13.05.2013
EU-Armee zur Projektion von Schutzverantwortung?
Von Uli Cremer
Angesichts der allgemeinen Euro- und EU-Verdrossenheit fragen
sich Viele, wie die EU in diesen Zeiten zu stärken wäre,
welche Visionen man anbieten könnte, um die Europa-Idee
attraktiver zu machen. Der ehemalige britische Premierminister
Tony Blair hatte im Juni 2011 folgende Antwort parat: „Für
Europa ist es wesentlich, dass es versteht, dass die einzige
Möglichkeit, um Unterstützung für Europa zu
erhalten, heute nicht auf einer Art Nachkriegssicht basieren
kann, dass die EU notwendig für den Frieden ist. […]
Die Existenzberechtigung Europas basiert heute auf Macht,
nicht auf Frieden. […] In einer Welt, in der vor allem
China dabei ist, zur dominierenden Macht des 21. Jahrhunderts
zu werden, ist es für Europa vernünftig, sich zusammenzuschließen,
um sein kollektives Gewicht zu nutzen, um globalen Einfluss
zu erlangen.“ Die Leitidee ist also die „Welt-Macht
Europa“, wie auch schon der Titel eines EU-Militär-kritischen
Buches aus dem Jahre 2006 lautete. Sinn einer EU-Armee wäre
insofern zur Machtprojektion der EU in der Welt beizutragen.
Neuerdings wird auch bei den GRÜNEN, die sich schließlich
als die Europa-Partei verstehen , vermehrt darüber nachgedacht,
ob nicht die Forderung nach einer „europäischen
Armee“ hilfreich sein könnte. Bisher gibt es nämlich,
das mag Manche überraschen, keinen expliziten GRÜNEN
Beschluss, der eine „europäische Armee“ fordert.
Vielmehr wird allen militärpolitischen Entwicklungen
und Fakten zum Trotz hartnäckig an dem Etikett „Zivilmacht“
festgehalten.
Forderung nach EU-Armee – ein alter Hut
Um es vorweg zu nehmen: Die Forderung nach Schaffung einer
EU-Armee ist nicht sonderlich neu. Gemeinhin wird dabei von
„europäischer Armee“ geredet. Das ist in
der Sache natürlich falsch, denn es gibt eine Reihe von
europäischen Staaten, die gar nicht der EU angehören.
Diese sollen vermutlich auch gar nicht eingeladen werden,
bei der „europäischen Armee“ mitzumachen.
Und dann gibt es noch solche Staaten wie Britannien oder Irland,
die zwar in der EU sind, aber – genauso wie Britannien
beim Euro – vielleicht nicht mitmachen wollen. Also
geht es offenbar in der Praxis nicht mal um die Schaffung
einer EU-Armee, sondern noch etwas Kleineres.
Schauen wir uns im ersten Schritt an, wer in Deutschland
alles eine „europäische Armee“ anstrebt.
Zunächst einmal ist das bereits die aktuelle Regierungsposition.
Merkel warb schon 2007 für eine „europäische
Armee“, und CDU/CSU und FDP schrieben in ihren Koalitionsvertrag
2009: „Langfristiges Ziel bleibt für uns der Aufbau
einer europäischen Armee unter voller parlamentarischer
Kontrolle.“ Im Hamburger SPD-Grundsatzprogramm von 2010
wird analog gefordert: „Langfristig wollen wir eine
europäische Armee, deren Einsatz parlamentarisch legitimiert
werden muss.“ Aber bereits in den Wahlprogrammen dieser
Parteien für die EU-Parlamentswahlen 2004 finden sich
entsprechende Forderungen . Im GRÜNEN 2009er Europawahlprogramm
heißt es: „Wir sagen Ja zur Effektivierung und
Harmonisierung der Streitkräfte innerhalb der EU, was
einen Beitrag zur Senkung der Verteidigungsausgaben und zur
Reduzierung der nationalen Streitkräfte leisten soll.“
(S.166) Dies ist nun gerade keine politisch-visionäre
Forderung, sondern bloßes Mitmarschieren im Aufgebot
derjenigen, die über Pooling and Sharing bei NATO und
EU ein effektiveres Militär herbeiführen wollen.
