11.10.2012
Global Zero:
Sofortiger und anhaltender militärischer Rückbau
Einige Argumente gegen das Militär
Von Olaf Weber
In Dokumenten zur internationalen Politik wird dem Militär
immer noch eine friedensstiftende Rolle eingestanden, wie
etwa in entsprechenden Formulierungen zur sogenannten "Schutzverantwortung"
(Responsibility to Protect). Auch im Antrag für die Bundesversammlung
der Grünen in Hannover wird zwar ein Umdenken "vom
Recht des Stärkeren zur Stärkung des Rechts"
gefordert und das Militär durch ein filigranes Netz von
Vorbeugung und Verträgen zu fesseln versucht, doch es
bleibt noch bestehen. Parallel zur Bändigung des Militärs
muss aber dringend seine Abschaffung betrieben werden. Dazu
die folgenden Argumente:
Neben der Umweltzerstörung kann auch eine große
(Atom-)Kriegsgefahr die Menschheit an das Ende ihrer Geschichte
führen. Beide Gefährdungen sind real. Die ökologische
Wende ist gegen ihre notorischen Ignoranten endlich eingeleitet.
Die Entmilitarisierung der Welt hat aber noch nicht einmal
begonnen. Die Abschaffung des Militärs ist eine Aufgabe
von einer solchen Dimension, wie es dem ökologischen
Umbau der Gesellschaft gleichkommt. Wie die Gewöhnung
an den zerstörerischen Konsum von Naturressourcen nicht
mehr hingenommen werden kann, ist auch das Hinnehmen von militärischer
Zerstörung nicht mehr zu akzeptieren. Der Krieg wird
wie ein unerschütterliches "Naturereignis"
gesellschaftlich toleriert, wenngleich regelmäßig
Krokodilstränen angesichts schlimmer Bilder fließen
und er zum "letzten Mittel" klein geredet wird.
Militär kann vollständig abgeschafft werden. Wie
der ökologische Umbau der Gesellschaft nur in kleinen,
aber kontinuierlichen Schritten stattfindet, so könnte
auch die Entmilitarisierung nach jährlich festgelegten
Quoten erfolgen und in einem überschauberem Zeitraum
von einigen Jahrzehnten auf "global zero" herunter
gesetzt werden.
A) Das Hauptargument gegen Militär und Krieg
liegt im Charakter des Militärs selbst:
Das Militär ist ein (staatliches) Gewaltinstrument,
welches das Individuum in keiner Weise schützt. Im Gegenteil,
es ignoriert die Rechte des Individuums systematisch und grundlegend.
Militär tötet nicht nur manchmal und aus Versehen
Unschuldige, sondern aus einer inneren Logik heraus. Bomben,
Kugeln und Raketen sind immer ungenau und zwar hinsichtlich
ihrer physischen Treffsicherheit wie auch in der Bewertung
des Angriffszieles. Militär tötet immer auf Verdacht.
Dieser Tötung geht keine Prüfung der individuellen
Schuld des Opfers voraus. Kriege haben deshalb den Charakter
massenhafter Lynchjustiz. Gezielt wird auf den, der auf der
anderen Seite steht, der anders aussieht (der eine andere
Kleidung (Uniform) trägt) oder von dem die Geheimdienste
ein Feindbild erstellt haben.
Im Gegensatz dazu ist es die Aufgabe der Polizei, die wahrscheinlich
Schuldigen von den Unschuldigen zu trennen und erstere einer
richterlichen Überprüfung und eventuellen Verurteilung
und Bestrafung zuzuführen. Das ist im Kern eine wichtige
zivilgesellschaftliche Aufgabe. Aber das Militär kümmert
sich überhaupt nicht um die individuelle Schuld des Einzelnen.
Das Militär tötet (fast) nur Unschuldige, seien
es die zivilen Opfer eines Bombardements - die sogenannten
"Kolateralschäden", seien es die feindlichen
Soldaten, die selbstverständlich genauso unschuldig wie
die eigenen Kameraden sind. Militär mordet also mit riesigem
Aufwand Menschen, die nach nicht-militärischen Maßstäben
keine Schuld auf sich geladen haben. Militär mag zielgerichtet
operieren, doch seine Zerstörungen und Tötungen
sind aus der Sicht des bürgerlichen Rechts völlig
willkürlich und an den Menschenrechten gemessen völlig
unakzeptabel.
