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08.07.2013

Westliche Syrienpolitik: Von allen guten Geistern verlassen oder Spekulation auf Abnutzungskrieg?

Von Uli Cremer

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Die Nachrichten aus Syrien werden nicht besser: 100.000 Opfer hat der Krieg schon gefordert, Millionen sind auf der Flucht. Gleichzeitig werden die Rufe nach Waffenlieferungen an die Rebellen und nach einer westlichen Militärintervention immer lauter. Als Scharfmacher profiliert sich schon länger der Afrika-Redakteur und Auslandschef der taz Dominic Johnson. Bereits im Oktober 2012 war seine Position klipp und klar: „Nur durch eine militärische Intervention ist das Morden überhaupt noch zumindest punktuell einzudämmen und ein Stück Hoffnung am Leben zu erhalten.“ Den NATO-Ländern rief er zu: „Ein Eingreifen hinauszuzögern oder gar ganz zu verhindern bedeutet, wissentlich den Tod weiterer zehntausender Syrer in Kauf zu nehmen...“ Das wäre seines Erachtens zu tun: „Was Intervention konkret heißen müsste, daran hat sich in den letzten Monaten nichts geändert: das gezielte Ausschalten der wichtigsten Luftwaffenstützpunkte und Raketenstellungen des Regimes, die Entsendung von Schutztruppen für die befreiten Gebiete, die Sicherung humanitärer Hilfe für die Kriegsopfer.“

Am 19.6.13 legte Johnson in einem weiteren taz-Kommentar nach: „Die einzige richtige Reaktion ist ein Eingreifen von der Art, das Regime möglichst schnell kampfunfähig zu machen... Nur ein Regimewechsel in Damaskus ist eine angemessene Antwort auf die Frage, die der Einsatz chemischer Kampfstoffe stellt.“

Die Chemiewaffen-Geschichten

Johnson teilt die Position der NATO-Regierungen aus Ankara, London, Paris und Washington, die seit einigen Wochen behaupten, das Assad-Regime habe C-Waffen eingesetzt, und zwar nicht nur Tränengasmixturen, sondern einen ausgewachsenen chemischen Kampfstoff: Sarin. Entsprechende Vorwürfe kursieren seit Monaten, wobei die syrischen Bürgerkriegsparteien sich gegenseitig beschuldigen, C-Waffen zum Einsatz gebracht zu haben. So rief die Assad-Regierung im März 2013 den UN-Sicherheitsrat wegen eines Vorfalls in der Nähe von Aleppo an, um dann aber später eine UN-Untersuchungskommission nicht ins Land zu lassen. Schließlich wollte Assad das syrische C-Waffenarsenal nicht offenlegen, das es offiziell gar nicht gibt: „Wir haben weder erklärt, das wir chemische Waffen besitzen, noch, dass wir sie nicht besitzen... Sie (gemeint sind: Britannien und Frankreich, UC) wollten, das die Kommission Zugang zu allen Plätzen bekommt und die gleiche Arbeit verrichtet, die einst die Waffeninspekteure im Irak getan haben. Dabei haben sie sich in Angelegenheiten eingemischt, die nicht unter ihre Befugnisse fallen. Wir sind ein Staat, wir haben unsere Armee, wir haben unsere Geheimnisse. Wir werden niemandem erlauben, sich Einblick in sie zu verschaffen, nicht den UN, nicht Frankreich, nicht Großbritannien, nicht anderen.“ Fakt ist, dass der „Opposition... in der Nähe von Aleppo eine Chlorgasfabrik in die Hände gefallen“ ist. „Aber ob sie daraus funktionsfähige Waffen herstellen kann, ist unklar.“

Niemand Geringeres als die Schweizerin Carla del Ponte (ehemalige Chefanklägerin des Internationalen Strafgerichtshofes für Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien und seit 2011 Mitglied der UN-Sonderkommission für die Untersuchung von Menschenrechtsverletzungen in Syrien) erhob den gleichen Vorwurf gegen die Rebellen in einem Interview mit Radiotelevisione Svizzera: „Ausgehend von den Angaben, die die Kommissionsmitglieder nach ihren Besuchen in an Syrien angrenzenden Ländern bekommen haben, könne man den Schluss ziehen, dass ‚die Opposition und nicht die Regierung‘ C-Waffen, speziell Sarin, eingesetzt hätten. Entsprechende Zeugenaussagen haben die Mitglieder der Kommission von ‚Ärzten, Betroffenen und Mitarbeitern von Feldspitälern‘ bekommen.“ Natürlich ließen Dementis von allen Seiten nicht lange auf sich warten, aber entscheidend ist, dass die UN-Untersuchungskommission unter Leitung des Brasilianers Pineiro Anfang Juni zu dem Schluss kam: »„Es war auf der Basis des vorliegenden Beweismaterials nicht möglich, die konkrete chemische Substanz, das Abschuss-System oder Täter festzustellen.” Weitere Ermittlungen seien erforderlich.« Berichtet wurde von vier Fällen.

10 Tage später kam die US-Regierung zum entgegen gesetzten Schluss: Man habe eindeutige Beweise. Von „bis zu 150 Todesopfern“ war die Rede, die Einsätze seien „im vergangenen Jahr“, also 2012 (!) erfolgt . Die von Obama 2012 erfundene „rote Linie“ war mithin überschritten. Die britische und die französische Regierung hielten das Assad-Regime bereits einige Tage vorher in einigen Fällen für überführt. Diese stützen sich auf Proben, die der Le Monde-Journalist Rémy im Mai 2013 aus Syrien nach Paris transportiert hatte und die dann vom französischen Geheimdienst untersucht wurden. Dabei geht es um einen Giftgasangriff aus dem April 2013. Rémy war zwei Monate auf Seiten der Aufständischen in Syrien unterwegs und erlebte den Angriff selbst mit. Es soll sich um einen Cocktail aus Tränengas mit C-Waffen-Substanzen gehandelt haben.

Insofern reden Washington und Paris von verschiedenen Zeiträumen, Einsätzen und Beweisstücken. Auch die britische Regierung hat Proben erhalten und untersucht. Jedoch: „Keine Informationen gab es darüber, wo, wann und von wem die Proben entnommen wurden.“

Ein weiterer Giftgasexperte ist der türkische Ministerpräsident Erdogan. Er behauptete bereits am 10.5.2013, seine Geheimdienste „verfügten über Erkenntnisse, wonach das Assad-Regime etwa 200 Raketen mit Giftgas eingesetzt habe.“ Daraus müssten nach menschlichem Ermessen weit mehr als „bis zu 150 Opfer“ resultiert sein.

