01.12.2012
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mit Fußnoten...
Afghanistan: Märchen vom Truppenabzug
2014 neu aufgewärmt
Von Uli Cremer
Da die Bundesregierung einen neuen „Fortschrittsbericht“
veröffentlicht und eine Beschlussvorlage für das
neue Afghanistan-Bundeswehr-Mandat vorgelegt hat, gibt es
dieser Tage wieder eine mediale Märchenstunde zu Afghanistan.
Obwohl die Bundesregierung klar sagt, dass auch nach 2014
Bundeswehr-Soldaten in Afghanistan stationiert sein sollen,
fabulieren die meisten Medien etwas vom „Truppenabzug“.
Im Fortschrittsbericht heißt es klipp und klar: „Auch
nach 2014 sollen internationale Soldaten in Afghanistan stationiert
bleiben...Die Bundesregierung hat sich bereit erkla¨rt,
sich an diesem Einsatz zu beteiligen.“
In Wirklichkeit soll also nur die Zahl reduziert werden.
Neu sind die vorgelegten Zahlen: Bis Februar 2014 soll die
Truppenstärke von 4.400 auf 3.300 reduziert werden, aber
man beachte das Kleingedruckte: „soweit die Lage dies
erlaubt und ohne dadurch unsere Truppen oder die Nachhaltigkeit
des Übergabeprozesses zu gefährden“. Der GRÜNE
MdB Frithjof Schmidt schließt messerscharf: „...wenn
im März 2014 noch 3300 Soldaten in Afghanistan sind,
ist ein Abzug der Kampftruppen bis Ende 2014 nicht umsetzbar.
Die Truppen werden nicht abgezogen, sie werden einfach ab
2014 in eine neue NATO-Mission überführt. Schwarz-Gelb
plant bisher eine unbegrenzte Laufzeitverlängerung des
Afghanistaneinsatzes.“ Vor einer solchen Laufzeitverlängerung
bis 2024 hatten bereits im Vorfeld der letzten Mandatsverlängerung
im Januar 2012 224 GRÜNE Mitglieder in einer taz-Anzeige
gewarnt.
Bezüglich der Zahlen nach 2014 schweigt man sich im
Kabinett weiter aus. Das werde gerade noch in der NATO diskutiert.
In den informierten Medien wird von 35.000 NATO-Soldaten ausgegangen,
darunter 1.500 Bundeswehr-Soldaten. Damit wird die Mission
auf ein Drittel reduziert – mehr nicht. Darüber
wurde in den letzten 12 Monaten schon mehrfach auf der Website
www.gruene-friedensinitiative.de informiert.
Dass es um den NATO-Krieg seit Jahren nicht so gut steht,
wie regierungsseitig bisher behauptet wird (aber auch von
der Mehrheit des Bundestages), belegt die Veröffentlichung
von Bundeswehr-Einsatzberichten durch die WAZ. Diese Dokumente
sind mit „VS – nur für den Dienstgebrauch“
gestempelt und waren bisher nur dem Bundestagsabgeordneten
des Verteidigungsausschusses bekannt. Nur wenige dieser MdBs
haben sich trotz Kenntnis dieser Berichte kritisch zum Afghanistankrieg
geäußert, geschweige denn bei den diversen Bundeswehr-Mandatsverlängerungen
mit NEIN gestimmt. Die WAZ resümiert: „Wöchentlich
werden hunderte Anschläge und Angriffe protokolliert,
in allen Teilen des Landes. Es gibt Berichte über schwere
Sprengstoffanschläge auf deutsche Militärfahrzeuge,
über verlorene Drohnen der Bundeswehr, über Kämpfe
und Verluste. Nicht einmal die wichtigste Strasse rund um
Afghanistan ist sicher zu nutzen. Damit ist klar: Selbst die
später weicher formulierten Kriegziele der militärischen
ISAF-Führung werden nicht erreicht. Es ist nicht gelungen,
eine effektive Regierung und verlässliche Institutionen
in Afghanistan zu schaffen.“
Ein Indiz, dass der Afghanistan-Krieg nicht erfolgreich beendet
werden wird, sind auch die Evakuierungspläne für
Afghanen, die aktuell für deutsche Hilfsorganisationen
oder die Bundeswehr als Übersetzer, Fahrer, Köche
etc. arbeiten. Minister de Maizère stellte klar, dass
Deutschland hier eine Schutzpflicht habe. Der GRÜNE MdB
Omid Nouripour schätzt die Zahl der zu Evakuierenden
auf 3.000, mit engeren Familienangehörigen an die 10.000.
