08.09.2013
Syrien: Merkel überschreitet rote Linie
und US-Regierung wählt sich neuen Sicherheitsrat
Von Uli Cremer
Nein, die Merkel-Regierung hat natürlich
kein Giftgas eingesetzt. Doch sie hat – nach anfänglichem
Zögern - das „Joint
Statement on Syria“ unterstützt. Und stellt
man sich das Völkerrecht als rote Linie vor, so hat die
Regierung Merkel diese Linie am 7.9.2013 überschritten.
Denn die Unterzeichner des besagten Dokuments „unterstützen
die Anstrengungen der Vereinigten Staaten und anderer Staaten
zur Gewährleistung des Verbots chemischer Waffen“.
Das ist nichts Anderes als ein politischer Blankoscheck, ein
Vorratsbeschluss für einen militärischen Angriff
auf Syrien, ausgeführt von einer US-geführten Koalition
der Willigen. Denn einen solchen Angriff hat US-Präsident
Obama angekündigt, auch wenn er dazu noch das parlamentarische
Votum einholen möchte. Ihr gestörtes Verhältnis
zum Völkerrecht hatte Merkel bereits 2003 bei ihrer politischen
Unterstützung für den Irakkrieg der Bush-Regierung
zu Protokoll gegeben. Ende August 2013 lautete die Position:
„Deutschland kann sich an Militäreinsätzen
im übrigen nur mit einem Mandat der Vereinten Nationen,
der Nato oder der EU beteiligen.“ (Zeitonline 31.8.2013)
Da es von keiner der drei Organisationen einen Beschluss gibt,
reiht sich Merkel lediglich in eine Koalition der Willigen
ein. Denn selbst das EU-Statement von Vilnius enthält
keine Passage à la „Anstrengungen der Vereinigten
Staaten“ – auch wenn US-Außenminister Kerry
es „strong“ nennt. Fehlt nur noch, dass auch noch
deutsche Raketen und Bomber angeboten werden.
Der deutsche Qualitätsjournalismus von Spiegel über
Zeit bis tagesschau bezeichnet das Joint Statement on Syria
übrigens als „Syrien-Erklärung des G20-Gipfels“.
In Wirklichkeit handelt es sich um eine Erklärung, die
nur von etwa der Hälfte der G20-Staaten mitgetragen wird.
Russland, China, Brasilien, Argentinien, Mexiko, Südafrika,
Indonesien oder Indien stehen nicht darunter, insofern handelt
es sich in keiner Weise um eine G20-Gipfel-Erklärung.
In Wirklichkeit ist die internationale Staatengemeinschaft
in der Syrien-Frage und der Beurteilung des mutmaßlichen
Giftgaseinsatzes weiterhin gespalten. Das liegt nicht zuletzt
daran, dass die westlichen Mächte bisher keine belastbaren
Beweise für die Täterschaft des Assad-Regimes beigebracht
haben (vergl.: „Giftgaseinsatz
in Syrien: die US-„Beweise“ – I am not convinced!“).
Das wäre natürlich die Voraussetzung für einen
gemeinsamen Beschluss des UN-Sicherheitsrates, der Militärschläge
gegen Damaskus legitimiert. Statt stichhaltige Beweise vorzulegen,
wird nur gebetsmühlenartig wiederholt, dass es der Assad
gewesen sei. Leider gehen die meisten Medien diesen Weg mit
und stellen anders als vor dem Irakkrieg 2003 keine kritischen
Fragen mehr.
An der Medienfront kommt Klaus-Helge Donath von der taz mit
folgendem kreativen Argument um die Ecke: „Es gibt keine
Beweise, die Putin akzeptieren würde. Täte er das,
würde er das für Russland alles entscheidende Souveränitätsprinzip
und das Vetorecht im Sicherheitsrat aushebeln.“ taz
7.9.2013 Donath übersieht, dass Russland in den vergangenen
Jahren durchaus US-Kriege unterstützt hat (z.B. den Afghanistankrieg,
auch gegen den Libyenkrieg legte Moskau kein Veto ein).