Die C-Waffen-Geschichten der verschiedenen NATO-Regierungen sind also nicht einmal synchronisiert. Gerichtsfeste Beweise sind weder der Öffentlichkeit, noch dem UN-Sicherheitsrat vorgelegt worden. Deswegen fühlt sich die russische Regierung an die Präsentation von US-Außenminister Powell vor dem UN-Sicherheitsrat 2003 erinnert. Damals hatte die US-Regierung „Beweise“ für irakische Massenvernichtungswaffen vorgelegt und wenige Wochen später ihren Angriffskrieg gegen den Irak begonnen. Auch Assad selbst streitet den Einsatz von C-Waffen vehement ab: „Es ist unlogisch, Chemiewaffen einzusetzen, um eine Zahl von Menschen zu töten, die durch Einsatz konventioneller Waffen erreicht werden kann.“ In 2012 hatte die Assad-Regierung die Position bezogen, dass es die eigenen Chemie-Waffen einsetze, wenn es von außen angegriffen werde. Sinn der Nachricht war seinerzeit allgemeine Abschreckung: Wir besitzen einsatzfähige Massenvernichtungswaffen. Diese schützen überall auf der Welt ihre Besitzer vor militärischen Angriffen. Sie stellen eine Machtwährung da, die die USA und die anderen führenden Militärmächte anerkennen. Allerdings sind C-Waffen verglichen mit Atomwaffen nur 3.Liga. Klar ist, dass die westlichen Mächte gegen ein atomar aufgerüstetes Syrien keine Militärintervention unternehmen würde.

In den letzten Jahrzehnten sind C-Waffen durchaus eingesetzt worden, nämlich durch das irakische Saddam-Hussein-Regime. Im Rahmen des ersten Golfkrieges ging der Irak 1987/88 mehrfach mit C-Waffen gegen den Iran vor. Der erste große Einsatz fand im Juni 1987 gegen die iranische Stadt Sardasht statt. Am bekanntesten ist aber der Angriff auf Halabdscha durch die irakische Luftwaffe im März 1988. Die Stadt war zuvor von iranischen Truppen und kurdischen Verbänden erobert worden. Bis zu 5.000 Menschen wurden getötet. Der Iran versuchte die Weltöffentlichkeit aufmerksam zu machen, indem jeweils westliche Journalisten die Orte besichtigen konnten. Der Angriff auf Halabdscha wurde auch vor den UN-Sicherheitsrat gebracht. Dieser war jedoch blockiert: Die drei westlichen Veto-Mächte verhinderten die Verurteilung des Iraks mit ihrem Veto! Denn damals wurde der Irak vom Westen unterstützt. Außerdem gab es noch Versuche, den Iran für die Giftgaseinsätze verantwortlich zu machen. Aus all dem folgt, dass C-Waffen-Einsätze von westlichen Hauptstädten nicht prinzipiell abgelehnt werden. Aber sie werden nur geduldet, wenn der Urheber eigener Bündnispartner ist. Und diesen Status hat das Assad-Regime nun einmal zur Zeit nicht.

Entscheidende Fragen zu den behaupteten C-Waffen-Einsätzen werden in den Mainstreammedien nicht gestellt und sind offensichtlich ungeklärt. Erstens: Um welche Vorfälle geht es überhaupt? Wo? Wann? Wie viele Opfer? Welche Beweisstücke können Paris, London, Ankara und Washington vorlegen, um den Einsatz von C-Waffen zu beweisen? Zweitens: Wer waren die Täter? Welche Beweise haben die vier Regierungen dafür, dass das Assad-Regime Täter war und die C-Waffen eingesetzt hat? Drittens: Wenn Assad-Regime verantwortlich ist: Von wem sind die Befehle erteilt worden? Von Assad selbst? Sind untergeordnete Ebenen aus dem Ruder gelaufen und haben ohne Befehl von oben gehandelt? Oder haben sie C-Waffen abgeschossen, um anschließend zu den Aufständischen überzulaufen? Viertens: Welches Motiv haben die Täter?

Die „Zeit“ weist immerhin auf einige Ungereimtheiten hin: „So fällt auf, dass bisher in keinem einzigen Bericht über das Geschehen in Syrien das wichtigste und untrügliche Symptom für Nervenkampfstoffe erwähnt wurde: die dramatische Verengung der Pupillen. Ferner gibt zu denken, dass nichts Genaues über die Opfer bekannt wurde. Sind Tote zu beklagen? Wie viele Verletzte waren es?“

Die regierungsnahe SWP will ebenfalls keine schnelle, abschließende Bewertung vornehmen: „Angesichts dieser Vielzahl an Indizien aus unterschiedlichen Quellen ist kaum mehr zu bezweifeln, dass in Syrien tatsächlich chemische Kampfstoffe, insbesondere Sarin, freigesetzt wurden. Allerdings genügen die Belege bisher nicht den strengen Ansprüchen einer internationalen Untersuchung. Problematisch bleibt vor allem die Authentifizierung der Proben, deren Weg in die Labors sich von außen nicht nachvollziehen lässt. Solange die Beweiskette nicht gesichert ist, besteht auch die Möglichkeit, dass Proben manipuliert wurden. Es fehlen zudem belastbare Belege dafür, wer die Freisetzung chemischer Kampfstoffe zu verantworten hat.“

Mit der Frage nach den Tätern geht die Frage nach dem Motiv der Tat einher. Also: Welches Motiv sollte das Assad-Regime für den Einsatz von C-Waffen haben? Wir rekapitulieren: Im Sommer 2012 drohen Paris und Washington mit einer Militärintervention, sofern bzw. sobald C-Waffen eingesetzt würden. Daraufhin setzt das Assad-Regime dann C-Waffen ein, um beide Regierungen zur Militärintervention einzuladen? Demnach wäre Assad ein politischer Selbstmörder oder „ein Irrer“, dem man eben alles zutrauen darf. Das ist eine wenig überzeugende Theorie, die nicht besser wird, wenn sie immer wieder aufgetischt wird.

