Der schwindende Einfluss Deutschlands
auf den Afghanistan Krieg
Die Entscheidung von US-Präsident
Obama, 30.000 weitere Soldaten in den Afghanistankrieg
zu schicken und damit die Zahl auf 100.000 Soldaten zu
erhöhen steht für eine weitere blutige Eskalation des
Krieges in Afghanistan. Die USA verdoppeln damit innerhalb
kürzester Zeit ihr Militär in Afghanistan.
Die USA demonstrieren zudem
durch die Zahl der nunmehr eingesetzten Soldaten und
die Art und Weise, wie die Entscheidung zustande gekommen
ist, dass der Krieg in Afghanistan ein Krieg der USA
ist.
Erinnern wir uns an andere Zahlen
und Zeiten: 2003, als erstmals Bundeswehrsoldaten nach
Kundus entsandt wurden, stellte Deutschland 1500 von
5000 ISAF Soldaten. Daneben waren 8000 US Soldaten im
Rahmen von OEF in Afghanistan stationiert. Nach der Ankündigung
Obamas werden 4500 deutsche Soldaten 100 000 US Soldaten
gegenüber stehen. Der CDU Verteidigungsexperte Karl Lamers1
[1]
bemerkte bereits 2001: “das Maß der Mitbestimmung
richtet sich nach dem Maß des Mitwirkens” und in den verteidigungspolitischen
Richtlinien des CDU Verteidigungsministers Volker Rühe2 hieß es
bereits 1992:„Wenn die internationale Rechtsordnung gebrochen wird oder
der Frieden gefährdet ist, muss Deutschland auf Anforderung der Völkergemeinschaft
auch militärische Solidarbeiträge leisten können. Qualität und Quantität
der Beiträge bestimmen den politischen Handlungsspielraum Deutschlands und
das Gewicht, mit dem die deutschen Interessen international zur Geltung gebracht
werden können.“
Und im Jahre 2003 trug der Afghanistan-Krieg
eine deutliche deutsche Handschrift: Insbesondere Deutschland
sorgte dafür, dass das ISAF-Mandat von Kabul auf das
ganze Land ausgedehnt und die ISAF unter NATO-Kommando
gestellt wurde. Widerstrebende europäische Bündnispartner
wurden überzeugt mitzumachen
[2]
.
Das Scheitern der deutschen
Afghanistan Ambitionen
Heute hat US-Präsident Obama
den Traum der deutschen Politik blamiert, durch die Entsendung
von Soldaten nach Afghanistan ein Zeichen ihres nach
der Vereinigung gewachsenen weltpolitischen Gewichts
zu liefern. Daran werden auch 2.500 zusätzliche Bundswehrsoldaten
wenig ändern können.
Das gilt auch für die Art und
Weise, wie die Entscheidung der US-Regierung getroffen
wurde. Nicht in der NATO wurde die neue US Strategie
beraten, deren Mitglieder 2001 den Bündnisfall ausgerufen
hatten, um ihre Mitbestimmung als US-Verbündete im “Krieg
gegen den Terror” zu institutionalisieren, sondern vom
US-Präsidenten im Gespräch mit seinen Beratern. Wochenlang
wurde dieser Beratungsprozess geradezu zelebriert: Heute
ein Strategiepapier von General McChrystal, morgen eine
Eingabe des US-Botschafters in Afghanistan, danach Beratungsrunden
mit Vizepräsident Joe Biden - ständig wurde demonstriert,
wer sich hier mit wem berät - und mit wem nicht. Bereits
vor seiner Ansprache demonstrierte US-Präsident Obama
durch die Art und Weise, wie die “neue” Strategie für
den Krieg entwickelt wurde, was er schließlich in seiner
Ansprache ausdrücklich erklärte, nämlich dass der Krieg
in Afghanistan “ein andauernder Test für
die Führungskraft der USA in der Welt sind” (“an enduring
test of .. our leadership in the world”) und gab
so auch eine Kostprobe seines Verständnisses von Multilateralismus.
In der NATO wird jetzt nur noch
nachvollzogen, was die USA entschieden haben. Britannien
und Deutschland, nach den USA die NATO-Staaten mit den
größten Truppenkontingenten in Afghanistan, veranstalten,
um den Anschein einer Mitsprache zu retten, Anfang Januar
2010 eine Afghanistankonferenz in London. Dort mag über
alles mögliche gesprochen werden, mit welchen Mittel
und mit welchen Zielen Krieg in Afghanistan geführt wird,
das freilich steht jetzt fest. “Verhandeln” werden auf
dieser Konferenz wohl vor allem Deutschland und Britannien
mit sich selbst – und mit der von den USA an den Rand
gedrängten afghanischen Zentralregierung.
