07.12.2012
GRÜNE und Patriots: Deeskalieren durch
Miteskalieren?
Von Uli Cremer.
Das vom Bundeskabinett verabschiedete Mandat vom 6.12.12
bestätigt, dass es zwischen der Bundesregierung und den
beiden Oppositionsparteien GRÜNE und SPD keine tiefgreifenden
Meinungsverschiedenheiten hinsichtlich der Verlegung der Patriots
an die syrische Grenze gab und gibt. Offenbar lehnt nur die
LINKE die Maßnahme ab. Jürgen Trittin hat Zustimmung
signalisiert, wenn die Bundesregierung auch noch die Stationierungsorte
für die Patriots verrät. Auch andere GRÜNE
Abgeordnete scheinen sich an den GRÜNEN BDK-Beschluss
vom 16.11.12 zu Syrien nicht gebunden zu fühlen.
Einigkeit besteht darin, dass man dem „türkischen
Wunsch“ nachkommen müsse, es bestehe eine Bündnispflicht
(so auch Jürgen Trittin). Vertraglich gibt es dazu allerdings
keine Grundlage: Der Bündnisfall nach Artikel V des NATO-Vertrages
ist nicht ausgerufen und selbst wenn, gäbe es keine militärische
Beistandspflicht. Andere NATO-Länder könnten auch
das berühmte Beileidstelegramm schicken.
Die dem Wunsch zugrunde liegende Bedrohungsanalyse ist ebenfalls
Konsens zwischen Regierung, SPD und vielen GRÜNEN: Die
Türkei werde potentiell von Syrien bedroht, nicht umgekehrt.
Dass die von der Türkei bestellten Waffen (die Patriots)
gegen bisher erfolgte Granateinschläge auf türkischem
Gebiet völlig ungeeignet sind, weiß jedeR, aber
es ficht manche nicht an. Pünktlich zum Entscheidungstermin
wurde noch eine weitere Bedrohung der Türkei durch syrische
Chemie-Waffen konstatiert. Dem Assad-Regime wurde bedeutet,
der Einsatz von Chemie-Waffen sei „eine rote Linie“.
Bei Überschreitung: NATO-Militärintervention! Umgekehrt
zog das Assad-Regime seine rote Linie und kündigte an,
Chemie-Waffen gegen Staaten einzusetzen, die in Syrien militärisch
intervenierten. Statt rote Linien zu beschwören, die
am Ende in militärische Eskalationsspiralen und Eigendynamik
führen, ist Deeskalation gefragt. Genau darum haben die
Patriots an die syrische Grenze nichts zu suchen.
Der Zusammenhang zwischen Patriots und geplanter Flugverbotszone
wird sowohl im NATO-Beschluss vom 4.12.12 wie auch im deutschen
Kabinettsbeschluss ausdrücklich verneint. Das kann man
glauben, muss man aber nicht.
Denn wie passt das dazu, dass gleichzeitig Medien wie New
York Times und Spiegel über US-Militärplanungen
berichten, mit 75.000 Soldaten in Syrien zu intervenieren
und eine Pufferzone in Syrien einzurichten? „Mit logistischer
Unterstützung der USA soll laut Milliyet die türkische
Luftwaffe auch die Kontrolle des Luftraums über der Pufferzone
übernehmen. Die deutschen Patriots wären in diesem
Szenario dann dafür da, die türkische Luftwaffe
gegen syrische Angriffe zu schützen.“ (Andreas
Zumach in der taz vom 7.12.2012)
Und wie passt es dazu, dass NATO-Generalsekretär Rasmussen
„eine Diskussion darüber eröffnet“ hat,
„ob die Allianz Pläne für ein militärisches
Eingreifen in Syrien erstellen solle“? „Dem Vernehmen
waren Rasmussen selbst, die Türkei, Großbritannien
und die Vereinigten Staaten dafür; Deutschland, Frankreich
und viele andere Staaten waren eher dagegen.“ (FAZ 7.12.2012)
Unterhalb der Schwelle des offenen Einsatzes eigener Soldaten
in Syrien mischen einzelne NATO-Staaten (auch Deutschland)
gemeinsam mit Verbündeten wie Katar und Saudi-Arabien
mit Spionageerkenntnissen, logistischer Unterstützung,
Militärausbildern und Waffenlieferungen schon längst
mit im syrischen Bürgerkrieg! In Riad trafen sich Anfang
November 6 Tage lang Vertreter der Freien Syrischen Armee
mit ausländischen Militärs. „Die ausländischen
Offiziere kamen aus den USA, Jordanien, der Türkei, Katar,
Saudi-Arabien, Frankreich, Deutschland und Großbritannien.
