Uli Cremer
Buchbesprechung: Fischers rot-grüne
Erinnerungen
Joschka Fischer hat 2007 den ersten Teil seiner Memoiren veröffentlicht
und präsentiert sich dabei als schlechter Historiker:
Obwohl er in den 80er Jahren gegen Pershing-II und Cruise
Missiles engagiert war, ist ihm die Abfolge der Ereignisse
durcheinander geraten. Bekanntlich beschloss die NATO erst
(nämlich am 12.12.1979) die Raketenstationierung und
danach (am 27.12.1979) marschierte die Rote Armee in Afghanistan
ein . Im Grunde wird hier die alte NATO-Propaganda der 80er
Jahre neu aufgewärmt. Kanzler war ab Frühjahr 1983
Helmut Kohl, ein Mann, den Fischer inzwischen bewundert: „Zugegeben,
in meiner ersten grundsätzlichen Positionierung über
die zukünftige Außenpolitik findest sich sehr viel
von Helmut Kohl wieder. Aber gerade in dieser historischen
Begründung für Verlässlichkeit und Kalkulierbarkeit
der deutschen Außenpolitik wie auch in der Europapolitik
stand ich dem abgewählten Kanzler seit einigen Jahren
sehr nahe, und zwar aus Überzeugung.“
Hinsichtlich der Ausführungen, die Fischer über
seine eigentlichen Amtsgeschäfte von 1998 bis 2001 macht
(für die weiteren Jahre ist ein zweiter Band angekündigt),
sind die zur Teilnahme am NATO-Krieg gegen Jugoslawien aufschlussreich
und lesenswert. Natürlich wird vielfach die bekannte
NATO-Propaganda wiederholt, aber Fischer lässt kompromittierende
Themen nicht einfach aus. Allerdings schweigt er zu wichtigen
Fragen der Verantwortlichkeit, die seine Person betreffen.
Insofern ist die Forderung nach einem Bundestagsuntersuchungsausschuss,
der die Verantwortung der Bundesregierung (insbesondere von
Schröder, Scharping und Fischer) bei der Vorbereitung
und Durchführung des NATO-Angriffskrieges auch nach über
8 Jahren noch aktuell.
Der Krieg wurde bekanntlich parallel zur Bildung der rotgrünen
Koalition im Oktober 1998 in die Wege geleitet. Als ein UN-Mandat
für den Krieg nicht erreichbar schien, einigten sich
die NATO-Botschafter am 9. Oktober auf ein Papier, das den
Angriff dennoch juristisch „legitimierte“. Am
12.Oktober morgens titelte entsprechend die Herald Tribune
„Alle Nato-Nationen unterstützen Militäraktion
gegen Milosevic“. Stunden später folgte der operative
Aktivierungsbefehl der NATO, der dann die formale Grundlage
für den Krieg im Frühjahr 1999 bildete (Vorratsbeschluss).
In seinem Buch erzählt Fischer die Geschichte anders:
Schröder und er hätten bei ihrem Antrittsbesuch
in Washington am 9.Oktober nett geplaudert und Verständnis
dafür gefunden, „dass Deutschland jetzt wegen der
Übergangssituation zwischen alter und neuer Regierung
nicht entscheiden könnte“ . Die deutschen Besucher
hätten danach keineswegs dem Verfahren zugestimmt und
so den Weg in den Krieg freigemacht. Vielmehr seien Schröder
und Fischer schon wieder in Bonn gewesen, als sie am 12.Oktober
ein Anruf aus Washington erreichte, man hätte nun doch
gerne eine Zustimmung zum Krieg. Im Laufe des Tages seien
deswegen alte und neue Regierung zusammengekommen, um die
Lage zu beraten. Da die Kriegsentscheidung „in der Sache...
richtig und unaufschiebbar“, zudem „machtpolitisch
... alternativlos“ war, nickte Fischer auf die entsprechende
„Frage von Gerhard Schröder mit dem Kopf. Dann
machen wir das so’, war seine Feststellung.“
Dass die Geschichte sich so zugetragen hat, kann man glauben,
muss man aber nicht. Interessant ist allerdings, dass die
jahrelang kolportierte „Zigarrenlegende“ nun nicht
mehr gilt: „’Fünfzehn Minuten’, erinnert
sich Joschka Fischer..., ‚blieben uns, um über
eine Frage von Krieg und Frieden zu entscheiden.’ Bevor
sie bei Kohl eintreffen, entschließt sich das Duo Schröder
und Fischer zu einem raschen Ja. Ohne UN-Mandat.“
Nach der Grundsatzentscheidung im Oktober 1998 profilierte
sich die deutsche Regierung als Aktivposten bei Vorbereitung
und endgültigen Zustandekommen des Angriffskrieges. Um
die zögerliche Öffentlichkeit in den NATO-Ländern
auf den Krieg einzustimmen, war das sogenannte Massaker von
Racak im Januar 1999 von entscheidender Bedeutung. Die albanische
UCK hatte seinerzeit Leichen von verschiedenen Kampfschauplätzen
in Racak zusammengetragen und präpariert, um so ein serbisches
Massaker à la Srebrenica vorzutäuschen. Der damalige
Chef der Kosovo-OSZE-Mission, William Walker, übernahm
am Ort des Geschehens die PR-Arbeit und beschuldigte die Serben,
„für diese unaussprechliche Grausamkeit“
verantwortlich zu sein; 46 Kosovo- Albaner, die meisten Zivilisten,
seien aus nächster Nähe erschossen worden. Da die
Serben vor ihrem Angriff auf das Dorf die OSZE sowie zahlreiche
Medien informiert hatten, gab es zahlreiche Zeugen für
die Inszenierung. Da die vereinzelten Medienberichte jedoch
nur wenig Beachtung fanden , hing sehr viel von der Untersuchung
der Leichen ab. Diese wurde erst von einem serbisch-weißrussischem
Team vorgenommen, später von einem Team im Auftrag der
EU unter Leitung der Finnin Helen Ranta. Ihre Arbeit wurde
gezielt behindert: „Es gab Druck von verschiedenen Seiten...
