Einleitung
Wie
in jedem Jahr entscheidet auch in diesem Jahr der
Bundestag über die weitere Beteiligung am Afghanistan-Krieg.
Um die Diskussion aus dem Wahlkampf herauszuhalten,
war 2008 das Mandat gleich bis Dezember 2009 verlängert
worden. Nun wird am 3.12.2009 abgestimmt.
Allerdings
ist mit der Mandatsverlängerung erst einmal keine
Verstärkung des deutschen Militäreinsatzes verbunden.
Die jährliche Aufstockung wird erst nach der internationalen
Afghanistan-Konferenz im Januar 2010 beschlossen
werden. Für Februar oder März 2010 müssen wir also
mit der nächsten Afghanistan-Entscheidung im Bundestag
rechnen.
Allerdings
soll schon bei der bevorstehenden Entscheidung
am 3.12.09 für die Kriegsführung 2010 signifikant
mehr Geld zur Verfügung gestellt werden: 820,7
Mio. € statt 688 Mio. € bisher. Monatlich wurden
bisher etwa 50 Mio. € ausgegeben, in Zukunft sollen
es etwa 70 Mio. € sein. Die Anhebung dürfte nicht zuletzt auf die Intentsivierung
des Krieges zurückzuführen sein: Verbrauchte Munition und andere zerstörte
Ausrüstungsgegenstände müssen in höherem Maße als in der Vergangenheit ersetzt
werden.
Denn der Krieg in Afghanistan hat sich 2009 erheblich verschärft.
Die Aufständischen kontrollieren inzwischen 80%
der Regionen in Afghanistan. US-Präsident Obama
gestand im März 2009 offen ein, dass der Krieg
nicht zu gewinnen ist
[1]
. ISAF-Kommandeur McChrystal beklagt, dass die Aufständischen
die Initiative hätten und fordert einen „Strategiewechsel“: Dosis erhöhen!
Mehr Soldaten! Dem wird Obama in diesen Tagen nachkommen und weitere 32.000 – 35.000
Soldaten in den Krieg schicken.
Bereits
jetzt haben ISAF und OEF über 100.000 Soldaten
in Afghanistan im Einsatz. Gleichzeitig haben sie
immer mehr Verluste zu verzeichnen: bis Ende November
2009 fielen über 1.500 westliche Soldaten, davon
etwa 1/3 in diesem Jahr (485 Gefallene) in diesem
Jahr. Laut UN-Angaben sind 2009 (bis Ende Oktober)
bereits 2.021 zivile Opfer zu beklagen. Darin sollten
auch die ZivilistInnen, die bei der von der Bundeswehr
initiierten Bombardierung der zwei Tanklastzüge
am 4.9. getötet wurden, eingerechnet sein.
Auch
in Nordafghanistan hat sich der Krieg intensiviert.
Die Bundeswehr führt immer mehr Offensivoperationen
durch und wird immer häufiger von Aufständischen
attackiert. Da in Zukunft der Nachschub für die
westlichen Truppen zunehmend via Russland über
Nordafghanistan laufen wird, wird die Region militärstrategisch
an Bedeutung gewinnen und folglich umkämpft werden.
Der kurzfristige Abzug der NATO sowie
der anderen westlichen Truppen aus Afghanistan
ist friedenspolitisch alternativlos.
Im Dezember 2009 wäre darum die richtige politische
Entscheidung, die deutschen Truppen bis Ende des
1. Halbjahres 2010 abzuziehen. Nur ein solch kurzfristiges
Abzugsdatum gewährleistete, dass die Bundeswehr
an den Kriegshandlungen 2010, die vermutlich wie
in den letzten 30 Jahren nach der Schneeschmelze
einsetzen, nicht mehr teilnähme. Ein solches Signal
könnte die anderen NATO- Staaten, in denen wie
in Deutschland die Mehrheit der Bevölkerung den
Krieg ablehnt, bewegen, ihre Truppen ebenfalls
abzuziehen.
Dennoch wird sich im Bundestag am
3.12.09 wieder eine stabile breite Mehrheit für
die Verlängerung des Bundeswehr-Einsatzes finden.
Da die Meinungsmehrheiten gegen den Afghanistan-Krieg
in Deutschland über die Jahre stabil sind, wird
von den BefürworterInnen des Krieges als Aufgabe
formuliert, dass die Politik der Bevölkerung den
Militäreinsatz besser „erklären“ müsste, um ihn
zu legitimieren. Für uns kommt es darauf an, die
innenpolitische Ablehnung des Krieges zu vertiefen
und politisch wirksam werden zu lassen.
Um
diesen Prozess zu befördern, haben wir uns entschlossen,
unsere 2007 erstmalig veröffentlichten „Frequently
Asked Questions“ 2009 ein zweites Mal zu aktualisieren.
Frage
1
Seit
2001 kämpfen westliche Truppen in Afghanistan.
Wie viele Opfer hat es eigentlich bisher gegeben?
Die
Angaben über die zivilen Opfer des Afghanistan-Krieges
sind wenig verlässlich und mit großer Unsicherheit
behaftet. Offizielle Angaben über getötete Zivilisten
werden von der UNO bzw. der UNAMA (= UN Assistance
Mission in Afghanistan) herausgegeben. Danach sind
2009 vom 1.1. bis zum 31.10. 2.021
[2]
Zivilisten ums Leben gekommen, das sind ca. 10% mehr als
im Vergleichszeitraum des vergangenen Jahres; allerdings sind es fast 60%
(!) mehr als 2007 . Die Bundeswehr hat am 4. September 2009 ihren Beitrag
zur Fortschreibung dieser traurigen Statistik geleistet.
Für
das Gesamtjahr 2007 gibt die UNAMA die Opferzahl
mit 1.523 an, für 2008 mit 2.118. Die unabhängige
in Kabul ansässige Gruppe ARM (Afghanistan Rights
Monitor) zählte im gleichen Jahr allerdings 3.917
[3]
zivile Opfer, das sind 85% mehr. 1.100 davon gingen auf
das Konto der ISAF-/OEF-Truppen
[4]
, 2.300 auf das Konto der Aufständischen; die verbleibenden
517 konnten keiner Seite zugeordnet werden.
Auch aus Sicht der UNAMA sind sowohl die NATO als auch die
Aufständischen verantwortlich für die zivilen Opfer. Wörtlich
heißt es in dem Halbjahresbericht: “Both Anti-Government
Elements and pro-government forces are responsible
for the increase in civilian casualties.”
[5]
Verlässliche
Gesamtzahlen über getötete Aufständische fehlen,
während über die gefallenen westlichen Soldaten
akribische Statistiken geführt werden.
Tabelle
1: Gefallene OEF- und ISAF-Soldaten
[6]
Jahre
|
Gefallene Soldaten
|
Vergleich zum Vorjahr
|
2001
|
12
|
|
2002
|
69
|
+475%
|
2003
|
57
|
-17%
|
2004
|
59
|
4%
|
2005
|
131
|
+122%
|
2006
|
191
|
+46%
|
2007
|
232
|
+21%
|
2008
|
294
|
+27%
|
2009*)
|
485
|
+65%
|
Total
|
1.532
|
|
*)
Für das Jahr 2009 wurden die Gefallenen bis zum
1.Dezember 2009 berücksichtigt. Auf Gesamtjahresbasis
dürfte die Steigerung noch höher ausfallen.
Bisher
sind 36 Bundeswehrsoldaten gefallen
[7]
.
Frage
2:
Seit
2001 sind Soldaten aus den NATO-Ländern in Afghanistan
im Einsatz. Wie viele sind es denn eigentlich?
Die
NATO-geführte „ISAF" (Internationale Schutztruppe
Afghanistan) umfasst nach NATO-Angaben 71.030 SoldatInnen
(Stand 22.10.2009)
[8]
. Mit den OEF-Streitkräften stehen über 100.000 westliche
Soldaten in Afghanistan; in der New York Times war bereits im September 2009
schon von 108.000 die Rede
[9]
. Das ist genau die Dimension, die die Sowjetunion bei
ihrem Afghanistan-Krieg in den 80er Jahren im Einsatz hatte. Die USA stellen
mit 64.500 mehr als die Hälfte der Truppen.
Vor
7 Jahren (2002) waren lediglich 12.000 Soldaten
im Land, davon 8.000 unter OEF-Flagge und 4.000
unter ISAF. Die Zahl der Soldaten hat sich also
seitdem fast verzehnfacht!
[10]
Tabelle 2: Entwicklung der westlichen
Truppenzahlen seit 2002
[11]
|
ISAF
|
OEF
|
Total
|
2002
|
4.000
|
8.000
|
12.000
|
2006
|
31.000
|
22.100
|
53.100
|
2007
|
41.144
|
ca.
20.000
|
> 60.000
|
2008
|
52.700
(12.6.08)
|
30.000
|
82.700
|
51.350
(1.12.08)
|
19.000
|
70.350
|
2009
|
71.030
(22.10.09)
|
ca.
40.000
|
ca.
110.000
|
2010
|
ca. 85-95.000
|
ca.
55.000
|
ca.
140-150.000
|
Die
weitere Aufstockung der NATO-Truppen wird von Militär
und Politik Jahr für Jahr gefordert:
"Wir haben zu wenige Kräfte und
nicht die beste Ausstattung", sagte Kasdorf
in Kabul. Einige tausend zusätzliche Soldaten
könnten einen großen Unterschied machen. Die
Isaf habe schon jetzt zu wenige Truppen und sei
auf jede Unterstützung angewiesen, sagte er. "Da
sind 40.000 Soldaten in der Tat ganz eng genäht",
kommentierte Kasdorf die derzeitige Isaf-Stärke.
Der General sagte, gemessen am Kosovo-Einsatz
müssten in Afghanistan 800.000 Soldaten stationiert
werden. Die Nato-Truppe könne zwar militärisch
nicht von den radikal-islamischen Taliban besiegt
werden. Ohne zusätzliche Truppen werde der Einsatz
aber länger dauern.“
[12]
Die aktuelle US-Militärdoktrin zur
Aufstandsbekämpfung (Counterinsurgency/COIN) veranschlagt „zur
erfolgreichen Bekämpfung von Aufständischen ...
ein Aufgebot von einer Sicherheitskraft pro 50
Zivilisten. Auf die Bevölkerung Afghanistans umgerechnet
würden 650.000 gut ausgebildete Soldaten und Polizisten
benötigt. Selbst wenn man davon ausgeht, dass nur
in ungefähr 50 Prozent des afghanischen Territoriums
Einsätze gegen Aufständische überhaupt notwendig
sind..., werden immer noch 300.000 Sicherheitskräfte
gebraucht.“
[13]
Etwas bescheidener gab sich der damalige
ISAF-Kommandeur, der US-General McNeill: Auf die
Frage, wie viele Soldaten er bräuchte, um in Afghanistan
die Aufständischen in den Griff zu bekommen, antwortete
er bei einer Sicherheitskonferenz im November 2007
in Washington: „Nach den Regeln der Counter-Insurgency-Doktrin
brauche ich dafür mindestens 400.000 Mann."
[14]
Der
aktuelle ISAF-Kommandeur, General McChrystal, ist
der gleichen Doktrin verpflichtet und geht deswegen
ebenfalls von dieser Größenordnung aus. Nach seinen Überlegungen
sollen davon perspektivisch 240.000 davon Soldaten
der ANA (Afghan National Army) sein. Die anderen
etwa 160.000 müssten aus den NATO-Ländern bzw.
von NATO-Verbündeten gestellt werden
[15]
.
Entsprechend fordert McChrystal von
den USA für 2010 bis zu 45.000 Soldaten; Obama
genehmigt aber nur 30.000. Weitere Verstärkungen
sind von den Verbündeten zu erwarten, u.a. sind
deutsche Überlegungen, von 4.800 auf 7.000 aufzustocken,
bereits bekannt geworden. Der britische Premier
Brown hat offenbar 10 europäische NATO-Staaten überzeugen
können, 5.000 zusätzliche Soldaten zu schicken
[16]
. Einer der zehn Staaten wird Deutschland sein: Die Leipziger
Volkszeitung hat von einem „zuständigen Regierungsmitglied“ erfahren: „Die
Bundesregierung richte sich darauf ein, dass mit London ‚eine moderate Erhöhung
des militärisch-zivilen Personalbedarfs’ für Afghanistan auch auf die Bundesrepublik
zukomme.“
[17]
Was
die afghanischen Sicherheitskräfte betrifft, so
will McChrystal bzw. die NATO bis Oktober 2010
erst einmal eine Armee-Stärke von 134.000 erreichen
(aktuell: 93.980
[18]
). Hinzukommen (als Zielgröße) 160.000 Polizeibeamte (aktuell:
96.800
[19]
).
„Zum
Vergleich: Während der sowjetischen Invasion waren
es zum Schluss, also 1989, rund 600.000 afghanische
und sowjetische Soldaten und Milizen.(Minkow/Smolynec:
S.7, 1988 umfassten die afghanischen Sicherheitskräfte
458.900 Mann, die Rote Armee hatte ca. 120.000
Soldaten in Afghanistan) Sie verloren letztlich
den Krieg und die Engländer zuvor schon zweimal.“
[20]
Von
dem Gesamtniveau sind die westlichen Staaten und
die mit ihnen verbündeten afghanischen Kräfte heute
real noch weit entfernt: Im Herbst 2009 addieren
afghanische Armee und Milizen (Polizei) auf 191.000
Personen, dazu ISAF und OEF mit etwa 108.000, macht:
ca. 300.000. Im Herbst 2010 würden afghanische
Sicherheitskräfte (134.000 Soldaten plus ca. 120.000
Milizen = ca. 250.000) und internationale Truppen
(ca. 160.000) bereits über 400.000 Personen stark
sein.
Allerdings
fehlen in der Vergleichsrechnung noch die privaten
Sicherheitsdienste, denn die Sowjetunion hatte
die entsprechenden Aufgaben in den öffentlichen
Sektor, d.h. ihre Streitkräften integriert. Laut
Angaben der FAZ waren bereits im Sommer 2009 3.000
bewaffnete private Sicherheitskräfte und 71.700 „Mitarbeiter
privater Sicherheitsfirmen“ in Afghanistan eingesetzt
[21]
. Reinhard Erös, ehemaliger Oberstarzt bei der Bundeswehr
und Gründer der Kinderhilfe Afghanistan, gibt die Zahl privater Bewaffneter
(= Söldner) sogar mit 12.000 an
[22]
. So gesehen hat McChrystal für die Aufstandsbekämpfung
bereits jetzt annähernd 400.000 Sicherkräfte zur Verfügung.
Frage
3:
Wie
viele deutsche Soldaten sind denn eigentlich
in Afghanistan eingesetzt?
Im
Herbst 2008 war die Obergrenze auf 4500 Soldaten
erhöht werden, das war gegenüber 2007 eine Steigerung
um stolze 28%!
Im
Juli 2009 genehmigte der Bundestag weitere 300
Bundeswehr-Soldaten, die für die AWACS benötigt
werden. Wegen fehlender Überflugrechte über Aserbaidschan
und Turkmenistan konnte der NATO-AWACS-Einsatz
allerdings bis heute nicht beginnen, so dass das
entsprechende Mandat erst einmal nicht erneut im
Bundestag behandelt werden soll.
[23]
Auf
der Grundlage des OEF-Mandats werden z.Z. (laut
Bundestagsbeschluss vom 13.11.2008) keine weiteren
SoldatInnen in Afghanistan eingesetzt. Deutsches
Personal kann danach nur für Aufgaben in anderen
Regionen verwändet werden, z.B. sind Marinesoldaten
am Horn von Afrika tätig.
Die
aktuellen Obergrenze für Bundeswehr-SoldatInnen
beträgt im Dezember 2009:
4.500
ISAF Basismandat (inklusive Tornado-Personal).
Aufgestockt wird erst wieder nach der internationalen
Afghanistan-Konferenz im Januar 2010. Bis dahin
wird der neue Verteidigungsminister Guttenberg
auf punktuelle Verstärkungen im Rahmen der bisherigen
Obergrenze setzen (120 zusätzliche Soldaten für
die Eingreiftruppe in Kundus, 18 zusätzliche Schützenpanzer
usw.).
[24]
Das
bisherige Bundestagsmandat war auf 14 Monate ausgelegt.
Auf diese Weise versuchte die Bundestagsmehrheit,
das Thema Afghanistan-Krieg aus dem Bundestagswahlkamp
2009 herauszuhalten. Doch pünktlich nach dem 27.9.2009
kommt die Katze langsam aus dem Sack. Die politikberatenden
Pressure Groups (in Personen: Ischinger als Chef
der Münchener Sicherheitskonferenz sowie Noetzel
als Autor der Stiftung Wissenschaft und Politik)
analysieren: „Um Kundus zurückzugewinnen, müssen
die militärischen Kräfte deutlich verstärkt werden.“ Die
Forderung ist vornehm in Frageform gehalten: „Soll
die neue Bundesregierung im Dezember ein um mehrere
tausend Soldaten verstärktes Kontingent nach Afghanistan
schicken…?“
[25]
Analog zu den massiven US-Aufstockungsplänen haben deutsche
Militärs die Sache schon einmal durchgerechnet und beabsichtigen die Obergrenze
für die Bundeswehr auf bis zu 7.000
[26]
!!! heraufzusetzen – das wäre eine Steigerung um 46%!
