18. Februar 2008
GRÜNER friedenspolitischer Kongress:
Auf dem Weg in neue Auslandseinsätze und kein kritischer
Blick zurück
1. Einleitung
In parlamentarischen Oppositionszeiten hat eine politische
Partei die Möglichkeit, politische Konzepte und Strategien
ohne Aktions- und Entscheidungsdruck zu überprüfen,
zu bewerten und zu erneuern. Das können die GRÜNEN
auf ihrem friedenspolitischen Kongress im März 2008 tun,
zu dem wir unseren Diskussionsbeitrag leisten möchten.
Zustande gekommen ist der Kongress durch die Einrichtung
einer friedenspolitischen Kommission Ende 2006, die „ausgehend
von der Außenpolitik unter Rot-Grün, Grundlinien
für zukünftiges friedens- und sicherheitspolitisches
Handeln diskutieren und dem Bundesvorstand entsprechende Vorschläge
machen“ soll. „Dabei sollen auch Verlauf und Ergebnisse
der Auslandseinsätze der Bundeswehr bewertet werden.“
Zur Vorbereitung des Kongresses hat die friedenspolitische
Kommission ein Diskussionspapier vorgelegt, das die zukünftig
gewünschte Positionierung der GRÜNEN in der „Friedens-
und Sicherheitspolitik“ skizziert. Das Papier ist eine
traurige Bestätigung des Satzes, es „gehe nicht
um GRÜNE, sondern um deutsche Außenpolitik“.
Es ist von dem Bemühen um Anschlussfähigkeit an
die Regierungspolitik gekennzeichnet. Deshalb unterscheidet
es sich an den wesentlichen Eckpunkten nicht von dem Weißbuch
der Bundeswehr, SWP-Veröffentlichungen oder entsprechenden
Papieren anderer Parteien, die auf Bundesebene Regierungsverantwortung
trugen oder tragen
Dass GRÜNE Politik sich inzwischen überwiegend
im bundesdeutschen sicherheitspolitischen Mainstream bewegt,
ist natürlich an sich nicht neu. Es muss allerdings betont
werden, da das angesprochene Diskussionspapier die Attitüde
des GRÜNEN Andersseins weiterhin hochhält. Dass
man Mainstream-Positionen vertritt, erklärt das Papier
damit, dass die Anderen die GRÜNEN Positionen übernommen
hätten (quasi so wie in ökologischen Fragen eben
auch). Die AutorInnen versteigen sich entsprechend zur These,
die „Außen- und Sicherheitspolitik Deutschlands“
habe „sich mit der Regierungsbeteiligung der GRÜNEN
gewandelt“. Die Realität ist leider genau umgekehrt:
„Einschneidende Veränderungen“ hat es bei
den GRÜNEN außenpolitischen Konzepten und der Programmatik
gegeben, nicht bei denen der Anderen. In der Außen-
und Sicherheitspolitik gab es 1998-2005 Kontinuität.
In der Konsequenz hat die „Gewaltfreiheit“ für
die GRÜNEN inzwischen die Rolle eines alten Familienmöbels
angenommen, das man pietätsvoll erhält, das aber
von keinem großen praktischen Nutzen mehr ist. Nach
wie vor wird sie als „Grundsäule grüner Politik“
bezeichnet. Während einstmals Friedenspolitik nur mit
gewaltfreien Mitteln ausgetragen werden sollte, ist dieser
Anspruch inzwischen in die Zukunft verlagert worden. „Grüne
Friedens- und Sicherheitspolitik zielt...“ nur noch
auf „Gewaltfreiheit“. Damit ist die Programmatik
in Einklang mit der politischen Praxis der letzten 10 Jahre
gebracht worden, in der die Beteiligung Deutschlands an Kriegen
und der Umbau der Bundeswehr zu einer offensiv ausgerichteten
Armee unterstützt wurde.
Entsprechend haben „viele Pazifistinnen und Pazifisten“
gerade nicht „ihre politische Heimat“ bei den
Grünen „gefunden“ (S.3), sondern der Partei
den Rücken gekehrt. Die umgekehrte Behauptung im Diskussionspapier
ist schlicht unehrlich. Heute gibt es in der Partei sicher
noch den ein oder anderen Pazifisten, aber das ist vermutlich
in der SPD oder der Linkspartei auch so.
Mehrheitlich bekennt sich die GRÜNE Partei heute zum
Militär. Forderungen nach Abschaffung der Bundeswehr
oder Überwindung der NATO gehören der Vergangenheit
an. Das vorgelegte Diskussionspapier setzt sich daher die
Aufgabe zu klären, unter welchen Bedingungen das deutsche
Militär eingesetzt werden und wie es dafür aussehen
soll. In dieser Diskussion sind die GRÜNEN keineswegs
die Vorreiter, vielmehr haben Andere, z.B. die CSU sogar bereits
entsprechende Beschlüsse gefasst . Auch in Fachkreisen
ist die Debatte schon länger im Gange, z.B. meldete sich
der eine „Sachverständige“ der friedenspolitischen
Kommission, Volker Perthes von der SWP im Mai 2007 mit einem
entsprechenden Beitrag in der „Internationalen Politik“
zu Wort . Und wir können hinzufügen, dass die GRÜNEN
Ausarbeitungen sich von der politischen Konkurrenz inhaltlich
nicht allzu sehr unterscheiden.
2. Wie hat sich die internationale Lage gewandelt?
Nachdem Blockkonfrontation und Rüstungswettlauf zwischen
West und Ost Geschichte sind, wird Deutschland von keinem
Staat mehr bedroht. Die militärischen Ambitionen Deutschlands
sind jedoch gewachsen und reichen heute weit über Europa
bzw. das NATO-Gebiet hinaus: Deutschland wird am Hindukusch
verteidigt, lautet die Formel. Aus Deutschlands Streben nach
“mehr Verantwortung” im Rahmen des westlichen
Weltordnungsregimes entwickeln sich deutsche Kriegsaktivitäten.
Aus der Bundeswehr ist eine "Armee im Einsatz" geworden,
die in vielen Teilen der Welt tätig ist. Was 1991 mit
Minensuchboten im Mittelmeer und Sanitätssoldaten in
Kambodscha begann, manifestiert sich heute in den Kriegsschiffen
vor der Küste des Libanon ebenso wie in dem militärischen
Engagement auf dem Balkan oder in Afghanistan. Dabei erfolgen
die militärischen Einsätze stets im Team, entweder
im Rahmen der militarisierten EU oder der Neuen NATO.