Der Einsatz von Militär und die Achtung der individuellen
Menschenrechte sind also vom Grunde unvereinbar. Militär
folgt völlig anderen Systemregeln als die Polizei. Beide
unterscheiden sich nicht nur in der Art der Bewaffnung, sondern
vor allem in ihren Funktionen, besonders in der Frage des
Schutzes oder der Missachtung von Menschenrechten. Deshalb
sind die verschiedenen Versuche verhängnisvoll, die Unterschiede
von Militär und Polizei zu verwischen. Das betrifft die
sogenannten „gezielten" Tötungen aus der Luft,
die mit Strafverfolgung nichts zu tun haben wie auch den Vorschlag,
die Bundeswehr im Inneren einzusetzen.
Im Kampf gegen den Terrorismus sind das Militär und
der Krieg völlig ungeeignet. Sie verbreiten selbst Schrecken
und Terror. Dagegen lassen sich individuelle Terroristen und
Terrorgruppen vielleicht mit Polizei, doch nicht mit militärischen
Mitteln bekämpfen. Es ist politisch keine Kleinigkeit,
dass Bin Laden durch Profikiller ermordet statt durch Polizisten
arrestiert worden ist. Die militärische Tötung war
ein Machtsymbol des Stärkeren, kein Signal für die
Stärkung der Menschenrechte.
Spätestens im 21. Jahrhundert ist das Militär atavistisch,
weil es sich nicht mit der Charta der Menschenrechte verträgt.
Die Absicht ist blauäugig oder verlogen, jedenfalls ist
es überall gescheitert, Demokratie durch Krieg oder Menschenrechte
mit militärischen Mitteln durchzusetzen. Im Gegenteil,
Militär verhindert die Verwirklichung dieser großen
Ideale.
Angesichts weiter zunehmender Kriegshandlungen kann nicht
lediglich pragmatisch und von Fall zu Fall gehandelt werden.
Friedenssicherung erfordert ein tiefgründiges Umdenken.
Wir brauchen die Radikalität des Pazifismus, um mit beharrlichem
Engagement für globale Abrüstung wenigstens in einigen
Jahrzehnten einen Durchbruch zu erzielen. Die Unterstellung
nationaler militärischer Verbände (wie der Bundeswehr)
unter das Kommando der UN ist dann ein sinnvoller Gedanke,
wenn mit dieser Internationalisierung des Militärs zugleich
dessen Abrüstung bzw. Umwandlung zur Polizei forciert
wird, so dass sich als Konsequenz auch diese Internationalisierung
erübrigt.
B) Militär und Moral
Je widersinniger das Militär operieren muss, um die
Machtpolitik seiner Befehlshaber zu kaschieren, umso "moralischer"
werden die Argumente seiner Apologeten. Je mehr seine Menschenrechtsverletzungen
sichtbar werden, umso mehr spielt es sich als deren Verteidiger
auf. Die völkerrechtswidrigen Einmischungen werden mit
zweifelhaften Begründungen ausgestattet, was eine klar
erkennbare Interessenpolitik ist, wird pseudo-moralisch hinterlegt.
Aber jeder Krieg beginnt mit einer Lüge und wird durch
viele weitere Lügen fortgesetzt.
Die militärische Einmischung in den politischen Zustand
eines anderen Landes ist immer von Scheinargumenten begleitet,
welche die wahren Kriegsziele verschleiern. Das sieht man
schon daran, dass diejenigen Diktatoren, die mit den Großmächten
kooperieren, nie etwas zu befürchten hatten (beispielsweise
das Regime in Saudi-Arabien). Wenn aber die Menschenrechte
mit zweierlei Maß gemessen werden, verkommen sie zu
bloßen Bütteln der Weltmächte.
