16.01.2013
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mit Fußnoten
Mali: Hilferuf, Schutzverantwortung, Militärintervention
Von Uli Cremer
Dieser Tage hat die französische Regierung eine Militärintervention
in Mali begonnen. Nach der Luftwaffe werden inzwischen auch
französische Bodentruppen eingesetzt. Die Militäraktion
wurde anfänglich als reine Defensivmaßnahme verkauft
und völkerrechtlich durch einen Hilferuf der malischen
Regierung legitimiert.
Um mit letzterem zu beginnen: Aber wer ist die malische Regierung?
Wie demokratisch legitimiert ist sie? Bekanntermaßen
war im März 2012 gegen den damaligen gewählten Präsidenten
Touré geputscht worden. Die Putschisten wurden jedoch
international nicht anerkannt und isoliert. Stattdessen wurden
die beiden Politiker Traoré (ernannter Präsident)
und Diarra (ernannter Premierminister) als zentrale Figuren
installiert. Letzterer war zuletzt Microsoft-Chef in Afrika
gewesen. Die Putschisten unter Führung von Sanogo, einem
vom US-Militär ausgebildeten Offizier (an Militärausbildung
hat es also in der Vergangenheit nicht gemangelt), sitzen
keineswegs im Gefängnis, sondern nehmen weiter politisch
Einfluss. Die machtpolitische Basis der beiden zentralen Figuren
ist begrenzt: Traoré begab sich im Frühjahr zwei
Monate zur Behandlung nach Frankreich, nachdem er in Bamako
verprügelt und verletzt worden war. Premier Diarra wurde
Mitte Dezember 2012 vom Militär verhaftet und musste
am 11.12.2012 den Rücktritt seiner Regierung verkünden.
Insofern wurde Traoré gezwungen, einen neuen Premierminister
zu ernennen, nämlich Django Sissoko, der in seiner Karriere
immerhin schon für Weltbank und IWF tätig war.
Die mutmaßlich organisierten Hilferufe aus Bamako erinnern
an jene aus Afghanistan 1979, so dass die französische
Regierung quasi posthum dem sowjetischen Einmarsch nach Afghanistan
neuen Segen verleiht.
Eine Parallele zwischen Afghanistan und Mali ist natürlich
auch die letztlich – Wahlen hin, Wahlen her –
nicht wirklich vorhandene Staatlichkeit der „Staaten“.
Auch die gewählten Regierungen Malis waren kaum in der
Lage, die Kontrolle über das malische Territorium auszuüben.
Manche sprechen in diesem Zusammenhang treffend von „Potemkin’schen
Staat“ . Auch der französische Philosoph Bernard-Henri
Lévy, ein glühender Verfechter der französischen
Militärintervention, sieht das Problem und fragt: „Wie
baut man ein Land auf ohne Staat, wie eine Nation ohne Regierung
und Armee?“ (FAZ 16.1.2013) Der Ruf aus Mali nach einer
ausländischen Militärintervention kommt also von
einem Land ohne Staat und einer Nation ohne Regierung. Und
natürlich ist das gewünschte Ergebnis einer Militärintervention
auch die Installierung einer genehmen örtlichen Regierung,
die die Interessen der Interventionsmächte bedient. Insofern
geht es auch um Einflussnahme Frankreichs auf die malischen
Verhältnisse im Süden.
Das Beispiel Afghanistan zeigt außerdem, dass Konflikte
stets über Verhandlungen und Kompromisse gelöst
werden müssen und dabei eben auch Kräfte wie die
Taliban oder die „Wüstentaliban“(Levy, FAZ
16.1.2012) am Tisch bzw. im Zelt sitzen, denen man wenig Sympathie
entgegen bringt.
Offizieller Anlass für die französische Militärintervention
war, dass die islamistischen Rebellen, die in 2012 die Kontrolle
über Nordmali errungen hatten, nun auch den bevölkerungsreichen
Süden des Landes, in dem über 90% der Bevölkerung
leben, hätten erobern wollen. Sie hätten eine militärische
Offensive gestartet. In den Worten des französischen
Philosophen Bernard-Henri Lévy: Es drohte die Etablierung
einer „Achse des Verbrechens, die zu zerschlagen ohne
den aktuellen Einsatz beinahe unmöglich gewesen wäre.“
(FAZ 16.1.2013 „Warum wir die Pflicht haben, Mali zu
schützen“)
Wie so häufig bei Kriegen, scheint auch diese grundlegende
Argumentation nicht zu stimmen. Christoph Marischka von der
Informationsstelle Militarisierung (IMI) präsentiert
eine komplett andere Version der Geschichte:
„Tatsächlich ist dieser Offensive (der islamistischen
Rebellen, UC) ein Angriff von Teilen der malischen Armee auf
die Stadt Douentza, gute 100km westlich von Konna, vorausgegangen,
die sich seit dem 1. September 2011 unter Kontrolle der Islamisten
befand. Der Militärsprecher, der diese Rückeroberung
noch selbstbewusst verkündete, verband dies gleich mit
der Ankündigung, weiter in den Norden vorzustoßen,
um auch Timbuktu, Kidal und Gao zu befreien. Den Einmarsch
der Islamisten nach Konna, von wo vermutlich Truppen für
die Offensive in Douentza abgezogen wurden, wollte er zu diesem
Zeitpunkt nicht kommentieren. Konkret ging der „Offensive
der Islamisten“ also eine Offensive malischer Militärs
voraus.“ (zitiert nach: http://www.imi-online.de/2013/01/14/regime-change-mal-anders/
)
Natürlich ist völlig unwahrscheinlich, dass Frankreich
von all dem keine Kenntnis hatte. Vor diesem Hintergrund würde
die Öffentlichkeit von der Pariser Regierung dramatisch
hinters Licht geführt. Auch die anfängliche französische
Behauptung, man wolle nur die „Offensive“ aufhalten,
aber keine weiteren militärischen Schritte unternehmen,
erwies sich bereits als Nebelkerze. Inzwischen geht der Feldzug
selbstverständlich um die Rückeroberung von Nordmali
und die militärische Niederwerfung der islamistischen
Rebellen. Hollande sei „fest entschlossen, dass wir
diese Terroristen auslöschen müssen“, lässt
sich der französische Verteidigungsminister vernehmen.