Ein Motiv für eine C-Waffen-Einsatz hätten nur die Gegner des Assad-Regimes, die Aufständischen und ihre internationalen Verbündeten bzw. Unterstützer. Sie versuchen seit zwei Jahren, nach dem Vorbild des Libyen-Krieges 2011 oder auch des Kosovo-Krieges 1999 NATO-Luftwaffenunterstützung für die Aufständischen zu erreichen. Ihre PR-Kampagen müssen das Assad-Regime maximal verbrecherisch erscheinen lassen. Bewährt haben sich in diesem Zusammenhang instrumentalisierte oder konstruierte Massaker an der Zivilbevölkerung. Für die Rechtfertigung des Kosovo-Kriegs wurde im Januar 1999 das „Racak-Massaker“ inszeniert . Die Verantwortung für das im Mai 2012 begangene Massaker im syrischen Hula konnte zwar dem Regime nicht nachgewiesen werden, zumal AnhängerInnen des Assad-Regimes massakriert wurden . Dennoch war der Vorfall Anlass für die westliche Staaten, die diplomatischen Beziehungen zu Damaskus abzubrechen. Ein fingierter C-Waffen-Einsatz, der dem Assad-Regime angelastet werden könnte, wäre geeignet, der gewünschten NATO-Luftwaffenunterstützung sowie der offiziellen Lieferung moderner Luftabwehrwaffen an die Aufständischen näher zu kommen. Aber hier gilt umgekehrt, dass das zweifellos vorhandene Motiv nicht automatisch den Beweis bedeutet, dass es sich so zugetragen hat.

Immerhin hat sich die deutsche Bundesregierung bisher nicht über die rote Linie ziehen lassen. Außenminister Westerwelle nimmt die „Hinweise auf den Einsatz chemischer Substanzen in Syrien ... sehr ernst“ und will „den Informationsaustausch über die Faktenlage intensiv fortsetzen“. Er erklärte: „Wir drängen auf eine Beratung über die neu vorgetragenen Berichte im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, mit dem Ziel, dass es zu einer gemeinsamen Position des Sicherheitsrates kommt.“ Darin steckt der dezente Hinweis, dass aus deutscher Sicht ohne UN-Beschluss die rote Linie nicht für überschritten erklärt werden kann. Angesichts der fehlenden Belege dürfte die russische Regierung sich kaum der Position der westlichen Veto-Mächte anschließen. Der Sicherheitsrat bliebe also nach westlicher Lesart „blockiert“.

Ausländische Unterstützung Assads durch Hisbollah und Iran

Zeitlich parallel zur „Entdeckung“ der Chemiewaffeneinsätze hat sich offenbar die Lage auf dem syrischen Schlachtfeld verändert: Die Aufständischen haben die Kontrolle über einige Gebiete eingebüßt. Insbesondere ist der Verkehrsknotenpunkt al Quasair vom Assad-Regime zurückerobert worden. Dies wird auf ein Eingreifen der libanesischen Hisbollah-Milizen auf Seiten Assads zurückgeführt. Laut Assad handelt es sich „um individuelle Kämpfer“, die er auf einige hundert beziffert . Die „Deutsche Welle“ spricht von 1.700 , die „Süddeutsche Zeitung“ von 2.000 . Die „Welt“ bietet mehr: »„Es sind 4000 Mann“, behauptete Louay al-Mokdad, einer der Sprecher der Freien Syrischen Armee (FSA).« Der Pokal für die höchste Zahl geht jedoch an die „Zeit“ bzw. den französischen Außenminister. Nach seinen Angaben „wird die syrische Armee derzeit von bis zu 4.000 Milizionären unterstützt. Laut Laurent Fabius reichen die Schätzungen aber bis zu 10.000 Kämpfern, einem Vertreter der Freien Syrischen Armee zufolge sollen allein mehr als 7.000 von ihnen an der Offensive gegen die strategisch wichtige Grenzstadt Kusair beteiligt gewesen sein.“ Auf der Juni-Konferenz der „Freunde Syriens“ echauffierte sich Fabius dergestalt: „Wir lehnen die Internationalisierung des (Syrien-)Konflikts kategorisch ab. In dem von uns eben verabschiedeten Schlussdokument fordern wir, dass die Iraner und die Hisbollah ihre Einmischung in diesen Konflikt unverzüglich einstellen“
Militärisch wichtiger als die Beteiligung der Hisbollah-Kämpfer ist sicher die Einmischung des Irans. Diese „läuft auf mehreren Ebenen, wie der neuste Bericht des renommierten Institute for the Study of War (ISW) deutlich macht. Umfangreiche Waffenlieferungen der islamischen Republik, die überwiegend durch den irakischen Luftraum eingeflogen werden, sind nur ein Teil eines umfassenden iranischen Kriegshilfe-Pakets... Irans al-Kuds-Spezialeinheiten, sowie Sicherheitsdienste der regulären iranischen Landstreitkräfte beraten und trainieren Assads Truppen im Kampf gegen die Rebellen. Die Beteiligung reicht bis in die obersten Führungsschichten des Militärs. Gewissheit, dass hohe iranische Offiziere in Syrien im Einsatz sind, gab es im Februar. Al-Kuds-Brigadegeneral Hassan Shateri wurde damals am Rande von Damaskus getötet.“

Der allerwichtigste Verbündete des Assad-Regimes bleibt selbstverständlich Russland, das weiterhin ganz offen und offiziell Waffen nach Syrien liefert. Schließlich sei das legal. Diese Rechtsauffassung wird übrigens auch von zwei Hochschullehrern in die FAZ vom 28.6.2013 vertreten. Die Überschrift ihres Beitrags lautet: „Nur an das Assad-Regime dürfen Waffen geliefert werden“.

Ausländische Unterstützung für die Rebellen

Die Internationalisierung durch die „Freunde Syriens“ ist natürlich eine ganz andere Sache. Es ist nicht überliefert, dass Fabius sich auch von den nicht-syrischen Kämpfern auf Seiten der Aufständischen distanziert hat. Diese haben offensichtlich andere Größenordnungen. UN-Vermittler Brahimi bezifferte die Zahl der ausländischen Kämpfer auf Seiten der Aufständischen am 23.4.2013 auf 30.000 bis 40.000 (!). Da auch aus westlichen Ländern Kämpfer nach Syrien aufbrechen, warnt inzwischen sogar der deutsche Innenminister vor solchem „Dschihad-Tourismus“: „Wir gehen davon aus, dass dort mindestens fünfzig Personen aus Deutschland kämpfen. Andere europäische Länder haben vergleichbare, teilweise noch höhere Zahlen... Diese Leute gehen mit hoher Entschlossenheit nach Syrien und lernen dort ein tödliches Handwerk, mit dem sie ihren Hass in die Tat umsetzen können – tickende Zeitbomben also, wenn sie nach Europa zurückkehren.“ Aus der gesamten EU sollen „bis zu 500 radikale Islamisten... sich den Kämpfern gegen Assad angeschlossen haben.“ In Saudi-Arabien wird das Problem übrigens so angegangen: „Wer sich daran (am Kampf) beteiligt, wird nach seiner Rückkehr vor Gericht gestellt, weil er sich dem Befehl des Königs widersetzt hat.“ So der ehemalige saudiarabische Geheimdienstchef Prinz Turki Bin Faisal. Es ist auch kein Geheimnis, dass sich kriegserfahrene Kämpfer aus dem Irak, Libyen und Tschetschenien auf dem syrischen Schlachtfeld tummeln. Offenbar haben manche dieser Kämpfergruppen auch direkt Waffen aus den USA erhalten, z.B. wurde vom belgischen Radiosender Premiere am 22.Mai 2013 über entsprechende Lieferungen an „syrische“ Oppositionskämpfer aus bzw. über Bengasi berichtet.

