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23.12.2012

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Der Iran-Konflikt – Wie gerieten wir hinein? Und gibt es einen Ausweg?

Von Matthias van der Minde

Bedeutung des Konflikts um das iranische Atomprogramm für eine zukünftige Friedenspolitik

Was ist schlimmer: Die teuflischste Waffe, die jemals entwickelt wurde, in der Hand des iranischen Regimes? Oder ein israelisch-US-amerikanischer Angriff auf Irans Atomprogramm, bei dem die Beteiligten möglicherweise in einen neuen jahrelangen Krieg im Nahen und Mittleren Osten schlittern? Und: Würde ein westlicher Angriff eine iranische Bombe überhaupt verhindern können? Weiter gefragt: Sind dies die einzigen Alternativen? Oder besteht Hoffnung, sowohl einen Krieg als auch einen neuen Atomwaffenstaat verhindern zu können? Obwohl uns der gegenwärtige Konflikt mit dem Iran seit zehn Jahren beschäftigt, sind nach wie vor alle Szenarios möglich. Die Stellschrauben dieses Konflikts sind verteilt auf verschiedene Akteure, insofern ist der deutsche Einfluss, zumal jener einer zukünftigen Friedenspolitik, begrenzt. Doch es ist wichtig, die Geschichte des Konflikts und die unterschiedlichen Perspektiven der Beteiligten zu kennen, denn zu viel Vertrauen ist schon verspielt worden, zu viele Chancen wurden schon vertan.

Phönix aus der Asche: Das iranische Atomprogramm

Irans Nuklearprogramm begann in den 1950er Jahren unter Schah Mohammed Reza Pahlavi: Er ließ tausende Studenten im Ausland Nuklearphysik studieren, kaufte sich in das europäische Urananreicherungskonsortium „Eurodif“ ein und beabsichtigte, bis Mitte der 90er Jahre über 20 Atomkraftwerke im Iran zu errichten. Ob er die Hintertür zu einem militärischen Atomprogramm offen halten wollte, ist umstritten. Bekanntlich sollte der Schah seine ehrgeizigen Pläne nicht mehr umsetzen können. Die Revolutionäre von 1979 verfolgten das Atomprogramm anfangs nur eingeschränkt weiter. Zudem gerieten sie in einen bis heute ungelösten Streit mit dem Westen, insbesondere mit Frankreich: Der Schah hatte eine Milliarde Dollar in eine Eurodif-Anreicherungsanlage investiert, die von der französischen Atomenergie-Kommission errichtet wurde, um später daraus nuklearen Brennstoff beziehen zu können. Doch als die Revolutionäre von 1979 einen anderen Vertrag mit Frankreich kündigten, in dessen Rahmen Frankreich zwei Reaktoren liefern wollte, forderte Frankreich Kompensation für die Vertragskündigung und behielt die eine Milliarde Dollar ein, ohne jemals Brennstoff zu liefern. Hinzu kommt, dass irakische Bomben im irakisch-iranischen Krieg (1980-1988) weite Teile der bislang von Siemens aufgebauten Atomanlagen in Bushehr zerstörten. Das iranische Atomprogramm lag am Boden. Doch dieses scheinbare Ende der iranischen nuklearen Ambitionen sollte gleichsam ihre Wiedergeburt darstellen: Spätestens in jener Zeit müssen die iranischen Führer über die Bombe nachgedacht haben. Saddam Hussein bombardierte den Iran und seine kurdischen Verbündeten wiederholt mit Giftgas und tötete allein dadurch Tausende. Er wurde dabei nicht nur vom Westen unterstützt – über die Hälfte der an der Giftgasproduktion beteiligten Firmen waren deutsche –, der Iran nahm trotz dieser massiven Kriegsverbrechen auch keinen internationalen Aufschrei des Entsetzens wahr. Neben der Isolationserfahrung muss die Frage gestanden haben, welche Aufmerksamkeit und welchen Grad der Unangreifbarkeit der Iran innehätte, wenn er Atomwaffen besäße. Außerdem wurden Gerüchte laut, der Erzfeind Irak strebe nach der Bombe.