Ernst-Reinhard Beck, verteidigungspolitischer Sprecher der CDU/CSU, brachte
Mitte November 2009 die Zahlen „6000, 8000 oder 10000“ ins Gespräch – „abhängig
vom ‚militärischen Sachverstand’“
[27]
. Auch eine Verdoppelung ist in Berlin also nicht tabu.
Frage
4
Wie
viel Geld kostet der Afghanistan-Krieg die deutschen
SteuerzahlerInnen?
„Nach
Angaben der Vorsitzenden des Bundestags-Verteidigungsausschusses,
der SPD-Politikerin Ulrike Merten, hat Deutschland
für seinen Militäreinsatz in Afghanistan bislang
mehr als 2,6 Milliarden Euro ausgegeben. Diese
Summe ergebe sich, wenn man die veranschlagten
Kostenrechnungen jeder Mandatsverlängerung zusammenrechne,
sagte Merten laut einem Bericht der "Thüringer
Allgemeinen". Für das laufende Planjahr
betrügen die Kosten 487 Millionen Euro.“
[28]
Da die Bundeswehr im Juli 2008 auch die schnelle Eingreiftruppe
im Norden übernahm, die zusätzliche Bewaffnung erforderte, erhöhten sich
die Kosten für 2008 um 49 Mio. auf 536 Mio. €. Die Truppenaufstockung für
2009 zog dann einen Budgetansatz von 570,6 Mio. € für das laufende Jahr nach
sich, worin die Kosten für die Anfang Juli beschlossene AWACS-Mission noch
nicht enthalten sind. Andererseits sind diese bis heute auch noch nicht in
Afghanistan angekommen.
Bis
zum 15.12.2009 wird Deutschland also für den
Afghanistan-Krieg mindestens 3,2 Mrd. € ausgegeben
haben. Jeden Monat werden zur Zeit etwa 50 Mio. € für
den Bundeswehreinsatz in Afghanistan fällig.
Das neue Mandat von Dezember 2009 sieht für 12
Monate weitere 820,7 Mio. € vor, jeden Monat
70 Mio. €. Nach der zu erwartenden Aufstockung
im 1.Quartal 2010 wird der Betrag sogar noch
weiter steigen. Außerdem dürften noch geplante
Rüstungslieferungen an die afghanische Armee
oder lokale Milizen / Warlords zu Buche schlagen
[29]
.
Frage
5:
Die
GRÜNEN hatten auf ihrem Kölner Parteitag 2006
beschlossen: „Das UN-Mandat für OEF rechtfertigt
den Einsatz von Gewalt nur, um die Verantwortlichen,
die Täter und Hintermänner der Anschläge vom
11.9.2001 in New York und Washington der Gerechtigkeit
zuzuführen (bring to justice).“ Welche völkerrechtliche
Grundlage gibt es für die Operation Enduring
Freedom denn genau?
Es
gibt überhaupt kein UN-Mandat für OEF. Die USA
und ihre Verbündeten haben sich selbst mandatiert.
Die
Regierungen der NATO-Länder sagen: Die USA sind
am 11.9.2001 angegriffen worden. Deswegen können
sie laut UN-Charta Artikel 51 das Selbstverteidigungsrecht
in Anspruch nehmen. Das habe der UN-Sicherheitsrat
auch anerkannt. Mit dem von der NATO ausgerufene
Bündnisfall wird aus der individuellen Selbstverteidigung
der USA eine kollektive. Also sei völkerrechtlich
alles im Lot.
So
ist jedoch nicht: Am 12.9.2001 hat der UN-Sicherheitsrat
die Staaten aufgefordert, „dringend zusammenzuarbeiten,
um die Täter, Drahtzieher und Förderer dieser terroristischen
Anschläge vor Gericht zu bringen, und betont, dass
diejenigen, die den Tätern, Drahtziehern und Förderern
helfen, sie unterstützen oder ihnen Zuflucht gewähren,
zur Rechenschaft gezogen werden.“ (Resolution 1368
(2001)) In der Tat hat er gleichzeitig das Recht
auf Selbstverteidigung anerkannt. Dieses gilt jedoch
laut UN-Charta Art. 51 nur solange „bis der
Sicherheitsrat die zur Wahrung des Weltfriedens
und der internationalen Sicherheit erforderlichen
Maßnahmen getroffen hat.“ Das ist jedoch am 28.9.2001 geschehen, indem
der Sicherheitsrat einen umfangreichen Maßnahmenkatalog
zur Bekämpfung des Terrorismus verabschiedete,
in dem kein Militärschlag vorkommt (Resolution
1373 (2001)). Damit war das Recht auf Selbstverteidigung völkerrechtlich „erloschen“, bevor die USA
und ihre Verbündeten im Oktober 2001 in Afghanistan
einmarschierten.
Dem
OEF-Einsatz fehlte also von der ersten Stunde an
die völkerrechtliche Legitimation. Denn der UN-Sicherheitsrat
hat kein Mandat für den Krieg gegen Afghanistan
erteilt.
Frage
6:
Welche
völkerrechtliche Grundlage hat ISAF?
Er
basiert auf einem Mandat nach Kapitel VII der UN-Charta,
also einem Mandat für einen Kampfeinsatz. Es handelt
sich also nicht um einen friedenserhaltenden Blauhelmeinsatz.
Begründung war und ist, dass „die Situation in
Afghanistan eine Bedrohung des Weltfriedens und
der internationalen Sicherheit“ darstelle. Zu Beginn
war der ISAF-Einsatz auf Kabul beschränkt, spätere
UN-Mandate weiteten ihn auf ganz Afghanistan aus.
Inzwischen ist am Fall
der Soldatin Ernst-Zettl allerdings bekannt geworden,
dass die Bundeswehr bei der Durchführung des Einsatzes
gegen die Regeln des humanitären Kriegsvölkerrechts
verstößt, indem Sanitätssoldaten sogar am Maschinengewehr
als Kämpfer eingesetzt werden, nachdem ihnen zuvor
das Ablegen der Rot-Kreuz-Armbinden befohlen worden
war.
[30]
Frage
7:
Welche
völkerrechtliche Grundlage hat der Tornado-Einsatz?
Der
Tornado-Einsatz ist Teil von ISAF, das auf einem
Mandat nach Kapitel VII der UN-Charta, also einem
Mandat für einen Kampfeinsatz, beruht.
Die
ISAF-Truppen sind ermächtigt, „alle zur Erfüllung
ihres Mandats notwendigen Maßnahmen zu ergreifen“
[31]
. Insofern ist auch der Tornado-Einsatz vom Beschluss von
einem UN-Mandat gedeckt. Nicht nur der Bundestag, auch den UN-Sicherheitsrat
trifft eben gelegentlich einen Vorratsbeschluss.
Frage
8:
Im
Juli 2008 hatte die Bundeswehr im Norden die
norwegische schnelle Eingreiftruppe abgelöst.
Dazu ist weder das Bundeswehr-Mandat, noch das
UN-Mandat geändert worden. Wie ist das zu erklären?
Die
schnelle Eingreiftruppe beruht auf einem Kapitel-VII-Mandat
des UN-Sicherheitsrates. Der gesamte ISAF-Einsatz
ist juristisch nie eine friedenserhaltende Maßnahme
gewesen, sondern ein Kampfeinsatz. Also gibt es
eine völkerrechtliche Legitimation.
Im
vorangegangenen Bundestagsbeschluss von 2007 war
lediglich eine personelle Obergrenze für den gesamten
ISAF-Einsatz festgelegt worden. Wie der Kampfeinsatz
im Einzelnen organisiert würde, hat der Bundestag
in all den Jahren nie fixiert. Insofern handelt
es sich stets um Vorratsbeschlüsse: Der Bundeswehr-Einsatz
kann jederzeit um neue qualitative Komponenten
erweitert werden, ohne dass der Bundestag befasst
werden müsste. Allein wenn die Kosten für neue
qualitative Komponenten das vorgesehene Budget übersteigen,
bleibt als Handlungsbedarf für den Bundestag ein
kleiner Nachtragshaushalt - sofern sich die Summe
nicht problemlos anderswo hinbuchen lässt.
Frage
9:
Im
Sommer 2009 hat
die NATO auch AWACS Flugzeuge für den Afghanistan-Krieg
angefordert. Welche völkerrechtliche Grundlage
gibt es dafür? Und was ist die Aufgabe dieser
Flugzeuge?
Die
AWACS Flugzeuge sind in das ISAF-Mandat eingebunden.
NATO, Bundesregierung und Bundestagsmehrheit haben
klargestellt, dass diese Maßnahme notwendig ist „zur
Erfüllung ihres Mandats“. Insofern ist hier die
völkerrechtliche Legitimation genauso wie beim
Tornado-Einsatz.
Technisch
können die AWACS den Luftraum bis zu 500 km tief überwachen.
Sie sollen in Afghanistan die Luftbewegungen der
verschiedenen Flugzeuge koordinieren, die von den
diversen Militärkräften eingesetzt werden. Daraus
ergibt sich, „dass die Awacs auf keinen Fall nur
für Isaf da sein könnten. Die Sache würde nur dann
Sinn ergeben, wenn wirklich alle Flugbewegungen
erfasst, koordiniert und unterstützt würden: OEF-Flüge
ebenso wie gelegentliche Flüge amerikanischer Spezialkräfte,
die direkt von der Heimat aus kommandiert werden
und von denen am Hindukusch kaum jemand vorher
informiert wird.“ Zwar würden die AWACS bei Luftangriffen
nicht direkt die Ziele zuweisen. „Dennoch wären
Awacs an solchen Angriffen beteiligt, indem sie
den Kampfflugzeugen die ‚Box freiräumen’; unter
Umständen vielleicht auch, indem sie als Relaisstation
dienen, wenn die Bodentruppen (das sind diejenigen,
die häufig die Kampfflugzeuge anfordern, die Autoren)
wegen der geographischen Bedingungen keinen eigenen
direkten Funkkontakt haben.“
[32]
Auch
wenn die Maßnahme als Optimierung des zivilen Luftverkehrs
verkauft wird, sollen die AWACS natürlich die NATO-Kriegsführung
optimieren, schließlich sind sie nicht von der
Lufthansa oder vom Roten Kreuz angefordert worden.
Der
damalige Staatsminister Erler begründete den AWACS-Einsatz
am 17.6.2009 im Bundestag so: „Die derzeit in Afghanistan
praktizierte Luftraumüberwachung ist längst hinter
dem ständig wachsenden zivilen wie militärischen
Flugaufkommen zurückgeblieben. Diese Entwicklung
wird anhalten. Prognosen der NATO sehen in naher
Zukunft ein weiteres starkes Wachstum um das Drei-
bis Fünffache voraus.“ Laut Auswärtigem Amt beträgt
der militärische Anteil an den Flugbewegungen 70,
der zivile 30 Prozent. Der zivile wuchs jährlich
um 10 Prozent, der militärische bisher jährlich
um ein Viertel!
[33]
Also geht es um den militärischen Anteil.
Allerdings
rief die NATO das AWACS-Mandat bis Dezember 2009
nicht ab, da es nicht gelang, die notwendigen Überflugsrechte
von Aserbaidschan und Turkmenistan zu erhalten.
Sobald diese vorliegen, will die neue Bundesregierung
erneut ein Bundestagsmandat beantragen.
Frage
10:
Was
haben OEF und ISAF miteinander zu tun?
Ursprünglich wurde ISAF nur zur Sicherung
Kabuls und damit des Schutzes der Regierung Karsai
eingesetzt. Es bestand eine faktische Arbeitsteilung zwischen
den militärisch operierenden US-Truppen und ihren
Verbündeten, wie etwa Britannien, die im Rahmen
von OEF den „Krieg gegen den Terror“ führten und
den im Rahmen von ISAF eingesetzten Militärverbänden
verschiedener Staaten, die in erster Linie absichernd
tätig waren. Dennoch waren die beiden Operationen
zu keinem Zeitpunkt organisatorisch strikt getrennt.
Die anfängliche institutionelle und
räumliche Abgrenzung seit mehreren Jahren nicht
mehr. Seit 2003 steht ISAF unter Führung der NATO.
Seit Oktober 2006 erstreckt sich das Einsatzgebiet
von ISAF unter NATO-Führung auf das gesamte Land.
Nicht mehr nur in Kabul und Umgebung, nicht mehr
nur auf den Norden Afghanistans. Faktisch
sind OEF und ISAF seit 2006 verschmolzen – auch
wenn in der deutschen Diskussion gerne ein Gegensatz
zwischen beiden Missionen aufgebauscht wurde. Ein
großer Teil der US-Truppen,
die im Rahmen von OEF Krieg gegen die Taliban geführt
hatten, wurde 2006 bei ISAF integriert. Im Einsatzkonzept
der NATO für den ISAF-Einsatz wurde die Ausweitung
von ISAF auf den Osten Afghanistans als ein “Auswechseln
der Wimpel der OEF-Truppen” beschrieben
[34]
Auch in der Befehlsstruktur ist ISAF
nicht unabhängig von OEF. Der GRÜNE Verteidigungspolitiker
Winni Nachtwei problematisiert genau diese Verzahnung
am Beispiel des Tornado-Einsatzes, bei dem er sich „eine
saubere Trennung nicht vorstellen“
[35]
kann. Damit steht er nicht allein, die Frankfurter Allgemeine
sieht es am 25.6.07 ähnlich: „... bei der Weitergabe der einmal gemachten
und ins Netz gestellten Bilder scheint eine Restriktion kaum mehr möglich.
Die Anti-Terror- Operationen werden von einem amerikanischen General geleitet,
der zugleich Regionalkommandeur von Isaf für den Ostteil Afghanistans ist.
Diese ‚Doppelhut’-Lösung war ursprünglich vorgesehen mit einem Offizier im
Hauptquartier, nicht in einem Regionalkommando. Sie wurde ausdrücklich mit
der Absicht eingeführt, die beiden Operationen besser zu koordinieren.. „Der
Mann kann ja nicht eine Mauer zwischen zwei Gehirnhälften, eine Isaf, eine
OEF, errichten.“
Die Niederschlagung militärischer
Gruppen wie der Taliban und Anderer in Afghanistan
ist vor 3 Jahren zu einer Aufgabe der ISAF geworden.
Der vorher von den OEF-Truppen geführte Krieg wird
seitdem von der ISAF durchgeführt und verantwortet. „Von
der Schutztruppe zur Kampftruppe“ beschrieb
diesen Wandel des ISAF Einsatzes etwa der ARD Korrespondent Christoph
Heinzle
[36]
. Weiter Heinzle:
„Die Truppe habe ihr Mandat neu ausgelegt,
so der langjährige UN-Diplomat und heutige EU-Afghanistanbeuftragte
Francesc Vendrell: "Das Mandat wurde lange
als friedenserhaltend interpretiert", erklärt
er. Und das, obwohl der UN-Sicherheitsrat die
Isaf klar unter Kapitel 7 der UN-Charta gestellt
hatte und die Isaf damit auch Frieden erzwingen
dürfe. "Die Nato-Mitglieder haben erst jüngst
erkannt, dass sie eine robustere Interpretation
von Sicherheit für ihr Mandat brauchten",
so Vendrell.“
Wie sich diese Kriegsführung durch
ISAF darstellt, beschreibt ARD-Korrespondent Heinzle
so:
„Klares Zeichen für den Kurswechsel
war im Sommer 2006 die "Operation Medusa".
Erstmals jagte die Isaf zusammen mit afghanischen
Sicherheitskräften aktiv Aufständische im instabilen
Süden Afghanistans. Die Verluste auf beiden Seiten
waren hoch. Im Juli hatte die Nato-geführte Isaf
das Kommando im Süden von der US-geführten Anti-Terrorkoalition übernommen.
Nun sollten massive Militäroperationen in klar
definierten Gebieten mehr Sicherheit schaffen,
um Wiederaufbau zu ermöglichen. Seitdem gibt
es von der Isaf so genannte Präzisionsluftangriffe
gegen Taliban-Führer, Flächenbombardements, Artilleriegefechte.
Der Tod von 4000 Talibankämpfern, Zivilisten
und Soldaten im vergangenen Jahr ging in der
Mehrzahl auf Kämpfe mit Isaf-Beteiligung zurück
[37]
.
