NGO-Online
"Dominierende militärpolitische Ausrichtung"
"Grüne Friedensinitiative" will
gegen grüne Kriegspolitik opponieren
12. April 2007
Den Grünen stehen auf ihrem Kleinen Parteitag am Samstag
in Bremen kontroverse Debatten über Militäreinsätze
ins Haus. Als Reaktion auf die jüngste Kritik führender
Grünen-Politiker an den Ostermärschen haben mehrere
Politiker der Partei nun eine "Grüne Friedensinitiative" (GFI)
gegründet. Die Initiative will der "zurzeit dominierenden
militärpolitischen Ausrichtung der Grünen" entgegentreten
und als "friedenspolitischer Think-Tank" Debatten um
nichtmilitärische Alternativen anstoßen, wie einer
der Initiatoren, der Sprecher des Grünen-Kreisverbandes
Münster, Wilhelm Achelpöhler, erklärte. Aktuell
kritisiert die parteiinterne Friedensinitiative die Unterstützung
des "Afghanistan-Krieges" durch die Grünen. Das
habe mit Friedenspolitik wenig zu tun.
Der Kleine Parteitag der Grünen in Bremen soll sich nach
dem Willen der Initiative nicht wie geplant hinter den ISAF-Einsatz
der NATO in Afghanistan stellen.
Grünen-Chefin Claudia Roth hatte den Veranstaltern der
diesjährigen Ostermärsche eine "Schwarz-Weiß-Sicht" und "pauschale
Ablehnung des Militärischen" vorgehalten. Grünen-Fraktionsvize
Jürgen Trittin erneuerte die Kritik am Mittwoch. Teile der
Bewegung hätten "fast so ein einfaches Weltbild wie
die CDU", sagte Trittin im Deutschlandfunk. Während
sich die Union stets für Militäreinsätze stark
mache, gebe es in der Friedensbewegung oftmals eine "pauschale
Ablehnung" aller Auslandseinsätze.
"Friedenspolitik war Kernelement grüner politischer
Identität"
Die neue Grüne Friedensinitiative legte ihr Weltbild in
einer Erklärung vom 9. April sehr umfassend dar. "Friedenspolitik
war viele Jahre Grundpfeiler der Politik der Grünen und
Kernelement grüner politischer Identität. Sie hat zu
unseren Wahlerfolgen entscheidend beigetragen", heißt
es in der zu Ostern veröffentlichten Erklärung, die
von Wilhelm Achelpöhler, Uli Cremer, Birgit Ebel, Marianne
Hürten und Irmgard Pehle unterzeichnet wurde.
Der Friedensbewegung verdanke die Grüne Partei viel. "In
der alten Bundesrepublik gelang 1983 der Einzug in den Bundestag,
weil die Grünen damals Sprachrohr und glaubwürdiger
Repräsentant der Friedensbewegung waren, die sich vorrangig
gegen die Stationierung der US-Mittelstreckenraketen in Westeuropa
richtete."
Namen wie Petra Kelly seien für Abrüstung, Gewaltfreiheit
und pazifistische Ideale gestanden. "Von den friedenspolitischen
Konzepten, die die Grünen (weiter-)entwickelten, gingen
wichtige Impulse in die Gesellschaft aus. Grüne Programme
forderten einseitige Abrüstungsschritte, den Austritt aus
der NATO und den Atomwaffenverzicht ins Grundgesetz aufzunehmen." Bis
weit in die 1990er Jahre seien die Grünen "der Neuausrichtung
von NATO und Bundeswehr" entgegen getreten.Neue zivile Alternativen
zur militärgestützten "Sicherheits"politik
seien entwickelt und "als grünes Alleinstellungsmerkmal
gegenüber einem einseitig militärfixierten Mainstream
verteidigt" worden. "Gleichzeitig entfernte sich die
Bundestagsfraktion jedoch immer weiter von den friedenspolitischen
Beschlüssen der Partei, denn die personellen Entscheidungen
bei der Aufstellung der BundestagskandidatInnen reflektierten
die friedenspolitischen Positionen kaum", schreiben die
parteiinternen Kritiker.
Dennoch hätte beim letzten Parteitag vor den Bundestagswahlen
1998 in Magdeburg die friedenspolitische Mehrheit in der Partei
noch gehalten, wenn auch hauchdünn mit eine Stimme. Im Wahlprogramm
1998 hätten die Grünen "die Umstrukturierung der
Bundeswehr zu einer internationalen Interventionsarmee" abgelehnt,
die Auflösung der "Krisenreaktionskräfte" und
des "Kommando Spezialkräfte" (KSK) gefordert.