Nach Revolution, acht Jahren Krieg und Zerwürfnis mit dem Westen musste der Iran neue Partner finden, wollte er sein Atomprogramm und womöglich den Weg zur Bombe wieder aufnehmen. In den 90ern schließlich erhielt er russische und chinesische Unterstützung beim Abbau von Uranerz, beim Aufbau einer Schwerwasserproduktion, bei der Umwandlung von Uranerz in Uranhexafluorid – notwendig für die zentrifugale Urananreicherung – sowie bei der laserbetriebenen Anreicherung. Doch der Iran schöpfte auch aus anderen Quellen: Der pakistanische Nuklearwissenschaftler Abdul Qadeer Khan hatte mittlerweile ein weltumspannendes Proliferationsnetzwerk aufgebaut, zu dem auch deutsche Personen und Firmen gehörten. Über dieses Netzwerk initiierte Khan erst das pakistanische Atomwaffenprogramm, um danach Staaten wie Nordkorea, Libyen, Irak und eben Iran mit Atomtechnologie, im Falle Irans vor allem mit Zentrifugen, zu versorgen. Der heutige „Iran-Konflikt“ begann 2002. Exil-Iraner verkündeten, was westliche Geheimdienste schon wussten, ohne es beweisen zu können: Der Iran strebe nach einem nuklearen Brennstoffkreislauf, also mindestens nach Urananreicherung und nach ziviler Atomenergienutzung. Ein Jahr später verifizierte die Atomenergieagentur IAEA das bis dato geheime Anreicherungsprogramm im Iran. Auch erste Plutonium-Wiederaufbereitungsvorgänge wurden enthüllt. 2005 gab der Iran zu, von A. Q. Khan mit Anreicherungstechnik ausgestattet worden zu sein.

Seit 2003 verhandeln IAEA sowie Frankreich, Großbritannien und Deutschland mit dem Iran. 2005 stellte die IAEA erstmals offiziell fest: Der Iran verstoße gegen das mit ihr geschlossene Abkommen, nachdem die IAEA den Iran auf ausschließlich zivile Atomenergienutzung kontrollieren sollte. 2006 schließlich überwies die IAEA den Fall an den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Dessen Forderung in Resolution 1696, alle Anreicherungs- und Wiederaufbereitungsprozesse zu stoppen, stellt der Iran das „unveräußerliche Recht“ auf zivile Atomenergie gegenüber, das er als Mitglied im Regime des Nichtverbreitungsvertrags von 1970 gemäß Artikel Vier innehabe. Bis heute ist der Iran der Forderung des Sicherheitsrates nicht nachgekommen. Dieser antwortete mit Sanktionen: Anfangs wurde allen UN-Mitgliedern verboten, das iranische Atom- und Raketenprogramm zu unterstützen (Resolution 1737 [2006]), später generell der Handel mit Waffen oder Gütern, die sowohl zivil als auch militärisch genutzt werden können; ferner wurden Konten eingefroren, Reiseembargos verhängt und zur Inspektion iranischer Schiffe und Flugzeuge aufgerufen (Res. 1747 [2007], 1803 [2008]). Resolution 1835 (2008) enthielt dann bereits keine Sanktionsverschärfungen mehr: die für die Weltgemeinschaft finanziell tragbaren Sanktionen waren ausgeschöpft. Russland, das erwirkt hatte, nach wie vor den Bau des iranischen Bushehr-Reaktors unterstützen zu können, hätte im Sicherheitsrat keine weiteren Maßnahmen mitgetragen. Über Irans Ambitionen wurde indes Widersprüchliches verkündet: Während ein US-Geheimdienstbericht 2007 deklariert, der Iran habe tatsächlich nach der Bombe gestrebt, 2003 aber diesen Plan aufgegeben, betonten andere Geheimdienst- und IAEA-Quellen Hinweise auf die andauernde Existenz solch eines militärischen Programmes (u. a. hochexplosive Sprengstoffversuche, Pläne für unterirdische Tests und Radiusberechnungen von nuklearen Explosionen).