Im Rahmen der Frühjahrsoffensive 2007
der ISAF führte diese die „Operation Achilles“ durch, über
die wie folgt berichtet wurde:
„Die bisher größte gemeinsame Operation
von Briten, Holländern, Kanadiern, Amerikaner
und Afghanen im krisengeschüttelten Land kündigte
die Nato an. Insgesamt 5500 Bewaffnete seien
in der Region Helmand im Süden des Landes dabei,
Sicherheit und Ordnung wiederherzustellen, Taliban
zu jagen und Drogenhändler zu vertreiben, so
die Kampfparolen aus der Isaf-Zentrale. Auch
wenn es nicht ausdrücklich gesagt wurde: Es war
der Start der viel beschworenen Frühjahrsoffensive.“
[38]
In 2007 war eine Abgrenzung von ISAF
Kampfeinsätzen und OEF Kampfeinsätzen immer weniger
möglich. Anlässlich der Kampfhandlungen im Ende
April 2007 im Bezirk Shindand in der westlichen
Provinz Herat, bei der 50 Zivilisten starben, berichtete
der ARD Korrespondent Heinzle:
„Kaum mehr erkennbar ist mittlerweile
die Trennlinie zwischen der UN-mandatierten Schutztruppe
Isaf und der US-geführten Anti-Terrorkoalition.
Beide stehen unter amerikanischem Befehl. Manche
Offiziere und Einheiten sind gleichzeitig beiden
unterstellt. Beide Truppen operieren in denselben
Regionen. Und nach Zwischenfällen wie dem gestrigen
Bombardement von Taliban in der südafghanischen
Unruheprovinz Kandahar wollen beide nicht wissen,
wessen Operation das gewesen ist. Für die Einheimischen
verstärkt das die Skepsis gegenüber "den
Ausländern". "Die afghanische Bevölkerung
unterscheidet nicht", so UN-Sprecher McNorton, "wer
diese Operationen durchführt, wie einige von
uns internationalen Kräften das tun."
[39]
Selbst der Provinz-Gouverneur konnte
nicht sagen, ob der Angriff von NATO-Truppen oder
von Truppen der US-geführten Koalition geflogen
wurde.
[40]
Zu
dem gerade in deutschen Medien und Politikkreisen
weit verbreiteten Märchen, dass OEF-Einsätze mit
der ISAF nichts zu tun hätten und diese bei ihrer
Arbeit behindern würden, stellte der deutsche ISAF-General
Kasdorf Anfang 2008 klar: „Es gibt den militärischen
Grundsatz, dass in einem Raum möglichst einer führen
sollte. Wir ... haben eine ganz gute Organisation
hinbekommen, wie wir zusammenwirken. OEF hat anerkannt,
dass der Raum hier der Isaf ‚gehört’. Isaf macht
die Vorgaben. Das hat die Konsequenz, dass von
OEF nichts gemacht wird ohne unsere Zustimmung.“
[41]
Frage
11:
Wie
sind die ISAF-Truppen, insbesondere die Bundeswehr,
eigentlich bewaffnet, nur zum Selbstschutz oder
verfügen die Truppen auch über Offensivwaffen?
Die
ISAF-Truppen verfügen über modernste Offensivwaffen
und sind den Aufständischen militärtechnisch haushoch überlegen.
Deswegen stellen diese sich natürlich nicht offenen
Feldschlachten, sondern wenden lieber Guerilla-Taktiken
an und verüben Selbstmordanschläge.
Nicht
nur bei Luftangriffen setzen die NATO-Truppen Waffen
ein, die zivile Opfer nach sich ziehen. Karsai
beschwerte sich im Juni 2007: „Man bekämpft keine
Terroristen, indem man eine Kanone aus 37 Kilometer
Entfernung auf ein Ziel abfeuert. Da muss es einfach
zivile Opfer geben.“
[42]
Über die eingesetzte Panzerhaubitze
2000 berichtet der deutsche Hersteller Krauss-Maffei Wegmann auf seiner Website
stolz: „Operation ‚Medusa’ in Afghanistan 07.11.2006 ... 185 Exemplare der
Panzerhaubitze 2000 (PsH 2000) leisten in den deutschen Streitkräften ihren
Dienst. Zuverlässig als hochpräzises Kampfunterstützungssystem. Im September
bestand die PzH 2000 ihren ersten scharfen Kampfeinsatz – allerdings im Dienst
der niederländischen Streitkräfte während einer ISAF-Mission im Süden Afghanistans...
Im Verbund mit ca. 2000 afghanischen ANA- und ISAF-Soldaten leisteten die
niederländischen Artilleristen über 30 Kilometer weit reichende Feuerunterstützung
bei Gefechten gegen Taliban-Rückzugsgebiete...“
[43]
Die
schnelle Eingreiftruppe, die die Bundeswehr seit
Juli 2008 stellt, ist nicht nur mit „Maschinengewehren,
Raketenwerfern und Mörsergranaten“
[44]
ausgestattet, sondern verfügt auch über Schützenpanzer
des Typs Marder mit entsprechender Offensivbewaffnung sowie modernste „Kampfausstattung
neuester Technologie“
[45]
für den Infanteristen.
Mit
der Intensivierung des Krieges kamen 2009 die Offensivwaffen
vermehrt zum Einsatz. Auch die Unterstützung durch US-Kampfflugzeuge
wurde bereits vor dem 4.September 2009 (Bombardierung
zweier Tanklastzüge bei Kundus) gelegentlich angefordert.
Lühr Henken vom Hamburger Forum beschreibt die
Lage so: »Seit
dem 20. Juli kam es zu einer weiteren Eskalation.
Angeführt von 900 afghanischen Soldaten, unterstützt
von 300 Bundeswehrsoldaten der QRF und der Schutzkompanie,
wurden in mindestens sechs Gefechten in der Nähe
von Kundus Taliban angegriffen. Die FAZ charakterisierte
diesen bisher größten Einsatz der Bundeswehr als
einen „grundlegenden Wechsel aus der Defensive
in die Offensive“ (FAZ 21.7.2009). Mit anderen
Worten: Die Bundeswehr führt Krieg am Hindukusch.
Erstmalig seit Einführung des Geräts im Jahr 1979
kamen die Bordwaffen der Schützenpanzer Marder
zum Einsatz, „die mit ihren Maschinenkanonen Sprengbrandmunition
verschossen haben. Zudem wurden erstmals Mörser
mit Sprengmunition eingesetzt.“ (FAZ 22.7.2009)«
[46]
Aus
einem Bericht der Financial Times Deutschland: „Hans-Christoph
Grohmann, Anführer der schnellen Eingreiftruppe,
beschreibt die Stimmung seiner Kämpfer als "gut,
aber nicht euphorisch". Er spricht von ihrem
Stolz, "die gestellten Aufträge professionell
erfüllt zu haben". Einen seiner Offiziere
stellt er so vor: "Der erste Oberleutnant,
der nach 1945 eine Infanterie-Kompanie im Angriff
geführt hat."
In Grohmanns Einheit macht man sich schon Gedanken, ob Ort und Datum
der Schlachten nicht irgendwo verzeichnet werden
sollten, im Wappen oder auf Bändchen unter der
Fahne. Schließlich hat die Truppe in den vergangenen
sechs Wochen acht Gefechte bestanden. "Wir
haben getötet", sagt Grohmann nur.“
[47]
Frage
12:
Was
hat es mit der Taschenkarte der Bundeswehr auf
sich?
In
der Taschenkarte sind die Einsatzgrundsätze für
die Bundeswehrsoldaten für den Afghanistan-Einsatz
festgehalten und der Schusswaffengebrauch geregelt.
Jahrelang arbeitete die Bundeswehr mit einer Taschenkarte,
die suggerierte, dass die Bundeswehr in Afghanistan
quasi einen Blauhelmeinsatz durchführen würde.
Die Intensivierung des Krieges im deutschen Einsatzgebiet
erforderte aus Sicht der Bundeswehrführung offenbar
eine „Anpassung“, die mit den Offensivoperationen
der Bundeswehr besser zusammenpasst.
Laut
Süddeutscher Zeitung ist der „Kernpunkt der ...
Neuregelung ... die Erlaubnis, Angriffe nicht nur
abwehren zu dürfen, sondern erkennbar beabsichtigten
Attacken schon im Vorfeld zu begegnen. So heißt
es jetzt in der Taschenkarte: "Angriffe können
zum Beispiel dadurch verhindert werden, dass gegen
Personen vorgegangen wird, die Angriffe planen,
vorbereiten, unterstützen oder ein sonstiges feindseliges
Verhalten zeigen."“
[48]
Damit ist die Genehmigung erteilt, präventiv vorzugehen. „Sonstiges
feindseliges Verhalten“ ist eine Gummiformulierung, die alles und jedes abdecken
kann. Unterm Strich ist damit die Bundeswehr-Taschenkarte auf die Erfordernisse
der US-amerikanischen Aufstandsbekämpfungsdoktrin ausgerichtet worden.
Frage 13:
Immer wieder forderten die
NATO-Verbündeten „Germans to the front!“, also, dass
die Bundeswehr auch im Süden Afghanistans eingesetzt
werden sollte. Wie ist dazu heute die deutsche Beschlusslage?
Der
Slogan „Germans to the front“ ist eine interessante
Anleihe aus der westlichen Kolonialgeschichte.
In Afghanistan war nach erfolgtem Regime Change
2001 die Aufgabe, „die Durchsetzungsfähigkeit der
Zentralregierung zu erhöhen“
[49]
. Diese war von den intervenierenden westlichen Mächten
eingesetzt worden, ähnlich wie es vor 100 oder 150 Jahren imperiale Kolonialmächte
in ihren Kolonien praktizierten. Damals wollte man den Kolonialvölkern in
Afrika, Indien oder China „Gutes“ tun, ihnen Kultur, die richtige Religion,
wirtschaftliche Entwicklung und Fortschritt bringen. Widerstand wurde mit
militärischen Mitteln gebrochen, in China z.B. beim Boxeraufstand im Jahre
1900. Bemerkenswert ist, dass in den deutschen Medien Parallelen zum Afghanistan-Krieg
hergestellt wurden, indem in Tradition der damaligen Aufstandsbekämpfung
der Ruf „Germans to the front“ von jenseits des Atlantiks oder aus Brüssel
vernommen wurde. Der entsprechende Befehl war 1900 vom britischen Befehlshaber
Admiral Seymour erteilt worden. Dieser führte damals eine „Koalition der
Willigen“ an, die aus Briten, Franzosen, Russen, Japanern, Österreichern,
Italienern, Amerikanern und Deutschen bestand. Sie schlug den Boxeraufstand
nieder und stellte die koloniale Ordnung wieder her.
Was
den Einsatz der Bundeswehr in Südafghanistan betrifft:
Dieser ist seit langem möglich. Die Beschlusslage
des Bundestages sieht seit 2005 so aus: „Deutsche
Streitkräfte werden in den ISAF-Regionen Kabul
und Nord eingesetzt. Darüber hinaus können sie
in der ISAF-Region West sowie im Zuge der weiteren
ISAF-Ausdehnung in anderen Regionen für zeitlich
und im Umfang begrenzte Unterstützungsmaßnahmen
eingesetzt werden, sofern diese Unterstützungsmaßnahmen
zur Erfüllung des ISAF-Gesamtauftrages unabweisbar
sind“
[50]
Es handelt sich um einen gummiartigen Vorratsbeschluss, der
formal den Einsatz von Bundeswehrtruppen jeder Art im Süden ermöglicht. Denn
eine konkrete Begrenzung hinsichtlich Zeit und Umfang wurde nicht beschlossen.
Auf dieser Grundlage waren bereits im Jahre 2006 Bundeswehrsoldaten im Süden
tätig. Ebenso der 2007 begonnene Tornado-Einsatz: Er findet (auch) im Süden
statt. Die von der Bundeswehr seit Juli 2008 gestellte schnelle Eingreiftruppe
in Masar-i-Sharif kann ebenfalls außerhalb des Nordens zum Einsatz kommen,
wie der zuständige Minister Jung klarstellte: „Wenn Freunde in Not geraden,
werden wir helfen. Das gilt auch für die Quick Reaction Force.“
[51]
Joschka
Fischer bezeichnete es 2008 als "großen Fehler" der
damaligen Regierung, dass Deutschland sich in den
vergangenen zwei Jahren gegen Forderungen von Nato-Partnern
wie Kanada und den USA gesperrt hat, die Bundeswehr
auch im Süden Afghanistans einzusetzen
[52]
.
Denn
in der Tat verlegte die Bundeswehr keine größeren
Truppen in den Süden. Der banale Hintergrund ist: Für
den Fall, dass Deutschland auch im Süden stärker
militärisch aktiv wird, dürfte der Norden nicht „entblößt“ werden.
Unterm Strich hieße das also „Mehr Truppen!“: „Notwendig
wäre ... also eine Entsendung zusätzlicher Truppen.
Militärisch sinnvoll wäre es unter den gegebenen
Umständen, dem ISAF-Oberbefehlshaber Truppenverbände
direkt zu unterstellen, die dann in ganz Afghanistan
eingesetzt werden könnten. Ein zweckmäßiger deutscher
Beitrag bestünde aus einem mit ausreichenden Aufklärungs-,
Führungs- und Transportmitteln ausgestatteten und
zeitlich zumindest mittelfristig durchhaltefähigen
Gefechtverband der Division Spezielle Operationen
(DSO). Die DSO verfügt als einzige Division des
Heeres über eigene Sanitäts- und Logistikkräfte
und kann somit weitgehend eigenständig und unabhängig
von anderen Einheiten operieren.“
[53]
2009
sind die Stimmen, die mehr deutsches Engagement
im Süden fordern, merklich verstummt. Denn im Norden
hat sich der Krieg intensiviert, so dass die deutschen
Truppen dort voll gebunden sind. Für die Zukunft
ist sogar mit noch mehr Kampfhandlungen in Nordafghanistan
zu rechnen, weil der Nachschub für die westlichen
Afghanistan-Truppen verstärkt über den Norden abgewickelt
werden soll:
„Der
Hauptnachschubsweg von Europa über Russland und
Zentralasien, den das deutsche Kontingent schon
benutzt, wird in der Folge einer Öffnung für
die amerikanische Logistik auch die strategische
Hauptachse zur Stabilisierung Afghanistans werden.
Damit wird dem deutschen Anteil eine zentrale
militärische Funktion auch ohne Truppenverlegung
in den Süden zuwachsen: die Grenz- und Nachschubsicherung
im Norden...“
[54]
Dafür
gibt es zwei Ursachen: Erstens ist die bisherige
Hauptroute über Pakistan, über die 2008 etwa 80%
des Nachschubs lief, ständigen Angriffen der Aufständischen
ausgesetzt
[55]
:
•
„Taliban unterbrechen Nachschubroute der Nato“ (Handelsblatt 4.2.09)
•
»In Pakistan gibt es ... Überfälle auf den Transportwegen. Deshalb würde
ein Abkommen über den Landtransit durch Russland
sehr helfen.« (NATO-Sprecher Appathurai bei seinem
Besuch in Moskau im Dezember 2008); die Bundeswehr
benutzt übrigens schon länger die russische Eisenbahn.
•
pakistanischer
Khaibr-Spediteursverband erklärte im Dez08, „aus
Sicherheitsgründen keine Transporte mehr für die
Nato und das US-Militär übernehmen zu wollen. Die
Risiken für Fahrer und Fahrzeuge seien zu groß...
Zuvor stellte schon Karatschis Güterfrachtverband
die Transporte für ausländische Truppen ein“ (taz-Meldung
18.12.08)
•
Anfang
Januar 2009 wurde der Khyber-Pass einmal mehr zeitweise
gesperrt, weil das pakistanische Militär eine „Offensive
gegen Extremisten“
[56]
unternahm. Die Konsequenzen waren bereits im August 2008, »dass
mehrere Militärstützpunkte im Süden Afghanistans völlig unterversorgt« waren »und
aus Mangel an Treibstoff ›alle Truppenbewegungen und Offensiven eingestellt
haben‹.«
[57]
•
„Nur
wenige Stunden vor dem Anschlag hatten Extremisten
in der Stadt einen Konvoi beschossen und in Brand
gesetzt, der Versorgungsmaterial für die Nato-Truppen
in Afghanistan geladen hatte.“ („Bombenanschlag in
Peshawar“, FAZ 10.10.2009)
Zweitens
erfordern mehr Truppen auch mehr Nachschub, d.h.
die pakistanische Route allein würde gar nicht
mehr ausreichen, um die schon jetzt ca. 110.000
Soldaten zu versorgen.