Grundsätzlich habe ich in der Racak-Zeit meine Instruktionen
vom deutschen Außenministerium bekommen.“ Deutschland
hatte im ersten Halbjahr 1999 die EU-Ratspräsidentschaft
und deswegen eine Schlüsselposition. Am 17.März
1999, wenige Tage vor Beginn des Krieges, veröffentlichte
Helen Ranta einen Obduktionsbericht, der tendenziell die Walker-Version
stützte. Das war möglich, weil das deutsche Außenministerium
angeordnet hatte, „die brisantesten Ergebnisse der Untersuchungsergebnisse
zurückzuhalten“ . Auch bei der Pressekonferenz
am 17.3. sollte nichts dem Zufall überlassen werden:
„Botschafter Christian Pauls hat mich kurz vor der Pressekonferenz
instruiert.“ Gab Helen Ranta zu Protokoll. Erst zwei
Jahre später ließ sie folgende Bewertung der Ereignisse
folgen: „Ich bin mir bewusst, dass man sagen könnte,
die ganze Szene in diesem kleinen Tal sei gestellt gewesen.
Ich bin mir dessen bewusst. Denn dies ist tatsächlich
eine Möglichkeit. Diesen Schluss legen unsere ersten
Untersuchungsergebnisse genauso nah, wie auch unsere späteren
forensischen Untersuchungen, die wir im November 1999 direkt
vor Ort vorgenommen haben.“
Dass Fischer von all diesen Aktivitäten seines Ministeriums
nichts gewusst hat, ist recht unwahrscheinlich. In seinen
Memoiren heißt es lapidar: „Die finnischen Mediziner
korrigierten die serbisch-weißrussischen Befunde. Der
später veröffentlichte Untersuchungsbericht ließ
für Verschwörungstheorien keinen Raum... Hinrichtungen
und Erschießungen unbewaffneter Zivilisten gehörten
zum Instrumentarium der serbischen ‚Counter Insurgency’-Strategie
im Kosovo...“ Zu den erheblichen Vorwürfen an die
Fischers Adresse findet sich in seinem Buch also nichts.
Obwohl Fischers Buch nicht mit der heißen Nadel gestrickt
wurde (es erschien gut 2 Jahre nach Ausscheiden Fischers aus
dem Amt), wurde wichtige Widersprüche nicht eliminiert.
Einerseits behauptet er ernsthaft, dass die Ankündigung
der Chefanklägerin des Haager Jugoslawientribunals, Louise
Arbour, Milosevic vor dem Tribunal wegen Kriegsverbrechen
anzuklagen „ohne jeglichen politischen Einfluss zustande
gekommen“ sei. Andererseits berichtet Fischer 48 Seiten
früher von einer Quint-Telefonkonferenz vom 31.3.1999,
bei der es um die Frage ging, „ob Milosevic überhaupt
noch ein Partner für uns sein könnte“. Kein
anderer als Fischer selbst „wies darauf hin, dass sich
angesichts der jüngsten, in aller Öffentlichkeit
begangenen Kriegsverbrechen, für die er die volle politische
und persönliche Verantwortung trage, viel mehr die Frage
nach dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag stellen würde.“
Im Buch erfahren LeserInnen aber auch pointiert Neues. War
man während des Jugoslawien-Krieges 1999 davon ausgegangen,
dass die Diskussionen und Beschlussfassungen innerhalb der
NATO-Strukturen abliefen, belehrt uns Fischer eines Besseren.
„Diese Fünferrunde der westlichen Außenminister
(das waren: USA, D, UK, F und I - UC), die sogenannte ‚Quint’,
nicht der NATO-Rat, war das eigentliche politische Steuerungsgremium
während des Kosovo-Krieges, in dem die politischen Fragen
angesichts der militärischen und politischen Entwicklungen
detailliert und zeitnah diskutiert sowie informell Entscheidungen
vorbereitet und getroffen wurden.“ Soviel zur gelebten
Demokratie innerhalb der NATO.
Wen politische Selbstbeweihräucherung nicht abschreckt,
der mag mit kritischem Verstand Fischers „Die rot-grünen
Jahre“ lesen. Er bzw. sie wird dort auch zu den Themen
Europa-Politik und Fischers Verhältnis zu GRÜNER
Partei sowie ParteifreundInnen Erhellendes finden.
Uli Cremer
Gekürzte Fassung erschien in der Zeitschrift Friedensforum
1/2008
Vergleiche: Joschka Fischer: Die rot-grünen Jahre,
Köln 2007, S.209
Ebenda, S.84
Ebenda, S.104
Gunter Hofmann, Wie Deutschland in den Krieg geriet, Die Zeit,
12.Mai 1999, S.18
FAZ 18.1.99
In Deutschland berichteten u.a. die WELT 22.1.99 („Der
Krieg um die 40 Toten von Racak im Kosovo
Massaker oder „nur" die Opfer eines Tages?“)
und die Berliner Zeitung 13.3., 18.3. und 19.3.99
„Fragen Sie mich das nicht“, Interview mit Helena
Ranta, in: Jungle World, 18.August 1999
„Indizien deuten auf ein Massaker in Racak hin“,
in: Neue Zürcher Zeitung, 18.3.99
ARD-Magazin Monitor, 8.2.2001
Joschka Fischer: Die rot-grünen Jahre, Köln 2007,
S.120
Ebenda, S.230
Ebenda, S.182
Ebenda, S.167
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