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Uli Cremer in "Sozialismus 10/07"

DIE GRÜNEN nach ihrem Afghanistan-Parteitag

 

Vom Göttinger Sonderparteitag der GRÜNEN meldete die dpa am gleichen Abend: Es sei überraschend ein Antrag verabschiedet worden, der den Grünen-Abgeordneten empfehle, „bei der Bundestagsabstimmung über das Doppelmandat zum Isaf- und Tornado-Einsatz mit Nein zu stimmen.“ Als die Delegierten nach Hause kamen, waren sie verwirrt: Waren sie auf einer anderen Veranstaltung gewesen? War tatsächlich der Antrag der GRÜNEN Friedensinitiative angenommen worden? Der hatte zwar beachtliche 20% Unterstützung erfahren, aber durchgesetzt hatte er sich nicht.

Nein, die Agentur-Meldungen waren einfach nicht ganz richtig. Dennoch prägte und entschied sie die öffentliche Wahrnehmung über den Ausgang des Parteitages. Denn es folgten entsprechende Nachrichten-Meldungen in Radio und Fernsehen. Als dann noch FDP und CDU/CSU das GRÜNE NEIN zu ISAF als „unverantwortlich“ kritisierten, den GRÜNEN die „Regierungsfähigkeit“ absprachen sowie Schwarz-Grünen Gedankenspielen und Jamaika-Koalitionen eine Absage erteilten, war die Sache gelaufen.

Wen interessierte noch, dass die GRÜNEN Delegierten in Wirklichkeit nur beschlossen hatten, dem kombinierten ISAF-Mandat (inklusive der Tornados) lediglich „nicht zuzustimmen“? Übersetzt: Die Abgeordneten sollten sich entweder enthalten oder mit NEIN stimmen. Um hier völlige Klarheit herbeizuführen, hatte es sogar noch einen schlauen Änderungsantrag gegeben, der die Abgeordneten klipp und klar auf ein NEIN festlegen wollte. Dieser wurde aber nicht mehr abgestimmt, sondern zurückgezogen. Das erwies sich als äußerst klug: Denn die Medien berichteten so, als sei der Änderungsantrag Beschluss geworden. Eine Abstimmung wäre womöglich negativ ausgegangen und hätte das positive Gesamtbild mit einem tiefen Kratzer versehen.

Natürlich kann man die schlampige Arbeit der Journaille geißeln, da Texte nicht gelesen werden oder gar eine böse Verschwörung vermuten, um die GRÜNE Partei in eine „nicht-regierungsfähige Ecke“ zu stellen. Das ist für die Bewertung es Parteitages jedoch völlig nebensächlich, denn die Fehlmeldungen der Agenturen waren m.E. einerseits nicht beabsichtigt, andererseits aber kein Zufall. Die Wahrnehmung der JournalistInnen wurde durch zwei Faktoren beeinflusst, erstens den „Wer-Faktor“ und zweitens den „Stimmungsfaktor“.

Der „Wer-Faktor“

Es macht einen Unterschied, wer einen Antrag einbringt: Der Sieger-Antrag stammte von den Sonderparteitags-InitiatorInnen um Robert Zion als Wortführer (quasi von „RebellInnen“), war mithin eine „Basis-Initiative“. Wenn Unten gegen Oben einen Sonderparteitag erzwingt, ist nahe gelegt, dass die Positionen ganz verschieden sein müssen. (In der Wirklichkeit der Antragstexte war das selbstverständlich nicht der Fall. Nicht nur die Grundlinie war identisch, auch Details wie „Enthaltung empfehlen“ hatte der Bundesvorstand selbst zwischenzeitlich als Einigungslinie ausgegeben.)

Der Stimmungsfaktor

Die vorherrschende Stimmung n Göttingen war „NEIN“: Viele der UnterstützerInnen des Sieger-Antrages redeten so, als wenn sie den Antrag der GRÜNEN Friedensinitiative vertreten würden. Das war der Einzige, der sich konsequent gegen ISAF generell wendete und den Rückzug der NATO-Truppen bis zum 1.Halbjahr 2008 forderte. Wenn sich das GRÜNE Führungspersonal in seinen Reden intern abgrenzte, dann von diesem Antrag, mit dem späteren Siegerantrag wurde in der Diskussion respektvoll umgegangen. Umgekehrt droschen die Leute um Robert Zion auf den Bundesvorstand ein und grenzten sich nicht gegen die GRÜNE Friedensinitiative ab.