2009 wurde bekannt, dass der Iran nahe der Stadt Gom die unterirdische Urananreicherungsanlage „Fordu“ aufgebaut hat, die befürchten lässt, dass es noch weitere bislang geheime Anlagen gibt. 2010 begann der Iran überdies mit der Anreicherung auf 20 Prozent U-235-Anteil, angeblich allein für die Strahlentherapie. Verhandlungen, erstmals seit 1979 wieder direkt zwischen Iran und USA, angestoßen durch Obama, führten zu keinem Ergebnis: Den ausgehandelten Kompromiss, iranisches Uran im Ausland auf 20 Prozent anreichern zu lassen, verwarfen die iranischen Führer wieder. Im Sommer 2010 einigte sich der Sicherheitsrat im Lichte dieser Entwicklungen erneut auf Sanktionen (Res. 1929): So wurde den UN-Mitgliedern u. a. untersagt, iranische Investitionen im Atomenergiesektor zuzulassen sowie Geschäfte mit bestimmten iranischen Banken zu betreiben; außerdem wurden Ausreiseverbote für Revolutionsgarden verhängt. Zu dieser Zeit kursierte auch der Computerwurm „Stuxnet“, der Computersysteme in der ganzen Welt, vor allem aber im Iran befiel und dort die Fertigstellung des Bushehr-Reaktors verzögerte und die Anreicherungsanlage in Natanz vorübergehend ausschaltete. Heute ist bekannt, dass der hyperkomplexe Wurm auf Geheiß der US-Regierung unter Einbezug israelischer Spezialisten entwickelt wurde. Das iranische Atomprogramm musste noch weitere Rückschläge hinnehmen: Bis 2012 werden vier hochrangige iranische Nuklearwissenschaftler Opfer separater Anschläge – drei starben. Der Iran vermutet Israel hinter den Attentaten. Da der Iran trotz Sanktionen und Sabotage bis heute weiter Uran anreichert und da die IAEA im November 2011 offiziell vor möglichen militärischen Dimensionen des iranischen Atomprogramms warnte, beschloss die EU mit dem Ölembargo im Sommer 2012 die bislang härtesten Sanktionen gegen den Iran. Mehr als die Hälfte dessen Einnahmen stammten laut SPIEGEL aus Ölexporten. Diese seien bereits im Vorfeld des Embargos innerhalb eines Jahres von 2,4 Millionen auf etwa eine Million Barrel gefallen.

Deutungsversuche der iranischen Weltwahrnehmung

Die Revolution 1979 fegte mit dem Schah einen der engsten Verbündeten des Westens in der Region hinweg. Während die wirtschaftlichen Verflechtungen vor allem zwischen Europa und Iran zumindest bis zur heutigen Sanktionspolitik wieder zunahmen, ist das politische Verhältnis seit der Revolution vergiftet. Viele im Westen werden den Iran in etwa wie folgt wahrnehmen: Seit der Revolution herrscht in dem rohstoffreichen Land ein islamistisches, diktatorisches Mullah-Regime, das zugelassen hat, dass die US-Botschaft Anfang der 1980er über ein Jahr lang in Geiselhaft genommen wird, das die Terroristen von Hamas und Hisbollah sowie den syrischen Diktator Assad bewaffnet, das 2009 die Wahlen manipuliert und die Opposition verfolgt, gefoltert und ermordet hat, das den Holocaust leugnet und das im Verborgenen nach der Atombombe strebt, um womöglich seinen erklärten Erzfeind Israel von der Landkarte zu tilgen.