Wer die militärpolitischen Debatten verfolgt, weiß,
dass das der aktuelle Diskurs überhaupt ist. Christian
Mölling von der SWP bringt es so auf den Punkt: „In
den verteidigungspolitischen Kommuniqués von Nato und
EU gilt Pooling und Sharing (P&S) derzeit als technokratische
Wunderwaffe gegen drohende militärische Handlungsunfähigkeit.“
Von den im Bundestag vertretenen Parteien ist es insofern
lediglich die Linkspartei, die ein klares Nein zur „europäischer
Armee“ formuliert.
EU-Militärpolitik: Stand der Dinge
Schaut man die beschlossenen Dokumente der EU an, sind dort
bereits seit Jahren wichtige militärpolitische Pflöcke
eingeschlagen worden, auch wenn man von einer „europäischen
Armee“ natürlich noch ein ganzes Stück entfernt
ist. Der Stand der Dinge ist dieser:
Mit dem Lissaboner Vertrag ist die EU 2009 zu einem Militärpakt
geworden. Der Terminus „Zivilmacht“ ist spätestens
seitdem irreführend, daran ändern auch besondere
zivile Fähigkeiten der EU nichts. Der entsprechende Artikel
42 (7) lautet: „Im Falle eines bewaffneten Angriffs
auf das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats schulden die anderen
Mitgliedstaaten ihm alle in ihrer Macht stehende Hilfe und
Unterstützung, im Einklang mit Artikel 51 der Charta
der Vereinten Nationen. Dies lässt den besonderen Charakter
der Sicherheits- und Verteidigungspolitik bestimmter Mitgliedstaaten
unberührt." Damit übernahm die EU eine entsprechende
Beistandserklärung der WEU (Westeuropäische Union),
eines in den 50er Jahren gebildeten Militärpakts, dem
aber erst in den 80er Jahren Leben eingehaucht wurde. Die
EU-Beistandserklärung ist stärker als die der NATO,
einem anderen westlichen Militärpakt. Der NATO-Vertrag
verlangt von seinen Mitgliedern keinen gegenseitigen militärischen
Beistand, es würde genau genommen ein Beileidstelegramm
ausreichen.
Das Einsatzspektrum des Militärpakts EU ist im Lissabon-Vertrag
definiert. Darin sind laut Artikel 42 (7) folgende Missionen
definiert: „gemeinsame Abrüstungsmaßnahmen,
humanitäre Aufgaben und Rettungseinsätze, Aufgaben
der militärischen Beratung und Unterstützung, Aufgaben
der Konfliktverhütung und der Erhaltung es Friedens sowie
Kampfeinsätze im Rahmen der Krisenbewältigung einschließlich
Frieden schaffender Maßnahmen und Operationen zur Stabilisierung
der Lage nach Konflikten.“ Auch der Terrorismus soll
mittels dieser Missionen militärisch bekämpft werden.
Die Liste der möglichen Missionen entspricht (mit Ausnahme
der Abrüstungsmaßnahmen) den 1992 von der WEU verabschiedeten
Petersberg-Aufgaben. Diese wurden bereits 1997 in den Amsterdam-Vertrag
der EU übernommen.
Zu den erwähnten Abrüstungsmaßnahmen wird
jedoch kaum kommen, denn der Lissabon-Vertrag enthält
in Artikel 42 (3) auch eine Aufrüstungsverpflichtung:
„Die Mitgliedstaaten verpflichten sich, ihre militärischen
Fähigkeiten schrittweise zu verbessern.“ Damit
nicht jeder für sich definiert, was zu tun ist, gibt
es eine „Europäische Verteidigungsagentur“,
die „den operativen Bedarf“ ermittelt. Diese arbeitet
zwar schon seit 2004, hat aber nun eine vertragliche Grundlage
erhalten und so eine qualitative Aufwertung erfahren.
