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"Wir haben zu wenige Kräfte und nicht die beste Ausstattung", sagte Kasdorf in Kabul. Einige tausend zusätzliche Soldaten könnten einen großen Unterschied machen. Die Isaf habe schon jetzt zu wenige Truppen und sei auf jede Unterstützung angewiesen, sagte er. "Da sind 40.000 Soldaten in der Tat ganz eng genäht", kommentierte Kasdorf die derzeitige Isaf-Stärke. Der General sagte, gemessen am Kosovo-Einsatz müssten in Afghanistan 800.000 Soldaten stationiert werden. Die Nato-Truppe könne zwar militärisch nicht von den radikal-islamischen Taliban besiegt werden. Ohne zusätzliche Truppen werde der Einsatz aber länger dauern.“ [1]

 

Hamburg / Münster 19.07.2007

Lieber Jürgen,

da wir im Juni gemeinsam das Papier „Die GRÜNEN und Afghanistan“ verfasst haben, antworten wir Dir auf Deinen an Wilhelm gerichteten Brief gemeinsam.

Mit unserem Papier haben wir einen Beitrag zu der Diskussion innerhalb der GRÜNEN zum Bundeswehreinsatz in Afghanistan geleistet. Wir haben darin für ein Ende nicht nur der GRÜNEN Unterstützung von OEF plädiert, sondern auch für ein Ende der Unterstützung des ISAF Einsatzes durch die GRÜNEN. Unser Ziel ist es, die innerparteiliche Debatte über die Rolle der NATO und den Beitrag Deutschlands sowie das Verhältnis der Grünen dazu wieder in Gang zu bringen.

Erinnern wir uns: Nach der Entscheidung der Grünen auf der BDK in Rostock 2001, den „Krieg der USA gegen den Terror“ an seinem „ersten Frontabschnitt“ in Afghanistan zu unterstützen, sah es so aus, als wäre der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan kein Thema mehr für die innerparteiliche Debatte bei den Grünen – sieht von einigen Gegenstimmen im Bundestag anlässlich der alljährlichen Verlängerungen der Mandate für OEF und ISAF einmal ab. Der Bundesvorstand schrieb sogar in seinem Entwurf für das Bundestagswahlprogramm 2005 ganz pauschal zu den regelmäßig von den GRÜNEN unterstützen Bundeswehreinsätzen:

Die anfangs sehr umstrittenen Militäreinsätze auf dem Balkan und in Afghanistan dienen heute der Gewalteindämmung und sind Voraussetzungen für einen friedlichen Aufbau.“ [2]

Durch eine Intervention unsererseits wurde in der finalen Fassung festgehalten, dass es in der GRÜNEN Partei nach wie vor GegnerInnen von Militäreinsätzen gibt:

 

„Die Militäreinsätze auf dem Balkan und in Afghanistan waren auch in unserer Partei sehr umstritten und sind es teilweise immer noch.“ [3]

 Noch im Herbst des Jahres 2005 stimmte die Bundestagsfraktion der GRÜNEN mit großer Mehrheit der Verlängerung des Mandats für die Beteiligung der Bundeswehr an OEF zu. Nur  Winfried Hermann, Peter Hettlich, Dr. Anton Hofreiter, Sylvia Kotting-Uhl, Monika Lazar und Hans-Christian Ströbele stimmten dagegen [4]

 Über Deinen Brief vom 9. Juli 2007, mit dem Du auf unser Diskussionspapier geantwortet hast, haben wir uns deshalb sehr gefreut. Denn Deine Antwort fördert die innerparteiliche Debatte bei Bündnis 90/Die Grünen über die Militäreinsatz Deutschlands in Afghanistan, die uns ja auf dem Sonderparteitag am 15. September 2007 beschäftigen wird.