Gescheitert ist die deutsche
Politik auch mit ihrem Ansinnen, durch einen “friedlichen
Aufbau” im Norden Afghanistan der Welt eine Probe “ziviler” Ordnungsmacht
zu liefern, die so ganz anders sei, als die “militärfixierte” Politik
der USA. Gescheitert ist sie damit nicht nur durch das
von der Bundeswehr zu verantwortende Massaker am 4.9.2009,
bei dem über 140 Menschen einem Angriff auf entführte
Tanklastzüge zum Opfer fielen. Gescheitert ist dieser
Versuch auch dadurch, dass sich der vermeintlich friedliche
Norden Afghanistans, nicht als das “andere” Afghanistan
des zivilen Aufbauserwiesen hat, sondern als neuer Nachschubweg
der NATO als ein Ort des Krieges. Wolfgang Ischinger,
bei gewissen Kreisen der Grünen hoch geschätzter Beamter
des Außenministeriums in rot-grünen Zeiten und heute
Chef der Münchener Sicherheitskonferenz schrieb vor kurzem
in der FAZ2: „Die
Provinz Kundus ist mit den gegenwärtig verfügbaren Kräften
nicht mehr in den Griff zu kriegen. Der von den Taliban
geführte Aufstand im deutschen Verantwortungsbereich
im Norden breitet sich aus. Mangels Truppen kann Isaf
die Bevölkerung kaum schützen. Um Kundus zurückzugewinnen,
müssen die militärischen Kräfte deutlich verstärkt werden.
Wenn wir in den nächsten Wochen und Monaten keine nachhaltige
Anstrengung machen, wird allenfalls eine großangelegte
Intervention amerikanischer Truppen die Lage im Norden
beruhigen können. Die Folgen hiervon wären ein Reputationsverlust
Deutschlands in der Nato, die weitere Amerikanisierung
der gesamten Isaf-Operation und ein faktischer Verlust
der deutschen Rolle im Norden. Mit anderen Worten: ein
Debakel.“
Wenige Wochen später war der
Bedeutungsverlust Deutschlands da, den Ischinger als “Debakel” empfindet.
Die Medien3 berichteten: “streng geheim agierenden
Kräfte der "Operation Enduring Freedom" suchen
im Raum Kunduz seit Dienstag gemeinsam mit afghanischen
Einheiten gezielt nach Taliban und anderen Terroristen.
Dem Vernehmen nach töteten sie auch mehrere ausländische
Kämpfer. Mehrmals warfen US-Jets auch Bomben über dem
Gebiet ab, es soll zusätzlich gezielte Attacken von unbemannten
Drohnen gegeben haben. Die Bundeswehr wurde vor der Operation
informiert, damit deutsche Kräfte nicht in Gefahr gerieten.”
Für das, was in Afghanistan
in den nächsten Jahren stattfinden wird, ist die Position
Deutschlands machtpolitisch irrelevant wie nie.
Dennoch: Immer mehr Truppen
nach Afghanistan
Obwohl die Bundesregierung behauptet, über
die Entsendung weiterer Bundeswehrsoldaten nach Afghanistan
sei noch nicht entschieden, darüber solle erst nach der
Afghanistankonferenz diskutiert werden, ist davon auszugehen,
dass längst das deutsche Einverständnis mit einer Erhöhung
des Bundeswehrkontingents erklärt worden ist. Denn ein
Partner wie die USA äußert nicht die öffentlich die Erwartung,
seine Verbündeten sollten weitere Truppen nach Afghanistan
entsenden, wenn nicht von vornherein klar wäre, dass
diese „Bitte“ erfüllt wird. Wie sollten auch die vom
britischen Premier Brown angekündigten 5.000 Soldaten
aus Europa zusammenkommen, wenn Deutschland nicht einen
relevanten Beitrag leistete? Mit der Vertagung der öffentlichen
Debatte auf das kommende Frühjahr will die Bundesregierung
offensichtlich der für sie unangenehmen innenpolitischen
Debatte aus dem Weg gehen.