Er gesteht auch ein, „dass wir viele, viele Ziele, die
wir uns gesteckt haben, überhaupt nicht erreicht haben“.
Das liegt selbstverständlich nicht daran, dass der Einsatz
an sich falsch war, sondern er glaubt, „dass das in
erster Linie auch daran liegt, dass wir wahnsinnig viele Fehler
gemacht haben.“
Aber warum wird das NATO- bzw. das Bundeswehrkontingent reduziert,
obwohl die Kriegsziele bisher nicht erreicht wurden? Die erste
Antwort ist, dass inzwischen über einen anderen Waffenmix
der Krieg mit weniger Personal zu führen ist. In anderen
Worten: Der vermehrte Einsatz von Drohnen macht es möglich.
Es ist schließlich nicht so, dass der Krieg wirklich
beendet werden soll. Außerdem sollen die afghanischen
Hilfstruppen stärker in die Pflicht genommen werden.
Was die Reduktion des Bundeswehrkontingents aber auch zeigt,
ist, dass dieser Militäreinsatz von Entscheidungen Anderer
abhängt. Weil die USA ihr Engagement herunterfahren,
reduziert Deutschland ebenfalls. Ein wichtiges deutsches Motiv
ist eben, den eigenen Einfluss im NATO-Bündnis durch
Mitmachen zu bewahren bzw. zu stärken. Der Krieg wird
nicht um Menschenrechte und Mädchenschulen geführt,
sondern ist im Kern ein „Bündniskrieg“. Man
ist „gemeinsam rein gegangen“ und bleibt jetzt
erst mal „gemeinsam drin“. Ob es zu einem „gemeinsam
raus“ kommt, werden erst die nächsten Jahre zeigen.
Das Kalkül, durch militärische wie finanzielle Beiträge
Einfluss auf die Ordnungspolitik in Zentralasien zu nehmen,
ist für Deutschland insoweit aufgegangen, als es immer
mal wieder Afghanistankonferenzen ausrichten darf und die
Afghanistan-Kontaktgruppe leitet – wie der aktuelle
Fortschrittsbericht des Regierung betont: „Deutschland“
ist „Koordinator der Kontaktgruppe, fu¨hrt den Vorsitz
in ihren Sitzungen und entwirft deren Tagesordnung.“
(Fortschrittbericht, S. 6)
Für einen Versöhnungsprozess in Afghanistan gelten
laut Bundesregierung folgende Vorbedingungen: „der Bruch
mit dem internationalen Terrorismus, der Verzicht auf Gewalt
und die Anerkennung der afghanischen Verfassung einschließlich
ihrer Gebote zum umfassenden Schutz der Menschenrechte.“
(Fortschrittsbericht, S.5) Da die gegenwärtige Verfassung
nur von einer Bürgerkriegsseite ausgearbeitet wurde,
wird hier also der Kompromiss in der Unterwerfung der anderen
Bürgerkriegspartei gesehen. Das kann natürlich nicht
funktionieren. Der Shorish-Friedensplan, der von mehreren
afghanischen Stammesführern getragen wird und auch von
den Aufständischen zu 95% unterstützt wird , sieht
hingegen den „Entwurf einer neuen Verfassung“
vor, „die durch die traditionelle Loya Jirga beraten
und beschlossen wird“ . Außerdem bedarf es nach
diesem Plan einer Übergangsregierung, d.h. also der Absetzung
des gegenwärtigen Karsai-Regimes. Der Truppenabzug der
NATO soll über direkte Gespräche zwischen ISAF und
den Aufsta¨ndischen geregelt werden.
Aus alledem folgt, dass auch bei der nächsten Abstimmung
im Bundestag im Januar 2013 keinen Grund gibt den Afghanistan-Einsatz
der Bundeswehr zu verlängern. Denn die NATO ist in Afghanistan
Teil des Problems, nicht der Lösung.
Uli Cremer
1.12.2012
Kontakt:
Wilhelm Achelpöhler 0171 / 17 17 392 - achelpoehler@gruene-friedensinitiative.de
Uli Cremer 0160 / 81 21 622 - cremer@gruene-friedensinitiative.de
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