„Nichts sei jedoch schlimmer als das Nichtstun der vergangenen beiden Jahre.“ So der republikanische US-Senator McCain mit Blick auf den Syrienkrieg. „An die 100 000 Menschen sind bereits ums Leben gekommen. Da kann man nicht mehr zuschauen.“ So variiert der stellvertretende Chefredakteur der „Bild“, Blome, den Gedanken und meint, „dass man jetzt etwas tun muss.“ Auch die taz-Redakteurin Silke Mertins beklagt: „Die Zurückhaltung hat bisher nur dem Assad-Regime genützt. Es ist eine Illusion, zu glauben, dass man sich nicht schuldig macht, wenn man nichts tut.“

Die „Untätigkeit des Westens“ bestand bisher darin, das Assad-Regime international zu isolieren, die diplomatischen Beziehungen abzubrechen, umfassende Wirtschaftssanktionen zu verhängen, die Aufständischen mit geheimdienstlichen Informationen und Waffen zu versorgen, sie auszubilden, eine Gegenregierung aufzubauen und in vielem mehr. Insofern scheinen sich McCain, Blome und Mertins in einem Paralleluniversum aufzuhalten. Man kann die westlichen Führer Obama, Cameron und Hollande als „Zauderer“ beschimpfen, wie es Dominic Johnson in der taz vom 18.6.2013 macht, weil ihm die Taten nicht weit genug gehen. Aber der Vorwurf des Nichtstuns ist wirklich fehl am Platz bzw. reine Propaganda.

Zur Koordinierung der internationalen Einmischung des Westens wurden im Februar 2012 auf Initiative Frankreichs die „Freunde Syriens“ gegründet. Im Dezember 2012 gelang es, 114 Staatenvertreter zur Konferenz in Marrakesch zu mobilisieren. Die Leitungsgruppe, die sich häufiger trifft, besteht aus den USA, Britannien, Deutschland, Frankreich, Italien, Ägypten, der Türkei, Saudi-Arabien, Jordanien, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Qatar.
Natürlich sind die illegalen westlichen Waffenlieferungen an die Aufständischen der breiten Öffentlichkeit nicht so bekannt, aber es gibt sie: „Die Nachrichtenagentur Reuters berichtete, dass Saudi-Arabien den Obersten Militärrat der Freien Syrischen Armee (FSA) bereits seit zwei Monaten mit Flugabwehrraketen ausstatte. Die Waffen stammten aus französischer und belgischer Produktion, die Regierung in Paris habe den Transport finanziert.“ Das berichtet die FAZ am 18.6.2013 auf Seite 1!

Auch die US-Unterstützung spielt sich eher im Verborgenen ab. Dennoch weiß jeder, der es wissen will, darüber Bescheid, z.B. wenn er am 25.3.2013 die FAZ gelesen hat:

„Mitarbeiter der CIA versorgen „ausgewählte syrische Rebellengruppen mit Lagebildern und über mögliche Ziele von Angriffen. Außerdem bilden sie Aufständische in Lagern in Jordanien aus, etwa im Umgang mit Boden-Luft-Raketen zum Einsatz gegen Assads Luftwaffe... Schließlich unterstützt die CIA verbündete Staaten der Region wie die Türkei, Saudi-Arabien und Qatar bei der Beschaffung von Waffen für die Rebellen sowie bei deren Lieferung über den Landweg von der Türkei in die befreiten Gebiete im Norden Syriens. Seit November ist es zu einer deutlichen Zunahme der Frachtflüge mit Waffen - etwa aus Kroatien - zu einem Flughafen nahe Ankara gekommen, von wo die Ladung unter Aufsicht der türkischen Behörden mit Lastwagen weiter transportiert wird. Das Stockholmer Friedensforschungsinstitut Sipri schätzt, dass in den vergangenen Wochen mindestens 3500 Tonnen Waffen, Munition und Ausrüstung an ausgewählte syrische Rebellengruppen geliefert wurden.“
Konkret sind in Jordanien seit Mai 2012 1.000 US-Militärausbilder tätig, um syrische Aufständische zu trainieren. Diese Information gab „US-Generalstabschef Martin Dempsey in einem Hintergrundgespräch mit Pressevertretern“ Anfang Mai 2013 (Quelle ist die Los Angeles Times). Der Einsatz begann mit einem Militärmanöver, an dem 12.000 Soldaten aus 19 Ländern teilnahmen. Die US-Verbände blieben praktischerweise gleich im Land.
Im Juni 2013 – nach „Entdeckung“ der C-Waffen-Einsätze - wurde die Zahl nach Angaben der „tagesschau“ auf 2.000 verdoppelt. Laut der Zeitung „Welt“ handelt es sich sogar um eine Verdreifachung: „Nach Angaben eines jordanischen Militärs hat Washington, um das Ausbildungsprogramm für die FSA auszuweiten, in der vergangenen Woche rund 2000 zusätzliche Berater und Ausbilder nach Jordanien geschickt.“
Ein Sprecher des Weißen Hauses bestätigt: „Wir haben unsere Unterstützung verstärkt." Ziel der Maßnahme soll sein, dass die Rebellen „aus eigener Kraft eine Flugverbotszone und sogenannte sichere Pufferzonen entlang der jordanisch-syrischen Grenze verteidigen können.“ Der Aufstockung ging wiederum ein Militärmanöver voraus, so dass die US-Soldaten in bewährter Manier ihren Aufenthalt verlängerten. 2013 hatten sie F-16-Bomber und Patriot-Raketen mitgeführt, die für die beabsichtigte Einrichtung der Flugverbotszone eingesetzt werden könnten. Natürlich alles auf „jordanischen Wunsch hin“ .
Bisher ist die finanzielle Hauptinvestition von Qatar getätigt worden: Laut Financial Times vom 17.5.2013 soll das Land „seit 2011 an die Rebellen in Syrien Geschätzte drei Milliarden Dollar... bezahlt haben“. Es handelt es sich gewissermaßen um ein „Rent-a-revolution“-Projekt mit folgenden Tarifen: Gezahlt werden „Unterstützerpakete von 50.000 Dollar im Jahr für einen Überläufer und dessen Familie. In der Provinz Aleppo sollen Kämpfer auf Seiten der Rebellen im September eine Einmalzahlung von 150 Dollar erhalten haben.“ Hauptwaffenlieferant soll Saudi-Arabien sein. Ein weiterer Lieferant ist Libyen, wie der freitag meldet: „Für die Aufrüstung islamistischer Kämpfer springt zusehends Libyen in die Bresche. Daran seien nicht nur Privatleute beteiligt, sondern auch offizielle Stellen in Tripolis, berichten UN-Beobachter.“
Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass die Waffenlieferungen an die Rebellen gegen geltendes Völkerrecht vorstoßen. In der bereits oben angesprochenen rechtlichen Expertise für die FAZ kommen Thilo Marauhn und Sven Simon von der Giessener Justus-Liebig-Universität zu dem Schluss: „Die Kompetenz für die Zustimmung zu Waffenlieferungen verbleibt also – solange der Sicherheitsrat nichts anderes entscheidet – bei der syrischen Regierung, auch wenn man dieser aufgrund ihres gewaltsamen Vorgehens gegen die Aufständischen die Legitimität dazu absprechen möchte.“. Sie warnen: „Wenn sich Staaten entscheiden, den Aufständischen Waffen zu liefern, stellen sie das auf Deeskalation und Gewaltvermeidung angelegte UN-Friedenssicherungssystem zur Disposition.“
Da die Rebellen trotz all dieser Unterstützung bisher den Bürgerkrieg nicht gewinnen konnten, in den letzten Monaten sogar in die Defensive geraten sind, sollen die Waffenlieferungen nun kräftig ausgeweitet werden. Das haben die „Freunde Syriens“ am 22.6.2013 in Qatar zum Ausdruck gebracht: »Den Rebellen solle „dringend alles notwendige Material und Ausrüstung geliefert werden“, beschloss die Gruppe.« Die Einzelheiten finden sich offenbar in „geheimen Beschlüssen“, deren Existenz der qatarische Regierungschef immerhin ausplauderte. Zwei Staaten tragen den Kurs offenbar nicht mit, vermutlich Italien und Deutschland, dessen Außenminister Westerwelle deutschen Waffenlieferungen bei verschiedenen Gelegenheiten eine Absage erteilt hat.
In der EU hatten Britannien und Frankreich bereits im Mai 2013 dafür gesorgt, dass ihre Waffenlieferungen ab sofort nicht mehr gegen EU-Beschlüsse verstoßen. Auch der Auswärtige Ausschuss des US-Senats hatte Ende Mai mit 15:3 Stimmen für Waffenlieferungen an die Rebellen votiert. Eine der Gegenstimmen kam vom republikanischen Senator Rand Paul, der seine Kollegen scharf angriff: »‚Sie finanzieren heute die Verbündeten von Al-Kaida. Das ist eine Ironie, die sie nicht ignorieren können.‘« Ähnlich lässt sich der stellvertretende Bundesvorsitzende der CDU, Armin Laschet, ein: „Geradezu bizarr ist eine europäische Außenpolitik, die die Rebellen in Syrien als ‚Freiheitskämpfer’ glorifiziert und die gleichen Kämpfer mit den gleichen Methoden und Zielen... in Mali als Terroristen bekämpft... Der ‚Arabische Frühling’ droht für die Christen und andere Minderheiten schon jetzt zu einem ‚bitteren Winter’ zu werden. Waffenlieferungen an die Rebellen beschleunigen die menschliche Katastrophe.“
Paul und Laschet weisen damit auf das schon länger real existierende Dilemma des Westens hin: Zwar erhalten die säkularen Brigaden der Rebellen die Waffen in erster Instanz, aber diese reichen die Waffen natürlich auch an ihre islamistischen Verbündeten weiter: „Wie weitere neue Internetvideos belegen, ist nicht nur Ahrar al-Sham im Besitz dieses Kriegsgeräts, sondern auch die von den USA als Terroristengruppe eingestufte Al-Nusra-Front.“ Letztere verfügt nach Angaben der WELT über 6.000 bis 8.000 Kämpfer!
Von US-Befürwortern der Waffenlieferungen ist zwar der schöne Begriff „zertifizierte Rebellen“ („vetted rebels“) erfunden worden. Aber: »Inwieweit es solche „zertifizierten Aufständischen“ aber überhaupt gibt, ist mehr als fraglich. So berichtete die New York Times (28.04.2013): „In den von Rebellen kontrollierten Teilen Syriens existieren keinerlei säkulare kämpfende Truppen, die der Rede wert wären.“« Immerhin zeigt die Führung der Freien Syrischen Armee Verständnis: „FSA-Sprecher Mukdad betonte, seine Armee werde dafür sorgen, dass die Waffen nach dem Ende des Konflikts wieder eingesammelt würden.“ Der französische Präsident Hollande war schon im März 2013 ganz beruhigt und gab zu Protokoll, „die Rebellen hätten ihm versichert, dass die Waffen nicht in falsche Hände kämen.“
Ghassan Hitto, „Übergangspräsident der syrischen Nationalen Koalition“, spielt die Problematik herunter und macht aus der Nähe zu Al-Nusra kein Hehl: „Nach allem, was ich aus Syrien höre, werden der Einfluss und die Präsenz dieser Gruppen übertrieben dargestellt. Darüber hinaus teilen sie mit uns ein Ziel: Sie wollen das Regime Baschar al Assads stürzen. Es wäre falsch, bewaffnet gegen sie vorzugehen oder in Konkurrenz zu ihnen zu treten. Konfrontation ist nicht der Weg, wir können unsere Regierung nur schrittweise als Alternative etablieren. Schließlich haben die Menschen sich diesen Gruppen aus purer Not angeschlossen...“
Auch wenn die „Freunde Syriens“ die Entscheidung auf dem Schlachtfeld suchen, so haben sie offensichtlich massive politische Probleme: Die Rebellen verlieren Rückhalt in der Bevölkerung. Ein Indiz dafür ist, dass es in keinem nennenswerten Ausmaß mehr Überläufer zur Freien Syrischen Armee gibt. Ein Beleg ist eine NATO-eigene Umfrage, nach der das Assad-Regime von 70% der Bevölkerung unterstützt wird! »Weitere 20 Prozent verhielten sich neutral und lediglich 10 Prozent unterstützten die Aufständischen. „Die Leute sind den Krieg leid und hassen die Jihadisten mehr als Assad. Assad gewinnt den Krieg vor allem deshalb, weil die Menschen mit ihm gegen die Rebellen kooperieren“, wird eine westliche Quelle zitiert, die mit den Umfrageergebnissen vertraut sei. « Bei den Rebellen sind die islamistischen Gruppen offenbar inzwischen die stärkste Fraktion: „Sechzehn Monate nach ihre Gründung im Januar 2012 hat sich die sunnitische Al-Nusra-Front zur stärksten von Hunderten Kriegesparteien entwickelt... Die Befehle des im vergangenen Dezember in Istanbul gebildeten Hohen Militärrats der Freien Syrischen Armee (FSA) ignorieren die Einheiten.“ Diese islamistische Einheit verfügt „über panzerbrechende Waffen und Luftabwehrraketen... Von Aleppo im Nordwesten... bis Deir al Zor an der Grenze zum Irak reicht der Landstrich, der... unter Kontrolle der Al-Nusra-Front steht... Saudi-Arabien und Qatar sind die wichtigsten Unterstützer der islamistischen Milzen.“
In den islamistisch kontrollierten Gebieten, auch in der Großstadt Aleppo, werden Hilfsgüter verteilt, aber auch die Scharia ist eingeführt worden . Die Konsequenzen können auf diversen Videos auf Youtube besichtigt werden. Christen werden vor laufender Kamera enthauptet, katholische Geistliche erschossen . In einer taz-Reportage fragt ein Regierungs-Soldat, der in einem Gotteshaus Stellung bezogen hat: »Warum unterstu¨tzt Europa Terroristen in Syrien, die Christen ermorden und Kirchen zersto¨ren?«