Soweit der politische Kontext und die allgemeine Aufgabenbeschreibung
für EU-Streitkräfte. Wie sollen Letzere aussehen?
Eine „europäische Armee“ soll nicht gebildet
werden und wird auch nicht als Fernziel erwähnt. Aber
es wird für die ambitionierteren EU-Mitgliedstaaten,
die mehr gemeinsame militärische Fähigkeiten schaffen
wollen als bisher, die so genannte „Ständige Strukturierte
Zusammenarbeit im Rahmen der Union“ geschaffen. Dieser
ist im Lissabon-Vertrag der gesamte Artikel 46 gewidmet. Damit
wird das vorher geltende Konsensprinzip bezüglich militärischer
Fähigkeitsentscheidungen ad acta gelegt, da in dem neuen
Rahmen nur noch die teilnehmenden Mitgliedstaaten stimmberechtigt
sind. Sie können also nicht mehr von anderen aufgehalten
werden. Die Entscheidungen über konkrete Militäreinsätze
sollen allerdings weiterhin vom Europäischen Rat getroffen
werden.
Der Aufbau militärischer Fähigkeiten seitens der
EU startet jedoch nicht 2009 mit dem Lissabon-Vertrag, sondern
hat schon eine längere Geschichte.
Entwicklung der militärischen Fähigkeiten
Im Januar 2013 wurde 20 Jahre Eurokorps gefeiert. Die 1989
gebildete deutsch-französische Brigade wurde seit 1993
um Kontingente aus Belgien, Luxemburg und Spanien erweitert.
Insofern ist die Keimzelle für die „europäische
Armee“ längst geschaffen, die „Ständige
Strukturierte Zusammenarbeit“ ein alter Hut. Neu ist
nur, dass sie seit 2009 „EU-Weihen“ erhalten hat.
Richtig Fahrt auf nahmen die EU-Militärpläne 1999.
Geschaffen werden sollte nunmehr eine EU-Eingreiftruppe in
der Größenordnung von 180.000 SoldatInnen, um eine
jeweilige Konfliktpräsenz von 60.000 zu gewährleisten
(die anderen 2/3 dienen als Reserve, ruhen sich vom Einsatz
aus bzw. bereiten sich auf den nächsten vor). Allerdings
konnten diese quantitativen Ziele bis heute nicht erreicht
werden. Bedauerlicherweise informiert die EU seit Jahren nicht
transparent über die Entwicklungen – hier wäre
vielleicht einmal ein Betätigungsfeld für GRÜNE
MdEPs! Aber das nur nebenbei.
Eine Schätzung von 2009 belief sich auf 90.000 bis 100.000
, bis heute dürften es angesichts der leeren Kassen und
Schuldenbremsen in den Staatshaushalten auch nicht mehr geworden
sein. D.h. die EU wäre demnach in der Lage, etwas über
30.000 SoldatInnen gleichzeitig einzusetzen. Die Speerspitze
bilden die besonders gut ausgerüsteten EU Battle Groups,
die seit 2004 aufgebaut wurden. Davon sollen stets zwei einsatzbereit
sein. Ein solcher Verband besteht typischerweise aus 1.500
– 2.500 SoldatInnen, also 3.000 bis 5.000 insgesamt
zu einem Zeitpunkt X. Dabei wird rotiert, so dass alle interessierten
Staaten immer mal wieder „dran“ sind. Haben sie
ihre entsprechend befähigten Verbände bei der EU
gerade nicht gemeldet, können sie diese für andere
Zwecke melden oder einsetzen, z.B. bei der NATO.
Dass es aktuell aber wesentlich mehr der EU zugeordnete Verbände
gibt, verrät ein Blick in das Bundeswehr-Weißbuch
2006: Danach hatte allein Deutschland zu dem Zeitpunkte 18.000
(!) SoldatInnen für die EU-Eingreiftruppe assigniert,
also ungefähr 20% des Gesamtpools.
Ursprünglich sollte die EU-Eingreiftruppe in Konkurrenz
zur NATO aufgebaut werden. Aber das ist inzwischen Geschichte.