So entstand das öffentliche Bild, es lägen zwischen der Bundesvorstandslinie und dem Siegerantrag Welten. Die nachvollziehbaren Versuche des GRÜNEN Führungspersonals nach dem Parteitag zu erklären, was wirklich beschlossen worden sei, hatten keine Chance mehr durchzudringen.


Was von Göttingen bleibt

Wer den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr bzw. der NATO beenden will, darf nicht in den umgekehrten Fehler verfallen und die Unzulänglichkeiten des gefassten GRÜNEN Beschlusses lautstark beklagen. Auch sollte einem die laute und polemische Abgrenzung führender GRÜNER von der Friedensdemonstration in Berlin am 15.9. nicht den Blick verstellen. Verlauf und Beschlussfassung des Parteitag sind unterm Strich unbedingt positiv zu werten. Weil das Ergebnis nicht erwartet war, macht Göttingen Mut, sogar über die GRÜNEN hinaus.

Der Beschluss ist ein Übergangsbeschluss. Nachdem die GRÜNEN 2006 mit dem Einsatz Operation Enduring Freedom gebrochen haben, beginnen sie sich jetzt von ISAF abzuwenden. Zwar kritisieren sie bisher nur Einzelaspekte wie die Tornados oder die NATO-Kriegsführung in Südafghanistan, zu mehr, zu einem richtigen Bruch mit ISAF sind sie im September 2006 noch nicht bereit.

Das überraschendste Detail des Göttinger Parteitages war das desaströse Abschneiden der Tornado-BefürworterInnen. Obwohl der entsprechende Antrag von der Mehrheit der deutschen Europa-Abgeordneten und immerhin 15 MdB eingebracht worden war, erhielt er gerade einmal 10% der Stimmen. So schlecht hatten Daniel Cohn-Bendit & Co. bei einer außenpolitischen Entscheidung zuletzt 1993 bei einem Parteitag zum Bosnien-Krieg ausgesehen.


Afghanistan als Vietnam unserer Tage

Zur Zeit bekennt sich die GRÜNE Mehrheit noch zu ISAF im Allgemeinen und lehnt einen schnellen Abzug der NATO-Truppen ab. Als Hintertürchen ist aber eingebaut, dass ein „Kurswechsel“ der Bundesregierung und NATO bei ISAF zu erfolgen hätte. Erfolge dieser nicht, wäre der weitere Einsatz der Bundeswehr nicht mehr tragbar.

Bei allen Bekenntnissen zu zivilem Aufbau, ist klar, dass die NATO nicht daran denkt, ihre Strategie zu ändern. In den Worten von NATO-Generalsekretär de Hoop Scheffer: „Auch wenn ich weiterhin die Bedeutung des Wiederaufbaus und der Entwicklung unterstreiche, müssen wir aufpassen, dass diese kein Alibi dafür werden, unsere militärischen Anstrengungen zu reduzieren.“ Vielmehr werden Truppenverstärkungen gefordert. Kurzfristig ist von „zwei Bataillonen, also rund 1200 zusätzlich zu den bereits rund 40 000 Soldaten geredet“ . Mit den OEF-Streitkräften stehen inzwischen sogar ca. 50.000 westliche Soldaten in Afghanistan. Die USA stellen mit 23.500 fast die Hälfte. Vor 5 Jahren (2002) waren lediglich 12.000 Soldaten im Land, davon 8.000 unter OEF-Flagge und 4.000 unter ISAF. Die Zahl der Soldaten hat sich also seitdem vervierfacht! Die Sowjetunion hatte in den 80er Jahren knapp über 100.000 Soldaten in Afghanistan im Einsatz.

Von Antje Vollmer, immerhin ehemalige Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, stammt die Formel, Afghanistan entwickele sich zum Vietnam unserer Tage . Dort waren mehrere hunderttausend US-Soldaten eingesetzt. Dass es auch für Afghanistan entsprechende Perspektiven geben könnte, zeigen die Überlegungen des höchsten deutschen Militärs in Afghanistan:

"Wir haben zu wenige Kräfte und nicht die beste Ausstattung", sagte Kasdorf in Kabul. Einige tausend zusätzliche Soldaten könnten einen großen Unterschied machen. Die Isaf habe schon jetzt zu wenige Truppen und sei auf jede Unterstützung angewiesen, sagte er. "Da sind 40.000 Soldaten in der Tat ganz eng genäht", kommentierte Kasdorf die derzeitige Isaf-Stärke. Der General sagte, gemessen am Kosovo-Einsatz müssten in Afghanistan 800.000 Soldaten stationiert werden. Die Nato-Truppe könne zwar militärisch nicht von den radikal-islamischen Taliban besiegt werden. Ohne zusätzliche Truppen werde der Einsatz aber länger dauern.“


Abschied von Fischers Außenpolitik

Das Leitbild einer quasi entbrutalisierten ISAF-Mission wird aber an der Realität der nächsten Jahre in dem Maße scheitern, wie der Krieg in Afghanistan sich intensiviert. Die Erkenntnis, dass der Afghanistan-Krieg nicht zu gewinnen ist, wird sich hoffentlich in der Gesellschaft und auch der GRÜNEN Partei ausbreiten. Dadurch werden die GRÜNEN nicht wieder eine pazifistische Partei, aber Anti-Kriegs-Entscheidungen werden wieder möglich.

Die GRÜNEN haben den Rückzug von der außenpolitischen Konzeption Fischers begonnen. Es ist kein Zufall, dass der afghanische Außenminister Spanta jetzt aus der deutschen GRÜNEN Partei austreten will. Denn er ist (wie die NATO) folgender Auffassung: „Wir benötigen eine umfassende Anti-Terror-Strategie. Das heißt: Entwicklungshilfe, Stärkung der staatlichen Organe und Antiterrorkampf. Die These, man könne ein Element davon isolieren, ist absolut falsch.“

Göttingen hat die innerparteiliche Friedhofsstille der letzten Jahre beendet und bei vielen Mitgliedern, die sich links verorten, neuen Optimismus ausgelöst, dass die GRÜNEN auch in anderen Politikfeldern wieder stärker links positioniert werden könnten.

Startschuss oder Strohfeuer?

Bei allem Optimismus: Dass die GRÜNEN sich tatsächlich von ISAF lösen, ist kein Selbstgänger. Aber Göttingen kann ein Anfang sein: „...dieser Schuss ist kein Warnschuss gewesen, sondern ein Startschuss.“ Die GRÜNE Führungs-Crew ist mit ihrem Militärkurs in die Defensive geraten. Sogar die Fraktionsspitze will dem Parteitagsergebnis ein wenig Rechnung tragen, indem sie in Aussicht stellt, dass zumindest eine Mehrheit der GRÜNEN Abgeordneten sich an den Beschluss hält. Demnach würden im Oktober nicht wieder 26 Abgeordnete für die kombinierten ISAF-Tornado-Einsatz stimmen, sondern ein paar weniger. Die Tornado-BefürworterInnen wirken kleinlauter, arrogante Stellungnahmen, den Parteibeschluss zu ignorieren, sind die Ausnahme. Offenbar haben diesmal tatsächlich einige Abgeordnete Angst davor, nicht wieder aufgestellt zu werden. Das war in der Vergangenheit anders, denn die Ignoranz der Bundestagsfraktion gegenüber friedenspolitischen Parteibeschlüssen ist nicht neu. In der Oppositionszeit 1994-98 war sie an der Tagesordnung. Und die damalige Erfahrung war: Man kommt damit durch. Egal, wie oft man die Basis düpiert hatte, man wurde wieder aufgestellt. Gerade vor diesem Hintergrund darf die Tornado-Strömung nicht unterschätzt werden, hat sie doch eine Vielzahl von Schlüsselpositionen in der Partei inne.

Wenn die Personalentscheidungen 2009 den inhaltlichen Parteibeschlüssen folgen, war Göttingen ein Startschuss, sonst tatsächlich nur ein Warnschuss oder ein Strohfeuer.


Uli Cremer ist Mitbegründer der GRÜNEN FRIEDENSINITIATIVE


La Republica, 4.7.07, S. 6
Süddeutsche Zeitung 6.9.2007: „Nato fordert mehr Soldaten für Afghanistan“
Vergl. Antje Vollmer: Das Vietnam unserer Tage, SZ 1.9.2007
http://www.tagesschau.de/aktuell/meldungen/0,1185,OID7019792_TYP6_THE6760856_NAV_REF1_BAB,00.html
Interview mit Spanta, in: taz 19.9.2007
Robert Zion: Diese Botschaft ging an die Parteispitze, Erklärung 16.9.07

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