Besonders unappetitlich ist ein Kannibalen-Video. Es zeigt den »Kommandeur der "Unabhängigen Omar al-Faruk-Brigade" Abu Sakkar... Er schneidet einem toten Soldaten der Assad-Armee die Brust auf und führt ein Organ an den Mund, als wolle er es essen. "Herz und Leber" der Soldaten Baschars werde man verschlingen, droht er, und hetzt: "Erschlagt die Alawiten und esst ihre Herzen!"« Natürlich „distanzierten sich die Freie Syrische Armee, der lose Dachverband der Rebelleneinheiten, und der oppositionelle Militärrat. Abu Sakkar müsse "tot oder lebendig" festgesetzt werden, verlangten sie...“ Der russische Präsident Putin leitete trotzdem aus dem Video ab, die Gegner Assads „seien Kannibalen und dürften nicht mit Waffen beliefert werden“ .
Assad schlägt in die gleiche Kerbe: „... die Europäer liefern Waffen und wissen, dass sie diese an Terroristen liefern.“ In der Folge werde „der Hinterhof Europas terroristisch“. Alternativ schlägt er zwar nicht gleich vor, dass die EU-Staaten Waffen an sein Regime liefern sollten, aber sein Statement ist: „Für Europa gibt es zu einer Kooperation mit dem syrischen Staat keine Alternative, auch wenn das Europa nicht gefällt.“
Einer der wenigen profilierten Kritiker der westlichen Syrienpolitik, der ehemalige CDU-Bundestagsabgeordnete Jürgen Todenhöfer, kommt zu dem Befund: „Ich habe Al Qaida in Afghanistan, Pakistan und im Irak erlebt. Gegenüber Al Nusra waren das Zwergenorganisationen. Zum Riesen wurde Al Qaida in Syrien. Mit jedem Kriegstag wird Al Qaida mächtiger, attraktiver, ja sogar respektierter. Die Sender Al Dschazira und Al Arabija berichten täglich von ihren ‚Heldentaten’.“

Vor diesem Hintergrund erscheint die westliche Syrienpolitik irre und von allen guten Geistern verlassen. Wenn die erwähnte NATO-Umfrage einigermaßen den Realitäten entspricht, führen Rebellen einen Krieg gegen die Mehrheit des syrischen Volkes. Und der Westen unterstützt sie dabei.

Keine Alternative zu Genfer Friedensverhandlungen

Die Spur Hoffnung, dass die USA mit ihrem neuen Außenminister Kerry und Russland die beiden Konfliktparteien im Rahmen einer Genfer Friedenskonferenz zu einer Verhandlungslösung bringen könnten, hat sich inzwischen verflüchtigt. Nicht einmal ein Termin ist in Sicht. Wobei nicht alle diese Hoffnung bzw. Strategie teilen, stattdessen mehr kriegerisches Engagement fordern. Dominic Johnson von der taz behauptet allen Ernstes: „Erfahrungsgema¨ß kostet eine solche Strategie des endlosen Palavers viel mehr Menschenleben als jede andere.“

Andererseits gibt es keine sinnvolle friedenspolitische Alternative zur Bildung aus einer Übergangsregierung, in der beide Konfliktparteien vertreten sind und die die neue politische Ordnung Syriens herbeiführt. Erklärt sich nur eine Seite zur „Übergangsregierung“ bzw. hält sich für die einzig legitime Regierung, geht der Bürgerkrieg unvermindert weiter. Rebellenseitig formuliert der „Übergangsministerpräsident“ die entsprechende Position so: „Die Strukturen des Regimes sind nicht legitim, die einzig legitime Vertretung des syrischen Volkes ist die Koalition der revolutionären und oppositionellen Kräfte. Das sieht auch die internationale Gemeinschaft (gemeint sind: die „Freunde Syriens“, UC) so, die die Nationale Koalition im Dezember anerkannt hat – und angekündigt hat, die von ihr ernannte Regierung zu unterstützen.“ Gefragt, ob er, Hitto, bereit sei, in eine Übergangsregierung einzutreten, „der auch Vertreter des Regimes angehören“, antwortet er: „Wäre ich bereit, einer Regierung anzugehören, in der Kriminelle vertreten sind und Individuen, die Blut an den Händen haben und bekannt sind für Korruption? Natürlich nicht.“