Derzeit scheinen alle maßgeblichen
PolitikerInnen entschlossen im “Bündnis” mit den USA
daran festzuhalten, dass weitere Truppen in den Krieg
zu entsenden sind und zusätzliche Milliarden in den Krieg
investiert werden müssen. Denn es ist ein Paradigma deutscher
Außenpolitik, dass Deutschland als (noch) “Exportweltmeister” Ordnungsmacht
in der Welt nur an der Seite und im Windschatten der
USA ausüben kann. Wer die Schifffahrtslinien der Weltmeere
für den Handel sichern, die Versorgung der Wirtschaft
mit Rohstoffen gewährleisten und die Indienstnahme fremder
Bevölkerungen für seine Wirtschaft braucht, die man seit
der Finanzkrise wieder Kapitalismus nennen darf, der
fühlt sich an der Seite der USA in Sachen Weltordnung
gut aufgehoben - und bastelt derweil am Aufbau eigener
europäischer Ordnungsmacht. Das ist der selten ausgesprochene “Subtext” der
Rede von Afghanistan als Beweis deutscher “Bündnisfähigkeit”.
Die Exitstrategie – ein neues
Wort für Sieg und ein neues Kriegsziel
Wenn Obama erklärt, 2011 könne
der Abzug aus Afghanistan begonnen werden, dann ist das
nicht als die Ankündigung eines Rückzugs oder einer Aufgabe
zu verstehen, sondern als das Versprechen des militärischen
Sieges. Das Wort der Exitstrategie, das einst Distanz
zum Krieg ausdrückte, wird heute zur Formel für den Sieg
im Endkampf, zur Formel für die Eskalation des Krieges.
Doch in der nunmehr angekündigten „restlichen Zeitdauer“ des
Krieges drückt sich auch ein geändertes Kriegsziel aus.
Noch vor gar nicht langer Zeit rechneten PolitikerInnen
hierzulande mit ganz anderen Zeiträumen für den Krieg. Ähnlich
wie ihre Kolleginnen von CDU und SPD erwartete etwa die
GRÜNE Kerstin Müller 2006: „Afghanistan zu stabilisieren,
wird nicht zwei oder drei Jahre dauern, sondern wir müssen
uns auf zehn oder 20 Jahre Präsenz einstellen.“4 Das
mag die Zeit sein, die für ein anspruchsvolles Nation
Building Programm veranschlagt wurde. Mit den deutlich
kürzeren Fristen, die jetzt für die militärische Präsenz
genannt werden, ist ein ganz anderes Ziel verbunden.
Dies verkündete Obama bereits Anfang des Jahres: die
Begrenzung auf die Terrorbekämpfung und die Zusammenarbeit örtlichen
Machthabern/Warlords. Das Weiße Haus drückt diese Distanzierung
von der Zentralregierung so aus5; „Ein Schwerpunkt unserer Bestrebungen
im Bereich der Regierungsführung wird auf der Entwicklung
flexiblerer, sichtbarer, rechenschaftspflichtiger Institutionen
auf Provinz-, Bezirks- und regionaler Ebene liegen, wo
es zur direkten Begegnung der Afghanen mit ihrer Regierung
kommt“. Diese Politik wird bereits umgesetzt. Die
FAZ porträtierte am 5.11.20096 einen
mit dem Westen verbündeten Milizenführer: Miralam Khan.
Dessen Miliz wurde offenbar von den USA wiederbewaffnet
und dient nunmehr als Bodentruppe. Khan „ist der neue
Held von Kundus. In den Teehäusern und Eisdielen der
Stadt wird sein Name ehrfurchtsvoll ausgesprochen. Viele
sind davon überzeugt, dass der frühere Mudschahedin-Kommandeur
im Alleingang zahlreiche Dörfer der nordafghanischen
Provinz von den radikalislamischen Taliban ‚befreit’ hat.
Dass er dabei das Gesetz in die eigenen Hände nahm, scheint
bislang nur wenige zu stören.“
Friedenspolitisches Engagement
gefordert
Und deshalb werden aller Voraussicht
nach auch 2010 immer mehr Menschen auch aus Deutschland
in den Krieg geschickt. Immer mehr Menschen werden dort
auf allen Seiten, vor allem unter der Zivilbevölkerung
sterben, weil sie das Unglück haben, Demonstrationsobjekt
amerikanischer Führungskraft und deutscher Bündnisfähigkeit
zu sein - wenn es der Friedensbewegung nicht gelingt,
diesem Krieg den innenpolitischen Rückhalt zu entziehen.
Die entscheidende Schlacht, die zur Beendigung des Vietnamkrieges
führte, hat die US Armee bekanntlich nicht im südvietnamesischen
Dschungel, sondern auf den Campi der amerikanischen Universitäten
verloren. Das gilt im übertragenen Sinne auch für das “Vietnam
unserer Tage” (Antje Vollmer).
Uli Cremer
Wilhelm Achelpöhler
www.gruene-friedensinitiative.de