 Halten wir zunächst fest, wo wir uns einig sind: wir lehnen nunmehr gemeinsam eine Zustimmung zur Beteiligung der Bundeswehr an der Operation Enduring Freedom ab. Du schreibst:

 „Die hohe Zahl der Zivilopfer in Folge von OEF-Missionen und unbedachten Luftangriffen oder Militäroperationen, entziehen der internationalen Staatengemeinschaft und der Karsai-Regierung den Rückhalt in der Bevölkerung.“

 Auch wenn wir den in Afghanistan von den USA und ihren Verbündeten auch mit deutscher Unterstützung geführten Krieg schon wegen der Zivilopfer selbst ablehnen und nicht erst weil sich Opfer unter der Zivilbevölkerung, Bilder getöteter Männer, Frauen und Kinder nachteilig auf das Ansehen der NATO oder der Regierung Karsai auswirken, so unterscheidet sich Dein Schreiben wohltuend von der Art und Weise, wie die Diskussion im Jahre 2001 geführt wurde. Da erklärte Joschka Fischer etwa in einem Interview auf die Frage zivilen Opfern, die bei der Unterstützung von OEF von vielen GRÜNEN befürchtet wurden:

„Aber ich bitte Sie. Klinisch saubere Militärschläge gibt es nicht. So einen Krieg kenne ich nicht.“ [5]

Wir finden es daher richtig, dass ihr am 12.6.2007 einen Antrag in den Bundestag eingebracht habt, der ein Ende des OEF Einsatzes fordert. [6]

Wir entnehmen Deinem Schreiben auch, dass auch Du das militärische Vorgehen der NATO im Rahmen von ISAF teilweise kritisch siehst, denn Du sprichst von der hohen Zahl von Zivilopfern bei OEF Missionen und Luftangriffen oder Militäroperationen, so dass mit letzterem wohl Militäroperationen der NATO im Rahmen von ISAF gemeint sind.

Auch diese, wenn auch nicht so recht ausdrücklich von Dir formulierte Kritik teilen wir. Nicht einig sind wir uns aber offenbar über die Konsequenzen aus dieser Kritik. Denn Du sprichst Dich für eine weitere Unterstützung des ISAF Einsatzes aus. Er sei die Voraussetzung für die Fortsetzung des von der Bundeswehr betriebenen Aufbauwerks im Norden Afghanistans.

Diese Einschätzung teilen wir nicht.

Ursprünglich wurde ISAF nur zur Sicherung Kabuls und damit des Schutzes der Regierung Karsai eingesetzt.  Es bestand eine faktische Arbeitsteilung zwischen den militärisch operierenden US-Truppen und ihren Verbündeten, wie etwa Britannien, die im Rahmen von OEF den „Krieg gegen den Terror“ führten und den im Rahmen von ISAF eingesetzten Militärverbänden verschiedener Staaten, die in erster Linie absichernd tätig waren. Dennoch waren die beiden Operationen zu keinem Zeitpunkt organisatorisch strikt getrennt.

Die anfängliche institutionelle und räumliche Abgrenzung gibt es heute nicht mehr. Seit 2003 steht ISAF unter Führung der NATO. Seit Oktober 2006 erstreckt sich das Einsatzgebiet von  ISAF unter NATO-Führung auf das gesamte Land. Nicht mehr nur in Kabul und Umgebung, nicht mehr nur im Norden Afghanistans, ISAF ist militärisch jetzt im gesamten Land aktiv. Ein Teil der  US-Truppen, die im Rahmen von OEF Krieg gegen die Taliban geführt haben, wurde bei ISAF integriert. Mit diesen 12 000 US-Soldaten und weiteren Aufstockungen ist ISAF inzwischen auf über 40 000 Soldaten angewachsen.  Auch in der Befehlsstruktur ist ISAF nicht unabhängig von OEF . UnserGRÜNER Verteidigungspolitiker Winni Nachtwei problematisiert genau diese Verzahnung am Beispiel des Tornado-Einsatzes, bei dem er sich „eine saubere Trennung nicht vorstellen [7] kann. Damit steht er nicht allein, die Frankfurter Allgemeine sieht es am 25.6.07 ähnlich: „... bei der Weitergabe der einmal gemachten und ins Netz gestellten Bilder scheint eine Restriktion kaum mehr möglich. Die Anti-Terror-Operationen werden von einem amerikanischen General geleitet, der zugleich Regionalkommandeur von Isaf für den Ostteil Afghanistans ist. Diese ‚Doppelhut’-Lösung war ursprünglich vorgesehen mit einem Offizier im Hauptquartier, nicht in einem Regionalkommando. Sie wurde ausdrücklich mit der Absicht eingeführt, die beiden Operationen besser zu koordinieren.. „Der Mann kann ja nicht eine Mauer zwischen zwei Gehirnhälften, eine Isaf, eine OEF, errichten.