Frankreich als treibende Kraft für autonome EU-Kapazitäten
ist inzwischen (2009) wieder in die Militärorganisation
der NATO zurückgekehrt (jahrzehntelang war Paris nur
politisches Mitglied der NATO).
Im Protokoll über die Ständige Strukturierte Zusammenarbeit,
das als Anhang dem Lissabon-Vertrag beigefügt ist, wird
entsprechend die enge Bindung der EU-Streitkräfteplanung
an die NATO festgeschrieben. Es wird der Überzeugung
Ausdruck verliehen, „dass eine maßgeblichere Rolle
der Union im Bereich von Sicherheit und Verteidigung im Einklang
mit den sogenannten Berlin-plus-Vereinbarungen zur Vitalität
eines erneuerten Atlantischen Bündnisses beitragen wird“.
Der Militärpakt EU ist also komplementär zum Militärpakt
NATO.
Interventionistische Ausrichtung der EU-Streitkräfte
Wie in der Bezeichnung „EU Eingreiftruppe“ schon
aufscheint, hat der Aufbau militärischer Fähigkeiten
seitens der EU offensiven, ja nennen wir das Kind ruhig beim
Namen: interventionistischen Charakter. Die Truppen sollen
nicht zur Verteidigung des EU-Territoriums eingesetzt werden,
sondern für Ordnungspolitik in aller Welt. Die Mandate
für EU-Militäreinsätze der letzten 10 Jahre
belegen dies: Dabei wurden Truppen vornehmlich auf den Balkan
und den afrikanischen Kontinent (Kongo, Tschad, Mali) geschickt.
Auch in der ESS 2003 (Europäische Sicherheitsstrategie
von 2003), einem Meilenstein beim Aufbau der EU-Streitkräfte,
den die EU vor 10 Jahren verabschiedete, hieß es schon:
„Damit wir unsere Streitkräfte zu flexibleren,
mobilen Einsatzkräften umgestalten und sie in die Lage
versetzen können, sich den neuen Bedrohungen zu stellen,
müssen die Mittel für die Verteidigung aufgestockt
und effektiver genutzt werden.“ Und: „Durch einen
systematischen Rückgriff auf zusammengelegte und gemeinsam
genutzte Mittel könnten Duplizierungen verringert, die
Gemeinkosten gesenkt und mittelfristig die Fähigkeiten
ausgebaut werden.“ Womit wir wieder beim Pooling und
Sharing angekommen wären – das war also schon vor
10 Jahres großes Thema.
Die von der EU in der ESS aufgelisteten Bedrohungen entsprechen
im Übrigen ziemlich exakt der Liste, die sich in den
entsprechenden US- oder NATO-Dokumenten wiederfindet: Terrorismus,
Proliferation, regionale Konflikt, gescheiterte Staaten und
organisierte Kriminalität.
Was ist die Motivation für den Aufbau schneller EU-Eingreifverbände?
Erinnern wir uns an den Hinweis von Tony Blair am Anfang dieses
Artikels: „Die Existenzberechtigung Europas basiert
heute auf Macht, nicht auf Frieden.“ Folgt man dem FAZ-Redakteur
Busse ist die zukünftige internationale Machtwährung
diese: „Macht und Größe eines Landes werden
in der Weltpolitik zunehmend an der Fähigkeit gemessen,
technisch überlegene Expeditionstruppen in weit entfernte
Einsatzgebiete schicken zu können.“ Insofern ist
es verständlich, dass sich die EU-Militärpläne
darauf konzentrieren und nicht auf den Aufbau eigener EU-Atomwaffen.
EU-Armee zur Projektion von Schutzverantwortung?