Die Perspektive des iranischen Regimes und auch der iranischen Opposition wird hingegen völlig anders aussehen: Der Westen hat das Revolutionsregime nie als neue Machthaber anerkannt. Er arbeitet auf einen Regime Change hin. An Verträge hat er sich nicht gehalten. Im Krieg hat er den Irak finanziell unterstützt, dessen Herstellung von Giftgas durch westliche Firmen ermöglicht und den irakischen Einsatz dieser chemischen Massenvernichtungswaffe nicht durch Sanktionen oder Protest geahndet. Durch seine Interventionen in der islamischen Welt hat der Westen den Iran umzingelt. Auch mit dem Westen verbündete Atomstaaten kreisen den Iran ein. Das eigene Atomprogramm, zu dem der Iran laut Nichtverbreitungsvertrag berechtigt ist, erkennt der Westen nicht an. Dabei misst er mit zweierlei Maß, denn Staaten wie Israel und Indien, die sich niemals IAEA-Kontrollen unterworfen haben und den Weg bis zur Bombe gegangen sind, werden nicht bestraft, sondern politisch und wirtschaftlich umworben und integriert. Das iranische Atomprogramm nehmen USA und Israel dagegen zum Anlass, einen Militärschlag gegen den Iran vorzubereiten. Der Westen hat den Iran trotz der liberalen Politik des damaligen Präsidenten Chatamis 2002 auf der „Achse des Bösen“ verortet. Der Westen stattet die Verbündeten auf der arabischen Halbinsel mit Waffen aus um sie zu regionalen Ordnungsmächten aufzubauen und spricht dort die Menschenrechte nicht an, während er dem Iran Menschenrechtsverletzungen vorwirft und seine legitime Rolle als regionale Ordnungsmacht nicht anerkennt.

Politische Konsequenzen

Trotz harter Sanktionen, trotz Stuxnet, Morden an Nuklearwissenschaftlern und Kriegsdrohungen treibt der Iran sein Atomprogramm voran, ebenso sein Raketenprogramm. Trotz allem reichert der Iran mittlerweile nicht mehr nur in Natanz an, sondern auch in der 2009 aufgedeckten Fordu-Anlage. Trotz allem ging Anfang 2012 das 700 Megawatt-Atomkraftwerk in Bushehr ans Netz. Auch die Schwerwasserproduktionsanlage in Arak wird wohl bald fertiggestellt werden. Sollte der Iran wirklich nach der Bombe greifen wollen, wird ihn wohl niemand aufhalten können. Welchen Effekt ein israelischer und/oder US-amerikanischer Luftschlag auf Irans Atomanlagen haben würde, ist nicht vorhersehbar. Fürsprecher eines Angriffs setzen auf eine begrenzte Reaktion Irans, da dieser einen großflächigen Krieg mit den USA fürchte. Außerdem hoffen die Befürworter auf den Schneeballeffekt: Im Angesicht der Unfähigkeit, das eigene Land vor dem Angriff zu schützen, könnte das iranische Regime mehr und mehr seinen Rückhalt in der Bevölkerung verlieren und vielleicht zusammenbrechen. Gegner eines Angriffs halten die gegenteilige Reaktion des iranischen Volkes für wahrscheinlicher: Ein Angriff würde die verschiedenen Kräfte im Iran gegen den externen Feind zusammenschweißen und im Übrigen das Atomprogramm höchstens verzögern, wenn nicht sogar endgültig einen iranischen Beschluss herbeiführen, die Bombe so schnell wie möglich zu bauen.

So wenig, wie wir wissen, was es mit dem Ziel des iranischen Atomprogramms auf sich hat, so wenig kann Teheran wissen, ob der Westen angreifen wird oder nicht. Zwischen Iran und Westen herrscht keinerlei Vertrauen. Vertrauen ist bei Rüstungskontroll- und Abrüstungsvorgängen jedoch eine notwendige Komponente, da hundertprozentige Transparenz, also komplette Einsicht in die militärischen Einrichtungen Anderer, nicht möglich und nicht wünschenswert ist. Nun lässt sich Vertrauen nicht erzwingen: Die iranische Wahrnehmung des Westens ist nicht direkt beeinflussbar. Als Option bleibt, vorerst kleine politische Kompromisse mit dem Iran anzustreben. Kleine, überprüfbare Erfolge, um eigene Glaubwürdigkeit beweisen zu können. Michael Brzoska, Götz Neuneck und Oliver Meier vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg haben mögliche kurz- und mittelfristig anzustrebende Zielvereinbarungen mit dem Iran formuliert: Der Westen sollte dem Iran die Urananreicherung für zivile Zwecke zugestehen, gleichzeitig aber auf scharfen IAEA-Kontrollen beharren. Der Iran sollte auf die Anreicherung auf 20 Prozent U-235-Anteil im eigenen Land verzichten, dafür aber eventuell benötigtes Uran dieser Form im Ausland erhalten. Als vertrauensbildende Maßnahme sollten andere Staaten ebenfalls ihre Anreicherungsaktivitäten einschränken. Der Iran sollte die Plutoniumproduktion stoppen und den Schwerwasserreaktor in Arak am besten gar nicht fertigstellen. Ferner sollte der Iran vertraulich mit der IAEA die Aufarbeitung seines eventuellen militärischen Atomprogramms vollziehen, ähnlich wie es Südafrika Anfang der 1990er Jahre tat. Im Gegenzug für diese iranischen Maßnahmen sollten die westlichen Staaten gegenüber dem Iran Nichtangriffsgarantien aussprechen und die Sanktionen schrittweise lockern. Die Autoren betonen jedoch die Schwierigkeiten auf dem Weg zu diesen Zielen, vor allem das fehlende Vertrauen sowie die Uneinigkeit über die anzustrebenden Ziele auf beiden Seiten.