In Zeiten der Blockkonfrontation bereitete die NATO den Atomkrieg
vor, bis heute nimmt sie für sich das Recht auf den Ersteinsatz
von atomaren Waffen in Anspruch.
Die in der NATO zusammengeschlossenen Staaten hatten ein gemeinsames
Interesse in ihrer Gegnerschaft zur Sowjetunion. Der gemeinsame
Gegner ist entfallen. Heute wird die NATO selbst zum Schauplatz
der Konkurrenz der in ihr zusammengeschlossenen Staaten.
Heute sind die USA nicht nur NATO-Führungsmacht, sondern
die einzige verbliebene Weltmacht. Das militärische Potenzial
der USA ist beispiellos. Daraus leitet die USA den Anspruch
ab, die Welt nach ihren Maßstäben zu ordnen. Die
militärische Aufrüstung der USA hat nach dem 11.September
2001 einen erheblichen Schub erhalten. Ihre Funktion liegt
nicht so sehr im viel beschworenen „Krieg gegen den
Terror“, sondern darin, die Welt nach den Interessen
der USA zu gestalten und auszurichten. Wer sich dem entgegen
stellt, wird auf der „Achse des Bösen“ verortet
und muss im äußersten Fall damit rechnen, mit einem
Krieg überzogen zu werden. Nicht jedes Mal ist die NATO
dabei die bündnispolitische Plattform: Für die vom
UN-Sicherheitsrat nicht legitimierten Kriege in Afghanistan
und im Irak setzte die US-Regierung auf „Koalitionen
der Willigen“, die die Einflussnahme verbündeter
Staaten auf ein Minimum reduzieren.
Potentielle Rivalen sind nicht nur die aufstrebenden Mächte
Indien oder China, sondern nicht zuletzt die EU und Russland
bzw. ein Bündnis Beider. Die US-Planungen, Raketenabwehrsysteme
in Tschechien und Polen zu stationieren, sollen die Gräben
zwischen den kerneuropäischen EU-Ländern der Euro-Zone
(dem „alten Europa“) und dem „neuen Europa“
vertiefen und die Kooperation zwischen EU und Russland torpedieren.
Es ist keineswegs so, dass Konflikte nur durch die Anderen
heraufbeschworen werden, z.B. durch „neue weltpolitische
Akteure“, die „in ein kooperatives Weltsystem“
(S.2) eingebunden werden müssen, durch „die hegemoniale
Politik Russlands gegenüber den ehemaligen Sowjetrepubliken“,
oder durch die USA, wenn diese „mittels einer Präventivdoktrin
(preventive strike) völkerrechtswidrige Angriffskriege
zu legitimieren“(S.8) suchen. Die EU oder auch Deutschland
sind nicht neutral und stehen als Militärmächte
nicht über den Dingen, sondern sind Konfliktbeteiligte.
Nicht zuletzt sind sie mit den USA verbündet.
3. Eine andere Bundeswehr?
Das Diskussionspapier fordert „eine andere Bundeswehr“.
Diese soll im Schwerpunkt nicht Landesverteidigung, sondern
„Friedenssicherung im multilateralen Verband“
machen, also „Stabilisierungseinsätze“ fahren.
Bedauert wird, dass der entsprechende „Umbau der Bundeswehr...
beileibe nicht vollendet“ sei. Das sieht übrigens
der Leiter des Planungsreferats der Politischen Abteilung
der NATO, Michael Rühle, genauso: „Die hohe Zahl
deutscher Soldaten in Auslandseinsätzen darf nicht darüber
hinwegtäuschen, dass die Entwicklung der Bundeswehr zur
‚Einsatzarmee’ nicht vollendet ist.“ Er
ist übrigens auch zum Kongress der GRÜNEN eingeladen,
so dass die Gemeinsamkeit der Positionen noch genauer abgeklopft
werden kann.
Im Weißbuch der Bundeswehr von 2006 werden die Aufgaben
der Bundeswehr mit leicht anderer Wortwahl beschrieben: „Internationale
Konfliktverhütung und Krisenbewältigung einschließlich
des Kampfes gegen den internationalen Terrorismus sind auf
absehbare Zeit ihre wahrscheinlichsten Aufgaben. Sie sind
strukturbestimmend und prägen maßgeblich Fähigkeiten,
Führungssysteme, Verfügbarkeit und Ausrüstung
der Bundeswehr.“ Natürlich kann man sich über
die Effektivität der ein oder anderen Maßnahme
streiten, aber was wollen die GRÜNEN Kommissionsmitglieder
im Kern anders machen? Ihre Konzeption einer angriffsfähigen
Bundeswehr ist identisch mit der der aktuellen Bundesregierung.
Ein Alternativkonzept für eine wirklich „andere“
Bundeswehr wäre z.B. eines, das sich um die Leitidee
einer angriffsunfähigen Armee (Defensivarmee) rankt.
Dass Deutschland für „die Gewährung umfassender
Sicherheit“ außerdem „mehr zivile Kapazitäten...
sowie mehr polizeiliche Fähigkeiten“ braucht, wird
vermutlich auch jedes Mitglied der aktuellen Bundesregierung
unterschreiben. Die spannende realpolitische Frage wäre,
wie man die gegenwärtige Unterordnung des Zivilen unter
das Militärische aufzuheben gedenkt. Aber diese Frage
wird in dem Diskussionspapier nicht einmal aufgeworfen, damit
hat man offenbar kein Problem.
4. EU-Streitkräfte und NATO-Einbindung
Das Diskussionspapier betont, dass „die Einbindung
deutscher Außenpolitik in die Gemeinsame Europäische
Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) eine unmittelbar
friedensstiftende Funktion hat.“ (S.1) Das gilt offenbar
auch „bei der Bereitstellung europäischer Krisenreaktionskräfte“
(S.9): „Eigene zivile, polizeiliche und militärische
Kapazitäten wurden aufgebaut. Die EU übernimmt mehr
und mehr polizeiliche und militärische Missionen unter
VN-Mandat. Wir begrüßen diese Entwicklung und befürworten
den Ausbau dieser Komponenten.“ (S.10)
Der Ausbau der EU zur Militärmacht vollzieht sich jedoch
in einem politischen Kontext, der keineswegs das von den AutorInnen
gewünschte „Primat des Zivilen“ garantiert.