Es hat sich auch gezeigt, dass eine Verletzung der Souveränität
eines Landes zum Zwecke seiner "Verbesserung" nach
einigen Anfangserfolgen bald die alten Konflikte wiederholt
- oftmals sogar in noch größerer Schärfe.
Die mittel- und langfristigen Auswirkungen von Militäreinsätzen
sind in ihrer regionalen Strahlkraft und ihren sozialen, ökologischen,
ethnischen und anderen Konsequenzen kaum zu übersehen
und oftmals im wahrsten Sinne des Wortes "verheerend".
- Es ist sinnvoll, den Einsatz von Gewaltinstrumenten (Polizei)
auf das Legitimationsgebiet der demokratisch gewählten
Exekutive zu begrenzen. Eine Regierung soll nicht diejenigen
Gebiete beschützen, von deren Bevölkerung sie nicht
gewählt wurde. Ganz im Gegensatz zum missionarischen
(und letztlich uneffektivem) Militär werden die undemokratischen
oder unsozialen Verhältnisse von den betroffenen Völkern
am besten und nachhaltigsten selbst, also von innen heraus,
und nach ihren Maßgaben korrigiert. Von außen
können vielfältige Mittel der zivilen Krisenprävention
helfen.
Das "Menschenrecht" ist ein historischer Begriff,
der nicht lediglich in einer einzigen Region und einem bestimmten
Jahrzehnt definiert und in diesem Inhalt der ganzen Welt übergestülpt
werden darf - nicht einmal mit zivilen, geschweige mit militärischen
Mitteln. Es ist problematisch, wenn eine Staatengruppe ihre
selbsternannte Deutungshoheit des Begriffes "Demokratie"
dazu missbraucht, andere Länder trotz des eigenen unzureichenden
Niveaus der Menschenrechte vorzuführen. Was die harten
Menschenrechtsverletzungen wie Völkermord, Kriegsverbrechen,
Verbrechen gegen die Menschlichkeit und die ethnischen Säuberungen
betrifft, so sind diese ohnehin nur mit Hilfe des Militärs
möglich. Sie sind also Verbrechen des Militärs an
der Zivilbevölkerung und lassen sich am besten durch
die Abschaffung des Militärs abschaffen.
Die respektablen Versuche dem Militär Zügel anzulegen,
können nur vor dem Hintergrund seiner Inhumanität
und seiner Perspektivlosigkeit betrachtet werden. Es geht
nicht nur um die Abschaffung des Militärs als Institution,
um die Verschrottung des Kriegsgerätes und die Auflösung
militärischer Strukturen und Strategien, sondern um eine
gründliche Demilitarisierung der ganzen Gesellschaft.
Das militärische Denken ist in viele Bereiche der Zivilgesellschaft
eingedrungen und hat diese mehr und mehr deformiert. Entmilitarisierung
beginnt im Kopf und zielt auf die Belebung einer humanen Kultur
und friedlichen Zivilisation.
C) Militär und Interessen
Das Militär hat seine eigenen Sorgen (Sold, Ehre, Beförderung).
Dahinter stehen aber die entscheidenden Interessen, die wirtschaftlichen
und machtpolitischen Hintergründe sind überall evident.
Für Öl und die Absicherung der heiß umkämpften
Märkte darf aber Leben nicht geopfert werden. Und viele
weitere Gründe für das Säbelrasseln gibt es.
Machthungrige Politiker wollen im eigenen Land wieder gewählt
werden und erhoffen sich durch äußere Kraftmeierei
(also durch in Kauf nehmen von Menschenleben in anderen Ländern)
den innenpolitischen Erfolg. Makaber ist es, wenn dabei Gewalt
nach außen getragen wird, um die Machtspiele einer deformierten
Demokratie zu bedienen.
Offensichtlich ist auch, dass das Militär ein riesiger
Markt für die Rüstungsindustrie ist, die in Abständen
realtaugliche Versuchsfelder und den Verschleiß oder
die Zerstörung von Militärgütern braucht, um
die Nachfrage zu sichern. Darüber ist viel geschrieben
worden.