Wer also im Jahre 2013 eine EU-Armee verlangt, bewegt sich
völlig im Mainstream der westlichen militärpolitischen
Debatten. Daran ist nichts spezifisches GRÜNES, man trabt
anderen politischen Kräften hinterher. Mit Gewaltfreiheit
oder Abrüstung hat so etwas schon gar nicht zu tun. Vielmehr
ist es eine militärpolitische Vision, die auch mit Zielen
wie „UN-Gewaltmonopol“ nicht kompatibel ist. Denn
ein Akteur soll militärisch so aufgerüstet und aufgestellt
werden, dass er in anderen Weltregionen für die Mehrung
seiner Macht autonom intervenieren kann.
Wenn der „Missbrauch“ solcher Kräfte vermieden
werden soll, gibt es nur den Weg, solche Kräfte sofort
und unmittelbar bei der UNO selbst anzusiedeln. Es bei der
EU zu tun, ist kein sinnvoller Zwischenschritt. Denn die EU,
das sei noch mal betont, ist kein kollektives Sicherheitssystem,
sondern ein militärpolitischer Akteur mit eigenen Vorstellungen
und Interessen, die er versucht auf Kosten anderer Akteure
durchzusetzen. In den Worten von Tony Blair: „Die Existenzberechtigung
Europas basiert heute auf Macht, nicht auf Frieden.“
Die UNO ist zumindest – auch in ihrer gegenwärtigen
Form – so konstruiert, dass eine Einigkeit wichtiger
Akteure (EU, USA, China und Russland) Voraussetzung für
Handeln ist. Das schränkt Missbrauchsmöglichkeiten
zumindest deutlich ein.
Der übliche formale Einwand ist, dass eine EU-Armee
nur mit Mandat des UN-Sicherheitsrats tätig werden dürfe.
Die Geschichte der letzten 15 Jahre zeigt, dass entsprechende
Beschlusslagen bzw. Vorsätze im Zweifelsfall nicht beachtet
werden. Alle EU-Staaten, die 1999 NATO-Mitglied waren, haben
den Kosovokrieg ohne UN-Mandat geführt. Als Frankreich
im Januar 2013 ohne UN-Mandat in Mali intervenierte, war auch
in Deutschland und bei der Mehrheit der deutschen GRÜNEN
die Reaktion positiv. Insofern zeigt sich, dass die Instrumente
durch hehre Vorsätze in der Realität oft nicht gezügelt
werden können.
Die bisherige „Konzentration auf Soft Power“
seitens der EU, ihr „zivilmächtiger“ Anschein,
erklärt sich keineswegs durch ein europäisches „Besser-Sein“
im Vergleich zu der „militär-orientierten“
USA.
Denn die von einer Macht gewählten Mittel sind nicht
zuletzt davon abhängig, was im eigenen Arsenal enthalten
ist. Die USA haben dabei als global führende Militärmacht
das größere Spektrum zu bieten. Sie sind insbesondere
in der Lage, Militärinterventionen überall auf der
Welt vorzunehmen. Zwar können sie nicht beliebig viele
Kriege parallel führen, aber Waffen, Transportkapazitäten
und Soldaten für zwei größere sind vorhanden.
Die EU ist dazu augenblicklich (noch) nicht in der Lage bzw.
benötigt dazu die Unterstützung der NATO, sprich:
den Segen der USA.
In den Worten von Robert Kagan, einem wichtigen Vordenker
der Bush-II-Regierung: „Die militärische Stärke
der Vereinigten Staaten hat in den USA die Neigung wachsen
lassen, diese Stärke auch auszuspielen. Europas militärische
Schwäche dagegen hat zu einer verständlichen Abneigung
gegen Ausübung militärischer Macht geführt.“
Die verbale Zuspitzung ist hier nicht wichtig, sondern der
Grundgedanke. Extrapoliert man diesen in die Zukunft, wenn
die EU bei ihrer militärischen Aufrüstung wichtige
Defizite wie fehlende Transportkapazitäten (Airbus A400M)
oder fehlende moderne Spionagesatelliten beseitigt haben wird,
wäre die Konsequenz, dass die EU-Staaten ihre Positionen
vermutlich dann rabiater und vermehrt militärgestützt
verträten.