Und dies dürften diese wissen, da sie als FachpolitikerInnen
Dokumente wie den (abgelehnten) EU-Verfassungsvertrag und
dessen aktuellen Neuaufguss sowie die EU-Sicherheitsstrategie
(ESS ) kennen sollten.
Die gerühmte bisherige „Konzentration auf Soft
Power“ (S.1) seitens der EU erklärt sich nicht
durch ein europäisches „Besser-Sein“ im Vergleich
zu der „militär-orientierten“ USA.
Die von einer Macht gewählten Mittel sind nicht zuletzt
davon abhängig, was im eigenen Arsenal enthalten ist.
Die USA haben dabei als global führende Militärmacht
das größere Spektrum zu bieten. Sie sind insbesondere
in der Lage, Militärinterventionen überall auf der
Welt vorzunehmen. Zwar können sie nicht beliebig viele
Kriege parallel führen, aber Waffen, Transportkapazitäten
und Soldaten für zwei größere sind vorhanden.
Die EU ist dazu augenblicklich (noch) nicht in der Lage. Ihre
Interventionskapazitäten befinden sich derzeit aber im
Aufbau (was ja von den GRÜNEN Diskussionspapier-VerfasserInnen
begrüßt wird).
In den Worten von Robert Kagan, einem wichtigen Vordenker
der Bush-Regierung: „Die militärische Stärke
der Vereinigten Staaten hat in den USA die Neigung wachsen
lassen, diese Stärke auch auszuspielen. Europas militärische
Schwäche dagegen hat zu einer verständlichen Abneigung
gegen Ausübung militärischer Macht geführt.“
Die verbale Zuspitzung ist hier nicht wichtig, sondern der
Grundgedanke. Extrapoliert man diesen in die Zukunft, wenn
die EU bei ihrer militärischen Aufrüstung wichtige
Defizite wie fehlende Transportkapazitäten (Airbus A400M)
oder fehlende moderne Spionagesatelliten beseitigt haben wird,
wäre die Konsequenz, dass die EU-Staaten ihre Positionen
vermutlich dann rabiater und vermehrt militärgestützt
verträten.
Die Geschichte zeigt: Wer sich militärische Mittel zulegt,
benutzt sie auch. Dass sich die EU zur Zeit als eher zivile
Macht geriert, ist Ausdruck nicht vorhandener militärischer
Möglichkeiten.
Prinzipiell lehnt die EU nämlich die von den USA eingesetzten
Methoden keineswegs ab. Schließlich haben die EU-Staaten
in den letzten 15 Jahren an verschiedenen US-geführten
Kriegen teilgenommen, z.B. am 2.Golfkrieg 1991, am Jugoslawien-Krieg
1999 und am Afghanistan-Krieg 2001-?.
Die eigenen Militärpläne der EU verfolgen schließlich
auch nicht den Zweck, Krieg als Mittel der Politik zu ächten
oder zurückzudrängen, sondern es geht darum, autonome
Fähigkeiten für eigene Kriegseinsätze aufzubauen.
Selbst die Präventivkriegs-Idee aus der National Security
Strategy (NSS) 2002 der USA ist der EU nicht völlig fremd.
Insofern gibt es wenig Anhaltspunkte, dass die EU in Zukunft
militärische Instrumente anders gebrauchen würde
und wird als die USA.
Bei allem US-Bashing des Diskussionspapiers hier und dort,
gelten die USA nach den EU-Verbündeten als „wichtigster
Partner“. Denn: „Europa und die USA“ teilen
„viele politische und wirtschaftliche Interessen, vom
Interesse an Demokratie und einer freiheitlichen Ordnung bis
zu offenen Märkten.“ (S.1)
Wie selbstverständlich wird von den VerfasserInnen des
Papiers diese Feststellung zum Ausgangspunkt für weitere
Überlegungen genommen, wie diese „gemeinsamen Interessen“
machtpolitisch durchgesetzt werden sollen. Eine kritische
Betrachtung sind diese „gemeinsamen wirtschaftlichen
Interessen“ offenbar nicht mehr wert. Das war einmal
anders, auch bei den GRÜNEN. Da gab es noch den Gedanken
an eine Kritik des kapitalistischen Wachstums. Offenbar nimmt
in dem gleichen Maß, in dem das kapitalistische Wachstum
der führenden Industrienationen voranschreitet die Kritik
daran ab. Je mehr die wirtschaftlichen Interessen des Westens
auch den letzten Winkel der Erde durchdringen, je mehr andere
Länder nach den eigenen Interessen geordnet werden, desto
leiser die Kritik. Bei den VerfasserInnen des Diskussionspapiers
ist sie ganz verstummt. Dabei sollte doch auffallen, dass
die Durchsetzung dieser Interessen keineswegs friedlich und
ohne Konflikte vonstatten geht. Den USA und der EU ist das
durchaus bekannt. Deshalb rüsten sie sich für solche
Konflikte auf.
Die gemeinsame Interessenlage belegt auch ein Vergleich der
Bedrohungsanalysen in der EU-Sicherheitsstrategie (ESS ) und
der Nationalen Sicherheitsstrategie der USA (NSS ). Beide
definieren die Bekämpfung des Terrorismus und der Verbreitung
von Massenvernichtungsmitteln sowie den Umgang mit so genannten
gescheiterten Staaten, als Hauptbedrohungen, die somit ins
Zentrum ihrer Sicherheitspolitik rücken.
In der Logik der gemeinsamen Ausgangslage betont die ESS
(S. 13): „Es gibt wohl kaum ein Problem, das wir allein
bewältigen können ... Die transatlantischen Beziehungen
sind unersetzlich. In gemeinsamem Handeln können die
Europäische Union und die Vereinigten Staaten eine mächtige
Kraft zum Wohl der Welt sein. Unser Ziel sollte eine wirkungsvolle,
ausgewogene Partnerschaft mit den USA sein.“
Analog die NSS der Ära Bush: „Die Vereinigten
Staaten können ohne die stetige Zusammenarbeit mit ihren
Verbündeten und Freunden in Kanada und Europa wenig Bedeutsames
in der Welt ausrichten.“ Die weitgehende Übereinstimmung
zwischen Nordamerika und Europa bei der Bedrohungsanalyse
basiere [,so die NATO-Stratgie von 1999] darauf, dass sie
„Werte und Interessen... miteinander teilen.“
Das NATO-Bündnis sei nämlich „der konkrete
Ausdruck wirksamen kollektiven Bemühens seiner Mitglieder
um Förderung ihrer gemeinsamen Interessen.“
Diese bestehen in der ökonomischen Ordnung, von der
beide profitieren, sowie in gemeinsamen Rohstoffinteressen.