Außerdem sind die französischen Militärmaßnahmen
natürlich nicht spontan erfolgt, sondern zumindest wochenlang
vorbereitet worden. Nur der Befehl kam kurzfristig.
Dass der französische Angriff international und auch
in Deutschland großen Anklang gefunden hat, hängt
damit zusammen, dass kommunikativ die Botschaft, wer die Guten
und wer die Bösen sind, klar rübergebracht wurde.
Wer will schon Partei für islamistische Terroristen ergreifen,
die das Weltkulturerbe in Timbuktu schleifen und die Menschen
in Nordmali Hände abhacken, diese terrorisieren und sie
einem radikalen Scharia-Regime unterwerfen usw.? Hunderttausende
sind schließlich vor dieser Schreckensherrschaft geflohen.
Mit den gleichen Argumenten könnte man natürlich
auf dem syrischen Präsidenten Assad im syrischen Bürgerkrieg
zu Hilfe eilen. Auch für diesen gelten die Rebellen als
Terroristen, kriminelle Banden und Islamisten. Umgekehrt sind
aus westlicher Sicht in Syrien die Islamisten plötzlich
„Freiheitskämpfer“, da sie das westliche
Anliegen nach Regime Change unterstützen.
Das Zauberwort lautet heutzutage natürlich Schutzverantwortung.
Der französische Angriff gilt als Robin-Hood-Einsatz,
der dem Brandschatzen und Morden der Bösen endlich ein
Ende setzt. Böse Zungen sagen allerdings, dass es eher
um die Schutzverantwortung für die Uranminen im Niger
und die noch nicht ausgebeuteten Uran-Vorkommen in Nordmali
geht. Jedenfalls: Der französische Atomkonzern „Areva
zählt zu den diskreten Fürsprechern einer Militärintervention
im Norden Malis“, berichtete die FAZ am 14.10.2012.
Da die französische Regierung die Militärintervention
im Alleingang startete, liegt der Verdacht nahe, dass hier
die französische Ordnungspolitik in Afrika in Anknüpfung
an die Kolonialgeschichte fortgesetzt wird. Auf die Versicherung
von Hollande, man verfolge keine „eigenen Interessen“,
kann man natürlich nicht viel geben. In Wirklichkeit
ist natürlich damit jede gemeinsame EU-Afrika-Ordnungspolitik
torpediert. Die anderen EU-Regierungen können sich nun
mit militärischen Solidarbeiträgen anschließen
und der militärischen Führungsrolle Frankreichs
huldigen.
Statt die französische Militärintervention zu kritisieren,
streitet die deutsche politische Klasse von Schwarz-Gelb bis
Rot-Grün darüber, wie man den Militäreinsatz
am besten unterstützen kann. Es ist geradezu grotesk,
wenn der GRÜNE Fraktionschef Trittin Außenminister
Westerwelle zurechtweist: „Ich würde von einem
Außenminister gerne einmal hören, was geht, und
nicht nur, was alles nicht geht“. Das ist wahrlich keine
Kritik, sondern der laute Schrei nach Intervention. Deutschland
soll sich militärisch an der Afrikaordnungspolitik beteiligen.
De Maizière kündigte inzwischen als erste Maßnahme
an, beim Lufttransport mit Flugzeugen zu helfen.
Wo westliche, von Frankreich angezettelte Militärinterventionen
hinführen, zeigt das libysche Beispiel. Der dortige Regime
Change führte dazu, dass tausende Tuareg-Kämpfer
Libyen verließen und in ihre Heimat (u.a. Mali) zurückkehrten.
Im Gepäck hatten sie reichlich Waffen, mit denen sie
den malischen Regierungstruppen aus Nordmali vertrieben und
dort einen eigenen Staat mit Namen Azawad ausriefen. Allerdings
übernahmen nach wenigen Monaten islamistische Kräfte
die Kontrolle in der Region. Der Tuareg-Separatismus wurde
allerdings international nicht unterstützt, weder vom
Westen (analog Südsudan oder Kosovo), noch von Russland
(analog Südossetien oder Abchasien).
Zuletzt sei noch einmal darauf hingewiesen, dass die Probleme
in Mali direkte Folge des NATO-Militäreinsatzes in Libyen
sind. Auch nach zwei Jahren erweist sich also die deutsche
Enthaltung im UN-Sicherheitsrat als sehr klug.
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Wilhelm Achelpöhler 0171 / 17 17 392 - achelpoehler@gruene-friedensinitiative.de
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