Lothar
Rühl, in den 80er Jahren Staatssekretär im Verteidigungsministerium,
analysiert in der FAZ:
„Die
amerikanischen Streitkräfte haben den Aufbau von
drei Nachschubsträngen aus Zentralasien nach Nordafghanistan
eingeleitet, um von der überlasteten und unsicher
gewordenen Route über den Khyberpass aus Pakistan
unabhängiger zu werden... Die amerikanische Planung
sieht eine Eisenbahn von Mazar-i-Sharif im Nordwesten über
Herat im Westen sowie von Kandahar im Süden nach
Kabul vor, etwa so wie der schon von den Russen
in ihrem Interventionskrieg angelegte Straßenring.“
[58]
Frage
14:
Die Taliban haben nach ihrer
Vertreibung aus Afghanistan 2001 in Pakistan neue
Stützpunkte und Ausbildungslager aufgebaut. Immer
wieder gibt es Meldungen, dass westliche Kampfflugzeuge
oder Drohnen von Afghanistan aus pakistanische Gebiete
in Wasiristan bombardieren, um Taliban-Stellungen
zu vernichten. Sind an diesen Luftangriffen außer
den USA weitere NATO-Staaten beteiligt? Auf welcher
völkerrechtlichen Grundlage und unter welchem Mandat
finden diese Angriffe statt?
Seit
Jahren kommt es zu Luftangriffen auf pakistanisches
Gebiet: Diese gehen hauptsächlich von den US-geführten
OEF-Truppen aus, aber auch ISAF-Truppen sind beteiligt:
Am 17. Juli 2008 hatten ISAF-Truppen erstmals Operationen
auf pakistanischem Gebiet eingestanden.
[59]
Im November 2008 teilte die ISAF mit, sie habe in Selbstverteidigung »20
Artelleriegranaten auf die feindliche Stellung« auf pakistanischen Gebiet
gefeuert; dabei habe sie sich »mit dem pakistanischen Militär koordiniert«.
[60]
Seit Amtsantritt der Obama-Regierung haben die Drohnenangriffe
noch zugenommen. Mittlerweile wird alle 1 bis 2
Wochen über einen entsprechenden US-Angriff berichtet.
Ein sogenannter „Biden-Plan“ vom Oktober 2009 sieht
sogar noch „den verstärkten Einsatz der Luftwaffe
und unbemannter Drohnen … im afghanischen Grenzgebiet
und eine Konzentration des Kampfes gegen den Terrorismus
auf Pakistan vor.“
[61]
Selbstverständlich
sind all diese Angriffe völkerrechtswidrig.
Karsai
drohte im Juni 2008 „mit Angriffen auf Stellungen
der Aufständischen im Nachbarland Pakistan... Sein
Land sei ein ‚Opfer des Terrorismus’, der auf der
pakistanischen Seite der gemeinsamen Grenze seinen
Ursprung habe.“
[62]
Da „tausende Taliban-Kämpfer“ von Pakistan nach Afghanistan „entsandt“ würden,
nimmt Karsai „ein Recht auf ‚Selbstverteidigung’“ in Anspruch. Dies könnte
aus Artikel 51 der UN-Charta abgeleitet werden. Da das afghanische Militär
gegen die hochgerüstete Atommacht Pakistan wenig Chancen auf einen militärischen
Sieg hätte, könnte Karsai seine NATO-Verbündeten zu Hilfe rufen, um aus der
individuellen Selbstverteidigung eine kollektive zu machen. Allerdings darf
nur agiert werden, solange der UN-Sicherheitsrat noch nicht tätig wurde,
also noch keine Maßnahmen beschlossen hat. Die US-Regierung hat allerdings
nicht einmal den Versuch gemacht, eine solche Rechtfertigung für die Raketenangriffe
auf Pakistan zu präsentieren.
Interessant
ist aber die Parallele zum 2001 begonnenen Afghanistan-Krieg:
Bekanntermaßen wurde und wird der OEF-Einsatz mit
dem Selbstverteidigungsrecht der USA wegen des
11.Septembers begründet. Die Taliban duldeten bis
2001 Al-Qaida-Ausbildungslager („Terror-Camps“)
und wurden daraufhin mit Krieg überzogen. Die gleiche
Logik würde Bomben auf Pakistan, eine Besetzung
mindestens Wasiristans und einen Regime-Change
in Islamabad nahe legen – zumal der pakistanische
Geheimdienst die Taliban aktiv unterstützt.
Dass
die Taliban sich in den halbautonomen Stammesgebieten
im Nordwesten Pakistans so gut zu Hause fühlen,
hat erstens damit zu tun, dass die koloniale Grenzziehung
sich nicht an ethnischen Logiken orientierte; entsprechend
ignorieren die betroffenen Ethnien die Grenze.
Der langjährige pakistanische Außenminister, Kasuri,
sprach in einem Interview mit der FAZ von „täglich
30 000 Grenzgängern, viele Paschtunen ohne Papiere,
mit Bärten zum Verwechseln ähnlich mit ihren pakistanischen
Stammesbrüdern.“
[63]
Afghanistan hat die von den britischen Kolonialherren
veranlasste Grenzziehung gegenüber Pakistan bis heute nicht anerkannt. Zweitens
wurde von Wasiristan, Belutschistan und den anderen pakistanischen Stammesgebieten
aus während des sowjetischen Afghanistan-Krieges der Widerstand organisiert.
Man ist also auf vertrautem Territorium.
Die
pakistanischen Vorschläge, die Grenze zu verminen
oder einen Grenzzaun zu errichten, fanden übrigens
bisher in den NATO-Hauptstädten keinen Anklang.
Inzwischen
geht von den Taliban sogar eine ernsthafte Gefährdung
für den pakistanischen Staat aus. Der Bürgerkrieg
in Pakistan, bei dem pakistanische Taliban gegen
Regierungstruppen kämpfen, hat 2009 noch an Intensität
gewonnen. Im Oktober 2009 griffen Taliban sogar
das Hauptquartier der Armee in Pakistan an und
nahmen Geiseln. Allein 2007 starben dabei 3.600
Personen. In den letzten Jahren sind insgesamt
schätzungsweise 1.500 Soldaten getötet worden,
Tendenz steigend.
[64]
Das sind mehr Gefallene als die westlichen Staaten bisher
in Afghanistan zu beklagen haben.
Die
Entwicklungen in Pakistan wirken sich auch auf
das Kriegsgeschehen in Afghanistan aus, denn tendenziell
bedroht der talibanische Vormarsch auch die Nachschubswege
der NATO, namentlich in der an Peshawar angrenzenden ‚Khyber
Agency’, durch die der wichtigste Pass nach Afghanistan
verläuft.
[65]
Die Entwicklung dürfte die NATO nicht überraschen, denn
die Taliban hatten im März 2008 angekündigt, sich auf diesen neuralgischen
Punkt konzentrieren zu wollen
[66]
. Für die Taliban ist der Krieg in Afghanistan und Pakistan
gewissermaßen ein Krieg. Auch die US-Regierung fasst inzwischen beide
Länder zusammen und spricht von einer Afpak-Strategie. Entsprechend verschwimmen
in der konkreten Kriegsführung die Grenzen zunehmend: Immer häufiger werden
Aufständische auf pakistanische Gebiet verfolgt und pakistanisches Territorium
beschossen. Gelegentlich werden auch die Falschen getroffen, wie bei einem
US-Luftangriff auf einen pakistanischen Militärposten am 10.Juni 2008; 11
pakistanische Soldaten kamen ums Leben
[67]
.
Frage
15:
Die
neue US-Regierung unter Obama hat in den ersten
Monaten einen Strategiewechsel vorgenommen. Worin
unterscheidet sich die US-Strategie heute von
der früheren unter der Bush-II-Regierung?
Der
US-Präsident Obama definierte das Ziel für den Afghanistan-Krieg
am 27.3.09 so: „Ich möchte, dass die Amerikaner verstehen,
dass wir ein klares und scharf umrissenes Ziel haben:
die Al Kaida in Pakistan und Afghanistan zu behindern,
zu zerschlagen und zu besiegen und ihre Rückkehr
in beide Länder in Zukunft zu verhindern. Dieses
Ziel muss erreicht werden.“
[68]
Das ist eine wenig verklausulierte Absage an ehrgeizige
Nation-Buildung-Pläne bzw. Regime Change nicht nur in Kabul, sondern auch
in der Lokalpolitik.
Die ZEIT fasste zusammen: „Präsident Barack Obamas neue
Afghanistan-Strategie stützt sich auf fünf Pfeiler.
Er verdoppelt die Zahl der US-Truppen. Er weitet
die Ausbildung afghanischer Soldaten und Polizisten
aus. Er verstärkt den zivilen Wiederaufbau. Er
trägt den Kampf gegen den Widerstand nach Pakistan,
wie er überhaupt von einer gemeinsamen Strategie
für beide Länder sprach. Und er möchte einzelne
Gruppen aus dem Widerstand herausbrechen...“
[69]
Entsprechend
wurden zusätzliche militärische wie auch zivile Mittel
mobilisiert. Im Zentrum der „neuen“ Strategie stand
wie in den vergangenen Jahren die Erhöhung der militärischen
Dosis: 2009 stockten die USA ihre Truppenzahl um
30.000 zusätzliche Soldaten auf, die Budgets wurden
angehoben. "Der Präsident hat entschieden, dass
er diesen Krieg richtig ausstatten wird"
[70]
, wird ein namentlich nicht genannter US-Regierungsvertreter
zitiert. Militärisch geht es unverändert um Aufstandsbekämpfung (= Counterinsurgency/COIN).
Seit Anfang 2009 werden mehr Drohnen-Luftangriffe gegen Ziele in Pakistan
geflogen; gleichzeitig erhält Pakistan jährliche Hilfszahlungen in Höhe von
1,5 Mrd. US-$. Die Zahlungen wurden inzwischen an Fortschritte bei der Aufstandsbekämpfung
in Pakistan selbst gekoppelt.
Nach
einem halben Jahr US-„Strategiewechsel“ ist der
Krieg in Afghanistan intensiviert und verstärkt
auf Pakistan ausgeweitet worden. Tausende Tote
sind zu beklagen. Die politischen Ziele wurden
gleichzeitig nicht erreicht, so dass im Herbst
2009 der nächste Strategiewechsel diskutiert wird – mit
weiteren 30.000 US-Soldaten als wichtigstem Element.
Außerdem hat man inzwischen neue, alte Bündnispartner:
die örtliche Warlords, die wieder bewaffnet werden. „Mit
den Mudschahedin gegen die Taliban“ titelte die
FAZ am 5.11.2009. Die Arbeitsteilung sieht so aus:
Die US-Luftwaffe bombardiert, anschließend rücken
die Mudschahedin-Kämpfer nach. Damit wird die Macht
der afghanischen Zentralregierung von US-Seite
unterminiert.
Der
GRÜNE Verteidigungspolitiker Winni Nachtwei sieht
die aktuelle US-Strategie eher positiv: „Um die
Abwärtsspirale umzukehren, haben die USA zentrale
Schritte eines Strategiewechsels eingeleitet, ihre
diplomatischen, militärischen und zivilen Anstrengungen
massiv verstärkt: regionale Konfliktlösung, differenzierte
Sicht der regierungsfeindlichen Kräfte und Suche
nach Verhandlungslösungen, forcierte Aufbauanstrengungen,
das zweischneidige Schwert eines massiven Truppenaufwuchses.
Einiges deutet darauf hin, dass die USA ernst machen
mit dem Anspruch ihrer neueren Militärdoktrin,
wonach der Schutz und die Zustimmung der Bevölkerung
und nicht die Gegnerbekämpfung der Dreh- und Angelpunkt
sein soll. (vgl. die in diesem Sinne sehr eindeutige
Tactical Directive des neuen ISAF-Kommandeurs McChrystal
vom 6.7.2009)“.
[71]
McChrystals
neue „taktische Direktive“ besagt laut Neue Zürcher
Zeitung Folgendes: Truppen, „die bei der Bekämpfung
von Taliban-Kräften unter Feuer geraten, (müssen)
sich künftig zurückziehen, wenn die Gefahr besteht,
dass Gegenwehr und vor allem der unterstützende
Einsatz von Luftstreitkräften Opfer unter der Bevölkerung
fordern können. [...] Allerdings gibt es Ausnahmen
von der Regel, wenn die Soldaten in lebensgefährliche
Situationen geraten. So darf weiterhin der Einsatz
von schweren Waffen und Kampfflugzeugen angefordert
werden, wenn das Risiko besteht, überrannt zu werden.
Dasselbe gilt, wenn es schwierig ist, in sicherer
Weise abzuziehen oder Verwundete zu bergen.“
[72]
Luftschläge, die in den vergangenen Jahren viele ZivilistInnen
das Leben gekostet haben, bleiben also mit der Einsatztaktik kompatibel.
Es wird auch in Zukunft keinen „sauberen“ Krieg geben.
Frage 16
Wie steht Russland eigentlich zu dem Afghanistan-Krieg
der NATO?
Russland hat den Afghanistan-Krieg
von USA und NATO von Anfang an unterstützt, nicht
nur bei den Resolutionen im Sicherheitsrat, die
der ISAF einen völkerrechtlichen Rahmen gaben.
Präsident
Putin sicherte den USA am 24.September 2001 folgende
Unterstützungsleistungen zu:
„Was
die sich in Planung befindliche Antiterroroperation
in Afghanistan betrifft, so formulieren wir unsere
Position wie folgt.
Erstens
ist das eine aktive internationale Kooperation
der Geheimdienste. Russland stellt die bei uns
vorhandene Information über die Infrastruktur,
Aufenthaltsorte internationaler Terroristen und
Trainingslager der Kämpfer zur Verfügung und will
es auch weiterhin tun.
Zweitens.
Wir sind bereit, den Luftraum der Russischen Föderation
für den Durchflug von Flugzeugen mit humanitären
Gütern an Bord zum Durchführungsort der Antiterroroperation
zugänglich zu machen.
Drittens.
Wir haben diese Position mit unseren Verbündeten
aus der Reihe der mittelasiatischen Staaten abgestimmt.
Sie teilen diese Position und schließen für sich
die Möglichkeit nicht aus, ihre Flugplätze zur
Verfügung zu stellen.
Viertens.
Russland ist auch bereit, falls es notwendig sein
wird, sich an den internationalen Such- und Rettungsoperationen
zu beteiligen.
Fünftens.
Wir werden die Kooperation mit der international
anerkannten Regierung Afghanistans mit dem Herrn
Rabbani an der Spitze erweitern und ihren Streitkräften
eine zusätzliche Hilfe in Form von Waffen- und
Kampftechniklieferungen erweisen.“
[73]
Entsprechend
konnten für OEF Stützpunkte in Usbekistan, Kirgisistan
und Turkmenistan genutzt werden. Die afghanische
Nordallianz, die seit dem Abzug der sowjetischen
Truppen jahrelang Militärhilfe aus der Sowjetunion
und später aus Russland erhielt und dadurch den
Taliban die Eroberung des nördlichen Teils von
Afghanistan verwehrte, wurde selbstverständlich
weiter mit Waffen unterstützt. Als die US-Luftangriffe
auf Afghanistan im Oktober 2001 begannen, lieferte
Russland der Nordallianz kurzfristig Militärausrüstung
im Wert von 45 Millionen US-$.
[74]
Mit Hilfe dieser afghanischen Oppositionstruppen konnten die
USA mit ihren internationalen Verbündeten in wenigen Monaten die Taliban
stürzen und in den Untergrund zwingen bzw. nach Pakistan vertreiben.
Das
Verhalten Russland im Herbst 2001 bedeutete keinen
Politikwechsel: Russland hatte nach dem Abzug der
sowjetischen Truppen jahrelang die Nordallianz
mit Militärhilfe unterstützt. 1998 war es Russland
zeitweise gelungen, die USA und andere Staaten
gegen die afghanische Taliban-Regierung in Stellung
zu bringen. Nach den Terroranschlägen auf die US-Botschaften
in Dar es Salam und Nairobi griff die US-Luftwaffe
im August 1998 Ausbildungslager in Afghanistan
mit Cruise Missiles an. Da gleichzeitig die Taliban
die Nordallianz erfolgreich militärisch zurückdrängten,
beschloss der UN-Sicherheitsrat am 29.08.1998 eine
Resolution, die sowohl die Militäroffensive der
Taliban als „ernsthafte und wachsende Bedrohung
für den regionalen und internationalen Frieden
und die Sicherheit“ charakterisierte, als die Forderung
erhob, „die Beherbergung und das Training von Terroristen
und deren Organisationen zu unterlassen“
[75]
. 1999 bewegten sich die USA „in der Afghanistan-Frage auf
Russland zu. Karl Inderfurth, Sondergesandter des Außenministeriums für Südasien,
reist nach Moskau. Ganz offensichtlich unterscheiden sich die Positionen
von Russen und Amerikanern kaum“, urteilt der französische Journalist Abramovici
und zitiert Inderfurth mit den Worten: „Afghanistan, und darin liegt eine
gewisse Ironie, ist ein Teil der Welt, in dem Russen und Amerikaner zusammen
zu einer Lösung gelangen könnten.“
[76]
Dennoch
dauerte es noch bis September 2001, bis die NATO-Staaten
die russische Position zu Afghanistan konsequent übernahmen.