In den USA wird der Zugang zu Ölquellen seit langem als
„vitales Interesse“ definiert – nicht nur
von republikanischen Regierungen. Z.B. findet sich in Clintons
Sicherheitsstrategie von 1999 der entsprechende Hinweis. Aber
bereits 1979 hatte der damalige demokratische US-Präsident
Carter seine Präsidentendirektive 59 erlassen und darin
den Nahen Osten aufgrund seines Ölreichtums zum vitalen
Interessengebiet erklärt. Sein Verteidigungsminister
Harold Brown hatte den politischen Ansatz so beschrieben:
„Der Schutz der Ölströme aus dem Mittleren
Osten ist Teil unserer lebenswichtigen Interessen. [Zu ihrer
Verteidigung] werden wir jede angemessene Maßnahme ergreifen,
einschließlich der Anwendung militärischer Gewalt.“
Auch die ESS (S. 3) thematisiert die „Energieabhängigkeit“,
die „Anlass zur Besorgnis“ gibt, denn „Europa
ist der größte Erdöl- und Erdgasimporteur
der Welt.“ Der Verbrauch „wird zu 50% durch Einfuhren
gedeckt... zum größten Teil aus der Golfregion,
aus Russland und aus Nordafrika.“ Wenn die aktuelle
NATO-Strategie die „Unterbrechung der Zufuhr lebenswichtiger
Ressourcen“ als „Risiko umfassenderer Natur“
nennt, geht es um die militärische Absicherung genau
dieser Energievorräte.
Im Diskussionspapier heißt es: „Eine sich erweiternde
und vertiefende EU hat eine friedensstiftende Funktion für
Europa.“ (S.10) Da auch das EU-Militär global eingesetzt
wird, drängt sich die Frage auf: Und wie ist die Auswirkung
auf die außereuropäischen Regionen?
Die „friedensstiftende Funktion für Europa“
mag in diesen Wochen im Kosovo zu besichtigen sein. Dort wird
nach Abspaltung des Kosovos von Serbien durch den NATO-Krieg
1999, die einseitige Anerkennung eines neuen Staates betrieben.
Die Bewertung dieses Vorgangs durch die Süddeutsche Zeitung
zeigt auf, dass nicht nur die USA, sondern eben auch die EU
ein frivoles Verhältnis zum Völkerrecht haben:
„Als sei die Abkehr vom Prinzip der Unverletzbarkeit
der Grenzen nicht schon schlimm genug, hat die EU auch noch
ihre Selbstverpflichtung gebrochen, in Krisengebieten nur
mit Rückendeckung der UN einzugreifen. Zu behaupten,
die gültige Kosovo-Resolution der UN decke die faktische
Übernahme eines sich einseitig für unabhängig
erklärenden Kosovo in die Verantwortung der EU ab, ist
Rechtsbeugung. Die einfache Wahrheit ist, dass die Europäer
ohne Auftrag der UN vorangehen. Sie, die der Welt eigentlich
mit gutem Beispiel dienen wollten, führen sich jetzt
auf wie andere Großmächte auch, die ihre Interessen
ohne Rücksicht auf die Schäden durchsetzen, die
sie den Vereinten Nationen damit zufügen.“
Die GRÜNEN im Bundestag billigen diese Politik der EU.
Die Unabhängigkeitserklärung des Kosovo sei „unvermeidbar“
, ein Verzicht auf diese „untragbar“. Nach der
Ankündigung der USA, ein unabhängiges Kosovo anzuerkennen,
sah sich die EU einmal wieder vor die Alternative „mitmachen“
oder „irrelevant“ sein gestellt. Diesmal entschied
sich die EU für das Mitmachen. Dies findet die ausdrückliche
Billigung der GRÜNEN: „Die EU hat nur die Alternative,
diesen Prozess koordiniert zu gestalten oder ihm naturwüchsig
seinen Lauf zu lassen. Sie wird sich für das Erstere
entscheiden.“ Das ist ein GRÜNES “JA”
zur Ordnungsmacht EU, auch wenn dafür der Gründungskonsens
der Vereinten Nationen gekündigt wird, die Achtung vor
der territorialen Integrität des souveränen Nationalstaats
.
5. Proliferation von Atomwaffen
Auch die Non-Proliferationspolitik ist zum Schauplatz der
Konkurrenz von Weltmächten geworden, wie allein die zwei
Beispiele Iran und Indien zeigen. Die USA schließen
aus machtstrategischen Gründen mit Indien ein Abkommen
zur Zusammenarbeit auf dem gebiet der Atomenergie, obwohl
Indien den NPT nicht unterschrieben hat und bis vor kurzem
auch von den USA deshalb mit Sanktionen belegt war. Heute
ist die Atommacht Indien aus Sicht der USA ein willkommener
Faktor zur Eindämmung Chinas. Anders der Iran: er hat
den Atomwaffensperrvertrag (NPT) unterschrieben und gleichwohl
nehmen die USA die Nutzung der Atomenergie durch den Iran
zum Anlass zur Vorbereitung eines Krieges, an dem die EU als
wichtiger Handelspartner des Iran weniger Interesse haben.
Merkwürdig unbestimmt bleibt das Diskussionspapier bei
der Position zur Weiterverbreitung von Atomwaffen. Sicherlich,
möchte man nicht und findet: „Wir brauchen einen
globalen Diskurs auch über die Proliferationsgefahren
der Atomenergie“. Richtig erkannt wird, dass „der
globale Ausstieg aus der Risikotechnologie Atomkraft die beste
Strategie gegen nukleare Proliferation“ ist. Dies wird
jedoch nur „langfristig“ gesehen und es wird keine
Verbindung zum NPT (Atomwaffensperrvertrag) hergestellt. Während
diverse andere internationale Rüstungsbegrenzungsverträge
erwähnt werden, kommt dieser im Papier nicht vor.
