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Hamburg/Münster 03.12.2009

Der schwindende Einfluss Deutschlands auf den Afghanistan Krieg

Die Entscheidung von US-Präsident Obama, 30.000 weitere Soldaten in den Afghanistankrieg zu schicken und damit die Zahl auf 100.000 Soldaten zu erhöhen steht für eine weitere blutige Eskalation des Krieges in Afghanistan. Die USA verdoppeln damit innerhalb kürzester Zeit ihr Militär in Afghanistan.

Die USA demonstrieren zudem durch die Zahl der nunmehr eingesetzten Soldaten und die Art und Weise, wie die Entscheidung zustande gekommen ist, dass der Krieg in Afghanistan ein Krieg der USA ist.

Erinnern wir uns an andere Zahlen und Zeiten: 2003, als erstmals Bundeswehrsoldaten nach Kundus entsandt wurden, stellte Deutschland 1500 von 5000 ISAF Soldaten. Daneben waren 8000 US Soldaten im Rahmen von OEF in Afghanistan stationiert. Nach der Ankündigung Obamas werden 4500 deutsche Soldaten 100 000 US Soldaten gegenüber stehen. Der CDU Verteidigungsexperte Karl Lamers1 [1] bemerkte bereits 2001: “das Maß der Mitbestimmung richtet sich nach dem Maß des Mitwirkens” und in den verteidigungspolitischen Richtlinien des CDU Verteidigungsministers Volker Rühe2 hieß es bereits 1992:„Wenn die internationale Rechtsordnung gebrochen wird oder der Frieden gefährdet ist, muss Deutschland auf Anforderung der Völkergemeinschaft auch militärische Solidarbeiträge leisten können. Qualität und Quantität der Beiträge bestimmen den politischen Handlungsspielraum Deutschlands und das Gewicht, mit dem die deutschen Interessen international zur Geltung gebracht werden können.“

Und im Jahre 2003 trug der Afghanistan-Krieg eine deutliche deutsche Handschrift: Insbesondere Deutschland sorgte dafür, dass das ISAF-Mandat von Kabul auf das ganze Land ausgedehnt und die ISAF unter NATO-Kommando gestellt wurde. Widerstrebende europäische Bündnispartner wurden überzeugt mitzumachen [2] .

 

Das Scheitern der deutschen Afghanistan Ambitionen

Heute hat US-Präsident Obama den Traum der deutschen Politik blamiert, durch die Entsendung von Soldaten nach Afghanistan ein Zeichen ihres nach der Vereinigung gewachsenen weltpolitischen Gewichts zu liefern. Daran werden auch 2.500 zusätzliche Bundswehrsoldaten wenig ändern können.

Das gilt auch für die Art und Weise, wie die Entscheidung der US-Regierung getroffen wurde. Nicht in der NATO wurde die neue US Strategie beraten, deren Mitglieder 2001 den Bündnisfall ausgerufen hatten, um ihre Mitbestimmung als US-Verbündete im “Krieg gegen den Terror” zu institutionalisieren, sondern vom US-Präsidenten im Gespräch mit seinen Beratern. Wochenlang wurde dieser Beratungsprozess geradezu zelebriert: Heute ein Strategiepapier von General McChrystal, morgen eine Eingabe des US-Botschafters in Afghanistan, danach Beratungsrunden mit Vizepräsident Joe Biden - ständig wurde demonstriert, wer sich hier mit wem berät - und mit wem nicht. Bereits vor seiner Ansprache demonstrierte US-Präsident Obama durch die Art und Weise, wie die “neue” Strategie für den Krieg entwickelt wurde, was er schließlich in seiner Ansprache ausdrücklich erklärte, nämlich dass der Krieg in Afghanistan “ein andauernder Test  für die Führungskraft der USA in der Welt sind” (“an enduring test of .. our leadership in the world”) und gab so auch eine Kostprobe seines Verständnisses von Multilateralismus.

In der NATO wird jetzt nur noch nachvollzogen, was die USA entschieden haben. Britannien und Deutschland, nach den USA die NATO-Staaten mit den größten Truppenkontingenten in Afghanistan, veranstalten, um den Anschein einer Mitsprache zu retten, Anfang Januar 2010 eine Afghanistankonferenz in London. Dort mag über alles mögliche gesprochen werden, mit welchen Mittel und mit welchen Zielen Krieg in Afghanistan geführt wird, das freilich steht jetzt fest. “Verhandeln” werden auf dieser Konferenz wohl vor allem Deutschland und Britannien mit sich selbst – und mit der von den USA an den Rand gedrängten afghanischen Zentralregierung.