Nachdem afghanische Bündnispartner des Westens
aus den 80er Jahren inzwischen tödliche Gegner
geworden sind, ziehen Russland und die NATO in
Afghanistan an einem Strang.
Vor
dem Hintergrund des sowjetischen Afghanistankrieges
beschränkt sich Russland jedoch auf Unterstützungsleistungen
und beteiligt sich nicht mit eigenen Truppen, sondern überlässt „der
ISAF das schwierige Terrain“
[77]
, also der NATO die Drecksarbeit. Im Grunde führt also die
NATO in Afghanistan den Krieg für Russland mit.
2003
schlossen Deutschland und Russland ein Transitabkommen über
deutsche Militärtransporte durch Russland. Das
Hamburger Abendblatt titelte „Bundeswehr rollt
durch Russland“ und beschrieb den Vorgang so: „Ein
derartiges Abkommen hat Russland noch nie zuvor
mit einem NATO-Staat unterzeichnet... Der russische
Präsident Wladimir Putin sagte, das Abkommen sei
ein Beispiel für die praktische Zusammenarbeit
mit der NATO. Es ist für die Bundeswehr vor allem
wegen der geplanten Ausweitung ihres Afghanistan-Einsatzes
auf die Region Kundus im Norden des Landes wichtig...
Die deutsche Armee kann künftig also Truppen, Waffen
und Gerät quer durch Russland nach Afghanistan
bringen.“
Aber
erst nachdem die Obama-Regierung versprach, die
Reset-Taste im Verhältnis zu Russland zu drücken,
nahmen die Militärplanungen Fahrt auf. Am 4.März
2009 meldete die Neue Zürcher Zeitung: „Russland
hat einen Güterzug mit Nachschub für die amerikanischen
Truppen in Afghanistan die Durchreise erlaubt.
Der Zug sei aus Lettland gekommen und habe Russland
in Richtung Afghanistan durchquert... Bei der
Fracht handele es sich um nichtmilitärische Güter
wie Baumaterial.“ Und im Juli 2009 war es dann soweit:
„Am Montag wurde ein Rahmendokument für die militärische Zusammenarbeit
zwischen beiden Ländern ... und ein Abkommen
unterzeichnet, das es Amerika erlaubt, militärische
Güter für die in Afghanistan kämpfenden Truppen
sowie militärisches Personal auf dem Landweg
oder durch den Luftraum Russlands zu transportieren...
Medwedjew versprach, der Transitweg durch Russland
für den Transport von Gütern und Ausrüstung der
internationalen Truppen solle aktiviert werden.“
[78]
Das
Interesse Russlands an einem Sieg der NATO im Afghanistan-Krieg
und an der Stützung der afghanischen Karsai-Regierung
war auch beim Bukarester NATO-Gipfel 2008 ungebrochen.
Der NATO-Russland-Rat „war sich darin einig, dass
der Erfolg der internationalen Bemühungen um die
Unterstützung der Anstrengungen der afghanischen
Regierung zur Förderung von Frieden und Stabilität
in und um Afghanistan von größter Bedeutung ist.
Hierfür wurde ein Mechanismus definiert, der den
Transit von Waren für die ISAF auf dem Landweg
durch russisches Hoheitsgebiet in Übereinstimmung
mit der Resolution 1386 des VN-Sicherheitsrats
erleichtert.“
[79]
Selbst
nachdem die NATO wegen der Differenzen um den Südossetien-Krieg
im August 2008 den NATO-Russland-Rat auf Eis gelegt
hatte und Russland die militärische Zusammenarbeit
mit der NATO erst einmal stornierte, gab es einen
Bereich, in dem weiter an einem Strang gezogen
wurde: Der Afghanistan-Krieg. Die dpa zitierte
am 22.8.08 russische Militärs. Danach stände die
Afghanistan-Kooperation nicht zur Diskussion: „Uns
käme eine Niederlage der Nato in Afghanistan nicht
gelegen.“
[80]
Die russische Interessenlage beschreibt Rogosin (russischer
Vertreter bei der NATO) so: Er sagte, „entweder trage die Allianz den
Sieg davon, was gegenwärtig kaum wahrscheinlich sei, oder die Nato werde
noch auf absehbare Zeit in Afghanistan bleiben und die Kämpfer der Taliban,
von Al Qaida und anderen Terrorgruppen auf sich ziehen... Am wahrscheinlichsten
sei jedoch, dass sich die Nato bald aus Afghanistan zurückziehe – und dann
werde es für Russland gefährlich. Ein Rückzug der Nato würde von allen Extremisten,
die sich in und um Afghanistan tummeln, als Einladung aufgefasst, den Kampf über
die Grenzen Afghanistans hinaus nach Norden zu tragen... Um sich schließlich
gegen Russland zu wenden... Das sei der Grund, weshalb Russland ein ‚objektives
Interesse‘ am Erfolg des Westens in Afghanistan habe...“
[81]
Frage
17:
Welche Legitimation hat die
Karsai-Regierung?
Die
afghanischen Präsidentschaftswahlen im August 2009
wurden nach Auffassung der UNO und auch der westlichen
Mächte, die auf die Wahlen gedrängt und sie ermöglicht
hatten, massiv gefälscht. Da Abdullah Abdullah,
der Gegenkandidat von Karsai, an einem zweiten
Wahlgang kein tiefergehendes Interesse hatte, wurde
der „Wahlfälscher“ Karsai wieder zum Präsidenten ernannt. Und die westlichen
Regierungen gratulierten dem neuen, alten Präsidenten.
Diesen
fällt es natürlich schwer, sich gegen das Karsai-Regime
zu stellen – denn schließlich haben sie es selbst
2001 installiert. Um den Vorgang besser zu legitimieren,
hatte Deutschland im Herbst 2001 die Petersberger
Konferenz ausgerichtet, dazu wurden Repräsentanten
genehmer afghanischer Gruppierungen eingeladen.
Die Taliban oder andere Aufständische von heute
waren selbstverständlich nicht präsent.
Von
2001-2005 regierte Karsai so gesehen als vom Westen
ernannter Präsident. Erst 2005 wurden die ersten
Wahlen organisiert, aus denen Karsai nunmehr als „gewählter
Präsident“ hervorging. Die Afghanistan-Expertin
von SWP, Citha Maaß, merkte im Februar 2007 an: „Die
Regierung wird sich mittels Wahlen formal durch
die Wähler legitimieren lassen. Dort ist kaum zu
erwarten, dass diesen Wahlen das internationale
Gütesiegel ‚frei und fair’ verliehen wird. Schon
in den bisherigen Wahlgängen hatte die internationale
Gemeinschaft davon abgesehen, international geltende
demokratische Standards anzulegen.“ Sie verwies
exemplarisch auf die Bewertung der EU-Wahlbeobachtungskommission
von 2005, die auf „Unregelmäßigkeiten und Betrug“ bei
den damaligen Wahlen hinwies.
[82]
Da
der „Demokratie-Export nach Afghanistan gescheitert“ sei, wird auch hier und da mit
einem Diktator geliebäugelt, den der Westen installieren
könnte. Der entsprechende
Vorschlag des britischen Botschafters in Afghanistan,
Sir Sherard Cowper-Coles, sickerte Oktober 2008 an
die Presse durch: “Within 5 to 10 years, the only “realistic” way
to unite Afghanistan would be for it to be “governed
by an acceptable dictator,” … , adding, “We should
think of preparing our public opinion” for such an
outcome.”
[83]
Sven Hansen von der taz kommentierte
bereits September 2009: „Das Maximum, das der Westen in Afghanistan noch
erhoffen kann, ist, einen autoritären Potentaten zu hinterlassen, der getreu
dem US-amerikanischen Bonmot "Er ist ein Hurensohn, aber er ist unser
Hurensohn", der die Regierung auf prowestlichem Kurs hält.“
[84]
Letztlich
ist die Entscheidung, mit einem ernannten oder
gewählten afghanischen Präsidenten zu arbeiten,
ohnehin sekundär: Der in Deutschland lebende afghanische
Politologe Baraki kritisiert, dass Karsai selbst
in Kabul nicht die Macht hat, denn dort entschieden
die US-Berater: „Als es vor zwei Jahren mit Ismail
Kahn, dem Gouverneur von Herat, Probleme gab, weil
der nicht genügend Steuergelder nach Kabul überwies,
wurde der Unbotmäßige nicht von Karzai, sondern
von US-Botschafter Khalizad aus seinem Amt entlassen.
Eine öffentliche Blamage für Karzai, weil Khalizad
vor der internationalen Presse erklärte: ‚Dies
ist zwar Aufgabe des Präsidenten, doch habe ich
Ismail Khan gefeuert.’“
[85]
Malalai Dschoja, Mitglied des afghanischen
Parlaments und engagierte Frauenrechtlerin hat
die Regierung Karsai so beschrieben: „Die afghanische
Regierung ist die korrupteste und unpopulärste
der Welt. In einer Umfrage von Integrity Watch
Afghanistan vom März 2007 zeigte sich, dass über
60 Prozent der Afghanen denken, dass die derzeitige
Regierung korrupter ist als all die Vorgängerregierungen
der letzten zwei Jahrzehnte.“
[86]
Guttenberg
bemerkte unlängst: „Wir müssen anscheinend akzeptieren,
dass Afghanistan nicht eine Westminster-Demokratie
werden wird.“
[87]
Frage 18:
Wer sind die Machthaber in den Provinzen Afghanistans,
auf die sich die NATO stützt?
Im Westen ist man (nicht erst seit
den „Wahlen“ August 2009) mit Karsai nicht unumschränkt
zufrieden und überlegt deswegen stärkere koloniale
Einflussnahme: „Der Westen muss auf eine Stärkung
der Provinzgouverneure dringen und darauf, dass
diese Posten mit integren Politikern besetzt werden.
Und er könnte diejenigen, die er für fähig und
integer hält, noch stärker fördern, ihnen notfalls
an der Zentralregierung vorbei Geld in die Hand
geben.“
[88]
Um
welche politischen Kräfte es dabei geht, machten
die Reaktionen von afghanischer Seite auf den Tod
zahlreicher Dorfbewohner nach dem von der Bundeswehr
veranlassten Bombardement am 4.9.deutlich: Mohammed
Omar, Gouverneur der Provinz Kunduz bezeichnete
das Vorgehen der Bundeswehr am 4.9.2009 als “vorbildlich”. Der zuständige Oberst Georg
Klein habe "die richtige Entscheidung zur
richtigen Zeit getroffen und dabei sehr besonnen
gehandelt", sagte Mohammed Omar dem Spiegel
[89]
Die FAZ zitiert Äußerungen wie: “Das haben die Deutschen
richtig gut gemacht...ich bin auch der Meinung, dass die Deutschen ein ganzes
Dorf bestrafen sollten, wenn sie von dort beschossen werden.”
[90]
Und der Vorsitzende des Provinzrates Ahmadullah Wardak
meinte gar: “Wenn wir noch drei Operationen wie gestern durchführen, dann
ist die Situation in Kunduz friedlich und stabil“
[91]
In der FAZ vermerkte Friederike Böge dazu treffend: “In Kunduz lässt der Vorfall die ethnischen
Spannungen, die sich in der nördlichen Provinz seit längerem verschärfen,
deutlich zutage treten.”
[92]
Deutlich wird damit insbesondere, dass die Bundeswehr
auf der Seite einer Partei in den bei Beginn der Intervention 2001 keineswegs
beendeten afghanischer Bürgerkrieg eingetreten sind. Es war der Einsatz der
westlichen Truppen, der das Blatt 2001 zu Gunsten der Nordallianz in diesem
Bürgerkrieg wendete, die als Bodentruppe des Westens in
Kabul einmarschierte. Die Bundeswehr war folglich im Bereich der “Verbündeten” stationiert.
Die Friedlichkeit der Lage im Norden Afghanistans war daher weniger einem
sensiblen Handeln der Bundeswehreinsatzkräfte geschuldet, als vielmehr dem
Umstand, dass sie als Verbündeter betrachtet wird. Deshalb haben die dortigen
Autoritäten auch gar nichts gegen einen Einsatz wie am 4.9. einzuwenden,
gilt er doch dem paschtunischen Feind. Künftige Solidaritätsadressen “afghanischer
Persönlichkeiten” sollte man deshalb künftig etwas kritischer betrachten.
Die
FAZ porträtiert am 5.11.2009 einen mit dem Westen
verbündeten Milizenführer: Miralam Khan. Dessen
Miliz wurde offenbar von den USA wiederbewaffnet
und dient nunmehr als Bodentruppe. Khan „ist der
neue Held von Kundus. In den Teehäusern und Eisdielen
der Stadt wird sein Name ehrfurchtsvoll ausgesprochen.
Viele sind davon überzeugt, dass der frühere Mudschahedin-Kommandeur
im Alleingang zahlreiche Dörfer der nordafghanischen
Provinz von den radikalislamischen Taliban ‚befreit’ hat.
Dass er dabei das Gesetz in die eigenen Hände nahm,
scheint bislang nur wenige zu stören.“
[93]
Frage 19:
Vielfach wird der Einfluss der Taliban im Süden und Osten
Afghanistans darauf zurückgeführt, dass die Menschen
dort wenig bis keine westliche Hilfe erhalten.
Aus wirtschaftlicher Not komme es dort zu einem
verstärkten Opiumanbau. Deshalb müsse ISAF militärisch
in diesen Landesteilen intervenieren, um Hilfeleistungen
ermöglichen. Ist das richtig?
Entgegen einem vielfach vermittelten Eindruck ist der Süden
und Osten Afghanistans nicht ärmer als der Norden.
Das Gegenteil ist richtig: Das durchschnittliche
Haushaltseinkommen von Bauernfamilien im Norden
Afghanistans ist deutlich niedriger, als im Süden.
Dies ergibt sich aus einer Studie der Vereinten
Nationen
[94]
. Bauern, die kein Opium anbauen,
erzielen im Norden pro Jahr ein Einkommen von 1851 US$, im Süden von 2480
US$. Mit Opium erzielen Bauern im Norden ein Einkommen von 2690 US$ im Süden
sind es 3316 US$. Das ist etwa das Dreifache Einkommen eines Bauern im Nordosten
Afghanistans, der kein Opium anbaut. Der von den Taliban beherrschte Süden
Afghanistans ist also der relativ wohlhabendere Teil des Landes. In der Süd-Provinz
Helmand sind 80% der Bauern an der Opiumproduktion beteiligt, die 35 % ihres
Einkommens ausmacht.
Frage
20:
Wie
ist eigentlich die Zusammenarbeit von Militär
und Hilfsorganisationen in Afghanistan organisiert?
Das
in Afghanistan heute angewendete und von vielen
SpitzenpolitikerInnen hochgelobte Konzept der „zivil-militärischen
Kooperation“ ist bereits Mitte der 90er Jahre von
der NATO als „Friedensunterstützung“ (peace support
operations) eingeführt worden. Darin werden hinsichtlich
der zivilen Bereiche zwei Grundsätze betont:
1.
Einheit des Kommandos: Der Truppenkommandeur
muss verantwortlich für alle Aspekte der Mission
sein, d.h. er muss nicht nur das Oberkommando über
alle operierenden militärischen Verbände haben, sondern
ihm müssen auch Polizei oder andere zivile Stellen
untergeordnet sein.
2.
Militärisch-zivile Koordination: Friedensunterstützungsoperationen
bestehen üblicherweise aus militärischen und zivilen
Komponenten. Aktivitäten der UN Polizei, von Wahlbeobachtern,
Menschenrechtsbeobachtern oder humanitären Hilfsorganisationen
müssen auf die militärischen Operationen abgestimmt
sein.
[95]
Diese
Unterordnung des zivilen Sektors unters Militär ist
weder naturgegeben, noch Voraussetzung für den Erfolg
von ziviler Aufbauarbeit oder Hilfsmaßnahmen. Die
steigende Zahl von Opfern aus dem Bereich ziviler
Hilfsorganisationen zeigen, dass diese nicht mehr
als „neutrale“, „selbstlose“ HelferInnen, sondern
als Anhängsel der militärischen Besatzungstruppen
wahrgenommen werden.