Bedauerlicherweise ist aber eben dieser NPT das Proliferationsrisiko
Nr.1. Denn in seinem Artikel 4 ist die weltweite Förderung
der Atomenergie verankert (auf Initiative der Bundesrepublik
Deutschland übrigens). Entsprechend tritt die überwachende
IAEO als Kontrollinstanz einerseits als „Feuerwehr“
auf und soll Feuer löschen. Andererseits hat sie den
Auftrag, Förderungsprogramme für Brandstifter durchzuführen.
Wer Weiterverbreiterung verhindern will, muss zuerst vor
seiner eigenen Tür kehren. Für Deutschland konkretisiert
bedeutet dies: Erstens muss Deutschland der nuklearen Teilhabe
entsagen (Bereitstellung von deutschen Trägersystemen
für US-Atomwaffen) und für den Abzug aller Atomwaffen
aus Deutschland sorgen. Zweitens muss Deutschland kurzfristig
eine politische Erklärung abgeben, dass sie den Ersteinsatz
von Atomwaffen, den sich die NATO vorbehält, politisch
nicht mehr mit trägt und beabsichtigt, einen entsprechenden
Beschluss in der NATO herbeizuführen. Drittens muss Deutschland
seine eigenen AKWs abschalten, und zwar schneller als bisher
vorgesehen. Diese Beschleunigung muss als Zeichen in den Zusammenhang
mit der globalen Gefahr der Weiterverbreitung eingeordnet
werden. Parallel wären ehrgeizige Energieeinsparprogramme
und die Forcierung der erneuerbaren Energien vorzusehen.
Für die GRÜNEN als Partei, die für den Ausstieg
aus der Atomenergie steht, ist deswegen eine Positionierung
gegen den gegenwärtigen NPT dringend geboten.
6. Kriterien für Auslandseinsätze und Verhältnis
zur UNO
Zentrales Anliegen des Diskussionspapiers ist, Kriterien
für Auslandseinsätze der Bundeswehr innerhalb der
GRÜNEN festzulegen. Zuallererst verlangt das Diskussionspapier
dabei eine „Mandatierung durch die Vereinten Nationen“
(S.13). Schließlich ist „unsere Priorität...
die Stärkung kollektiver Friedenssicherung im Rahmen
der Vereinten Nationen“ und man „setzt auf einen
kooperativen Multilateralismus“. Das sieht die politische
Konkurrenz, die CSU, im Grunde genauso: „Jeder Einsatz
der Bundeswehr im Ausland muss in Übereinstimmung mit
dem Grundgesetz, der Satzung der Vereinten Nationen und dem
Völkerrecht, der Bewahrung oder Wiederherstellung des
Friedens und der internationalen Sicherheit dienen. Dabei
streben wir eine möglichst breite multinationale Beteiligung
an, insbesondere unserer Partner in EU und NATO.“
„Multilateral“ statt „unilateral“
unter dieser Losung treten die EU, Russland und China gleichermaßen
dem Anspruch der USA auf eine Rolle als einziger Weltordnungsmacht
entgegen. Gemeint ist damit nicht der Verzicht auf Weltordnungsambitionen,
man will sie nicht den USA überlassen, sondern dabei
sein.
Grundsätzlich wird im Diskussionspapier „Militär
im Rahmen multilateraler Friedenssicherung der Vereinten Nationen“
für „perspektivisch noch unverzichtbar“ (S.12)
gehalten. Wie sieht diese „Friedenssicherung“
aktuell aus? Alle vom UN-Sicherheitsrat beschlossenen Kampfeinsätze
(nach Artikel VII der UN-Charta) werden nicht von der UNO
selbst geführt, sondern privaten Anbietern wie der NATO
übertragen. Diese erhalten ein Mandat, mit dem Segen
der UNO den entsprechenden Einsatz durchzuführen. Die
UN-Organisation selbst ist mangels eigener Streitkräfte
gar nicht in der Lage, derartige Einsätze selbst durchzuführen.
Aus diesem Manko könnte man die Forderung ableiten, die
UNO müsste eine eigene Armee aufstellen oder die einzelnen
UN-Mitglieder (wie z.B. Deutschland) müssten ihre Truppen
der UNO unterstellen. Dies wird jedoch nicht getan. Stattdessen
sollen „VN-geführte Friedensmissionen... Vorrang
vor Militärmissionen“ haben, die z.B. von der NATO
ausgeführt werden. Da es keine einzigen UN-geführten
Kampfeinsatz nach Kapitel VII gibt, geht es bei diesen „Friedensmissionen“
um etwas völlig Anderes, nämlich friedenserhaltende
Einsätze („Blauhelme“). Nur bei diesen sollen
„die Vereinten Nationen... in die Lage versetzt werden,
diese Operationen effektiv durchführen ... zu können.“
In dem Zusammenhang wird „eine größere Unterstützung
von Seiten der westlichen Staaten“ eingefordert. Worin
diese bestehen soll, bleibt unklar.
Die wesentliche Position ist: Das Kampfeinsatz-Monopol der
Nationalstaaten bzw. der Militärpakte (insbesondere NATO)
steht nicht zur Debatte. Militärische Macht soll der
UNO weiterhin vorenthalten werden. Die Funktion der UNO reduziert
sich entsprechend darauf, die Militäroperationen Anderer
zu legitimieren, also mit einem Mandat zu versehen. Leider
ist es keineswegs so, dass in diesem Prozess die UNO den aktiven
Part spielt. Die Initiative geht vielmehr regelmäßig
von den einschlägigen Militärmächten aus, die
die UNO benutzen (wollen), um eigene Einsätze zu rechtfertigen.
Bezüglich der UNO sind zwei Ebenen auseinander zu halten:
Erstens die Grundidee des Weltstaates mit Gewaltmonopol, der
andere Gewaltanwendung ächtet, den Armen und Entrechteten
hilft und anderes Gutes tut. Aus dieser Idee erwächst
die Attraktivität der UNO in der Öffentlichkeit,
die ein UN-Mandat für Militäroperationen erstrebenswert
macht. Ein Kampfeinsatz mit UN-Mandat wird entsprechend als
neutraler Robin-Hood-Einsatz wahrgenommen und deswegen von
den Weltmächten als Rechtfertigung für den Einsatz
ihrer Gewalt gern genutzt.