Rolle einer zukünftigen Friedenspolitik sowie der Friedens- und Antiatombewegung

Der Irankonflikt fordert grüne, linke, friedensbewegte und gegen Atomenergie kämpfende PolitikerInnen und zivilgesellschaftlich Engagierte heraus: Die allermeisten von uns werden einen Angriff auf Irans Atomanlagen ablehnen – doch eine iranische Bombe ebenso. Ob allerdings ein diplomatischer Weg Erfolg verspricht, ist keineswegs ausgemacht. Und er würde – wie beschrieben – sehr wahrscheinlich beinhalten, dass der Iran weiterhin Uran anreichern und Atomkraftwerke betreiben dürfte. Dem zuzustimmen birgt ein Glaubwürdigkeits- und Gewissensproblem für alle, die Atomenergie ablehnen. Es würde implizieren, dass Atomenergie mancherorts von uns als wirtschaftlich, ökologisch und moralisch untragbar bekämpft wird, während sie im Iran als Mittel zum Zweck, als Verhütung eines noch schlimmeren Übels – der Bombe – legitimiert wird.

llerdings muss kurz- und mittelfristig davon ausgegangen werden, dass sich der Iran nicht in nuklearer Abstinenz üben wird. Dazu ist das Atomprogramm bereits zu sehr zum nationalen, geschichtsträchtigen Projekt geworden – aufgebaut auf den Ruinen des irakisch-iranischen Krieges, verteidigt trotz jahrelanger Sanktions- und Drohpolitik seitens des Westens –; auch die Opposition unterstützt es und würde es im Falle eines Regimewechsels zu ihren Gunsten kaum aufgeben. Zukünftige Friedenspolitik sollte sich jedoch mit dieser Perspektive nicht zufrieden geben: Sie sollte sich dafür einsetzen, Verhandlungen mit dem Iran nicht mehr über die Frage zu führen, inwiefern die Weltgemeinschaft das iranische Atomprogramm akzeptieren oder sogar aktiv unterstützen solle. Stattdessen könnten erneuerbare Energien in den Mittelpunkt der Verhandlungen gerückt werden. Der Iran bietet günstige Bedingungen zum Aufbau von Photovoltaik, Solarthermie, Geothermie sowie von Wind- und Wasserkraftanlagen. Wenn dem Iran die Möglichkeit aufgezeigt würde, mit verlässlicher westlicher Unterstützung seine Energieversorgung in Richtung Effizienz und Erneuerbare umzustellen, fiele es ihm schwerer, sein Atomprogramm zu rechtfertigen, das ja laut Iran allein der zivilen Energieversorgung diene.
Eine solche Politik wäre jedoch nur glaubwürdig, wenn sie die Ansprüche, die sie an den Iran stellt, auch selbst erfüllt. Demnach muss sie auch im Westen für den Ausstieg aus der Atomenergie kämpfen. Dort, wo es wie in Deutschland keine gesellschaftliche Mehrheit für Atomenergie mehr gibt, muss solche Politik beweisen, dass eine alternative Energieversorgung funktionieren kann. International sollte sie für eine Transformation des Regimes des Nichtverbreitungsvertrags werben: Die vertragliche Diskriminierung zwischen Atomwaffenstaaten (USA, Russland, Großbritannien, Frankreich, China) und allen anderen, die keine Atomwaffen besitzen, dafür aber bei der Erschließung ziviler Atomenergie unterstützt werden sollen, war ein Kompromiss aus Zeiten des Kalten Krieges. So sollte die Anzahl der stetig steigenden Atomwaffenstaaten eingefroren werden. Doch erstens rüsten die fünf Atomwaffenstaaten nicht oder nur kaum ab, obwohl es der Vertrag – wenn auch ohne Zeitvorgabe – verlangt, und zweitens birgt das Zugeständnis an alle, zivile Atomenergie nutzen zu dürfen, selbst das Risiko, dass Staaten auf Basis ihrer zivilen Programme nach der Bombe greifen. Friedenspolitik sollte insofern anstreben, den Nichtverbreitungsvertrag durch eine Atomwaffenkonvention zu ersetzen, die solche Waffen illegalisiert. Gleichsam sollte die vertragliche Förderung der Atomenergie durch ein ähnliches Vertragswerk zur Förderung von erneuerbaren Energien abgelöst werden.