Die Niederschlagung der militärischen Gruppen wie der Taliban und anderer in Afghanistan ist seit 2006 zu einer Aufgabe der ISAF geworden. Der vorher von den OEF-Truppen geführte Krieg wird nunmehr von der ISAF verantwortet. „Von der Schutztruppe zur Kampftruppe beschrieb diesen Wandel des ISAF Einsatzes etwa der ARD Korrespondent Christoph Heinzle [8] . Weiter Heinzle:

„Die Truppe habe ihr Mandat neu ausgelegt, so der langjährige UN-Diplomat und heutige EU-Afghanistanbeuftragte Francesc Vendrell: "Das Mandat wurde lange als friedenserhaltend interpretiert", erklärt er. Und das, obwohl der UN-Sicherheitsrat die Isaf klar unter Kapitel 7 der UN-Charta gestellt hatte und die Isaf damit auch Frieden erzwingen dürfe. "Die Nato-Mitglieder haben erst jüngst erkannt, dass sie eine robustere Interpretation von Sicherheit für ihr Mandat brauchten", so Vendrell.“

Wie sich diese Kriegsführung durch ISAF darstellt, beschreibt ARD-Korrespondent Heinzle so:

„Klares Zeichen für den Kurswechsel war im Sommer 2006 die "Operation Medusa". Erstmals jagte die Isaf zusammen mit afghanischen Sicherheitskräften aktiv Aufständische im instabilen Süden Afghanistans. Die Verluste auf beiden Seiten waren hoch. Im Juli hatte die Nato-geführte Isaf das Kommando im Süden von der US-geführten Anti-Terrorkoalition übernommen. Nun sollten massive Militäroperationen in klar definierten Gebieten mehr Sicherheit schaffen, um Wiederaufbau zu ermöglichen. Seitdem gibt es von der Isaf so genannte Präzisionsluftangriffe gegen Taliban-Führer, Flächenbombardements, Artilleriegefechte. Der Tod von 4000 Talibankämpfern, Zivilisten und Soldaten im vergangenen Jahr ging in der Mehrzahl auf Kämpfe mit Isaf-Beteiligung zurück [9] .

Im Rahmen der Frühjahrsoffensive 2007 der ISAF führte diese die „Operation Achilles“ durch, über die wie folgt berichtet wurde:

Die bisher größte gemeinsame Operation von Briten, Holländern, Kanadiern, Amerikaner und

Afghanen im krisengeschüttelten Land kündigte die Nato an. Insgesamt 5500 Bewaffnete seien in der Region Helmand im Süden des Landes dabei, Sicherheit und Ordnung wiederherzustellen, Taliban zu jagen und Drogenhändler zu vertreiben, so die Kampfparolen aus der Isaf-Zentrale. Auch wenn es nicht ausdrücklich gesagt wurde: Es war der Start der viel beschworenen Frühjahrsoffensive. [10]

In 2007 ist eine Abgrenzung von ISAF Kampfeinsätzen und OEF Kampfeinsätzen immer weniger möglich. Anlässlich der Kampfhandlungen im Ende April 2007 im Bezirk Shindand in der westlichen Provinz Herat, bei der 50 Zivilisten starben, berichtete der ARD Korrespondent Heinzle:

„Kaum mehr erkennbar ist mittlerweile die Trennlinie zwischen der UN-mandatierten Schutztruppe Isaf und der US-geführten Anti-Terrorkoalition. Beide stehen unter amerikanischem Befehl. Manche Offiziere und Einheiten sind gleichzeitig beiden unterstellt. Beide Truppen operieren in denselben Regionen. Und nach Zwischenfällen wie dem gestrigen Bombardement von Taliban in der südafghanischen Unruheprovinz Kandahar wollen beide nicht wissen, wessen Operation das gewesen ist. Für die Einheimischen verstärkt das die Skepsis gegenüber "den Ausländern". "Die afghanische Bevölkerung unterscheidet nicht", so UN-Sprecher McNorton, "wer diese Operationen durchführt, wie einige von uns internationalen Kräften das tun." [11]

Selbst der Provinz-Gouverneur konnte nicht sagen, ob der Angriff von NATO-Truppen oder von Truppen der US-geführten Koalition geflogen wurde. [12]