Die zweite Ebene ist die machtpolitische Realität, die
sich in der UNO als Organisation der Nationalstaaten spiegelt.
Die UN sind kein Parlament, in dem die Staaten der Welt per
Mehrheitsentscheid die Welt gleichberechtigt gemeinsam ordnen
und diese Beschlüsse in gleicher Weise umsetzen. Die
Staaten der UN teilen sich in zwei Gruppen: die Staaten, die
die Welt nach ihren Interessen ordnen können, und jenen,
die geordnet werden. Der Gedanke, dass die Staaten der 3.
Welt über die UN den Industriestaaten Vorschriften machen
könnten ist absurd – der umgekehrte Fall keineswegs.
Ein UN-Beschluss kommt dann zustande, wenn er eine Mehrheit
findet und keiner der 5 ständigen SR-Mitglieder ein Veto
einlegt. Die einzelnen Mächte haben ihr jeweiligen Interessen,
wie die Welt aus ihrer Sicht zu ordnen sei. Diese Ambitionen
geben sie nicht dabei auf, dass sie keine Mehrheit im UN-Sicherheitsrat
als dem eigentlichen Machtorgan der UNO organisiert bekommen.
Dann wird nämlich die ohnehin geplante Militäraktion
nicht unterlassen, sondern in Eigenregie ohne UN-Mandat durchgeführt.
So geschehen beim NATO-Krieg gegen Jugoslawien 1999 oder auch
beim Irak-Krieg 2003 von USA und Britannien mit weiteren Verbündeten.
Auch das Zustandekommen eines UN-Mandats macht einen Krieg
nicht unterstützenswert: Die Aktivitäten gegen den
UN-mandatierten Irak-Krieg 1991 gehören zu den positiven
Traditionen unserer Partei.
Um deutsche Ambitionen, die Welt mitzuordnen, verwirklichen
zu können, fordern die deutschen Bundesregierungen von
Kohl bis Merkel einen eigenen Sitz im UN-Sicherheitsrat. Es
war aber die Regierung Schröder/Fischer, also Rot-Grün,
die die Forderung nach einem deutschen Sitz zu ihrer zentralen
außenpolitischen Kampagne 2004/2005 machte. Aus taktischen
Gründen suchte man die Allianz mit drei anderen Interessenten
(Indien, Japan und Brasilien) und nahm Konflikte in der EU
in Kauf (insbesondere mit Italien).
Das alles hatte mit der GRÜNEN Programmatik von 1998
nicht mehr das geringste zu tun. Damals hatten sich die GRÜNEN
noch den Vorschlag zueigen gemacht, „ständige regionale
Sitze im Sicherheitsrat einzuführen, die nach dem Rotationsprinzip
besetzt werden. Deutschland soll zugunsten diesen Modells
auf die Forderung nach einem eigenen ständigen Sitz verzichten.“
Im 2002er Programm der GRÜNEN blieb dann nur noch „das
langfristige Ziel eines gemeinsamen europäischen Sitzes...
bestehen“. Als nächstes erkannte Außenminister
Fischer (von den GRÜNEN) messerscharf, dass in dieser
Richtung kurzfristig nichts zu wollen ist, denn „Großbritannien
und Frankreich... müssten ... ja ihren ständigen
Sicherheitsratssitz aufgeben.“ Was also tun in der Zwischenzeit,
wenn kurzfristig die Zusammensetzung des Sicherheitsrates
geändert wird? Dann, sagt Fischer im Oktober 2003, „werden
wir uns nicht vordrängeln. Aber die Bundesrepublik Deutschland
wird sicherlich gefragt sein.“
Vor diesem Hintergrund darf sich ein Diskussionspapier nicht
vor diesem Thema wegducken. Zwar behaupten deutsche Parteien
der verschiedenen Couleur seit 1992, dass das Streben nach
dem Sitz im Sicherheitsrat Ausweis von Regierungsfähigkeit
in der Außenpolitik ist sei. Mit der gerne beschworenen
Realpolitik hat das jedoch nicht das Geringste zu tun. Jedes
Jahr verschieben sich die internationalen Gewichte weiter
zuungunsten der europäischen Staaten, so dass ein weiterer
Sitz aus dieser Region immer unrealistischer wird. Es täte
den GRÜNEN gut, diese Wahrheit auszusprechen und die
eigenen Fehler in diesem Zusammenhang einzugestehen. Der Vorschlag
aus dem eigenen 1998er Wahlprogramm ist nicht nur politisch
korrekt und von demokratischem Geiste beseelt, sondern auch
brandaktuell und realitätstauglicher als der Unfug, den
deutsche PolitikerInnen in Regierungsverantwortung seit 16
Jahren treiben. Selbst in der deutschen außenpolitischen
Community fordern übrigens die ersten, dass „Deutschland
aus dem Rennen um ständige Sitze im UN-Sicherheitsrat
aussteigen sollte“ .
7. Parlamentsbeteiligung bei Auslandseinsätzen
Wie auch die CSU halten auch die GRÜNEN AutorInnen die
parlamentarische Kontrolle bei Auslandseinsätzen für
notwendig. Das ist nicht selbstverständlich. Schließlich
hat der Bundestag 2004 unter Rot-Grün die Parlamentsbeteiligung
eingeschränkt. Im Rahmen eines ausgerechnet „Parlamentsbeteiligungsgesetz“
benannten Gesetzes wurden zahlreiche Ausnahmetatbestände
erfunden, u.a. „Bundeswehreinsätze von geringer
Intensität“, bei denen die Regierung seitdem ohne
Bundestagsbeschlüsse Soldaten zu Auslandseinsätzen
entsenden darf. Im Wahlprogramm 1998 hatten die GRÜNEN
noch formuliert „Ein Entsendegesetz lehnen wir ab“
und gefordert, Auslandseinsätze an 2/3-Mehrheiten zu
knüpfen.
8. Auslandseinsätze und nationale Interessen
Hier herrscht auf ersten Blick keine Übereinstimmung
mit der CSU, bei der es heißt:
„Ein Auslandseinsatz der Bundeswehr muss den sicherheitspolitischen
Interessen Deutschlands und den Werten unseres Landes entsprechen.