Es ist völlig richtig, dass die GRÜNE Bundesvorsitzende,
Claudia Roth, die Bundesregierung auf dem GRÜNEN Länderrat
am 7.9.2013 dafür kritisiert hat, den „Kriegskurs
der USA“ zu unterstützen. Beklagt wird zu Recht,
dass der Bericht der UN-Inspektoren nicht mehr als notwendige
Grundlage weiterer Entscheidungen gesehen wird. Allerdings
hat sich auch die GRÜNE Bundestagsfraktion bereits vorab
einseitig festgelegt und behauptet, es sei der Assad gewesen:
„Es gibt eine Reihe von deutlichen Indizien, die dafür
sprechen, dass der Giftgasangriff mit vermutlich über
1.000 Toten von Seiten des Regimes in Syrien ausgegangen ist.“
GRÜNE
Bundestagsfraktion 4.9.2013 Und das, obwohl der GRÜNE
Abgeordnete Christian Ströbele nach Einsicht in die geheim
gehaltenen BND- „Beweise“ am 4.9.2013 zu genau
dem entgegen gesetzten Ergebnis kommt: „Der BND hat
allenfalls Indizien, aber keine stichhaltigen Beweise für
die Urheberschaft der syrischen Regierung vorgelegt...“
Ströbele
4.9.2013 Immerhin nimmt mit Omid Nouripour ein weiterer
GRÜNER Abgeordneter eine ergebnisoffene Position ein:
„Und wenn es nicht Assad war, dann müssen wir dringlichst
mit sogenannten strategischen Partnern wie zum Beispiel Saudi-Arabien
und Katar darüber reden, wen sie eigentlich mit welchen
Mitteln in Syrien unterstützen.“ Nouripour
26.8.2013
Beweise hin, Beweise her - die US-Regierung ist ohnehin nicht
mehr geneigt, den UN-Sicherheitsrat um Erlaubnis zu fragen.
In Anlehnung an das bekannte Bonmot, „die Regierung
müsse sich ein anderes Volk wählen“, könnte
man sagen: Die US-Regierung wählt sich einen anderen
Sicherheitsrat, nämlich den US-Kongress. Denn Samantha
Power (US-Botschafterin bei der UNO) befindet, „dass
es mit diesem Sicherheitsrat keinen praktikablen Weg nach
vorne gibt“ SPON
6.9.2013. Moskau halte den Sicherheitsrat „als Geisel“
und „erfülle seine internationalen Verpflichtungen
nicht“. Letztere werden nach dieser Sichtweise von Washington
festgelegt. Dabei handelt es sich um die Variation des Mantras
von der Blockade des Sicherheitsrats durch Russland (und China),
weil partout die westliche Position nicht übernommen
wird. Last, but noch least wirft Power der russischen Regierung
vor, sie betätige sich als »„Schutzherr eines
Regimes“, das eine dreiste Chemiewaffenattacke verübt
habe«.
Während Russland also „Schutzherr“ des Assad-Regimes
ist und es mit Waffen versorgt, sind die USA seit über
2 ½ Jahren „Schutzherr“ der Aufständischen,
die sie schließlich nicht nur mit Worten, sondern auch
mit Waffen, Aufklärung und Militärausbildern unterstützen
(siehe dazu: Westliche
Waffenexporte an syrische Rebellen). Eine Friedenslösung
für Syrien gibt es nur dann, wenn die jeweiligen Schutzherren
ihre eigene Klientel an den Verhandlungstisch bringen. D.h.
die Obama-Regierung ist für die Rebellen zuständig
– und dazu zählen auch die verbündeten islamistischen
Gruppen und Verbände, auch wenn man das in den westlichen
Hauptstädten nicht so gerne hört. Es ist also nicht
US-Aufgabe, Assad an den Verhandlungstisch zu bomben, sondern
das die Sache der Putin-Regierung, die vermutlich sogar ohne
Raketen und Bomben eine Teilnahme des Assad-Regimes sicherstellen
könnte. Noch einmal: Ein jeder kümmere sich um seine
eigene Klientel! Aufgabenteilung und Dialog sind die Zutaten,
die für Zustandekommen und Erfolg der angedachten Genf-2-Konferenz
notwendig sind. Deswegen war es wenig hilfreich, dass die
USA entsprechende Gespräche mit Russland am 27.8. absagten.
Auch ein Treffen zwischen russischen und US-amerikanischen
Parlamentariern wurde am 6.9. von US-Seite gecancelt. Der
Ball für eine Friedenslösung liegt im Washingtoner
Strafraum.
Uli Cremer, GRÜNE FRIEDENSINITIATIVE
Hamburg 8.9.2013
Kontakt:
Uli Cremer 0160 / 81 21 622 - cremer@gruene-friedensinitiative.de
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