Die Teilnahme der Bundeswehr an dem NATO-geführten ISAF-Einsatz ist damit zur Teilnahme an einem Militäreinsatz geworden, der nicht nur das Mandat zur Kriegsführung hat, sondern von diesem auch Gebrauch macht. Es handelt sich um einen Militäreinsatz, der nicht „bloß stabilisiert“ und „sichert“, sondern einen klassischen Krieg mit Bombardements und einer Unzahl von Toten unter der Zivilbevölkerung. In unserem Papier kommen wir deswegen zu folgender Schlussfolgerung: „Die GRÜNEN können sich nicht länger davor wegducken, dass der ISAF-Einsatz ein gesamtafghanischer ist. Er wurde gemeinsam von den NATO-Staaten im Bündnis beschlossen, und es gibt auch einen gemeinsamen Oberbefehl.“

Mit der Ausweitung des von der NATO getragenen ISAF Mandats auf das gesamte Afghanistan ist es auch zu einer wichtigen Veränderung im „Krieg gegen den Terror“ der USA gekommen. Erstmals in Afghanistan ist die NATO zum Instrument des Anti-Terror-Kriegs der USA geworden. Eine solche Indienstnahme der NATO hatte es seit 2001 trotz der Feststellung des Bündnisfalles durch die NATO nicht gegeben. Vor diesem Hintergrund haben die USA einen großen Teil ihrer Truppen dem NATO Kommando der ISAF unterstellt, anfangs also einem britischen General. Sie behalten sich dabei gleichzeitig vor, auch unabhängig von der NATO nach eigenem Ermessen im Rahmen von OEF Krieg zu führen. Die von den USA in Afghanistan unterhaltenen Sondergefängnisse, die die Öffentlichkeit hierzulande anlässlich des Falles El Mazri beschäftigten bleiben ebenso bestehen, wie es auch wohl weiterhin zu grenzüberschreitenden Militäraktionen der USA in Pakistan kommen wird.

Indem sich die NATO in die Führung des Krieges gegen den Terror einbindet, wachsen die militärischen Anforderungen an die NATO-Mitglieder, z.B. in Form von Tornado-Flugzeugen.  US-Verteidigungsminister Gates hat diese neue Rolle der NATO auf der Sicherheitskonferenz in München am 16.2.2007 so beschrieben:

„Wir sehen das an der wahrlich historischen NATO-Mission in Afghanistan, wo Streitkräfte des Bündnisses zum ersten Mal an wichtigen Landgefechten teilgenommen haben, an komplexen Einsätzen in schwierigem Gelände, an Kriegsschauplätzen weit entfernt von Westeuropa.

Die Taliban zahlten vergangenes Jahr in Afghanistan den Preis dafür, dass sie den Kampfesmut der NATO-Streitkräfte herausforderten. Soldaten aus dem Vereinigten Königreich, Kanada, den Niederlanden, Australien, Rumänien, Estland und Dänemark siegten zusammen mit unseren afghanischen Verbündeten in oftmals heftigen Kämpfen in der Provinz Kandahar.“


Diese „historische Mission“ der NATO muss erfolgreich sein und dazu erwarten die USA die Unterstützung ihrer Verbündeten:

„Es ist so, wie die NATO-Bündnispartner erst in Sevilla diskutierten: Wenn wir jetzt die notwendigen Schritte ergreifen, wird die Frühlingsoffensive in Afghanistan unsere Offensive - und sie wird dem Feind der gewählten Regierung, die von der überwältigenden Mehrheit der Afghanen gestützt wird, eine heftige Niederlage bereiten.

In Zukunft wird es von herausragender Bedeutung sein, dass uns der in Afghanistan errungene Erfolg nicht fahrlässig oder aufgrund mangelndem politischem Willen und Entschlossenheit entgleitet.
 
Aber jetzt müssen wir diesen Versprechen Geld und Truppen folgen lassen. Ein Bündnis der wohlhabendsten Industrienationen der Welt mit mehr als zwei Millionen Soldaten – und dabei ist das amerikanische Militär noch nicht einmal mit eingerechnet - sollte in der Lage sein, die Streitkräfte und das Material zu stellen, um in Afghanistan seine Aufgabe zu erledigen - eine Mission, bei der es praktisch keine Kontroversen bezüglich Rechtmäßigkeit, Notwendigkeit oder internationaler Legitimität gibt. Hierbei zu versagen, wäre eine Schande. ..“ [13]

