestaltung einer multilateralen Verantwortungspolitik hätten. Genau darum wird es in den kommenden Jahren gehen.” Endnote Der frühere Verteidigungsminister V. Rühe hatte den Gedanken 1992 in den damaligen Verteidigungspolitischen Richtlinien so auf den Punkt gebracht: „Wenn ... der Frieden gefährdet ist, muss Deutschland auf Anforderung der Völkergemeinschaft auch militärische Solidarbeiträge leisten können. Qualität und Quantität der Beiträge bestimmen den politischen Handlungsspielraum Deutschlands und das Gewicht, mit dem die deutschen Interessen international zur Geltung gebracht werden können.“ Endnote

 

Das bedeutet allerdings auch, dass der Einsatz der Bundeswehr Ausdruck eines eigenen Gewichts Deutschlands sein sollte und die deutschen SoldatInnen nicht die Rolle einer Hilfstruppe für die USA spielen sollten. Deshalb gab es jahrelang die vielfältigsten Vorbehalte Deutschlands, das auf die Wahrung der eigenen Rolle bedacht war. Mit der Entscheidung von US-Präsident Obama die Truppen in Afghanistan zu erhöhen werden die Gewichte innerhalb der Militärallianz neu verteilt. Der erhöhten Zahl der US Truppen entspricht ein amerikanischer Anspruch auf erhöhtes Gewicht bei der Leitung des ISAF Einsatzes. Dies schlägt sich bereits in der neuen Kommandostruktur von ISAF nieder: Während der deutsche Verteidigungsminister Jung noch am 28.2.2007 im Bundestag erklärte: “Manchmal wird argumentiert, die Kommandostruktur sei einseitig durch die Vereinigten Staaten von Amerika geprägt. Dies ist nicht zutreffend...In der unmittelbaren Kommandostruktur in Afghanistan ist General McNeil, ein Amerikaner, zuständig, aber Stabschef im Hauptquartier der ISAF ist unser General Kasdorf Endnote wurde jetzt eine neue Kommandoebene unterhalb des ISAF-Kommandeurs geschaffen.. Den damit einhergehenden Bedeutungsverlust Deutschlands hat Thomas Wiegold vom focus so beschrieben: “Wenn nun das bisherige ISAF-Hauptquartier die übergreifende strategische Arbeit macht - wer hat dann von den Europäern und da von den Deutschen im neuen Drei-Sterne-Hauptquartier und einem amerikanischen Dreisterner etwas zu sagen? Wird das eine - noch mehr als bisher - von den USA dominierte Angelegenheit? Was sich ja auch direkt auf die diesem Kommando unterstellten Regionalkommandeure auswirken würde...” Endnote Insofern ist die Auseinandersetzung nach dem 4.9.2009 innerhalb der NATO Ausdruck auch der Auseinandersetzung zwischen den NATO Verbündeten. Da sich das Maß der Mitgestaltung an dem Maß der Übernahme von Mitverantwortung orientiert, sprich der Zahl der eingesetzten Soldaten, dürfte klar sein, was vielleicht schon bei der nächsten Mandatsverlängerung zu erwarten ist: eine weitere Aufstockung des Bundeswehrkontingents über die bisherigen 4.800 (inklusive 300 Mann für Awacs) hinaus. Angesichts der Aufstockungen der Vergangenheit keine wirkliche Überraschung.

 

 

6. Das Vietnam unserer Tage

 

Antje Volmer hatte vor dem Parteitag der Grünen in Göttingen 2007 den Krieg in Afghanistan als das Vietnam unserer Tage beschrieben Endnote . “In Vietnam lernte die Weltöffentlichkeit diese harte Tatsache der ungeschönten Wirklichkeit erkennen mit den ersten realen Bildern des Krieges. Dass ihr die ebenso bittere Erkenntnis über die Sinnlosigkeit und Erfolglosigkeit des Krieges gegen den Terror verborgen bleibt, liegt nicht zuletzt daran, dass auf nichts so viel Sorgfalt verwendet wird wie darauf, dass es diese Bilder heute nicht gibt.” Seit dem 4.9.2009 gibt es wieder diese Bilder auch aus Afghanistan. Gleichzeitig wird jedoch ein Strategiewechsel der US Regierung gefeiert. Diese setze jetzt mehr auf den Schutz der Zivilbevölkerung. Man mache nicht nur Jagd auf Terroristen, sondern bleibe präsent vor Ort “schaffe Zonen der Sicherheit Endnote . Eine gar nicht so neue Strategie. Für den Irak hatte sie der frühere US Berater Andrew F. Krepinevich in seiner Analyse “How to Win in Iraq” vorgeschlagen. Endnote Sie nennt sich “oil-spot strategy”. Ausgehend von Zonen der Sicherheit soll nach und nach das ganze Land befriedet werden. Krepinevich sieht sie als einen Gegensatz zum “search an destroy”, der Jagd auf Aufständische. Doch ganz so neu und ganz so anders ist diese Strategie der Aufstandsbekämpfung nicht. Auch in Vietnam wurde die oil-spot strategy von der US Armee angewandt Endnote . Es war das Konzept von “Wehrdörfern” in denen Sicherheit durch Abwesenheit jeder Opposition gewährleistet wurde Endnote . Und selbstverständlich bedeutet auch eine solche oil-spot strategy keineswegs eine Absage an jedes “search and destroy”. General McChrystal erläuterte Ende Juli die “neue Strategie”: US- und NATO Truppen sind dabei, die erste Reihe der Taliban Führer “abzuräumen”, um mit der “zweiten Reihe” ins Geschäft zu kommen, örtlichen Stammesführern, die nicht aus ideologischen Gründen, sondern aus Gründen der Stammesloyalität oder des Geldes am Aufstand beteiligt sind Endnote . Der Unterschied zum Vorgehen der Bush Regierung liegt insofern in der Betonung des “politischen Prozesses” und weniger auf Unterstützung der “Karzai-Regierung”. Insofern knüpft die Kriegsführung der USA, ihr Kurswechsel genau an die Lehren der counter insurgency, der Aufstandsbekämpfung im Vietnamkrieg an.