Die Geschichte zeigt: Wer sich militärische Mittel zulegt,
benutzt sie auch. Dass sich die EU zur Zeit als eher zivile
Macht geriert, ist Ausdruck nicht vorhandener militärischer
Möglichkeiten.
Lässt sich der Missbrauch militärischer Macht durch
schlaue Kontrollmechanismen verhindern? Erst einmal ist natürlich
begrüßenswert, dass in der EU nicht ein König
oder Präsident den EU-Truppen den Marschbefehl geben
kann. Aktuell müssten alle EU-Mitglieder in Form ihrer
Regierungen zustimmen. Ein entsprechender EU-Ratsbeschluss
erfordert laut Lissabon-Vertrag weiterhin einen Konsens: „Beschlüsse
zur Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik, einschließlich
der Beschlüsse über die Einleitung einer Mission...
werden vom Rat einstimmig... erlassen.“ (Artikel 42
(4))
Da in Deutschland die Bundeswehr „Parlamentsheer“
ist, liegt nahe, diesen Mechanismus auf die EU-Ebene übertragen
zu wollen. Dann wäre für einen Marschbefehl der
EU-Streitkräfte ein mehrheitlicher EU-Parlamentsbeschluss
erforderlich. Das mag aus Demokratie-Gründen eine sinnvolle
Forderung sein, in der Praxis wird es jedoch Militäreinsätzen
kaum einen Riegel vorschieben. Gerade die deutschen Erfahrungen
zeigen, dass trotz konträrer Umfragewerte in der Bevölkerung,
stets satte Bundesmehrheiten für die diversen Militäreinsätze
zustande kamen. Selbst für den völkerrechtswidrigen
Einsatz von Militär fanden sich im Bundestag Mehrheiten.
Konsequenz einer solchen EU-Konstruktion wäre natürlich,
dass der Bundestag sich nicht länger mit Militäreinsätzen
zu befassen hätte. Das deutsche Grundgesetz müsste
entsprechend geändert werden.
Gute Vorsätze („nur mit UN-Mandat“), die
im Zweifelsfall gebrochen werden, verbesserte Kontrollmechanismen
und auch ein veränderter politischer Absichtsrahmen helfen
nicht weiter. Letzterer bestände im Sinne der aktuellen
GRÜNEN Beschlusslagen darin, dass eine „europäische
Armee“ nur für Gutes in der Welt, nämlich
für Schutzverantwortungsaufträge eingesetzt würde.
Diese Debatte ändert keinen Jota an den militärischen
Planungen, da man für die Projektion von Schutzverantwortung
exakt die gleichen Waffen und Strukturen benötigt wie
für die Projektion von Macht zu anderen Zwecken. In beiden
Fällen sind schnelle Eingreiftruppen gefragt. Im Übrigen
werden die bisherigen EU-Militäreinsätze natürlich
auch stets als gute Taten dargestellt, wie aktuell der EU-Mali-Einsatz,
der die im Januar 2013 begonnen französische Militärintervention
flankiert. Oder die Operation Atalanta, bei der vor der Küste
Somalias Piraten bekämpft werden: Der „Hauptauftrag“
ist hier der Schutz humanitärer Hilfslieferungen des
UN-Welternährungsprogramms.
EU-Armee als nicht-angriffsfähige Armee?
Im Übrigen sind an eine EU-Armee die gleichen Fragen
zu stellen wie an eine nationale Armee. Will man sie nicht
gleich abschaffen oder gar nicht erst entstehen lassen, weil
sie keinen friedenspolitischen Fortschritt darstellt, müssten
alternative Vorstellungen innerhalb des militärischen
Kontextes am Instrument selbst ansetzen: Einer EU-Armee müsste
alles genommen werden, was andere Akteure als Bedrohung wahrnehmen
(können). Es liegt auf der Hand, dass sich Staaten außerhalb
der EU von den EU Battle Groups und den anderen offensiven
Expeditionsstreitkräften bedroht fühlen, da diese
hoch mobil und schnell verlegbar sind. Auch Luftstreitkräfte,
die Ziele in anderen Weltregionen bombardieren können,
sind genauso eine potentielle Bedrohung wie Flugzeugträger
oder Militärstützpunkte in der Südsee.