Im Rahmen dieser Indienstnahme der NATO für den „Krieg gegen den Terror“ verlangen USA und NATO-Führung die Aufhebung der Einsatzrestriktionen für die Militärverbände der NATO-Mitglieder und natürlich die Steigerung des militärischen Engagements der NATO-Mitglieder. Auch der ranghöchste deutsche Militär in Afghanistan, General Bruno Kasdorf, (deutscher Stabschef im ISAF-Hauptquartier in Kabul) reiht sich in diesen Chor ein und fordert eine Aufstockung der NATO-Truppen für die Kampfeinsätze gegen die Taliban:

"Wir haben zu wenige Kräfte und nicht die beste Ausstattung", sagte Kasdorf in Kabul. Einige tausend zusätzliche Soldaten könnten einen großen Unterschied machen. Die Isaf habe schon jetzt zu wenige Truppen und sei auf jede Unterstützung angewiesen, sagte er. "Da sind 40.000 Soldaten in der Tat ganz eng genäht", kommentierte Kasdorf die derzeitige Isaf-Stärke. Der General sagte, gemessen am Kosovo-Einsatz müssten in Afghanistan 800.000 Soldaten stationiert werden. Die Nato-Truppe könne zwar militärisch nicht von den radikal-islamischen Taliban besiegt werden. Ohne zusätzliche Truppen werde der Einsatz aber länger dauern.“ [14]

 

Der SPD-Fraktionsvorsitzende Struck bläst ins gleiche Horn: „Wir haben schon fast 3000 Soldatinnen und Soldaten dort. Wenn der Führungsstab der Streitkräfte meint, es seien mehr erforderlich, bin ich dazu auch wirklich bereit.“ [15]

Wie ist der von Dir mitverfasste Bundestagsantrag vom 12.6.2007 in diesem Zusammenhang zu verstehen? Darin habt Ihr gefordert, darauf zu drängen, dass dabei die an der OEF beteiligten Staaten weiterhin Ressourcen für die ISAF-Mission zur Verfügung stellen, um die Strukturen und Ressourcen der ISAF zu stärken,“ [16] Tretet Ihr für die Aufstockung der ISAF-Truppen und auch der Bundeswehr in Afghanistan ein? Soll Deutschland „seine bisher für OEF angezeigten Spezialkräfte in den Dienst von ISAF“ stellen, wie es Außenpolitiker Guttenberg (CSU) und Klose (SPD) fordern? [17]

Zur Debatte und Abstimmung im Bundestag steht mithin die Unterstützung der Teilnahme der Bundeswehr an einem Kriegseinsatz der NATO, die Indienstnahme derselben für den US-„Krieg gegen den Terror“. Sicherlich ist auch mit der Anforderung von einigen Tornado.-Flugzeugen nicht das letzte Wort in Hinblick auf eine weitere Verstrickung Deutschlands in den Afghanistan-Krieg gesprochen. Zur Debatte und Abstimmung steht nicht ein militärischer Einsatz, wie ihn sich mancher in der GRÜNEN Bundestagsfraktion wünscht, sondern die Zustimmung zu der blutigen Realität eines NATO-Kriegs mit Flächenbombardements und Tausenden zivilen Opfern.

Noch einige kurze Anmerkungen zu einzelnen Passagen unseres Positionspapiers, an denen Du in besonderer Weise Anstoß genommen hast:

1. Du wendest Dich dagegen, dass wir die ISAF Truppen als Besatzungstruppen bezeichnet hätten. Du schreibst:

„Wenn Du der Bundeswehr oder den ISAF-Truppen vorhältst, sie wären Besatzungstruppen, ist das ein starkes Stück.“

Nicht nur wir, auch andere nehmen diese Charakterisierung vor. Citha Maaß von der Stiftung Wissenschaft und Politik hat etwa in einem Papier Folgendes formuliert:

„Dass die deutschen Truppen und auch Zivilisten bei den Anschlägen und Kampfhandlungen nicht ausgespart bleiben, zeigt, dass die Deutschen in Afghanistan als Teil der Besatzungstruppen und Bündnispartner der Karsai-Regierung wahrgenommen werden.“ [18]

Bei dieser Gelegenheit wollen wir an Dich die Frage stellen, ob Du die OEF Truppen in Afghanistan als „Besatzungstruppen“ bezeichnen würdest. Denn in Eurem Antrag an den Bundestag vom  12.6.2007 schreibt Ihr, dass es für die Anwesenheit der OEF Truppen in Afghanistan keine „rechtlich ...tragfähige Grundlage“ gäbe, zumal es an an einem „Stationierungsabkommen (Status of Forces Agreement) mit der afghanischen Regierung fehle, „das die Befugnisse der Streitkräfte im Land rechtlich regelt“.