"Militärische Friedenserzwingung und Kampfeinsätze" seien
ausdrücklich abgelehnt worden. Auch sei auf eine "langfristig
angelegte antimilitaristische Strategie" verwiesen und erklärt
worden, dass "eine grundlegende Neuorientierung der Sicherheitspolitik
ein langfristiges Projekt darstellt, das weit über den Horizont
einer Regierungsperiode hinausweist".
"Als es darauf ankam, versagten die Grünen"
"Mit dem Eintritt in die rotgrüne Koalition erodierten
die friedenspolitischen Ansprüche der Grünen substantiell.
Solange Entscheidungen, an Kriegen teilzunehmen nicht anstanden,
war es leicht, gegen den Krieg zu sein. Als es darauf ankam,
versagten die Grünen."
Als entscheidender Dammbruch habe sich die Zustimmung der Partei
zum Kosovo-Krieg erwiesen, "dem ersten Angriffskrieg in
der Geschichte der NATO, der ausdrücklich ohne UN-Mandat
erfolgte, mithin gegen das geltende Völkerrecht verstieß".
Die Zustimmung zum nächsten völkerrechtswidrigen Krieg
- der Operation Enduring Freedom in Afghanistan - habe nicht
lange auf sich warten lassen. "Die Auswirkung auf die Grüne
Partei waren mehrere Tausend Austritte von vielfach sehr aktiven
Parteimitgliedern und im weiteren Verlauf programmatische Änderungen."
"Verheerende militärpolitische Weichenstellungen"
"Die zweifelsfrei vorhandenen friedenspolitischen Spielräume
in der Regierung wurden nicht nur kaum genutzt, sondern oftmals
aktiv verkleinert." Der politischen Ablehnung des Irak-Krieges
oder Akzenten im Bereich nicht-militärischer Alternativen
seien "verheerende militärpolitische Weichenstellungen" gegenüber
gestanden.
"Die Grünen trieben in den Regierungsjahren den zielstrebigen
Ausbau der Bundeswehr zu einer angriffsfähigen Armee voran",
heißt es in der Erklärung weiter. Der Ruf nach einer
Berufsarmee verbinde sich entsprechend heute mit dem Streben
nach einer "möglichst effektiven Interventionsarmee",
die Forderung nach Abschaffung der Wehrpflicht sei aus ihren
antimilitaristischen Kontext gelöst worden. "Die Kriegsteilnahmen
gingen mit der Entwicklung und Beschaffung neuer Angriffswaffen
einher. Dabei erwiesen sich die entsprechenden deutschen beziehungsweise
europäischen Waffen in den Jahren Grüner Regierungsbeteiligung
immer mehr als Exportschlager."
"Militärmacht EU"
Angetreten, in der Regierungsverantwortung eine "Militärmacht
EU" zu verhindern, hätten die Grünen den Aufbau
einer eigenständigen EU-Interventionstruppe aus nationalen
und internationalen Komponenten unterstützt, in dessen Verlauf
die Lücken in den strategischen militärischen Fähigkeiten
Lufttransport und Spionagesatelliten-System nach und nach geschlossen
worden seien. Der Ruf nach der Schaffung einer zentralisierten
EU-Armee sei heute nicht nur aus dem Bundeskanzleramt, sondern
auch von prominenten Grünen Mandatsträgern zu hören.
Nachdem Blockkonfrontation und Rüstungswettlauf zwischen
West und Ost Geschichte sind, werde Deutschland von keinem Staat
mehr bedroht, heißt es in der Erklärung weiter. Die
militärischen Ambitionen Deutschlands seien jedoch gewachsen
und reichten heute weit über Europa beziehungsweise das
NATO-Gebiet hinaus: Deutschland werde am Hindukusch verteidigt,
so die Formel.
Entsprechend hat sich" die Friedensbewegung aktuell gegen
eigene deutsche Kriegsaktivitäten zu wenden, die aus Deutschlands
Streben nach 'mehr Verantwortung' im Rahmen des westlichen Weltordnungsregimes
resultieren", meint die Grüne Friedensinitiative. Aus
der Bundeswehr sei eine "Armee im Einsatz" geworden. "Was
1991 mit Minensuchboten im Mittelmeer und Sanitätssoldaten
in Kambodscha begann, manifestiert sich heute in den Kriegsschiffen
vor der Küste des Libanon ebenso wie in dem militärischen
Engagement auf dem Balkan, im Kongo oder in Afghanistan."