Alle gehören dem informellen Kreis der ‚Freunde
Syriens’ an.“ Das schreibt das ND am 28.11.2012
unter Berufung auf einen Berichte der Beiruter Tageszeitung
„Al Safir“. Es ist eben nicht so, dass die Idee
einer „Flugverbotszone“ eine exklusiv türkische
ist und man von daher die türkische Regierung davon abhalten
müsse, das Projekt voranzutreiben. Die Idee wird seit
Monaten von diversen „Freunden Syriens“ wie den
USA, Frankreich und Britannien propagiert, wie man diversen
Medienberichten entnehmen kann. Wenn, muss man auch noch weitere,
nicht unwichtige NATO-Staaten davon abhalten zu eskalieren.
Es geht nicht allein um „Einhegung der türkischen
Regierung“.
Einmal angenommen, Deutschland habe den Wunsch zu deeskalieren.
Was wäre die geeignete Vorgehensweise, wenn man andere
NATO-Staaten von der Eskalation abhalten will? Die Verlegung
der deutschen Patriots, also die Bereitstellung militärischer
Ausrüstung, die einer Flugverbotszone dienen kann, um
eine Flugverbotszone zu verhindern? Wohl kaum. Eine Strategie
„Verhindern durch mitmachen“ wird nicht funktionieren.
Es ist es naiv zu glauben, dass dem militärischen Handeln
der NATO durch politische Beschlusstexte der NATO selbst irgendwelche
Fesseln angelegt würden. Diese kann sie jeden Tag selbst
ändern. Auch der „restriktive“ Bundestagsbeschluss,
der eine Flugverbotszone im ersten Schritt ausschließt,
ist schnell von der NATO ausgehebelt, wenn „neue Umstände“
es erfordern. Oder glaubt jemand ernsthaft, die Bundesregierung
würde einen neuen NATO-Beschluss verhindern? Wenn doch,
würden OppositionspolitikerInnen von SPD und GRÜNEN
wieder rufen: Sonderweg! Deutschland isoliert sich! Nach der
Libyen-Enthaltung schert Deutschland schon wieder aus dem
westlichen Lager aus! Mit der Stationierung der Patriots beginnt
die Rutschpartie. Deswegen: Wehret den Anfängen!
Der GRÜNE MdB, Omid Nouripour, hat davor gewarnt, die
Patriots-Raketen zu nahe an der Grenze zu stationieren. Gefahr
dabei: Sie könnten militärisches Ziel der Aufständischen
werden, um die NATO in den Krieg hineinzuziehen. Die bisher
diskutierten, aber im deutschen Mandat nicht festgeschriebenen
Stationierungsorte befinden sich allerdings so weit entfernt
von der Grenze, dass die Gefahr nicht wirklich besteht. Zweiter
Effekt: Die Patriots haben nur eine begrenzte Reichweite,
also könnten sie Syrien technisch gar nicht erreichen.
Aber diese technische Grenze existiert nicht, denn die Patriot-Raketen
sind mobile Systeme. Sie sind auf Fahrzeugen stationiert,
die jederzeit weiter an die Grenze oder auch über die
Grenze fahren können. Es ist belanglos, wo sie anfangs
stationiert sind. Im Irak-Krieg 2003 bewegten sich die US-Patriot-Einheiten
flexibel mit der vorrückenden Front. Die einzig sinnvolle
friedenspolitische Option ist, die Patriots dort zu belassen,
wo sie jetzt sind: in Bad Sülze.
In das deutsche Mandat sind wie erwartet auch AWACS-Systeme
integriert. Deswegen lautet das Mandat auf 400 Soldaten, nicht
nur auf 170 für zwei Patriots-Batterien. Für die
deutsche Öffentlichkeit hat die Bundesregierung in ihr
Mandat geschrieben, dass „die bodengebundene Luftverteidigung...
nicht in den syrischen Luftraum hinein wirken“ wird.
Die Absicht ist auf die Patriots als entsprechende Systeme
gemünzt. Nur was ist mit den AWACS, die bekanntermaßen
keine bodengebundenen Luftverteidigungssysteme sind? Das Mandat
untersagt deren militärische Aufgabe, den syrischen Luftraum
auszuspähen, ausdrücklich nicht. Wer nutzt die durch
die AWACS gewonnenen Aufklärungserkenntnisse? Sicher
auch die syrischen Aufständischen - genauso wie diese
bereits von den Spionageerkenntnissen des BND-Flottendienstbootes
im östlichen Mittelmeer profitierten. Insofern dient
das Mandat der weiteren Einmischung in den syrischen Bürgerkrieg
und ist auch deswegen abzulehnen!
Uli Cremer, 7.12.12
Kontakt:
Wilhelm Achelpöhler 0171 / 17 17 392 - achelpoehler@gruene-friedensinitiative.de
Uli Cremer 0160 / 81 21 622 - cremer@gruene-friedensinitiative.de
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