Eine
vom Bundesverteidigungsministerium in Auftrag gegebene
Studie
[96]
hat die Zivil-miliärische Zusammenarbeit genauer analysiert:
Darin heißt es: „Aus der asymetrischen Bedrohungslage in Afghanistan folgt
auch aus Sicht des BMVg die Notwendigkeit die Akzeptanz der afghanischen
Bevölkerung gegenüber zivilen und militärischen Maßnahmen zu gewinnen bzw.
zu erhalten( S. 17) ..Kleinprojekte werden vom Militär als Quick Impact Maßnahmen
im engeren Sinn verstanden, wobei sich die erwünschte schnelle Wirkung nach
militärischen Zielsetzungen definiert. Dabei steht die Akzeptanz der Bevölkerung
gegenüber dem Militär im Allgemeinen und der Bundeswehr im Speziellen im
Vordergrund. Letztlich sollen diese Maßnahmen dadurch der eigenen Bewegungsfreiheit
und der Force Protection dienen.(...) Neben der allgemeinen Erwartung, dass
mehr Sichtbarkeit über Projektarbeit in der Fläche die Akzeptanz der deutschen
Präsenz fördere und damit allen beteiligten Ressorts zugutekomme, kamen in
den Interviews in Kunduz weitere mögliche Vorteile zur Sprache: Zur zeitnahmen
Aufklärung des zivilen Lagebildes in Gemeinden, Gemeindegruppen und Distrikten
sei es nötig, diese regelmäßig mit von der Zielgruppe nachvollziehbaren Begründungen
zu besuchen. (S. 18)“ Damit wird offen ausgesprochen, dass seitens der
Bundeswehr die zivile Hilfe Teil der Absicherung der militärischen Maßnahmen
ist. Es kann daher nicht vermundern, wenn eine derart instrumentelle zivile „Hilfe“ auch
von der Gegenseite, also den Aufständischen, als genau diesem militärischen
Zweck dienend wahrgenommen wird. Gerade dieser Zusammenhang zwischen militärischem
Einsatz und „ziviler“ Hilfe macht letztere zum Angriffsobjekt.
Frage
21:
Muss
nicht die Bundeswehr in Afghanistan bleiben,
um für die Hilfsorganisationen und zivilen Projekte
ein sicheres Umfeld zu schaffen?
Das Argument, zivile Hilfe und
Entwicklung bedürften des militärischen Schutzes,
greift nicht. Erstens ist das ISAF-Militär überhaupt
nicht in der Lage, die zivilen Helfer zu schützen.
Zweitens halten die Afghanen Helfer unter militärischem
Schutz nicht für neutral, sondern für einen Teil
der militärischen Intervention. NGOs und Entwicklungshelfer
sehen sich deshalb durch Militär eher gefährdet als
gefördert. Viele Hilfsorganisationen wollen mit NATO
und Bundeswehr lieber nicht soviel zu tun haben.
Die Ärzte ohne Grenzen haben sich
bereits 2004 nach dem Mord an 5 ihrer Mitarbeiter
nach aus Afghanistan zurückgezogen. Zuvor waren
sie 24 Jahre (!) im Land präsent. In ihrer Presseerklärung
betonen sie: „Die Gewalt gegen humanitäre Helfer
spielt sich vor dem Hintergrund einer zunehmenden
Instrumentalisierung der Hilfe durch die US-geführte
Koalition in Afghanistan ab. Ärzte ohne Grenzen
zufolge missbrauchen die Koalitionsstreitkräfte
die Hilfe beständig für ihre militärischen und
politischen Ziele und versuchen damit, die "hearts
and minds" der afghanischen Bevölkerung zu
gewinnen. Dadurch wird humanitäre Hilfe nicht mehr
als unparteilich und neutral angesehen. Dies wiederum
gefährdet die Helfer und die Hilfe selbst.“
[97]
Beispielsweise erklärt der Landeskoordinator
der Malteser International, Wolfgang Herdt: „Wir
betonen, dass unsere Mittel aus Deutschland kommen.“ Gleichzeitig
grenzt er sich allerdings ab: „Dies sei aber
nur in Gebieten sinnvoll, in denen keine deutschen
Soldaten aktiv seien.“ (!!!) Entsprechend berichtet
die Frankfurter Allgemeine Zeitung: „Unabhängigkeit
vom Militär ist nach Ansicht vieler Helfer, die
in ländlichen Gebieten arbeiten, eine Voraussetzung
für ihre Sicherheit. So gibt es Berichte, wonach
ihre Mitarbeiter von Rebellen nach Unterlagen durchsucht
wurden, die auf eine Kooperation mit dem Militär
hinweisen.“ (Zitate Frankfurter Allgemeine
Zeitung 6.8.2007)
Der Generalsekretär der Welthungerhilfe,
H.-J. Preuß, beklagte bereits 2005, dass die Bundeswehr
Fahrzeuge verwenden würde, die denen seiner Organisation
zum Verwechseln ähnlich seien: „Unsere Sicherheit
hängt davon ab, dass wir vom Militär unterschieden
werden können. Aber so werden wir zum potentiellen
Angriffsziel...“ (www.tagesspiegel.de/politik/International;art123,1785336)
2007 wurden bereits zwei Mitarbeiter der Organisation
getötet. Preuß konstatierte: „Die Bevölkerung
und bewaffnete Kräfte können nicht mehr zwischen
Militär und Zivilisten unterscheiden, Hilfsorganisationen
geraten ins Fadenkreuz.“ (www.welthungerhilfe.de/trennung_militaer.html)
Das Komitee für Grundrechte
und Demokratie gibt in einem Afghanistan-Flugblatt
folgenden Hinweis: „Die deutschen ISAF-SoldatInnen
haben zu etwa 80% keine Berührung mit der Bevölkerung
und lernen das Land nicht kennen. Nach einer Untersuchung
von Sozialwissenschaftlern der Bundeswehr halten
sich diese zu etwa 80% während ihrer 4- bis 6-monatigen
Dienstzeit nur in den Lagern der Bundeswehr auf und
sichern dort ihre eigene Sicherheit. Afghanistan
erleben sie nur auf dem Weg vom Flugplatz in ihr
Lager und wieder zurück. Nur 10% der SoldatInnen
gehen auf Streife. Für einen Weg aus der Sackgasse
und zu einer friedlichen Entwicklung ist also von
ihnen nichts zu erwarten.“
Rupert Neudeck, Leiter der Hilfsorganisation „Grünhelme“,
beschreibt diese Problematik im Deutschlandradio
vom 16.8.07 so: „Ich kenne deutsche Bundeswehrsoldaten,
die als Reservisten nach Afghanistan gegangen sind,
die nach vier Monaten zurückkommen und nicht einen
Afghanen in freier Wildbahn, also auf der Straße,
je getroffen haben, weil sie immer in der Kaserne
sind... Ich glaube, der normale deutsche Zuhörer
und Zuschauer geht davon aus, dass wir überall
da, wo
wir als Hilfsorganisation tätig sind, irgendwie von
Bewaffneten begleitet sind. Das ist ein völliger
Unfug. Wir sind überhaupt nicht begleitet von
Bewaffneten. Wir haben in der Provinz Herat -
das ist im Westen Afghanistans - eine riesengroße
italienische ISAF-Truppe, über 2.000 Leute. Die
sitzen völlig verbarrikadiert in einer riesengroßen
Kaserne, in einer Festung, in die niemand hinein
kommen kann, aus der die auch gar nicht heraus
kommen. Das heißt, in die Dörfer, wo wir die
Schulen bauen, kommen die niemals hin. Das muss
man einfach wissen.“
Der flächendeckende „Schutz
der Mädchenschulen“ ist also mit dem gegenwärtigen
in Afghanistan eingesetzten Militär gar nicht möglich.
Eine flächendeckende Präsenz setzt eine erhebliche
Ausweitung der NATO Truppen voraus.
Frage
22:
Vielfach wird der Einsatz der Bundeswehr
damit begründet, sie diene dazu, die Rechte der Frauen
in der Islamischen Republik Afghanistan zu schützen.
Wie steht es um die Rechte der Frauen in Afghanistan?
Afghanistan
ist eines der Länder der Welt mit den schlimmsten
Lebensbedingungen für Frauen der Welt. Die Lebenserwartung
von Frauen liegt in Afghanistan unter der von Männern
- auch ohne Berücksichtigung von Kriegstoten. Die
UNAMA, die Unterstützungsmission der Vereinten
Nationen in Afghanistan hat am 8. Juli 2009 einen
Bericht über die Situation von Frauen in der Islamischen
Republik Afghanistan vorgelegt.
[98]
Frauen und Mädchen sind danach faktisch kaum vor Vergewaltigung
geschützt. Vergewaltiger müssen kaum Bestrafung fürchten, zum Teil weil sie
als Gefolgsleute der örtlichen Machthaber, den Verbündeten der NATO, keine
Bestrafung fürchten müssen: Wörtlich heißt es in dem UN Bericht:“In the northern
region for example, 39 percent of the cases analyzed by UNAMA Human Rights,
found that perpetrators were directly linked to power brokers who are, effectively,
above the law and enjoy immunity from arrest as well as immunity from social
condemnation”. Mariam Rawi bezeichnete dies in der englichen Zeitung “Guardian” als “Herrschaft
der Vergewaltiger”
[99]
.
Frage
23:
Wäre
der Bundeswehr-Abzug ein deutscher Sonderweg?
Würde Deutschland dadurch nicht im Westen isoliert?
Nein,
das wäre nicht der Fall. Denn nicht nur in Deutschland,
sondern auch in den meisten anderen NATO-Ländern
sind die Bevölkerungen gegen den Afghanistan-Krieg – auch
wenn das die Regierenden bisher wenig schert. Allerdings
haben sowohl das niederländische wie auch das kanadische
Parlament Beschlüsse gefasst, dass sie ihr Kriegsengagement
beenden und ihre Soldaten abziehen wollen, wenn
auch erst 2010 bzw. 2011. In den Niederlanden überstimmte
das Parlament dabei die Regierung
[100]
. In Britannien sind 52% der Bevölkerung für den Abzug
der britischen Truppen
[101]
, selbst in den USA sprachen sich bei einer CNN-Umfrage
im August 2009 54% gegen den Afghanistan-Krieg aus
[102]
. In Italien gibt es selbst in der Regierung Berlusconi
Stimmen für einen Abzug aus Afghanistan. Insofern würde ein Abzug der Bundeswehr
das Ansehen Deutschlands in der Welt mehren. Außerdem würden die Friedensbewegungen
in den anderen westlichen Ländern durch solch einen Schritt Rückenwind erhalten.
Unter
deutschem Sonderweg verstand man in der Vergangenheit
nationalistische deutsche Kriegspolitik. In den
letzten 20 Jahren ist es – gerade auch in der innergrünen
Diskussion - modern geworden, deutsche FriedenspolitikerInnen
und Gruppen, die exakt das Gegenteil vertreten,
mit „Sonderweg“-Vorhaltungen zu diffamieren. Kriege
werden generell nicht besser dadurch, dass sie
im Team statt allein von einem Staat geführt werden.
Der
Abzug der Bundeswehr hätte aber auch noch anderen
Konsequenzen. Zunächst würde sich das politische
Gewicht Deutschlands in der Region verringern.
Deutschland ist einer der größten Truppensteller
im Rahmen von ISAF und leitet aus diesem Umstand
seinen Anspruch auf Mitsprache in der NATO ab.
Ferner unterhält Deutschland in Usbekistan einen
Militärstützpunkt, der gleichfalls aufzugeben wäre.
Frage:
24
Wenn
die NATO in den nächsten Monaten aus Afghanistan
abzöge, bräche dann in Afghanistan nicht das
Chaos aus und die Taliban kämen wieder die Macht?
Würden wir mit dem Abzug nicht die Afghanen im
Stich lassen? Wäre ein Abzug nicht ein Verrat
an den mit uns verbündeten Afghanen?
Der Abzug hat natürlich auch Auswirkungen
auf den Konflikt in Afghanistan. Wir sollten aber
nicht die Augen davor verschließen, dass schon
jetzt in Afghanistan Bürgerkrieg herrscht. Auf
der einen Seite stehen die Verbündeten der NATO,
insbesondere die Mudschahedin der ehemaligen „Nordallianz“ und
die Regierung Karsai, auf der anderen Seite ein
Spektrum aus folgenden drei Gruppen: die Quetta
Shura Taliban, das Haqqani Netzwerk und die Gruppierung
Heszb-e Islami Gulbuddin, die „ihre Aktivitäten
lose koordinieren“
[103]
.
Die Anschläge der Aufständischen richten
sich nicht nur gegen die ausländischen Truppen,
die als Besatzer wahrgenommen werden, sondern auch
gegen das Karsai-Militär und die Karsai-Polizei,
die als Repressionskräfte wahrgenommen werden.
Deswegen ist die Alternative bzw.
das Dilemma, ob der Bürgerkrieg mit oder ohne NATO-Beteiligung
stattfindet. Dass internationale Truppen den Sieg
für eine bevorzugte Seite herbeiführen können,
haben die Sowjets in den 80er Jahren auch angenommen.
Sie sind gescheitert. Der militärischen Allmachtsphantasie,
den Konflikt mit militärischen Mitteln lösen zu
können, sollten wir nicht erliegen. Eine Allmachtsfantasie,
die bereits der militärischen Intervention der
USA 2001 zu Grunde lag. Ein paar „Steinzeit-Islamisten“ von
den Taliban verjagen – und schon kehrt Frieden
ein, so die damalige Kalkulation. Nicht gestellt
hat man sich beispielsweise die Frage, wie es den
Taliban gelingen konnte die Mudschahedin beinahe
zu besiegen. Es ist eine unzulässige Vereinfachung,
dies allein ausländischen Geheimdiensten wie etwa
dem Pakistans, der die Taliban unterstützt hat,
zuzuschreiben und innerafghanische Ursachen völlig
außer betracht zu lassen. Heute zeigt sich in der
Stärke des Aufstandes, dass man es sich mit der
schlichten Trennung: hier das friedliebende afghanische
Volk, das die NATO freudig begrüßt, dort die terroristischen
Taliban etwas leicht gemacht hat.
Üblicherweise wird davon ausgegangen,
dass die westlichen Truppen in Afghanistan Teil
der Lösung seien. Der Beweis dafür steht jedoch
aus. Die Vorstellung, dass die westlichen Truppen
(inklusive der Bundeswehr) quasi „neutrale Peacekeeping-Verbände“ bzw. „zu
Gast bei Freunden“ seien, entbehrt jeder Realität.
Sie sind Partei. Es ist andersherum militärische
Allmachtsfantasie zu glauben, dass der Abzug von
Militär automatisch eine Verschlechterung der Situation
herbeiführen würde. Warum sollte das so sein? Die
Hilfsorganisationen könnten z.B. besser Hilfe leisten,
wenn ihre weißen Fahrzeuge nicht mehr mit ähnlich
ausgestatteten Militärfahrzeugen verwechselt werden
könnten.
Auch der jüngst zurückgetretene Politische
Offizier im Diplomatischen Dienst der USA, Matthew
Hoh unterstreicht in seinem Rücktrittsschreiben
die kontraproduktive Wirkung des westlichen Militärs: „Die
Anwesenheit von Militärtruppen der Vereinigten
Staaten trägt erheblich zur Legitimierung des Aufstands
bei und verstärkt dessen strategische Botschaft.
Unsere Unterstützung der afghanischen Regierung
hilft, die Kluft zwischen Regierung und Volk zu
vertiefen.“
[104]
Mit dem Abzug der Truppen ist natürlich
nicht jedes Problem in Afghanistan gelöst. Aber
es wäre ein Anfang. Denn wir gehen davon aus, dass
die westlichen Truppen (OEF und ISAF!) Teil des
Problems und nicht der Lösung sind. Deswegen gelingt
eine politische Lösung eher, wenn die Truppen (kurzfristig,
nicht erst in 10 Jahren) abziehen.
Der ehemalige CDU-Bundestagsabgeordnete
Jürgen Todenhöfer unterstreicht diesen Punkt: „Der
Sprecher der Taliban, Mullah Nasrat, hat mir gegenüber
im August erklärt, die Taliban seien bereit, nach
einem Abzug der US-Truppen alle Angriffe einzustellen,
das Ergebnis freier Wahlen anzuerkennen und dem
Schulbesuch von Mädchen zuzustimmen. Talibanchef
Mullah Omar hat diese Aussage bestätigt. Wenn nur
50 Prozent davon ernst gemeint sind, lohnt es sich,
mit den Taliban zu verhandeln - hart und illusionslos.
So wie die USA mit dem Vietcong verhandelten, um
den Vietnamkrieg zu beenden.“
[105]
Als die sowjetischen Truppen 1989
das Land verließen, haben die Meisten geglaubt,
dass der damalige afghanische Präsident Nadjabullah
innerhalb von Tagen die Macht verlieren würde.
Er regierte jedoch noch vier Jahre. In vielen afghanischen
Amtsstuben hängt noch heute sein Porträt. Das zeigt,
wie vorsichtig man mit politischen Vorhersagen
in Afghanistan sein muss.
Frage 25:
Im Jahre 2008 wurde von Verhandlungen
der Karsai-Regierung mit den Aufständischen berichtet.
Was hat es damit auf sich?
Es gibt in der Tat seit einiger Zeit
Verhandlungen zwischen den Aufständischen und der
Karsai-Regierung unter saudi-arabischer Vermittlung.
Beteiligt sind nicht nur „gemäßigte“ Taliban, sondern
auch Abgesandte des früheren afghanischen Machthabers,
Taliban-Führer Omar
[106]
. Die inhaltlichen Unterschiede stehen dabei vermutlich
einer Lösung weniger im Wege als die Stationierung der zahlreichen westlichen
Truppen.
