20.03.2013
Syrien: Frieden schaffen mit immer mehr westlichen
Waffen?
Von Uli Cremer
Immer lautstärker wird in der EU und auch in Deutschland
über die Lieferung von Waffen an die syrischen Aufständischen
debattiert. Wie in solchen Fällen üblich, wird auf
die Unterlegenheit der „guten Seite“ (syrische
Opposition) gegenüber der „bösen Seite“
(syrische Regierung) verwiesen. Diese müsse ausgeglichen
werden – gerade angesichts der russischen und iranischen
Waffenlieferungen an das Assad-Regime. Ausgerechnet Frankreich,
das von 1918 bis 1946 schon einmal seine Ordnungsvorstellungen
im syrischen Raum mit militärischen Mitteln durchsetzte,
steht an der Spitze derer, die eine Aufhebung des EU-Embargos
verlangen. Auch die britische Regierung will die Rebellen
aufrüsten. In Deutschland wird die Forderung vom ehemaligen
Außenminister Fischer unterstützt: „Ich persönlich
tendiere dazu, über die Bereitstellung von Waffen an
die Opposition nachzudenken“ (dpa 17.3.2013) Sein Kumpel
aus Frankfurter Tagen, der GRÜNE MdEP Cohn-Bendit, formuliert
es klarer: „Die EU sollte Waffen an die Kräfte
der syrischen Opposition liefern, die nicht dem islamistischen
Fundamentalismus angehören.“ Auch eine Flugverbotszone
solle eingerichtet werden (Siehe: http://www.thueringer-allgemeine.de/web/zgt/politik/detail/-/specific/Cohn-Bendit-bei-der-Fruehlingslese-Westerwelle-ist-ein-Billig-Pazifist-964623247)
Die entsprechenden militärischen Fähigkeiten hätte
nur die NATO. Wie schon im Kosovokrieg 1999 und im Libyenkrieg
2011 würde die NATO bei Übernahme dieser Aufgabe
zur Luftwaffe der Rebellen.
Auf der anderen Seite steht die Bundesregierung, insbesondere
Außenminister Westerwelle, den Cohn-Bendit neuerdings
als „Billig-Pazifist“ beschimpft. Die Ankündigung
aus Paris, der syrischen Opposition Waffen liefern zu wollen
und dazu „das bis Mai verlängerte EU-Waffenembargo
gegen Syrien zu umgehen“ wurde in Berlin laut FAZ vom
15.3.2013 so aufgenommen: „In der Bundesregierung verursachte
der Vorstoß Empörung.“ Dem kann man sich
eigentlich nur anschließen.
Verläuft die politische Front also ähnlich wie
beim Libyen-Krieg 2011, als Deutschland als internationaler
Kriegsdienstverweigerer in Erscheinung trat? Innerhalb der
EU offenbar, denn neben der deutschen sind auch andere Regierungen
und sogar auch die EU-Außenbeauftragte Ashton „not
convinced“. Aber wie verlässlich sind die Positionierungen
der deutschen Akteure? Im Gegensatz zu 2011 wirkt die Bundesregierung
eher zittrig und signalisiert Richtung Brüssel Offenheit
bis Einknicken. Merkel äußerte, „sie habe
ihre Meinungsbildung noch nicht abgeschlossen, so wie das
in ‚Deutschland insgesamt’ noch nicht der Fall
sei.“ (FAZ 16.3.2013) Die SPD gibt sind in Person des
stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Gernot Erler kämpferisch:
„Die einzige folgerichtige Reaktion des Außenministers
wäre gewesen, einen Versuch anzukündigen, Frankreich
und Großbritannien von der Aufhebung des EU-Waffenembargos
abzuhalten. Hier einfach in die falsche Richtung hinterher
zu rennen, wird auf entschiedenen Widerstand der SPD stoßen.“
(Presseerklärung vom 14.3.2013) Seitens der Grünen
erkannte der Sprecher für Sicherheitspolitik der Bundestagsfraktion,
Omid Nouripour, messerscharf, dass die Waffen nach einem Regime-Wechsel
im Land bleiben würden. „Komischerweise hat keines
der Länder, die jetzt Waffen an die syrischen Rebellen
liefern wollen, eine Idee, wie man sie nach Assad wieder einsammelt“,
sagte er. (FAS 16.3.2013) Sollte Cameron oder Hollande dazu
einen schlauen Vorschlag machen, würde möglicherweise,
man weiß es nicht, Omid Nouripour eine Position beziehen.
Denn die erste öffentliche und deutliche Grenzüberschreitung
im Syrienkrieg haben die beiden genannten Oppositionsparteien
gemeinsam mit der Bundesregierung begangen, als sie –
nach anfänglicher Skepsis - im Dezember 2012 die Patriots
in die Türkei schickten. Kleinere deutsche Spionagedienstleistungen
für die Aufständischen vernachlässigen wir
einmal für den Moment (Vergleiche dazu: http://www.gruene-friedensinitiative.de/texte/120919_syrien.pdf
S.11f).
Dennoch: Wenn nicht noch mehr Öl ins syrische Feuer
gegossen werden soll, ist Westerwelle-Bashing fehl am Platz.
Vielmehr muss man jetzt in Deutschland Westerwelle den Rücken
gegen die Hollandes und Camerons dieser Welt stärken.