Gescheitert ist die deutsche Politik auch mit ihrem Ansinnen, durch einen “friedlichen Aufbau” im Norden Afghanistan der Welt eine Probe “ziviler” Ordnungsmacht zu liefern, die so ganz anders sei, als die “militärfixierte” Politik der USA. Gescheitert ist sie damit nicht nur durch das von der Bundeswehr zu verantwortende Massaker am 4.9.2009, bei dem über 140 Menschen einem Angriff auf entführte Tanklastzüge zum Opfer fielen. Gescheitert ist dieser Versuch auch dadurch, dass sich der vermeintlich friedliche Norden Afghanistans, nicht als das “andere” Afghanistan des zivilen Aufbauserwiesen hat, sondern als neuer Nachschubweg der NATO als ein Ort des Krieges. Wolfgang Ischinger, bei gewissen Kreisen der Grünen hoch geschätzter Beamter des Außenministeriums in rot-grünen Zeiten und heute Chef der Münchener Sicherheitskonferenz schrieb vor kurzem in der FAZ2: „Die Provinz Kundus ist mit den gegenwärtig verfügbaren Kräften nicht mehr in den Griff zu kriegen. Der von den Taliban geführte Aufstand im deutschen Verantwortungsbereich im Norden breitet sich aus. Mangels Truppen kann Isaf die Bevölkerung kaum schützen. Um Kundus zurückzugewinnen, müssen die militärischen Kräfte deutlich verstärkt werden. Wenn wir in den nächsten Wochen und Monaten keine nachhaltige Anstrengung machen, wird allenfalls eine großangelegte Intervention amerikanischer Truppen die Lage im Norden beruhigen können. Die Folgen hiervon wären ein Reputationsverlust Deutschlands in der Nato, die weitere Amerikanisierung der gesamten Isaf-Operation und ein faktischer Verlust der deutschen Rolle im Norden. Mit anderen Worten: ein Debakel.“

Wenige Wochen später war der Bedeutungsverlust Deutschlands da, den Ischinger als “Debakel” empfindet. Die Medien3 berichteten: “streng geheim agierenden Kräfte der "Operation Enduring Freedom" suchen im Raum Kunduz seit Dienstag gemeinsam mit afghanischen Einheiten gezielt nach Taliban und anderen Terroristen. Dem Vernehmen nach töteten sie auch mehrere ausländische Kämpfer. Mehrmals warfen US-Jets auch Bomben über dem Gebiet ab, es soll zusätzlich gezielte Attacken von unbemannten Drohnen gegeben haben. Die Bundeswehr wurde vor der Operation informiert, damit deutsche Kräfte nicht in Gefahr gerieten.”

Für das, was in Afghanistan in den nächsten Jahren stattfinden wird, ist die Position Deutschlands machtpolitisch irrelevant wie nie.

 

Dennoch: Immer mehr Truppen nach Afghanistan

Obwohl die Bundesregierung behauptet, über die Entsendung weiterer Bundeswehrsoldaten nach Afghanistan sei noch nicht entschieden, darüber solle erst nach der Afghanistankonferenz diskutiert werden, ist davon auszugehen, dass längst das deutsche Einverständnis mit einer Erhöhung des Bundeswehrkontingents erklärt worden ist. Denn ein Partner wie die USA äußert nicht die öffentlich die Erwartung, seine Verbündeten sollten weitere Truppen nach Afghanistan entsenden, wenn nicht von vornherein klar wäre, dass diese „Bitte“ erfüllt wird. Wie sollten auch die vom britischen Premier Brown angekündigten 5.000 Soldaten aus Europa zusammenkommen, wenn Deutschland nicht einen relevanten Beitrag leistete? Mit der Vertagung der öffentlichen Debatte auf das kommende Frühjahr will die Bundesregierung offensichtlich der für sie unangenehmen innenpolitischen Debatte aus dem Weg gehen.

Derzeit scheinen alle maßgeblichen PolitikerInnen entschlossen im “Bündnis” mit den USA daran festzuhalten, dass weitere Truppen in den Krieg zu entsenden sind und zusätzliche Milliarden in den Krieg investiert werden müssen. Denn es ist ein Paradigma deutscher Außenpolitik, dass Deutschland als (noch) “Exportweltmeister” Ordnungsmacht in der Welt nur an der Seite und im Windschatten der USA ausüben kann. Wer die Schifffahrtslinien der Weltmeere für den Handel sichern, die Versorgung der Wirtschaft mit Rohstoffen gewährleisten und die Indienstnahme fremder Bevölkerungen für seine Wirtschaft braucht, die man seit der Finanzkrise wieder Kapitalismus nennen darf, der fühlt sich an der Seite der USA in Sachen Weltordnung gut aufgehoben - und bastelt derweil am Aufbau eigener europäischer Ordnungsmacht. Das ist der selten ausgesprochene “Subtext” der Rede von Afghanistan als Beweis deutscher “Bündnisfähigkeit”.