Die Aufgabe der ausländischen Mächte besteht darin, ihre jeweilige Klientel an den Verhandlungstisch zu holen. Russland ist dabei für das Assad-Regime und seine Verbündeten Hisbollah und Iran zuständig und war dabei zunächst erfolgreich. Denn am 25.2.2013 erklärte sich der syrische Außenminister das erste Mal bereit, auch mit bewaffneten Oppositionellen zu verhandeln , also lange bevor sich die Lage auf dem Schlachtfeld im Mai zugunsten des Regimes verschob. Im Juni erläuterte Assad jedoch eine veränderte Position. Gefragt: „Mit wem sind Sie bereit, sich an einen Tisch zu setzen?“ antwortet er: „Mit jeder Opposition, die keine Waffen trägt, nicht den Terrorismus unterstützt und ein politisches Programm hat.“ Er glaubt, dass er praktisch mit den Herren USA, Britannien und Frankreich verhandeln wird sowie mit „deren Werkzeugen Türkei, Qatar und Saudi-Arabien“. Verhandlungen mit den Sklaven bzw. Angestellten, also den Kräften, „die sich Opposition im Ausland nennen“ lehnt er ab.

Ähnlich starrköpfig zeigt sich die Rebellenseite. „Selbst die Ansprechpartner des Westens, deren Einfluss auf die Kämpfer der Rebellen umstritten ist, sind schwer an einen Tisch zu bringen: Die libanesische Zeitung Al-Nahar berichtet von ermüdenden Verhandlungen zwischen der in Istanbul ansässigen Nationalen Syrischen Koalition und dem Nationalen Koordinierungskomitee für demokratischen Wandel.“

Vielfach wurde von den Rebellenorganisationen der Rücktritt Assads zur Vorbedingung gemacht. Auch der britische Außenminister Hague belastet mögliche Verhandlungen mit Wunschvorstellungen der zu erzielenden Ergebnisse. Auf die Frage: „Kann Assad Teil einer Übergangsregierung sein?“ antwortet er: „Nein, denn dafür müssten beide Konfliktparteien zustimmen.“ Demnach gibt es also zwei Konfliktparteien, das Assad-Regime und die Assad-Gegner. Und deswegen ist die eigentliche Herausforderung für den Westen als Schutzpatron der Gegner die Repräsentanz der militärischen Kräfte in Syrien selbst sicherzustellen. Verständlicherweise beharrt Moskau darauf, „dass... vor allem Vertreter der bewaffneten Rebellen teilnehmen. Am Tisch könnte der dem Westen zugeneigte General Idris sitzen; undenkbar ist indes eine Teilnahme der Al-Nusra-Front.“ Aber wie kann ein Waffenstillstand ohne die islamistischen Gruppierungen, nicht zuletzt die Al-Nusra, funktionieren? Auf ein entsprechendes westliches Konzept, wie man seine ungeliebten Bündnispartner einzubinden gedenkt, darf man gespannt sein. Aus dieser Verantwortung hat sich der Westen durch die Erklärung von Al-Nusra zur Terrororganisation nicht heraus stehlen können. Eine zuletzt kolportierte Variante besteht darin, „Kämpfer der Nusra-Front und anderer islamistischer Kampfbrigaden zu überzeugen, sich der FSA anzuschließen“.

Aber sehen wir einmal von diesem massiven Verhandlungshindernis ab. Auch die ‚gemäßigten’ Rebellen haben inzwischen weitere Forderungen erhoben. Der Präsident der Syrischen Nationalen Koalition, George Sabra, erklärte: „Die Nationale Koalition wird weder an einer internationalen Konferenz teilnehmen noch andere Bemühungen unterstützen, so lange die Milizen des Irans und der Hisbollah ihre Invasion Syriens fortsetzen“ . Gleichzeitig würden die bis zu 30.000 bis 40.000 islamistischen Kämpfer auf Rebellenseite im Land bleiben?

FSA-Chef Idris schrieb in einem Brief an Kerry: „Für substanzielle Verhandlungen brauchen wir eine ausgeglichene, militärische Lage... Ohne Balance wird das Regime Bedingungen diktieren wollen." Diese Auffassung haben sich inzwischen tatsächlich die „Freunde Syriens“ zueigen gemacht: „Die Außenminister von elf westlichen und arabischen Staaten bekannten sich dazu, vor der geplanten Friedenskonferenz in Genf die Position der Rebellen deutlich zu stärken.“ Es ist die alte Al Capone-Logik. Dieser verbreitete als Lebensweisheit: ‚Man kommt weiter mit einem freundlichen Wort und einer Kanone als nur mit einem freundlichen Wort.’

US-Interessenlage

Aber zielt die westliche Syrien-Politik überhaupt auf ein Verhandlungsergebnis in Genf? Gehen wir aber einmal davon aus, dass die westliche, insbesondere die US-amerikanische Syrien-Politik genauso wenig wie das Assad-Regime „irre“ ist, sondern durchaus einem rationalen Kalkül folgt.

Die generelle Interessenlage Washingtons fasst der republikanischen Senator McCain so zusammen: „Der Sturz des Assad-Regimes wu¨rde die Lebenslinie der Hisbollah in den Iran durchtrennen, eine langja¨hrige Bedrohung Israels beseitigen, die Souvera¨nita¨t und Unabha¨ngigkeit des Libanon sta¨rken und dem iranischen Regime eine strategische Niederlage zufu¨gen. Er wa¨re ein geostrategischer Erfolg ersten Ranges. Mehr als all die u¨berzeugenden moralischen und humanita¨ren Gru¨nde liegt hier die Ursache, weshalb Assad nicht erlaubt werden kann, erfolgreich zu sein und an der Macht zu bleiben: Wir haben ein klares nationales Sicherheitsinteresse an seiner Niederlage. Und das allein sollte uns dazu ermuntern, beachtliche Risiken einzugehen, um dieses Ziel erreichen zu ko¨nnen.“

Ein beachtliches Risiko wäre natürlich eine Militärintervention, z.B. im Gewand einer „Flugverbotszone“, die McCain mittels Patriot-Raketen schützen möchte . Die Beschuldigung, das Assad-Regime habe C-Waffen eingesetzt, deutet in Richtung entsprechender Luftwaffenangriffe nach dem Vorbild des Libyen-Krieges. Die Obama-Regierung teilt die Gründe für den Regime-Change in Damaskus, aber ist bis Anfang Juli 2013 nicht bereit, diese von McCain geforderte riskante Maßnahme umzusetzen. Damit müssten die Aufständischen weiterhin ohne Luftwaffenunterstützung zurechtkommen. Der Dissens zwischen Obama und McCain besteht darin, dass Obama bei Syrien wieder eine „Leading-from-behind“-Strategie verfolgt, also Bündnispartnern die erste Reihe überlässt. McCain hingegen verlangt in einem Interview mit Fox News mehr: „Der Massenmord geht weiter, und die Situation erfordert eine amerikanische Führung.“