Ähnlich wie mit dem Atomkraftdilemma verhält es sich mit unserer Ernsthaftigkeit im Umgang mit Menschenrechten. Das iranische Regime hat 2009 gezeigt, dass es emanzipative Kräfte brutal unterdrückt. Kräfte, deren Vorstellungen von Demokratie und sozialer Gerechtigkeit den unseren nahekommen. Kräfte, die unsere Unterstützung verdient hätten. Auf die es aber bei einer kurzfristigen diplomatischen Entschärfung des Atomkonflikts nicht ankommt. Denn politische Vereinbarungen wie oben skizziert müssen mit dem aktuellen, menschenrechtsverletzenden Regime erreicht werden. Auf einen Regime Change können wir hoffen. Ihn jedoch durch Unterstützung der iranischen Opposition aktiv herbeiführen zu wollen, birgt das Risiko, Entspannungs- und Abrüstungsverhandlungen mit dem Regime zu konterkarieren.
Eine zukünftige Friedenspolitik wäre konfrontiert mit Widersprüchen. Ein sicherlich nicht falscher Weg aller Beteiligten auf westlicher Seite wäre, vom Iran nichts zu erwarten, was selbst nicht eingehalten wird. So soll der Iran seinen Einfluss nicht in der Region ausdehnen, die US-Amerikaner und ihre Verbündeten jedoch haben dort überall Militärbasen und Schiffe. Der Iran soll auf Urananreicherung und die Bombe verzichten, doch NATO-Staaten betrachten ihre Atomwaffen nach wie vor als sicherheitspolitisch unerlässlich. Friedenspolitik sollte sich für Abrüstung im Westen einsetzen, für atomare und konventionelle. Sie sollte deutlich machen, dass sie wirtschaftliche und politische Interessen nicht mehr militärisch durchsetzen wird. Gleichwohl sollte sie menschenrechtsverletzende, militärische und atomare Ambitionen etwa des Iran nicht mit einer Opferrolle angesichts eines übermächtigen Westens interpretieren und legitimieren. Eine solche Politik sollte sich und anderen stets vermitteln, dass eine Atombombe letztendlich immer eine Atombombe ist. Unabhängig davon, ob sie in US- oder iranischer Hand ist – sie ist immer abzulehnen. Ebenso Atomkraftwerke, ebenso militärische Aufrüstung, ebenso Menschenrechtsverletzungen. Wir sollten aber nicht erwarten, Konflikte wie mit dem Iran ließen sich lösen, ohne dabei zumindest einen Teil der eigenen Ideale zu verletzen.

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Eine kürzere Fassung diesen Beitrags erschien im Dezember-Heft der Zeitschrift „Sozialismus“:
Matthias van der Minde

Stellschrauben des Iran-Konflikts
Wie gerieten wir hinein? Und gibt es einen Ausweg?

http://www.sozialismus.de/archiv/sozialismus/2012/heft_nr_12_dezember_2012/



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Wilhelm Achelpöhler 0171 / 17 17 392 - achelpoehler@gruene-friedensinitiative.de
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