 

Doch es gibt einen wesentlichen Unterschied zum Krieg der USA in Vietnam: Während des Vietnamkrieges gab es auch innerhalb der Studentenbewegung eine starke Unterstützung für den Vietcong und Nordvietnam. Eine politische Unterstützung für die Aufständischen in Afghanistan gibt es zurecht nicht. Emanzipatorische Anti-Kriegskräfte in den kriegsführenden westlichen Ländern haben unter den Krieg führenden Parteien in Afghanistan keinen politischen Adressaten. Parteilichkeit kann hier nur den Menschen im Land gelten, die unter dem Krieg leiden und unter Jenen, die ihn führen.

 

Andersherum haben diejenigen, die den Krieg unterstützen, wie in Südvietnam ihren Adressaten für politische Solidarität: Die von ihnen installierten Landes- und Provinzregierungen, die Bürgerkriegspartei, die im Rahmen der westlichen Militärintervention die Regierungsgeschäfte in Kabul übernahm. Daran ändert bisher auch nicht, dass bei den August-Wahlen die Wahlfälschungen dreister ausfielen und auf erheblich höheren Niveau als bei ersten Präsidentschaftswahlen vor ein paar Jahren lagen.

 

 

7. Unsere Agenda 2010 – Abzug aus Afghanistan

 

Wir kommen nach dem 4.September 2009 weiterhin zu entgegengesetzten Antworten als das parlamentarische Führungspersonal von CDU/CSU, SPD, FDP und das unserer eigenen Partei, den GRÜNEN. Diese scharten sich in den letzten Wochen enger um den Kriegseinsatz. Für sie ist ein Ende des Krieges und damit auch den Bundeswehr-Engagements nur denkbar, wenn die eigenen Bedingungen durchgesetzt werden können. Im Wesentlichen soll die vom Westen unterstützte Bürgerkriegspartei sich durchsetzen und möglichst in die Lage versetzt werden, die Gegner ohne internationale Unterstützung niederzuhalten. „Mitläufern der Taliban“ wird dabei „eine Rückkehr in die Gesellschaft“ in Aussicht gestellt (s. Steinmeiers 10-Punkte-Plan). Vor diesem Hintergrund will sich niemand auf ein konkretes Abzugsdatum festlegen. Wenn etwa Außenminister Steinmeier einen 5-Jahres-Plan mit Zwischenzielen vorschlägt, ist das zunächst einmal ein Plazet für weitere 5 Jahre Afghanistan-Krieg. Werden die Ziele verfehlt, dürften die Truppen vermutlich länger bleiben. Die Diskussionen um Abzugsdaten in zwei, fünf, zehn oder zwanzig Jahren sind weniger als Ankündigungen eines Abzugs, denn als Unterstützung des weiteren Kriegseinsatzes zu verstehen. Für uns kommt es dem gegenüber darauf an, die innenpolitische Ablehnung des Krieges zu vertiefen und politisch wirksam werden zu lassen.

 

Wir wissen uns einig mit der Mehrheit der Bevölkerung, die den Krieg weiter ablehnt. Für uns ist der Abzug der westlichen Truppen friedenspolitisch alternativlos. Denn die westlichen Truppen in Afghanistan sind Teil des Problems und nicht der Lösung. Der Abzug müsste so kurzfristig erfolgen, dass die Kriegsführung im Jahre 2010 nach der Schneeschmelze (ca. April) unmöglich wäre. Hier sollte Deutschland ein friedenspolitisches Signal an die anderen NATO-Länder senden, indem im Herbst 2009 der Abzug der Bundeswehr im 1.Halbjahr 2010 beschlossen wird. Organisatorisch ist das hinzubekommen, zur Not unter Einsatz spanischer Militärberater. Die wissen, wie es geht, denn Spanien hat sein Irak-Kontingent 2004 in wenigen Monaten abgezogen.

 

Hamburg / Münster 22.09.2009

 

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Die Grüne Friedensinitiative gründete sich Ostern 2007. Ihre Gründungserklärung "Das friedenspolitische Erbe der GRÜNEN bewahren! Bündnisgrüne Friedenspolitik erneuern!" ist unter www.gruene-friedensinitiative.de abrufbar. Sie veröffentlichte u.a. einen Appell von über 150 Parteimitgliedern gegen die Verlängerung des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan, der am 17.9.2008 in der taz erschien.

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