Es wird den Regierenden in Washington klar sein, dass allein die massive Aufrüstung und Ausbildung der Aufständischen den Regime-Change nicht herbeiführt. Absehbarer Effekt ist jedoch, dass Syrien (sowie das Nachbarland Libanon) dauerhaft destabilisiert werden. Jürgen Wagner schlussfolgert deswegen: „Da die gegenwärtige US-Politik lediglich einen eskalierenden und fortdauernden Bürgerkrieg fördert und dringend notwendige Friedensverhandlungen torpediert, liegt die Vermutung nahe, dass genau hierin das Ziel liegt.“ Der entsprechende „Abnutzungsbürgerkrieg“ wäre ein Instrument, um die mit Assad verbündeten Kräfte, insbesondere den Iran und die Hisbollah, zu schwächen und zu binden. Solange diese in Syrien kämpfen, sind sie nicht in der Lage ihre militärischen Potentiale gegen Israel zu wenden. Der US-amerikanische Think Tank Stratfor analysierte die Gemengelage am 14.06.2013 so: „Das strategische Interesse der USA besteht darin, nicht tiefer in einer weiteren uralten sektiererischen Blutfehde zu versinken, die die US-Fähigkeit ihre Position in anderen Ecken der Welt zu halten, beeinträchtigt. Der Iran kann aufgrund der jüngsten Erfolge der Loyalisten in Syrien Zuversicht an den Tag legen, aber hierbei handelt es sich nicht um einen Konflikt, der bald enden wird. Er wird deshalb immer größere Opfer von Syriens Verbündeten fordern, um zu verhindern, dass die Alawiten an Boden gegenüber der sunnitischen Mehrheit einbüßen. Aus Sicht der USA ist das keine schlechte Sache.“

Das wäre ein ähnliches Kalkül wie in den 1980er Jahren, als der Iran vom Irak angegriffen und in einen jahrelangen Abnutzungskrieg verwickelt wurde. Dabei wurde der Irak von den USA unterstützt. Wie erwähnt hatten die drei westlichen UN-Veto-Mächte damals auch nichts dagegen einzuwenden, dass der Irak in diesem Abnutzungskrieg auch C-Waffen einsetzte.

Die deutsche Rolle

Wie ist Deutschland in den syrischen Bürgerkrieg verstrickt? Hier ist die Lage widersprüchlich. Einerseits hat die Bundesregierung seit 2011 die westliche Anti-Assad-Politik voll mitgetragen und ist Mitglied der Führungsgruppe der „Freunde Syriens“. Es wurden diverse deutsche Spionagedienstleistungen für die Rebellen erbracht und die staatlich finanzierte Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) fungierte als Gastgeber für die Oppositionsplanungen für die Zeit nach dem Sturz Assads, das so genannte „The Day After Project“. Bei den „Freunden Syriens“ hat Deutschland den Vorsitz beim „Korb“ ‚Wirtschaftspolitik und –reformen’ . Nicht zuletzt sind auch deutsche Patriot-Raketen in der Türkei stationiert worden.

Auch ist zu vermuten, dass deutsche Waffentechnik und Waffen den Weg nach Syrien finden. Den größten Teil des Waffennachschubs erhalten die Rebellen bekanntlich über Qatar und Saudi-Arabien. Diese wiederum kaufen fleißig bei den westlichen Waffenschmieden ein, auch in Deutschland. Gerade Saudi-Arabien ist dafür bekannt, mit der „Endverbleibsgarantie“ recht locker umzugehen. Jürgen Grässlin berichtet in seinem aktuellen Buch „Schwarzbuch Waffenhandel“ über das Procedere. Er zitiert Michael Lehmann, den ehemaligen Heckler & Koch-Firmenbeauftragter für die arabische Region: „»Von Saudi-Arabien her weiß ich, dass man nicht gewillt ist, eine Endverbleibsklausel in Arabisch zu unterzeichnen. In Englisch wird das akzeptiert.« Lehmanns Erklärung war ebenso schlüssig wie verblüffend: Das englischsprachige Dokument ist »in Saudi-Arabien rechtlich nicht gültig«.“ Aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage von Jan van Aken (DIE LINKE) geht hervor, dass zufälligerweise die Munitionsausfuhren an Arabische Länder explosionsartig gestiegen sind: „Von 398.000 im Jahr 2011 auf 1,64 Millionen Euro im Jahr 2012.“ In Saudi-Arabien in Lizenz gefertigte deutsche Gewehre dürften auch ihren Weg in den Bürgerkrieg gefunden haben.

Andererseits hat die Bundesregierung sich auf entsprechenden internationalen Treffen in 2013 als Gegner von Waffenlieferungen an die Rebellen positioniert und sich damit vermutlich keine Freunde in Washington, Paris oder London gemacht. Die Verhandlungslösung betreffend ist Westerwelles Position so: „Die im letzten Jahr vereinbarte Genfer Erklärung sieht auf dem Weg zu einer politischen Lösung eine Übergangsregierung mit vollen exekutiven Vollmachten unter Beteiligung der Opposition vor. Darauf sollten wir weiter mit Nachdruck hinarbeiten.“ D.h.: Westerwelle sieht für die Aufständischen keine Führungsrolle in der Übergangsregierung vor. Der „Übergangspräsident“ Hitto wird das nicht goutieren.

Eine konsequente Haltung wäre natürlich, das Engagement bei den „Freunden Syriens“ zu beenden. Das würde Deutschland in eine neutrale Position versetzen, die Voraussetzung für eine aktive Vermittlungsrolle wäre. Ein solcher Schritt wäre mit der Enthaltung im Sicherheitsrat in Sachen Libyenkrieg vergleichbar. Ob die deutsche Regierung dafür den Mut aufbringen würde, ist sehr zweifelhaft.

Unschöne Aussichten...

Ein Ende des Blutvergießens in Syrien, das schon jetzt ca. 100.000 Tote gefordert hat, ist weiterhin nicht in Sicht, da die lokalen Akteure angestachelt durch ihre internationalen Unterstützer keinerlei Bereitschaft zeigen, den Krieg ohne eigenen Sieg zu beenden.

Uli Cremer
Hamburg 8.7.2013

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