Faheem
Dashty, Chefredakteur der unabhängigen Zeitung “Kabul
Weekly”, ein früherer Mitarbeiter von Ahmed Shah Masoud,
der am 9.9.2001 einem Al Kaida Attentat zum Opfer
fiel, weist darauf hin, dass inzwischen schon Teile
der Islamistischen Gruppe von Hekmatyar in die
Regierung Karsai integriert sind: “Die meisten
Schlüsselmitglieder der Hekmatyar-Gruzppe sind
bereits in der Regierung gelandet. Der Kultur-
und Informationsminister ist einer von ihnen. Der
Generalstaatsanwalt in ein anderes Mitglied der
hekmatyar-islamisten. Elf Provinzgourvaneure stammen
aus der Hekmatyar-Islamisten-Partei. Das ist dieselbe
Partei, die mit den Taliban verbündet ist und gegen
die regierungstruppen und ihre internationalen
verbündeten kämpfen. (...) Nach der Zeit der Mudschaheddin
und der Taliban entwickelt sich in Afghanistan
zur Zeit die dritte Art des Fundamentalismus.” Und
alle drei Varianten, saft Dashty sarkastisch, seien
vom Westen gefördert worden. “Oder genauer: die
letzte wird es gerade.”
[107]
Inzwischen wird gemutmaßt, dass die US-Regierung
auf das pakistanische Militär als Vermittler setzen
könnte.
[108]
Frage 26:
Wenn die NATO abzieht, entstehen dann
nicht in Afghanistan wieder Terrorlager der Al-Kaida?
Niemand Geringeres als der US-Vizepräsident
Joseph Biden geht davon aus, dass „das Terrornetz
Al Quaida in Afghanistan faktisch geschlagen sei,
während die Taliban keine Gefahr für die Stabilität
der Region über die Grenzen Afghanistans hinaus
darstellten“
[109]
. Ihm sekundiert Obamas Sicherheitsberater Jones; er behauptet: „Die
Zahl ihrer Kämpfer betrage keine 100 Mann.“
Die Taliban-Regierung hatte nach dem
11.9.2001 übrigens die Auslieferung Bin Laden durchaus
angeboten, allerdings war sie nicht zu einer Auslieferung
an die USA bereit. Stattdessen wünschte sie ein
internationales Gericht und verlangte von der US-Regierung
Beweise, die diese selbstverständlich nicht bereit
war zu liefern.
[110]
Der
ehemalige CDU-Bundestagsabgeordnete Jürgen Todenhöfer
hält die Rückkehr von El Kaida nach Afghanistan
für höchst unwahrscheinlich: „Die US-Regierung
musste zugeben, dass sich "El Kaida gar nicht
mehr in Afghanistan aufhält". Das Problem
sei, dass El Kaida nach einer Machtübernahme der
Taliban zurückkommen könne (Hillary Clinton). Dieses
auch von Guido Westerwelle verwendete Argument
ist besonders abenteuerlich. Mit seiner Hilfe könnte
man viele Kriege führen - in Saudi-Arabien, Somalia,
Jemen, Pakistan, Iran, Russland, Usbekistan usw.
Es wäre ein Blankoscheck für Präventivkriege gegen
alle Länder, in die El Kaida demnächst fliehen
könnte.
Doch
der globale Terrorismus wird nicht mehr in die
afghanischen Berge zurückkehren. Jede Höhle ist
dort ausgekundschaftet und durch Satelliten und
Drohnen überwacht. Er hat sich dezentralisiert
und globalisiert. Er braucht keine Zentrale mehr.
Afghanistan war gestern.“
[111]
Der US-Militärstratege Biddle glaubt,
dass Al-Kaida eher anderswo Zuflucht suchen würde: „Tatsächlich
könnten sogar viele dieser Staaten, besonders der
Irak und Pakistan, Al-Kaida einen besseren Zufluchtsort
bieten als es in Afghanistan der Fall wäre. Denn
diese beiden Staaten sind reicher und verfügen über
eine weitaus bessere Infrastruktur als das rückständige
Afghanistan.“
[112]
Frage 27:
Worin unterschied sich die
GRÜNE Afghanistan-Politik eigentlich von der der
Großen Koalition?
Das
am 5.September 2007 vom Bundeskabinett beschlossene
Afghanistan-Konzept setzte die gleichen Akzente
wie die diversen GRÜNEN Beschlüsse und Erklärungen,
die von der Bundesregierung einen Strategiewechsel
einforderten: „Für die Bundesregierung bleiben
weiterhin der zivile Wiederaufbau und die Entwicklung
im Zentrum ihres Engagements.“ Die Militärpräsenz „kann
dann beendet werden, wenn der Aufbau von afghanischer
Polizei und Armee so weit vorangeschritten ist,
dass die afghanische Regierung selbst für ein sicheres
Umfeld sorgen kann, das Wiederaufbau und nachhaltige
Entwicklung erlaubt.“
[113]
Auf ihrem Göttinger Sonderparteitag beschlossen
die GRÜNEN 2007: „So lange zum Aufbau von Polizei und Infrastrukturen noch
eine militärische Absicherung erforderlich ist und so lange diese nicht vom
afghanischen Militär bzw. der afghanischen Polizei gewährleistet werden kann,
so lange ist der Abzug der deutscher Bundeswehreinheiten nicht vertretbar.“
[114]
Die
Bundesregierung erhöhte gemäß ihres Konzeptes die
Mittel für den zivilen Aufbau für 2008 von 100 Mio. € auf
125 Mio. €. Das war erheblich mehr, als die rotgrüne
Regierung in diesen Bereich investierte. Es war also
keineswegs so, dass nach dem Regierungswechsel 2005
hier Mittel gekürzt worden wären. Vor diesem Hintergrund
war es natürlich etwas übertrieben, wenn man Konzepte,
die den ISAF-Einsatz fortsetzen wollten, als „Strategiewechsel“ anbot.
Da
die Große Koalition in Kontinuität der rot-grünen
Außenpolitik stand, war nicht verwunderlich, dass
die Unterschiede nicht so groß waren. Auch OEF
wurde bis Herbst 2006 von den GRÜNEN unterstützt,
schließlich hatten die GRÜNEN diesen Einsatz 2001
selbst mit auf den Weg gebracht. Noch im
Jahre 2005 verteidigte Winni Nachwei im Bundestag
eine Verlängerung des OEF Mandats, denn die Konsequenz
eines Endes des Bundestagsmandats für OEF sei „ganz
eindeutig und klar: volle Bewegungs und Anschlagsfreiheit
für die Taliban- und andere Terrorgruppen und Zerstörung
des UN-mandatierten Stabilisierungsprozesses, schon
schwierig genug ist. (..) Ohne Enduring Freedom keine ISAF, Stabilisierungschance
für Afghanistan.
[115]
2007 sah Winni Nachtwei in dem Einsatz
der OEF "ein Nachwuchsförderprogramm für die
Taliban"
[116]
Da auch viele SozialdemokratInnen an OEF herumnörgelten,
löste der Bundestag das Problem 2008 elegant: Er verlängerte das OEF-Mandat,
sah darin aber keine Stationierung von Bundeswehr-Soldaten in Afghanistan
mehr vor; allerdings werden weiterhin im Rahmen von OEF Marinesoldaten am
Horn von Afrika eingesetzt.
Bei der Abstimmung über den AWACS-Einsatz
im Juli 2009 stimmte die Mehrheit der GRÜNEN Bundestagsfraktion
mit der Regierung. Als am 8.September 2009 im Bundestag über
den von der Bundeswehr initiierten Luftangriff
auf die Tanklastwagen debattiert wurde, stellte
sich die GRÜNE Fraktionsspitze einmal hinter den
ISAF-Einsatz. Jürgen Trittin kritisierte lautstark
die miserable Kommunikation des Bundesverteidigungsministers,
da man so die Akzeptanz der Bevölkerung für den
Einsatz schwerer erreichen würde: „Vertuschen,
leugnen und, wenn es gar nicht anders geht, sich
für das entschuldigen, was man vorher bestritten
hat. Diese Haltung macht die Akzeptanz dieses Einsatzes
in der Bevölkerung, in diesem Deutschen Bundestag
so unerträglich schwer. Sie sind heute zu einer
Belastung für die deutsche Afghanistan-Politik
geworden.“ Der Bundeskanzlerin warf er vor: „Sie
mussten vor Jahren von uns dazu getrieben werden,
endlich einmal unsere Soldatinnen und Soldaten
in Afghanistan zu besuchen. Ehrlich gesagt: Das
ist beschämend.
[117]
Insofern herrschte zwischen Bundesregierung und GRÜNER Fraktionsmehrheit
in den Zeiten der Großen Koalition Einigkeit im Grundsatz und in der Sache,
nur hier und da Dissens in der PR-Strategie.
Frage 28:
Und wo liegen die Unterschiede zwischen
den GRÜNEN und der neuen Schwarz-Gelben Regierung?
Im Beschluss der Rostocker BDK vom Oktober 2009
hieß es doch auch: „Für die künftige schwarz-gelbe
Regierung hat die FDP sich in den vergangenen
Monaten bereits zur Wortführerin eines offensiveren
militärischen Vorgehens der Bundeswehr gemacht.“ Da
müsste es doch jetzt mehr Differenzen geben als
zu Zeiten der Großen Koalition, oder?
Bedauerlicherweise ist das nicht der
Fall. In der Substanz ziehen Guttenberg, die FDP
und auch die GRÜNE Fraktionsmehrheit weiter an
einem Strang. Niemand will den Afghanistan-Einsatz
der Bundeswehr beenden. Selbst die Wortwahl ist
identisch: Der GRÜNE Abgeordnete Frithjof Schmidt
erklärte am 27.11.2009 im Bundestag: „Die Sicherheitslage
hat sich allerdings deutlich verschlechtert, gerade
im Einsatzgebiet der Bundeswehr. Daher muss man
von kriegsähnlichen Zuständen sprechen.“
[118]
Anfang November 2009 hatte Guttenberg geäußert, in Afghanistan
sei die Bundeswehr mit „kriegsähnlichen Zuständen“ konfrontiert
[119]
, und sich damit von seinem Vorgänger Jung abgesetzt.
Dass die FDP eine besondere Scharfmacher-Partei
beim Afghanistan-Einsatz sein soll, wird von keinen
Tatsachen gestützt. Der GRÜNE Beschluss ist in
Hinblick auf die FDP wohl eher ein allgemeiner
Oppositionsreflex. Z.B. beharrte am 25.11.09 die
FDP sogar darauf, dass es keine Aufstockung des
Bundeswehr-Kontingents geben solle
[120]
. Die GRÜNEN hatten in dem nämlichen Beschluss der Rostocker
BDK „eine Aufstockung des Bundeswehrkontingents“ für „nicht verantwortbar“ erklärt.
2003 stimmte übrigens die FDP gegen die Stationierung der Bundeswehr in Nordafghanistan.
Der FDP-Abgeordnete Hoyer begründete damals die Ablehnung. Der SPIEGEL berichtete: „Außenminister
Joschka Fischer (Grüne) griff die FDP scharf an, die wegen der weiter bestehenden
Bedenken mit Nein stimmte. Fischer sagte, die Haltung der FDP bedeute in
der Folge den nicht verantwortbaren Rückzug aus Afghanistan.“
[121]
Die Rostocker BDK schloss auch kurz-
und mittelfristig einen Abzug aus Afghanistan aus.
Dass man andererseits prinzipiell nicht ewig in
Afghanistan bleiben will, sagt auch Minister Guttenberg.
So gesehen setzt sich in der Afghanistan-Politik
die superbreite Südafrika-Koalition aus CDU/CSU,
FDP, SPD und GRÜNEN fort. Zum Glück gibt es aber
in allen Parteien zumindest einzelne Gegenstimmen,
sogar in der CDU/CSU; der ehemalige Staatssekretär
im Verteidigungsministerium Willy Wimmer fordert
schon länger einen einseitigen Rückzug des deutschen
Kontingents
[122]
.
Der einzige Dissens ist zur Zeit die
Bewertung des Bombenangriffs in Kundus bzw. der
kommunikative Umgang damit. Das hat inzwischen
sogar zum Ausscheiden Minister Jungs aus der Bundesregierung
geführt. Die Mehrheit der GRÜNEN Bundestagsfraktion
hält den Angriff für nicht gerechtfertigt, wobei
offen bleibt, ob generell auf Luftangriffe verzichtet
werden soll – vermutlich aber wohl nicht. Verteidigungsminister
Guttenberg hält den Angriff dagegen im Nachhinein
für notwendig: „Selbst wenn es keine Verfahrensfehler
gegeben hätte, hätte es zu dem Luftschlag kommen
müssen.“ (6.11.2009)
[123]
Vielleicht werden jedoch bei der nächsten
Bundestagsentscheidung über den Afghanistan-Einsatz
im Februar 2010 Risse zwischen den GRÜNEN und der
aktuellen Bundesregierung sichtbarer. Denn dann
wird es um mehr Soldaten für den Afghanistan-Krieg
gehen.
Frage
29:
Im
Bundestag gab es bisher immer klare Mehrheiten
für die Afghanistan-Militäreinsätze. Inwieweit
spiegelt das Parlament wider, was die Bevölkerung
denkt?
In
der Bevölkerung gibt es seit Jahren keine Mehrheit
für den Afghanistan-Krieg. Je nach Fragestellung
lehnen in den Umfragen bis zu 2/3 der Deutschen
diesen Krieg ab und wünschen ein Ende des Einsatzes.
Solange
die Mehrheit nur diese Meinung hat, aber sich nicht
gegen den Krieg engagiert, ist es natürlich leicht
für Regierung und Parlament die Mehrheiten in der
Bevölkerung zu ignorieren.
Frage
30:
Die
Mehrheit der Bevölkerung lehnt den Einsatz der
Bundeswehr in Afghanistan ab. Wie kommt es, dass
es trotzdem keine breite außerparlamentarische
Bewegung gegen den Krieg gibt?
Seit
vielen Jahren gibt es bei zahlreichen Meinungsumfragen
eine Mehrheit in der Bevölkerung gegen die Beteiligung
der Bundeswehr am Krieg in Afghanistan
[124]
. In dieser ablehnenden Haltung drücken sich
zum Teil die fürchterlichen Erfahrungen der älteren Generationen mit Krieg
im 2. Weltkrieg aus, die in den Anfangsjahren der Bundesrepublik zu einem
breiten Widerstand gegen jede Militarisierung führten und nach wie vor wirksam
sind.
Allerdings
kann man nicht übersehen, dass es der Friedensbewegung
trotz der mehrheitlichen Ablehnung des Krieges nicht
gelungen ist, bei der außerparlamentarischen Mobilisierung
etwa an die Friedensbewegung der 80er Jahre anzuknüpfen,
obwohl Deutschland mitten in einem blutigen Krieg
steht. Ein wichtiger Faktor war vor 25 Jahren, dass
Viele Deutschland bzw. sich selbst als potentielles
Opfer (eines Atomkrieges) sahen. Heute ist Deutschland
nicht in der „Opferrolle“, sondern führt den Krieg
aktiv selbst.
Mit
der Ablehnung des Krieges durch die Mehrheit der
Bevölkerung geht eine Distanziertheit der Politik
gegenüber dem Militäreinsatz in Afghanistan einher.
Die Bundeskanzlerin möchte mit dem Krieg nicht
so gerne zusammengebracht werden. Werbung für den
Krieg macht die Bundesregierung nicht, niemand,
außer der „Linken“ glaubt, mit dem Krieg Wahlen gewinnen
zu können - anders als etwa Thatcher in Britannien
während des Falklandkrieges 1982 oder Bush während
des Irakkrieges 2003. Stichworte für die Beschreibung
dieser Haltung gab jüngst Verteidigungsminister
Guttenberg, „das Thema Afghanistan“ solle „gegenüber
der Bevölkerung und den deutschen Soldaten“ nicht
mehr „verdruckst und verschwurbelt“ dargestellt
werden
[125]
Ganz ähnlich hat Jürgen Trittin als Fraktionsvorsitzender der
Grünen im Bundestag die Haltung der Bundesregierung kritisiert
[126]
: „Überhaupt, liebe Frau Merkel, ist Ihr Umgehen mit Afghanistan
eigentlich nur mit dem Wörtchen "verdruckst" zu beschreiben. Trotz
dieses schwersten Zwischenfalls, den es gegeben hat, mussten Sie von der
Opposition zu dieser Regierungserklärung getrieben werden. Sie mussten vor
Jahren von uns dazu getrieben werden, endlich einmal unsere Soldatinnen und
Soldaten in Afghanistan zu besuchen. Ehrlich gesagt: Das ist beschämend.