Konkurrierende Massenmedien sind aus Gründen von Einschaltquoten
und Auflagenhöhen an Konflikten interessiert und schüren
sie. Trotz ihres Wettbewerbes sind sie in außenpolitischen
Fragen und vor allem bei militärischen Konflikten systemisch
gleichgeschaltet. Die fehlende Objektivität der Berichterstattung
kommt den aggressiven Politikern und Militärs zugute.
Die Appelle von Friedensgruppen gehen in der Sensationsgier
der Medien und im Krawall der Scharfmacher unter, während
besonnene Politiker als konfliktscheu verächtlich gemacht
werden.
Die scheinbar verfeindeten Militärs und Machtpolitiker
sind in Wirklichkeit die Angehörigen ein und derselben
Clique, sie spielen sich gegenseitig in die Hände oder
bedingen einer den anderen, wie auch Terroristen Produkte
einer von Großmächten dominierten Machtpolitik
sind. Die eigentliche Frontlinie liegt also nicht zwischen
den „gegnerischen“ Armeen oder “asymmetrischen“
Einheiten, sondern zwischen dem internationalen militärischen
Komplex einerseits und den friedlichen Zivilisten aller Nationen
andererseits.
Das Militär erschwert oder verhindert die Lösung
politischer Konflikte, indem es den Glauben an seine martialische
Abschreckung nährt und damit die Kraft der Diplomatie
schwächt. Auch die bloße Drohung mit Militäreinsätzen
ist aggressiv. Frieden braucht etwas ganz anderes: Verständigung
und Verständnis, mit denen vor allem der Stärkere
beginnen muss.
Das Militär verunsichert auch die eigene Bevölkerung,
deren Leben immer weiter militarisiert wird. Die verschiedenen
Formen der Überwachung und Zensur beschränken die
Menschenrechte im eigenen Land. Die öffentliche Meinung
wird aus Furcht vor Terroristen zu einem mainstream zusammen
geschmolzen. Die Bereitschaft der Bevölkerung zu Einschränkungen
ihrer Bürgerrechte, zur Aufrüstung und zu militärischen
Abenteuern wird durch die allgemeine Gleichschaltung erhöht.
In Friedenszeiten verschlingt das Militär riesige Mengen
an natürlichen, humanen und wirtschaftlichen Ressourcen,
deren Verlust die sozialen und ökologischen Probleme
verschärft. Auf diese Weise produziert das Militär
nicht nur durch seine Tätigkeit, sondern auch durch seine
Untätigkeit noch mehr derjenigen Probleme, die es zu
lösen vorgibt und doch nicht lösen kann. In Zeiten
knapper Staatskassen trägt das Militär dazu bei,
die Schuldenlast der Länder und die globale Finanzkrise
zu verschärfen.
Es ist völlig unverständlich, aber auch bezeichnend,
dass in einer Zeit der zunehmenden Ökonomisierung der
gesamten Gesellschaft gerade die vom Militär angerichteten
Schäden diesem nicht angerechnet werden. Jedes Graffiti
an einer Hauswand wird als Straftat geahndet, die Zerstörung
des ganzen Hauses aber nicht. Es sollte selbstverständlich
der Grundsatz gelten, dass alle Kriegsschäden im eigenen
und im fremden Lande nach dem Urheberprinzip dem Militär
und dem "Verteidigungshaushalt" in Rechnung gestellt
werden.
Tun wir das Notwendige: Die militärische Deformation
der Welt, also die Spirale der Aufrüstung und der Gewalt
zurückdrehen. Nachhaltiges entwickelt sich nur im Frieden
- in einem Frieden nach innen, einem Frieden gegenüber
der Natur und einem Frieden nach außen, wofür soziale
Gerechtigkeit, ökologisches Handeln und aktive Friedenspolitik
stehen. Wie bei anderen globalen Themen auch sollte die Abrüstung
international verhandelt, aber davon unabhängig lokal
voran gebracht werden. Deutschland hat dafür gute Gründe.
Olaf Weber, Weimar
Oktober 2012
Kontakt:
Wilhelm Achelpöhler 0171 / 17 17 392 - achelpoehler@gruene-friedensinitiative.de
Uli Cremer 0160 / 81 21 622 - cremer@gruene-friedensinitiative.de
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