In unserem vorrangigen Interesse liegt die Verhütung
und Beilegung von Konflikten in Europa und in unmittelbarer
europäischer Nachbarschaft. Darüber hinaus sind
wir besonders an Stabilität in Regionen interessiert,
die für die Sicherheit unserer Handelswege und den Zugang
zu Rohstoffen und Energie relevant sind, in denen Ursachen
für Migration nach Deutschland bzw. in die EU entstehen
können, oder von denen sonstige Gefahrenquellen wie organisierte
Kriminalität oder terroristische Aktivitäten ausgehen
können. Schließlich setzen wir uns für die
weltweite Beachtung der Menschenrechte und des Völkerrechts
ein; daher sollte Deutschland Fähigkeiten für humanitäre
Maßnahmen vorhalten.“
Andererseits wäre die CSU einer Forderung der AutorInnen
nachgekommen: Es „müssen nicht nur die Werte, sondern
auch die Interessen, die einem ... Einsatz zu Grunde liegen,
offen gelegt werden“ (S.13). Leider machen die AutorInnen
dies selbst nicht, hier herrscht Nebelbildung vor. Statt über
Deutschland wird über „Europa“ geredet, das
„auf dem Balkan und in Somalia“ eingegriffen habe.
Wenn an anderer Stelle jedoch betont wird, dass „Europa
und die USA viele politische wie wirtschaftliche Interessen“
teilen, „vom Interesse an Demokratie und einer freiheitlichen
Ordnung bis zu offenen Märkten“ (S.1) ist der Unterschied
zur CSU-Position vielleicht doch nicht zu groß.
9. Anwendung der Kriterien auf Afghanistan-Einsätze
Die beiden Kriterien „Exitstrategie notwendig“
und „Akzeptanz“ (= „belastbare Akzeptanz
in der deutschen Bevölkerung“) legen nahe, den
Katalog einmal auf den prominentesten aktuellen Militäreinsatz
anzuwenden: auf Afghanistan.
Dort gelten bekanntermaßen zwei Mandate: 1. Operation
Enduring Freedom, 2. ISAF .
1) OEF
Für OEF gibt es zwar seit 2001 jährlich erneuerte
Bundestagsmandate, aber kein UN-Mandat. Die USA und ihre Verbündeten
haben sich selbst mandatiert.
Die Regierungen der NATO-Länder sagen: Die USA sind am
11.9.2001 angegriffen worden. Deswegen können sie laut
UN-Charta Artikel 51 das Selbstverteidigungsrecht in Anspruch
nehmen. Das habe der UN-Sicherheitsrat auch anerkannt. Mit
dem von der NATO ausgerufene Bündnisfall wird aus der
individuellen Selbstverteidigung der USA eine kollektive.
Also sei völkerrechtlich alles im Lot.
So ist jedoch nicht: Am 12.9.2001 hat der UN-Sicherheitsrat
die Staaten aufgefordert, „dringend zusammenzuarbeiten,
um die Täter, Drahtzieher und Förderer dieser terroristischen
Anschläge vor Gericht zu bringen, und betont, dass diejenigen,
die den Tätern, Drahtziehern und Förderern helfen,
sie unterstützen oder ihnen Zuflucht gewähren, zur
Rechenschaft gezogen werden.“ (Resolution 1368 (2001))
In der Tat hat er gleichzeitig das Recht auf Selbstverteidigung
anerkannt. Dieses gilt jedoch laut UN-Charta Art. 51 nur solange
„bis der Sicherheitsrat die zur Wahrung des Weltfriedens
und der internationalen Sicherheit erforderlichen Maßnahmen
getroffen hat.“ Das ist jedoch am 28.9.2001 geschehen,
indem der Sicherheitsrat einen umfangreichen Maßnahmenkatalog
zur Bekämpfung des Terrorismus verabschiedete, in dem
kein Militärschlag vorkommt (Resolution 1373 (2001)).
Damit war das Recht auf Selbstverteidigung völkerrechtlich
„erloschen“, bevor die USA und ihre Verbündeten
im Oktober 2001 in Afghanistan einmarschierten.
Dem OEF-Einsatz fehlte also von der ersten Stunde an die völkerrechtliche
Legitimation. Insofern hätte die Mehrheit der GRÜNEN
Abgeordneten diesem Einsatz seit 2001 nach den von der friedenspolitischen
Kommission aufgestellten Kriterien nicht zustimmen dürfen.
Dies ist allerdings trotzdem jahrelang geschehen.
2) ISAF
Der ISAF-Einsatz, der auch die Tornados mitumfasst, basiert
auf einem Mandat nach Kapitel VII der UN-Charta, also einem
Mandat für einen Kampfeinsatz. Es handelt sich also nicht
um einen friedenserhaltenden Blauhelmeinsatz. Begründung
war und ist, dass „die Situation in Afghanistan eine
Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit“
darstelle. Zu Beginn war der ISAF-Einsatz auf Kabul beschränkt,
spätere UN-Mandate weiteten ihn auf ganz Afghanistan
aus. Insofern sind Bundeswehr-Kampfeinsätze im Rahmen
von ISAF in Nord-, Süd-, Ost- oder Westafghanistan völkerrechtlich
gedeckt.
Allerdings ist beim ISAF-Einsatz beim besten Willen keine
Exitstrategie erkennbar. Diese ist laut Diskussionspapier
für Einsätze aber „notwendig“ (S.14):
„Vor einer Mission muss klar und explizit benannt sein,
welche Ziele mit welchen Mitteln bis wann erreicht sein sollen.“
(S.14). Da die Mehrheit der Bevölkerung im Gegensatz
zur Mehrheit des Bundestages den Afghanistan-Einsatz bereits
über einen langen Zeitraum ablehnt, kann von einer „belastbaren
Akzeptanz“ nicht die Rede sein.
Wendeten die GRÜNEN nur diese beiden Kriterien konsequent
an, ergäbe sich eine klare Ablehnung von ISAF. Stattdessen
wird bei jeder Aufstockung der NATO- bzw. Bundeswehr-Verbände
nach einem Strategiewechsel gerufen.
Bis heute ist die grundsätzliche Zustimmung der Mehrheit
der GRÜNEN zu ISAF ungebrochen. Insofern sind wir gespannt,
wie sich der vorgeschlagene Kriterienkatalog auf die GRÜNE
ISAF-Positionierung in den nächsten Monaten auswirken
wird.