2. Weiter findest Du
„Parallelen zur sowjetischen Besatzungszeit, die mehr als 1 Million Afghanen und 15.000 sowjetischen Soldaten das Leben gekostet hat“ „fehl am Platz“. Leider führst Du keine Gründe dafür an, deswegen können wir Deine Position nicht nachvollziehen. Wir bieten für unsere Sichtweise dagegen eine Argumentation an.

Auch weist Du „Vergleiche mit der Situation im Irak“ zurück. Wiederum lieferst Du keine Gründe. Auch mit dieser Parallele stehen wir gesellschaftlich nicht allein, in den Medien ist jede Woche von der Irakisierung Afghanistans die Rede. In unserem Positionspapier haben wir beispielhaft den „Tagesspiegel“ zitiert.

 

3. Ferner meinst Du, wir bewegten uns  „hart an der Grenze politischer Seriosität“, vermutlich bereits jenseits dieser Grenze. Du schreibst: „Bist Du tatsächlich der Auffassung, regierungsamtliche Verschwörungstheoretiker hätten sich da was ausgedacht, um „einen ohnehin schon durchgeplanten Krieg“zu beginnen?“

Auch hier fällt der Verzicht auf Argumente auf. Wir finden es völlig legitim auf einen „Beweis, dass der 11.9. von Afghanistan aus organisiert worden sei“ zu pochen. Selbstverständlich spricht allerhand für diese These. Dennoch hielt es die US-Regierung bislang nicht für notwendig auch nur den Versuch einer derartigen Beweisführung z.B. vor dem UN-Sicherheitsrat oder innerhalb der NATO zu unternehmen. Die USA verlangten nach dem 11.9. schlichte Gefolgschaft. Es wäre aus unserer Sicht sicherlich förderlich, wenn – wie bei jedem schlichten Haftbefehl – konkrete Beweise präsentiert würden.

In diesem Zusammenhang kritisieren wir den Bericht der US-amerikanischen Untersuchungskommission aus dem Jahre 2004 („The 9/11 Commission Report: Final Report of the National Commission on Terrorist Attacks upon the United States”) und geben zu bedenken, dass dieser „von Ungereimtheiten und Auslassungen“ strotze, „so dass dieser kaum geschichtlich überdauern und die finale Erkenntnis über die Anschläge sein dürfte [19] .

 

4. Du behauptest, ein Abzug der NATO-Truppen würde „die Menschen in Afghanistan erneut dem Bürgerkrieg... überlassen“. Damit tust Du so, als wenn es zur Zeit dort keinen Bürgerkrieg geben würde. Dem ist nicht so. Deswegen ist die Alternative, ob der Bürgerkrieg mit oder ohne NATO-Beteiligung stattfindet. Dass internationale Truppen den Sieg für eine bevorzugte Seite herbeiführen können, haben die Sowjets in den 80er Jahren auch angenommen. Sie sind gescheitert.

 

5. Ausdrücklich zurückweisen möchten wir Deinen Vorwurf, wir seien quasi Trittbrettfahrer politsicher Stimmungen: „Es gehört ... kein sonderlicher Mut dazu, in Krisenzeiten den Abzug der Soldatinnen und Soldaten aus Afghanistan zu fordern.“ Wir haben bereits 2001 (z.B. auf dem GRÜNEN Parteitag in Rostock) den Mut aufgebracht, gegen die damals dominierende Kriegsstimmung den Afghanistan-Krieg in Form der Operation Enduring Freedom zu kritisieren. Wir glauben nicht, dass dies die richtige Ebene der Auseinandersetzung ist und raten, inhaltliche Argumente vorzutragen.

Unseres Erachtens ist eine weitere Stärkung des NATO/ISAF-Einsatzes eine Sackgasse. Du und Andere in der Bundestagsfraktion schweigen sich über die zeitliche Dauer des Einsatzes aus. Du schreibst, dass Du „das Risiko für die Soldatinnen und Soldaten noch verantwortbar“ findest. Wir fragen: Wie lange noch? Denn wir nehmen die Stimmen aus den Regierungsparteien sehr ernst: Struck sprach unlängst von 10 Jahren. Ist das auch Dein Zeithorizont?