In all diesen Debatten wird davon ausgegangen, dass die EU
bzw. NATO-Staaten bisher keine Waffen nach Syrien liefern
würden. Das ist jedoch falsch: Über Kroatien wurden
gerade in den letzten Monaten 3.000t Waffen an die Rebellen
geliefert. Die WELT beschreibt am 18.3.2013 die Arbeitsteilung
so: „Das Geld dafür kam aus Saudi-Arabien, transportiert
wurden die Rüstungsgüter von türkischen und
jordanischen Flugzeugen, unter logistischer Mithilfe von Großbritannien.
Die Lieferung war an nationale und säkulare Brigaden
der Rebellen übergeben worden...“ Letztere gaben
die Waffen dann natürlich auch an ihre islamistischen
Verbündeten weiter: „Wie weitere neue Internetvideos
belegen, ist nicht nur Ahrar al-Sham im Besitz dieses Kriegsgeräts,
sondern auch die von den USA als Terroristengruppe eingestufte
Al-Nusra-Front.“ Letztere verfügt nach Angaben
der WELT über 6.000 bis 8.000 Kämpfer! http://www.welt.de/politik/ausland/article114557771/Westliche-Waffen-fuer-Islamisten-in-Syrien.html
Den französischen Präsidenten Hollande fechten
solche Details bei den beabsichtigten Waffenlieferungen nicht
an: Er sagte, „die Rebellen hätten ihm versichert,
dass die Waffen nicht in falsche Hände kämen.“
(FAZ 16.3.2013) Na, dann ist ja gut.
Halten wir also fest: Es sind nicht nur Qatar und Saudi-Arabien,
die die Rebellen mit Waffen versorgen, sondern schon jetzt
sind NATO- und EU-Staaten direkt an den Waffenlieferungen
beteiligt. Das Konzept „Frieden schaffen mit immer mehr
westlichen Waffen“ wird bereits umgesetzt. Bei Aufhebung
des EU-Waffenembargos würde aber vermutlich der Strom
der Lieferungen noch zunehmen, auch die USA würden sich
möglicherweise nicht mehr auf Spionageunterstützung
und die militärische Ausbildung der Rebellen in Jordanien
beschränken.
Statt mit immer mehr westlichen Waffen Frieden schaffen zu
wollen, wäre es angebrachter, gemeinsam mit Russland
an einer politischen Lösung zu arbeiten. Diese bestände
in einer Übergangsregierung, die sich aus Angehörigen
beider Bürgerkriegsparteien zusammensetzt – so
wie es die Syrien-Aktionsgruppe unter Einschluss der 5 UN-Vetomächte
moderiert von Kofi Annan im Juni 2012 schon einmal vereinbart
hatte. Der syrische Minister für nationale Versöhnung
und der syrische Außenminister haben im Februar 2013
ihre Bereitschaft zu Gesprächen mit den Aufständischen
zu Protokoll gegeben: „Wir sind bereit zu einem Dialog
mit jedem, der das will – selbst mit denen, die Waffen
in den Händen halten, weil wir glauben, dass es Reformen
nicht durch Blutvergießen, sondern nur durch Dialog
geben wird.“ (FAZ 26.2.2013) Ermutigt von ihren westlichen
und arabischen Freunden sehen die Rebellen natürlich
nicht den geringsten Grund sich darauf einzulassen: „Der
Militärchef der Rebellen, Selim Idris, bekräftigte
... die Forderung der Aufständischen, Gesprächen
erst zuzustimmen, wenn Präsident Baschar al-Assad zurückgetreten
sei.“ http://www.spiegel.de/politik/ausland/syrien-assad-bietet-rebellen-gespraeche-an-a-885383.html
Stattdessen wird an dem Aufbau einer eigenen Übergangsregierung
gearbeitet. Gerade wurde der US-Bürger Hitto zum Premier
dieser Übergangsregierung ernannt. Auch diese Aktivitäten
haben sehr direkt mit Waffenlieferungen zu tun, wie das Wall
Street Journal zu berichten weiß: „Ausländische
Diplomaten haben die Bildung einer Übergangsregierung
als Vorbedingung für eine Anerkennung der Rebellengruppen
bezeichnet. In einem zweiten Schritt, könnten dann eingefrorene
Auslandsguthaben freigegeben werden und die Opposition könnte
sich legal mit Waffen versorgen.“ („Syriens Opposition
will eine Übergangsregierung bilden“ - www.wallstreetjournal.de
18.3.2013) Bisher unterstützt die Obama-Regierung die
Aufständischen noch mit angezogener Handbremse. Das will
Hitto natürlich ändern: „’As an American,’
he said, he wanted the United States to do more to support
the rebels.“ („Syrian Rebels Pick U.S. Citizen
to Lead Interim Government“, NYT 18.3.2013) Und wie
steht Hitto zu Verhandlungen? „Einen Dialog mit dem
Regime schloss er aus. Seine Prioritäten seien der Sturz
des Regimes und die Versorgung der Bevölkerung in den
‚befreiten Gebieten’.“ (FAZ 20.3.2013)
So sind natürlich alle Vermittlungsbemühungen der
UN zum Scheitern verurteilt – und das Blutvergießen
geht weiter.
Uli Cremer
Kontakt:
Wilhelm Achelpöhler 0171 / 17 17 392 - achelpoehler@gruene-friedensinitiative.de
Uli Cremer 0160 / 81 21 622 - cremer@gruene-friedensinitiative.de
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