 

Die Exitstrategie – ein neues Wort für Sieg und ein neues Kriegsziel

Wenn Obama erklärt, 2011 könne der Abzug aus Afghanistan begonnen werden, dann ist das nicht als die Ankündigung eines Rückzugs oder einer Aufgabe zu verstehen, sondern als das Versprechen des militärischen Sieges. Das Wort der Exitstrategie, das einst Distanz zum Krieg ausdrückte, wird heute zur Formel für den Sieg im Endkampf, zur Formel für die Eskalation des Krieges. Doch in der nunmehr angekündigten „restlichen Zeitdauer“ des Krieges drückt sich auch ein geändertes Kriegsziel aus. Noch vor gar nicht langer Zeit rechneten PolitikerInnen hierzulande mit ganz anderen Zeiträumen für den Krieg. Ähnlich wie ihre Kolleginnen von CDU und SPD erwartete etwa die GRÜNE Kerstin Müller 2006: „Afghanistan zu stabilisieren, wird nicht zwei oder drei Jahre dauern, sondern wir müssen uns auf zehn oder 20 Jahre Präsenz einstellen.“4 Das mag die Zeit sein, die für ein anspruchsvolles Nation Building Programm veranschlagt wurde. Mit den deutlich kürzeren Fristen, die jetzt für die militärische Präsenz genannt werden, ist ein ganz anderes Ziel verbunden. Dies verkündete Obama bereits Anfang des Jahres: die Begrenzung auf die Terrorbekämpfung und die Zusammenarbeit örtlichen Machthabern/Warlords. Das Weiße Haus drückt diese Distanzierung von der Zentralregierung so aus5; „Ein Schwerpunkt unserer Bestrebungen im Bereich der Regierungsführung wird auf der Entwicklung flexiblerer, sichtbarer, rechenschaftspflichtiger Institutionen auf Provinz-, Bezirks- und regionaler Ebene liegen, wo es zur direkten Begegnung der Afghanen mit ihrer Regierung kommt“. Diese Politik wird bereits umgesetzt. Die FAZ porträtierte am 5.11.20096 einen mit dem Westen verbündeten Milizenführer: Miralam Khan. Dessen Miliz wurde offenbar von den USA wiederbewaffnet und dient nunmehr als Bodentruppe. Khan „ist der neue Held von Kundus. In den Teehäusern und Eisdielen der Stadt wird sein Name ehrfurchtsvoll ausgesprochen. Viele sind davon überzeugt, dass der frühere Mudschahedin-Kommandeur im Alleingang zahlreiche Dörfer der nordafghanischen Provinz von den radikalislamischen Taliban ‚befreit’ hat. Dass er dabei das Gesetz in die eigenen Hände nahm, scheint bislang nur wenige zu stören.“

Friedenspolitisches Engagement gefordert

Und deshalb werden aller Voraussicht nach auch 2010 immer mehr Menschen auch aus Deutschland in den Krieg geschickt. Immer mehr Menschen werden dort auf allen Seiten, vor allem unter der Zivilbevölkerung sterben, weil sie das Unglück haben, Demonstrationsobjekt amerikanischer Führungskraft und deutscher Bündnisfähigkeit zu sein - wenn es der Friedensbewegung nicht gelingt, diesem Krieg den innenpolitischen Rückhalt zu entziehen. Die entscheidende Schlacht, die zur Beendigung des Vietnamkrieges führte, hat die US Armee bekanntlich nicht im südvietnamesischen Dschungel, sondern auf den Campi der amerikanischen Universitäten verloren. Das gilt im übertragenen Sinne auch für das “Vietnam unserer Tage” (Antje Vollmer).

Uli Cremer

Wilhelm Achelpöhler  

www.gruene-friedensinitiative.de



[1]                     1 Karl Lamers, in: FAZ, 27. August 2001

2             Verteidigungspolitische Richtlinien vom 26.11.1992, in: Blätter für deutsche und internationale Politik 9/1993, S.1144

[2]              Vergleiche hierzu: Uli Cremer: Neue NATO: die ersten Kriege, Hamburg 2009, S.87ff.

2          .Wolfgang Ischinger / Timo Noetzel: Afghanistan darf nicht scheitern, FAZ 12.10.2009

3          .http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,659605,00.html

4             http://www.kerstin-mueller-mdb.de/cms/default/dok/194/194693.noch_mehr_als_zehn_jahre_in_afghanistan.html

5             http://amerikadienst.usembassy.de/us-botschaft-cgi/ad-detailad.cgi?lfdnr=2419

6             „Mit den Mudschahedin gegen die Taliban“, FAZ 5.11.2009

 


Kontakt:
Uli Cremer 0160 / 81 21 622
cremer@gruene-friedensinitiative.de

Wilhelm Achelpöhler 0171 / 17 17 392
achelpoehler@gruene-friedensinitiative.de