Die Realität ist, dass in Afghanistan Krieg geführt wird und Deine Trennung in OEF-, Nord- und Süd-ISAF künstlich ist. Die afghanischen Aufständischen halten sich nicht an diese Definitionen und damit sind sie nicht realitätstauglich. Es geht nicht um die Zustimmung zu einem zivil-militärischen Robin-Hood-Einsatz, sondern um die Zustimmung zu einem sehr realen blutigen Krieg.

Wir alle, die GRÜNE Bundestagsfraktion und Partei, sollten uns darauf einstellen, dass die Bundesregierung im Herbst die verschiedenen Afghanistan-Mandate bündeln und gemeinsam zur Abstimmung stellen wird – möglicherweise sogar verbunden mit der Entsendung weiterer Truppenteile. Guttemberg (CSU) und Klose (SPD) bereiteten mit ihrem Beitrag für die Frankfurter Allgemeine am 29.6.2007 den entsprechenden Boden:

„Es stellt sich die grundsätzliche Frage, ob es weiterhin sinnvoll ist, das notwendige begrenzte Engagement Deutschlands in drei unterschiedliche Mandate zu fassen, die sich vielfach überschneiden. Besonders deutlich wird dies im Hinblick auf den Tornadoeinsatz, dessen Trennung von Isaf konstruiert ist...“

Diese Zusammenfassung der Mandate wird den Realitäten des Afghanistan-Krieges gerecht und schafft vielleicht auch in den GRÜNEN Diskussionszusammenhängen mehr Klarheit. Denn zu dieser politischen Linie wird man sich verhalten müssen: Entweder trägt man den gesamten Kriegseinsatz mit oder lehnt ihn ab. Rosinenpickerei, die auf der künstlichen Trennung von ISAF und OEF oder gar Nord-ISAF versus Süd-ISAF beruht, wird nicht länger möglich sein. Du und Deine KollegInnen in der Bundestagsfraktion werdet Euch entscheiden müssen und wir hoffen sehr, dass Ihr gegen das Gesamtpaket stimmen werdet und damit einen wichtigen politischen Schritt Richtung Ausstiegsstrategie geht.

Wilhelm Achelpöhler, Münster

Uli Cremer, Hamburg

 

17.Juli 2007

 

Kontakt:

Uli Cremer 0160 / 81 21 622 - cremer@gruene-friedensinitiative.de

Wilhelm Achelpöhler 0171 / 17 17 392 - achelpoehler@gruene-friedensinitiative.de

 Ser Breif von Jürgen Trittin findet sich hier...

Das Positionspapier von uns findet sich hier...

 



[1] http://www.tagesschau.de/aktuell/meldungen/0,1185,OID7019792_TYP6_THE6760856_NAV_REF1_BAB,00.html

[2] Wahlprgrammentwurf des Bundesvorstands 21.6.2005  Rn 1955

[3]   Bundestagswahlprogramm 2005, S.110

[4]     Plenarprotokoll 16/02 Seite 59 – Du selbst hast an der Abstimmung offenbar nicht teilgenommen

[5]     Joschka Fischer Interview Süddeutsche Zeitung 18.10.2001

[6]     BT-Drs. 16/5587

[7] FAZ 25.6.2007

[8]     http://www.tagesschau.de

[9]     http://www.tagesschau.de/aktuell/meldungen/0,,OID6385802_REF1,00.html

[10]    http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,470232,00.html

[11]    http://www.tagesschau.de/aktuell/meldungen/0,,OID6758622_REF1,00.html

[12]    http://www.tagesschau.de/aktuell/meldungen/0,1185,OID6717790_REF1_NAV_BAB,00.html

[13]    http://www.uni-kassel.de/fb5/frieden/themen/Sicherheitskonferenz/2007-gates-dt.html

[14] http://www.tagesschau.de/aktuell/meldungen/0,1185,OID7019792_TYP6_THE6760856_NAV_REF1_BAB,00.html

[15] zitiert nach Süddeutsche Zeitung 4.7.2007

[16]    http://dip.bundestag.de/btd/16/055/1605587.pdf

[17] Karl-Theodor zu Guttenberg und Hans-Ulrich Klose: Ein einziges Mandat für Afghanistan, in FAZ 29.06.2007

[18]    Citha D. Maass  Afghanistan: Staatsaufbau ohne Staat SWP-Studie 2007/S 04, Februar 2007,  http://www.swp-berlin.org

[19] S. David Ray Griffin: The 9/11 Commission Report, Omissions and Distortions, Northampton 2004

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