"Die Neue NATO ist ein offensiver Militärpakt
aus Nordstaaten, der sich gegen den Süden richtet"
Die Rolle der NATO habe sich geändert: Die meisten mittel-
und osteuropäischen Staaten seien der NATO beigetreten.
Die übrigen Staaten der Region seien ebenso wie Russland
mit der NATO verbündet. Weiterhin würden auch die Beziehungen
der NATO zu Japan, Südkorea, Australien und Neuseeland vertieft,
so dass sich eine "NATO-Ostasienerweiterung" abzeichne. "Die
Neue NATO ist ein offensiver Militärpakt aus Nordstaaten,
der sich gegen den Süden richtet und in Afghanistan seinen
ersten langwierigen Krieg (auch zu Lande) führt", meinen
die Kritiker.
Die USA seien heute nicht nur NATO-Führungsmacht, sondern
die einzige verbliebene Weltmacht. "Deren Hauptziel ist
es zu verhindern, dass ihr erneut ein mächtiger Rivale -
wie im Kalten Krieg die Sowjetunion - Grenzen setzt." Die
militärische Aufrüstung der USA habe nach dem 11. September
2001 einen erheblichen Schub erhalten. Ihre Funktion liege nicht
so sehr im viel beschworenen "Krieg gegen den Terror",
sondern darin, "die Welt nach den Interessen der USA zu
gestalten und auszurichten". Wer sich dem entgegen stelle,
werde auf der "Achse des Bösen" verortet und müsse
im äußersten Fall damit rechnen, "mit einem Krieg überzogen
zu werden".
Potentielle Rivalen seien nicht nur die aufstrebenden Mächte
Indien oder China, sondern nicht zuletzt die EU und Russland
beziehungsweise ein Bündnis beider. Die US-Planungen für
Raketenabwehrsysteme in Tschechien und Polen "sollen die
Gräben zwischen den kerneuropäischen EU-Ländern
der Euro-Zone (dem 'alten Europa') und dem 'neuen Europa' vertiefen
und die Kooperation zwischen EU und Russland torpedieren."
"Kriegsdienstverweigerer halfen den Ersten Weltkrieg
zu beenden"
Vor diesem Hintergrund wolle die Grüne Friedensinitiative
(GFI) das friedenspolitische Erbe bewahren, die zahlreichen innerhalb
der Grünen entstandenen friedenspolitischen Ideen und Konzepte
aufgreifen und weiterentwickeln.
Die Initiative hält Vieles aus den Anfangen der Grünen
für nach wie vor aktuell: "Nicht alles muss neu erfunden
werden. Nicht alle politischen Konzepte aus den 80er Jahren sind
falsch, weil seitdem 20 Jahre vergangen sind. Die gesellschaftlichen
Debatten, die 2007 um die Klimakatastrophe geführt werden,
zeigen die Weitsichtigkeit der Grünen Umweltpolitik der
80er Jahre." Auch viele friedenspolitische Konzepte aus
den vergangenen Jahrzehnten seien "brandaktuell".
Es gehe immer noch um die Grundausrichtung: "Soll Sicherheit
gemeinsam mit anderen oder auf Kosten anderer geschaffen werden?" Abrüstung
gebe es nur, wenn jemand damit beginne. "Kalkulierte einseitige
Vorleistungen können eine Abrüstungsdynamik in Gang
setzen, weil Taten vertrauensbildender sind als alle Worte." Nicht-militärische
Konfliktlösung gebe es nicht zumNulltarif. Jeder Euro, der
für das Militär ausgegeben werde, fehle bei Investitionen
in zivile Alternativen.
Die Geschichte beweist nach Auffassung der Grünen Friedensinitiative,
dass individuelle Kriegsdienstverweigerung und Desertieren nicht
nur oft höchsten persönlichen Mut erfordern, "sondern
auch geeignete Mittel sind, militärischen Abenteuern und
Kriegen ein Ende zu setzen. In 2008 jährt sich die Novemberrevolution
das 80. Mal. Anlass genug an die mutigen Kieler Matrosen zu erinnern,
die den Kriegsdienst verweigerten und den Ersten Weltkrieg beenden
halfen."
Dem "Einschwenken der Grünen auf militärpolitische
Positionen" hätten in der Vergangenheit immer wieder
viele Parteimitglieder ihren Widerstand entgegengesetzt. Die
Grüne Friedensinitiative möchte daran anknüpfen
und "den ideologischen Einfluss militärpolitischorientierten
Denkens zurückdrängen".
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