Eine offene Haltung hierzu wäre angemessen gewesen.“
Doch
die von Trittin und Guttenberg beklagte „Verdruckstheit“ der
Politik ist keine Frage schlechter PR-Arbeit. In
ihr drückt sich das Dilemma einer Politik aus,
die einen Kriegseinsatz als friedliches Brunnenbohren
erscheinen lassen will und die von „Caveats“, einer
langen Liste nationaler „Vorbehalte“, beim Einsatz
der Bundeswehr in Afghanistan geprägt sind. Diese
Vorbehalte führten dazu, dass der Einsatz nicht
so sehr an den militärischen Notwendigkeiten orientiert
ist, sondern vor allem daran, den eigenständigen
deutschen Beitrag sichtbar zu machen.
Dass
der Sinn eines Krieges in einem der ärmsten Länder
der Welt in seiner Bedeutung für Deutschlands Rolle
und Gewicht in der NATO und gegenüber den USA liegt,
das erscheint Vielen kaum nachvollziehbar. Manche
Ablehnung dürfte also einem schlichten, „das lohnt
sich nicht für Deutschland“ geschuldet sein. Friedenspolitisch
darf die mehrheitliche Ablehnung des Krieges deshalb
nicht überbewertet werden. Auch kann diese nicht
mit einer pazifistischen Haltung gleichgesetzt werden.
Frage
31:
Die
Parteien CDU/CSU, SPD, FDP und GRÜNE lehnen mehrheitlich
bisher einen kurzfristigen Abzug der Bundeswehr
ab. Wie lange soll die Bundeswehr noch in Afghanistan
bleiben?
Wenn
es nach US-Präsident Obama geht, sollen die US-amerikanischen
Kampftruppen bis Ende 2017 abgezogen sein
[127]
. Demnach wäre mit weiteren 8 Kriegsjahren
zu rechnen.
Als
Voraussetzung für den Abzug wird üblicherweise
die endgültige Niederschlagung der Taliban, also
der militärische Sieg genannt. Zumindest müsse
die Karsai-Regierung in die Lage sein, alleine
gegen die innerafghanischen Gegner militärisch
zu bestehen. Der für den Aufbau der afghanischen
Armee zuständige US-amerikanische General Robert
W. Cone, weist auf ein entscheidendes Detail hin: „Bis
die Luftwaffe aufgebaut ist, ... werde es noch
bis 2013 dauern. Luftunterstützung ist eine wichtige
Fähigkeit für eine Armee, die vor allem der Aufstandsbekämpfung
dienen soll.“
[128]
Legt man diese optimistischen Planungen
zugrunde, würden mindestens bis 2013 NATO-Verbände in Afghanistan stationiert
bleiben. Auch der noch gültige GRÜNE Parteitagsbeschluss vom 15.9.07 bietet
ein Konzept an, dass die Stationierung der Bundeswehr auf weitere 5 Jahre
beinhaltete (= bis 2012). Im September 2009 wartete der damalige Außenminister
Steinmeier mit dem Vorschlag einer 5-Jahreszielvereinbarung auf, die der
Westen mit der afghanischen Regierung treffen soll. Beginnen soll diese 2010,
wenn der bisherige „Afghanistan Compact“ ausläuft. Der Vorschlag darf aber
nicht mit der Zusage verwechselt werden, dass dann binnen 5 Jahren, also
bis 2015 abgezogen werden soll.
Der
Chef des britischen Generalstabs, General Sir David
Richards, rechnet mit weiteren 30-40 Jahren Krieg
[129]
. Dann wäre der Abzug eventuell 2050 realisiert. US-Militärstratege
Stephen Biddle prognostiziert: „Erfolgreiche Strategien zur Terrorismusbekämpfung
benötigen laut Schätzungen durchschnittlich 10-15 Jahre.“
[130]
Demnach müsste man sich noch auf lange Jahre Krieg einstellen.
Dabei
hat die Frage des Abzugsdatums allerdings nicht
nur eine Bedeutung im Hinblick auf die Situation
in der Islamischen Republik Afghanistan selbst,
sondern auch im Hinblick auf die innenpolitische
Situation hierzulande. Vordergründig scheint es
dabei um eine Frage der “Radikalität” zu gehen,
je schneller der Abzug gefordert wird, je kürzer
die Frist, desto radikaler die jeweilige Position.
Eine solche Betrachtung greift indessen zu kurz.
Praktisch geht es darum, ob man der Meinung ist,
dass der ISAF Einsatz “an sich” eine gute Sache
ist und noch Aufgaben zu erfüllen sind, die vor
einem Abzug “zu erledigen”sind. Diese Aufgaben
wären je nach Sichtweise die Beseitigung der terroristischen
Al-Kaida Gruppen, die Stabilisierung der Islamischen
Republik Afghanistan, die Sicherung der Menschenrechte
etc.
Wer der Meinung ist, dass in diesem Sinne der ISAF Einsatz notwendig ist,
der kann nicht für ein wie auch immer geartetes Abzugsdatum sein, sondern
allein für eine Abzugsperspektive”, die einen Abzug an die Voraussetzung
knüpft, dass die Gründe für den Einsatz entfallen sind, weil sie entweder
verwirklicht wurden oder nicht mehr erreicht werden können. Wer dieser Meinung
ist, der kann natürlich auch nicht innenpolitisch gegen den Einsatz auftreten
und darauf setzen, in der Bevölkerung den Einsatz zu delegitimieren.
Nach Auffassung der GRÜNEN Friedensinitiative soll der Abzugstermin im 1.Halbjahr
2010 liegen – nachdem der Krieg leider auch 2009 unverändert fortgesetzt
wurde. Denn wer die Ziele des ISAF Einsatzes nicht teilt, der kann den Einsatz
nur ablehnen und die Frage einer noch vorübergehenden Notwendigkeit des Einsatzes
stellt sich nicht. In diesem Sinne ist die Abzugsfrist eine eher technische
Frist. Nur eine solche Position ist innenpolitisch mobilisierungsfähig.
Frage 32: Besorgt nicht der,
der den sofortigen Abzug der Bundeswehr fordert,
die populistischen Geschäfte von Lafontaine und der
Linkspartei?
Auf
die Ablehnung des Afghanistan-Krieges hat die Linkspartei
kein Monopol: Die Mehrheit der Bevölkerung ist
dagegen. Im Übrigen gibt es auch innerhalb der
Linkspartei wichtige Funktionsträger, die die klare
Abzugslinie nicht mittragen; Bodo Ramelow formuliert
seine Position so: „Uns geht es nicht um einen
sofortigen Abzug. Das wäre wie eine Flucht damals
aus Vietnam. Die SPD muss sich klar werden über
einen ehrlichen Zeitplan. Untersetzt man den Zeitplan
mit mehr Militär, ist das mit uns nicht machbar.
Untersetzt man es mit mehr nachweislichem zivilem
Engagement und dem stufenweisen Abzug, dann sind
wir offen.“
[131]
In dieser Position gibt es genauso wenig ein konkretes Abzugsdatum
wie bei Steinmeier oder Merkel.
Zwar
ist bei der Linkspartei unbestritten die riesengroße
Mehrheit für einen sofortigen Abzug, aber auch
in den anderen Bundestagsparteien gibt es Gegner
des Bundeswehreinsatzes. Willy Wimmer (CDU) und
Peter Gauweiler (CSU) sind sogar im Frühjahr 2008
vor das Bundesverfassungsgericht gezogen. Wie so
häufig zeigt sich, dass die Frage Krieg-Frieden
nicht entlang des vertrauten Rechts-Links-Schema
einzuordnen ist. Wer den Afghanistan-Krieg beenden
will, muss auch mit politischen Kräften zusammen
arbeiten, die er bzw. sie nicht so gerne leiden
mag oder als Konkurrenten sieht. Die Sache muss
im Vordergrund stehen! Das war zur Zeit der Entstehung
der GRÜNEN nicht anders: In der Auseinandersetzung
um die NATO-„Nach“rüstung Anfang der 80er Jahre
arbeiteten die GRÜNEN in der Friedensbewegung mit
den unterschiedlichsten Gruppen zusammen.
Frage
33: Der seinerzeitige Verteidigungsminister von
Rotgrün, Struck (SPD), hat darauf hingewiesen,
dass Deutschland am Hindukusch verteidigt würde.
Insbesondere von den GRÜNEN hört man immer wieder,
die Bundeswehr sei in Afghanistan, um den Afghanen
zu helfen.
Struck
hat mit diesen Worten den Anspruch Deutschlands,
Truppen in diese Tausende Kilometer entfernte Region
zu entsenden begründet und gerechtfertigt. Denn „Verteidigung“ gilt
als gutes Recht eines jeden Staates.
Der
Bundeswehreinsatz in Afghanistan hat von Anfang
an eine machtpolitische Begründung, auch wenn davon
in der PR-Arbeit wenig die Rede ist.
Bei
der Beschlussfassung im Bundestag 2001 verknüpfte
Bundeskanzler Schröder die Entscheidung mit der
Vertrauensfrage, um sich der Unterstützung der
Koalitionsfraktionen zu versichern. Weshalb ist
die Haltung zu diesem Militäreinsatz von so zentraler
politischer Bedeutung?
Der
ehemalige GRÜNE Außenminister Joschka Fischer geht
bei der Einordnung des deutschen Afghanistan-Engagements über
die populistische Strucksche Formel „Deutschland
wird am Hindukusch verteidigt“ hinaus und ordnet
diesen in einen größeren strategischen Kontext ein.
Er spannt den Bogen von der deutschen Teilnahme
am Afghanistan-Krieg über die EU bis zur Weltordnungspolitik: „Die
Entscheidung ‚Deutschland nimmt nicht teil’ würde
auch eine Schwächung Europas bedeuten und würde
letztendlich bedeuten, dass wir keinen Einfluss
auf die Gestaltung einer multilateralen Verantwortungspolitik
hätten. Genau darum wird es in den kommenden Jahren
gehen.“
[132]
Für
Fischer stellte sich „mit dem Ende des Kalten
Krieges die Frage, was auf dessen bipolare Ordnung
folgt. In dieser Ordnung von Jalta waren Licht
und Schatten entlang einer sehr gefährlichen Grenze
klar verteilt. Als 1989 die Mauer fiel und 1990
die Sowjetunion verschwand, verschwand auch diese
Ordnung. Zurück blieben große Fortschritte und
Durchbrüche bei der Überwindung lang anhaltender
Krisen, die eingebettet waren in den Kalten Krieg
[133]
.“
Daraus
ergab sich für ihn die Notwendigkeit, beim Aufbau
einer neuen internationalen Ordnung mitzuwirken.
Dieses Engagement verstand er selbstredend als „Friedenspolitik“:
“Wir
reden hier über nichts Geringeres als über den
Entwurf einer Friedenspolitik im 21. Jahrhundert.
Anders als zu Zeiten des Kalten Krieges bedeutet
Friedenspolitik in der einen Welt im 21. Jahrhundert
internationale Ordnungspolitik im Kampf gegen
den internationalen Terrorismus. Das heißt, es
geht darum, eine Weltordnung zu schaffen, die
Zonen der Ordnungslosigkeit oder gar, wie es
in weiten Teilen der Fall ist, des völligen politischen
Ordnungsverlustes nicht mehr zulässt.
(...)
Eine
Weltordnung schaffen, die allen Völkern die Perspektive
voller Teilhabe ermöglicht, das klingt zwar sehr
ambitioniert, ist aber nur die Konsequenz aus
einem erfolgreichen Kampf gegen den Terrorismus.
Lassen Sie mich hier unterstreichen: Multilateralismus
und nicht Unilateralismus wird die Welt im 21.
Jahrhundert zu bestimmen haben. Auch das ist
eine wichtige Konsequenz dessen, was wir erlebt
haben.
(...)
Er
bedeutet vor allen Dingen auch, dass wir bei
der europäischen Integration vorankommen müssen.
Wenn wir getrennt bleiben, werden die Europäer
in der neuen Weltordnung marginalisiert.”
[134]
Es
bedarf wohl keines großen Rätselns, durch wen den „Europäern“ die
Marginalisierung droht, wer „Unilateralismus“ statt „Multilateralismus“ verfolgt.
Wieder sei Joschka Fischer zitiert: „Die Frage
ist nun: Was wird aus den Europäern, angesichts
der dominanten Rolle der USA? Werden sie zueinander
finden? Werden sie also ihr Schicksal selbst bestimmen
können, oder werden sie nur nachvollziehen müssen,
was anderswo vorgegeben wird?
[135]
“
Der
Marginalisierung zu entgehen, wenn die USA unilateral
die Welt neu ordnen, dies war eines der wesentlichen
und offen ausgesprochenen Motive Deutschlands bei
der Unterstützung des Afghanistan-Krieges. Deshalb
musste und muss nach dem Motto: „das Maß der
Mitbestimmung richtet sich nach dem Maß des Mitwirkens
[136]
“ Deutschland dabei sein.
Nachdem
sich Deutschland zum militärischen Mitmachen in
Afghanistan entschieden hatte, konstatierte Fischer
im Dezember 2001:
“Mehr
als zehn Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges
und vor allen Dingen jetzt, nach dem 11. September
dieses Jahres, nach den furchtbaren Verbrechen
in New York und in Washington, werden langsam
die Umrisse der internationalen Ordnung des 21.
Jahrhunderts und die Gewichteverteilung sichtbar“
[137]
Deutschland
hatte sein Gewicht bzw. seine Truppen in die Waagschale
geworfen.
Insofern
ist das militärische Afghanistan-Engagement Deutschlands
keineswegs selbstlos und von blankem Humanismus
geprägt. Denn die Bündnisdimension war und ist
seit vielen Jahren (schon vor Fischers Amtszeit)
für die Machtentfaltung deutscher Politik zentral.
Ein Zitat aus dem Jahre 1992 mag dies belegen:
„Wenn
die internationale Rechtsordnung gebrochen wird
oder der Frieden gefährdet ist, muss Deutschland
auf Anforderung der Völkergemeinschaft auch militärische
Solidarbeiträge leisten können. Qualität und Quantität
der Beiträge bestimmen den politischen Handlungsspielraum
Deutschlands und das Gewicht, mit dem die deutschen
Interessen international zur Geltung gebracht werden
können.“
[138]
Der
Friedensforscher und Afghanistan-Experte Conrad
Schetter spitzt diesen Aspekt im Friedensgutachten
2007 so zu: „Dass der Stellenwert des Einsatzes
der Bundeswehr in Afghanistan höher ist als bei
den vorangegangenen in Somalia oder auf dem Balkan,
liegt vor allem an den deutschen Ambitionen auf
einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat. Als
Voraussetzung hierfür gilt die Übernahme größerer
sicherheitspolitischer Verantwortung.“
[139]
Mit
analogen Motiven kündigte übrigens die französische
Regierung im April 2008 700 zusätzliche Soldaten
für den Afghanistan-Krieg an. Damit untermauerte
Sarkozy „seine Ankündigung, dass Frankreich wieder
einen seiner Bedeutung angemessenen Platz im Bündnis
einnehmen wolle.“
[140]
.
Will
die deutsche Regierung eine weitere „Amerikanisierung
des afghanischen Bürgerkrieges“
[141]
verhindern und den eigenen Einfluss stabil halten oder
sogar erhöhen, liegt in der Logik der Machtentfaltung deutscher Politik und
der Teilnahme an der „internationalen Ordnungspolitik“, dass weitere Bundeswehr-Kontingente
und –Waffen nach Afghanistan geschickt werden. So empfehlen es auch Wolfgang
Ischinger (Chef der Münchener Sicherheitskonferenz) und Timo Noetzel (SWP):
„Die
Provinz Kundus ist mit den gegenwärtig verfügbaren
Kräften nicht mehr in den Griff zu kriegen. Der
von den Taliban geführte Aufstand im deutschen
Verantwortungsbereich im Norden breitet sich
aus. Mangels Truppen kann Isaf die Bevölkerung
kaum schützen. Um Kundus zurückzugewinnen, müssen
die militärischen Kräfte deutlich verstärkt werden.
Wenn wir in den nächsten Wochen und Monaten keine
nachhaltige Anstrengung machen, wird allenfalls
eine großangelegte Intervention amerikanischer
Truppen die Lage im Norden beruhigen können.
Die Folgen hiervon wären ein Reputationsverlust
Deutschlands in der Nato, die weitere Amerikanisierung
der gesamten Isaf-Operation und ein faktischer
Verlust der deutschen Rolle im Norden. Mit anderen
Worten: ein Debakel.“
[142]
Uli
Cremer
Wilhelm Achelpöhler
Hamburg
/ Münster 2.12.2009
www.gruene-friedensinitiative.de
Kontakt:
cremer@gruene-friedensinitiative.de oder achelpoehler@gruene-friedensinitiative.de
Diese
FAQ werden ständig überarbeitet und aktualisiert.
Diese Version wurde am 2.12.2009 erstellt. Auf
der Homepage der Grünen Friedensinitiative ist
die jeweils aktuelle Version abrufbar.
http://www.gruene-friedensinitiative.de
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