Während von den bestehenden nationalen Armeen bei Verzicht
auf Interventionskapazitäten noch eine territoriale Verteidigung
übrig bliebe, lösten sich die EU-Streitkräfte
buchstäblich in Luft auf. Nun könnten natürlich
diejenigen, die meinen, man könne ein hochindustrialisiertes
Gebiet wie die EU verteidigen ohne es dabei zu zerstören
und brauche insofern partout eine Territorialverteidigung,
diese internationalisieren. Herauskäme eine nicht-angriffsfähige
EU-Armee, z.B. in der Tradition der Denkschule „vertrauensbildende
Verteidigung“ aus den 80er Jahren. Wie so etwas genau
aussehen kann, können ja die ausarbeiten, die das für
notwendig halten. Ich wäre gespannt.
Gibt es neben der Territorialverteidigung noch andere nicht-angriffsfähige
militärische Elemente? In diesem Zusammenhang wird gern
auf Frieden erhaltende Missionen, Waffenstillstandsüberwachung
usw. verwiesen. Wenn solche Verbände auf EU-Ebene aufgebaut
werden sollen, soll man sie auch so nennen: Dann reden wir
nicht über „europäische Armee“, sondern
„EU-Blauhelme“. Aber auch hierfür ist weit
und breit kein Konzept in Sicht.
Fazit: Der Ruf nach der „europäischen Armee“
ist wahrlich keine Utopie, für die es wert wäre
zu werben! Im Gegenteil: Die Verknüpfung von Schutzverantwortung
und EU-Armee ist geeignet, die Legitimation für einen
neuen Aufrüstungsschub in der EU liefern. Wie Experten
wissen, geht es bei Pooling und Sharing nicht immer um Einsparungen.
Christian Mölling von der SWP bemerkt richtig: „Doch
kann man nur teilen, was man hat. In ganz Europa vorhandene
Lu¨cken, etwa bei der Aufkla¨rung, lassen sich lediglich
mit zusa¨tzlichen Investitionen schließen.“
Wer Geld bei der Rüstung einsparen will, rüstet
am besten ab. Und spart sich den Aufbau einer EU-Armee.
Uli Cremer
Hamburg, 13.Mai 2013
Fußnoten
- Hough, Abdrew: Tony Blair: EU needs elected
president, former PM says, The Telegraph, 09.06.2011
- Tobias Pflüger/Jürgen Wagner
(Hrsg.): Welt-Macht Europa – Auf dem Weg in weltweite
Kriege, Hamburg 2006
- „Wir GRÜNE sind die Europa-Partei.“
Heißt es im 2009er Europawahlprogramm der GRÜNEN
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/positionen-gemeinsame-aussen-und-sicherheitspolitik-a-303433.html
- http://www.swp-berlin.org/de/publikationen/swp-aktuell-de/swp-aktuell-detail/article/europas_verteidigung_pooling_sharing.html,
gefunden 11.05.2013
- Vergl. hierzu: U. Cremer: Militärische
Emanzipationsversuche der EU, in: U. Cremer/ Dieter S. Lutz:
Die Bundeswehr in der neuen Weltordnung, Hamburg 2000, S.21-35
- Siehe: Uli Cremer: Neue NATO: die ersten
Kriege, Hamburg 2009, S.116
- Deutsche Fassung der ESS 2003 findet sich
hier: http://www.ag-friedensforschung.de/themen/Europa/strategie.html
- N. Busse: Entmachtung des Westens, Berlin
2009, S.169
- Robert Kagan: Macht und Schwäche,
in: Blätter f. dt. u. internat. Politik 10/2002, S.1198
- Lutz Unterseher: Frieden schaffen mit
anderen Waffen? Alternativen zum militärischen Muskelspiel,
Wiesbaden 2011
Kontakt:
Uli Cremer 0160 / 81 21 622 - cremer@gruene-friedensinitiative.de
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