10. Der Blick zurück
Die GRÜNE Jugend hatte einige Monate vor Einrichtung
der GRÜNEN friedenspolitischen Kommission eine eigene
„unabhängige Kommission“ eingerichtet, die
einen etwas anderen Auftrag hatte, nämlich „die
grüne Friedenspolitik in der Regierungszeit von 1998
bis 2005 aufzuarbeiten.“ Hier war auch ein detaillierter
Fragenkatalog mit verabschiedet worden, der u.a. Fragen enthielt
wie: „Welche Rolle spielten deutsche RegierungspolitikerInnen
im Vorfeld und während des Kosovokrieges (Hufeisenplan,
Diskussion um Racak, Annex B zum Rambouillet-Vertragsentwurf
etc.)?“ Eine entsprechende kritische Aufarbeitung als
Ausgangspunkt für die Formulierung zukünftiger politischer
Strategien war von der Partei leider nicht erwünscht
.
Da die friedenspolitische Kommission das Thema der rotgrünen
Regierungsjahre nicht gänzlich ausklammern konnte, entschied
sie sich für zwei Kapitel am Ende („Der Blick zurück“
und „Völkerrecht und Schutz der Menschenrechte“).
Hier wird der 1999 aus der Teilnahme am NATO-Angriffskrieg
gegen Jugoslawien resultierende Bruch des Völkerrechts
(der auch von der Mehrheit der GRÜNEN unterstützt
wurde) nicht wirklich bedauert, sondern in ein „schweres
völkerrechtliches Dilemma“ umgedeutet. Es wird
darüber fabuliert, dass man „nur zwischen zwei
falschen Alternativen wählen“ konnte, „zwischen
nicht-mandatiertem Kriegseinsatz und der Akzeptanz schwerster
Menschenrechtsverletzungen vor der eigenen Haustür“
(S.17).
Die Entscheidung auf dem Bielefelder Parteitag war knapp:
Eine nicht unbeträchtliche Minderheit der Partei (darunter
die AutorInnen dieses Papiers) hatte das beschworene „Dilemma“
1999 nicht, sondern lehnte den Angriffskrieg ab, zumal damals
andere Handlungsmöglichkeiten zur Verfügung standen,
aber politisch nicht gewollt waren . Dass diese politischen
Positionen im Diskussionspapier der friedenspolitischen Kommission
nicht vorkommen, hat damit zu tun, dass diese offenbar zu
einseitig mit UnterstützerInnen des NATO-Krieges besetzt
war.
Während bezüglich des Jugoslawien-Krieges das völkerrechtswidrige
Vorgehen eingeräumt wird, geht man über den zweiten
Sündenfall, der nur 2 ½ Jahre später folgte,
nämlich den Afghanistan-Krieg auf der Basis der Koalition
der Willigen unter Enduring Freedom komplett hinweg (s.o.).
Diese Entscheidung, auch von den GRÜNEN viele Jahre mitgetragen,
zeigt, dass Jugoslawien kein „Ausrutscher“ war,
sondern insgesamt ein taktisches Verhältnis zum Völkerrecht
vorliegt. Gelingt es im UN-Sicherheitsrat eine Mehrheit zu
organisieren, nimmt man diese gerne zur Legitimation des ohnehin
geplanten Krieges entgegen. Zeichnet sich Widerstand ab (z.B.
„durch die Weigerung Russlands und Chinas“ (S.17)),
mandatiert man sich eben selbst. Vor diesem Hintergrund ist
das Kriterium der Völkerrechtskonformität für
Bundeswehreinsätze nicht besonders glaubwürdig („Der
Sicherheitsrat... allein ist legitimiert... die Anwendung
von Gewalt zu ermöglichen... Eine Selbstmandatierung
anderer Institutionen, wie der NATO, lehnen wir ab.“
(S.13)).
Um die geschilderten Dilemmata in Zukunft zu vermeiden, möchte
man „die Weiterentwicklung des Völkerrechts vorantreiben,
so dass die Weltgemeinschaft breit legitimierte Entscheidungen
treffen kann und das Dilemma, vor dem wir im Kosovo standen,
aufgelöst wird“ (S.17). Auch dies ist eine Position,
die keineswegs exklusiv-grün ist. Alle NATO-Regierungen
nahmen aus dem Jugoslawien-Krieg das Learning mit, dass das
bestehende Völkerrecht für die eigenen machtpolitischen
Zielstellungen hinderlich war und man dieses daraufhin verändern
(„weiterentwickeln“) müsse. Dann wären
in Zukunft wieder eigene Ambition und Recht in Einklang.
Soweit verständlich. Nur wie soll so etwas umgesetzt
werden? Sollen Russland und China im Rahmen einer UN-Reform
die Veto-Rechte entzogen werden? Wenn ja: Warum sollten diese
beiden Mächten das mit sich machen lassen? Sieht so die
viel beschworene „Realpolitik“ und „Regierungsfähigkeit“
aus? Es ist schon bemerkenswert, dass Utopien und fundamentalistische
Forderungen auch in NATO-Kreisen vorkommen.
11. Fazit
Mit der von der friedenspolitischen Kommission vorgelegten
außenpolitischen Konzeption wird ein eigenständiges
GRÜNES Profil in diesem Bereich weiter aufgegeben. Es
werden von CDU/CSU, SPD und FDP ausgetretene Pfade beschritten.
Demgegenüber halten wir es für erforderlich, die
positiven Traditionslinien GRÜNER Friedenspolitik wieder
zu beleben. Hierzu haben wir im letzten Jahr in der Gründungserklärung
der GRÜNEN FRIEDENSINITIATIVE einige Vorschläge
gemacht . Wir müssen die Fehler, Versäumnisse und
Sünden der rotgrünen Jahre gemeinsam aufarbeiten.
Nur wer das Falsche der Vergangenheit benennt und eingesteht,
reduziert die Wahrscheinlichkeit, dass es wiederholt wird.
Nur wer aus den Fehlern der eigenen Geschichte lernt, kann
die Zukunft positiv gestalten.
Uli Cremer
Wilhelm Achelpöhler
Kontakt:
Uli Cremer 0160 / 81 21 622 - cremer@gruene-friedensinitiative.de
Wilhelm Achelpöhler 0171 / 17 17 392 - achelpoehler@gruene-friedensinitiative.de
www.gruene-friedensinitiative.de
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