Militär- und manöverfreier Korridor statt Säbelrasseln

Von Uli Cremer (25.06.2016)

Außenminister Steinmeier hat am 19.6.2016 einen richtigen und klugen Satz gesagt: »Was wir jetzt nicht tun sollten, ist, durch lautes Säbelrasseln und Kriegsgeheul die Lage weiter anzuheizen.« Seitdem wird er von „Leitmedien“ und Politikschaffenden angegriffen. Ungeheuerlicher Vorwurf! Unverantwortliches Signal! Beispielloser Akt der Illoyalität! So schallt es. Und der FAZ-Leitartikler Frankenberger rät dem Außenminister: »vielleicht könnte ein Besuch beim Akustiker helfen«. (FAZ 22.6.2016) Danach würde Steinmeier dann wohl kein „Säbelrasseln und Kriegsgeheul“ mehr hören.

Nun hatte bekanntlich die NATO selbst ihr jüngstes Manöver im Baltikum wie in den Vorjahren Saber Strike (also: Säbelangriff oder Säbelschlag) genannt und so die Assoziationskette zum Säbelrasseln in Gang gesetzt. 10.000 Soldaten übten den Säbelangriff, parallel wurde zur Einstimmung auf den NATO-Gipfel in Warschau Anfang Juli in Polen noch mit 31.000 Soldaten ein Manöver mit dem Titel Anakonda statt. Namensgeber ist dabei eine Riesenschlange, die bei Wikipedia bezüglich „Jagdweise und Nahrung“ so beschrieben wird »Die Art ist ein Lauerjäger; die wesentliche Jagdmethode ist offenbar das bewegungslose Warten im Wasser, bis Beute in erreichbare Nähe kommt. Sie ist dabei durch ihre Färbung sehr gut getarnt. Wie alle Riesenschlangen verbeißt sich die Große Anakonda dann in die Beute, umschlingt sie und bringt somit ihren Blutkreislauf zum stoppen, was schnell zum Tod führt. Anschließend wird die Beute mit dem Kopf voran verschlungen.«[1] Weitere NATO-Manöver für 2016 sind angekündigt, wobei die NATO-eigene Übersicht[2] unvollständig ist. Denn darin wird das Manöver „Rapid Trident“ in der Ukraine Ende Juli nicht aufgeführt.

Angriffe auf Steinmeier

Es war der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Norbert Röttgen (CDU), der die Äußerungen des Außenministers als „ungeheuerlichen Vorwurf“[3] einstufte.

Rebecca Harms, GRÜNE Fraktionsvorsitzende im Europäischen Parlament, nannte die Kritik »ein unverantwortliches Signal angesichts der konsequenten Weigerung des Kreml, Waffen und Soldaten aus dem Donbas zurückzuziehen. Dass Moskau weiterhin  eine ‚unbeteiligte Miene‘ zu den Eskalationen des letzten Monats im Donbas macht, ist eine immer größere Zumutung. Wer die Manöver der NATO allein zum Problem macht und diese Eskalation nicht anspricht, handelt in der Außen- und Europapolitik unverantwortlich.«[4]

In die Rubrik „unverantwortlich“ fällt allerdings eher Rebecca Harms eigenes Fotoshooting mit einem Foto der frei gelassenen ukrainischen Freischärlerin Sawtschenko aus dem Mai 2016[5]. Die ausgebildete Pilotin hatte sich bekanntlich beim ukrainischen Militär beurlauben lassen, um sich dem Bataillon AIDAR anzuschließen. Über dieses berichtete tagesschau.de am 29.9.2014 so: »Besonders berüchtigt ist das Bataillon AIDAR, zu dem rechtsgerichtete ukrainische Nationalisten gehören, von denen sich einige mit Hakenkreuzen und anderen Nazi-Symbolen schmücken, als Abzeichen auf der Tarnkleidung oder als Tätowierung auf dem Körper. Die Anführer und viele Mitglieder sind bekennende Neonazis und Mitglieder von rechtsextremen Gruppen.«[6]

Rebecca Harms hofft, Sawtschenko »bei meinem nächsten Besuch in Kiew zu treffen.«[7]

Dann wäre da nochdie „Welt“, die völlig entfesselt giftete: »Dass ein deutscher Außenminister nun aber sogar dem gesamten westlichen Verteidigungsbündnis in den Rücken fällt, indem er es wegen dringend nötiger Übungen, an denen auch die Bundeswehr teilnimmt, mit Kriegslüsternheit in Verbindung bringt, ist ein beispielloser Akt von Illoyalität.«[8]

Kein Kalter Krieg ohne Feindbildproduktion

Zwar will Steinmeier das NATO-Camp gar nicht verlassen, aber bei der kleinsten Kritik gilt man offenbar schon als Verräter. Dabei ist absehbar, wie es mit der Eskalations- und Aufrüstungsspirale weitergeht: Jede Seite fühlt sich von der anderen schwer bedroht, rüstet deswegen auf und hält Manöver ab. Aus Sicht Moskaus hat der Westen mit Raketenabwehr, Osterweiterungen von NATO und EU, dem Putsch in Kiew im Februar 2014 etc. angefangen. Aus westlicher Sicht hat Russland angefangen, Putin ist an allem Schuld und die entsprechende Geschichtsschreibung beginnt mit der Annexion der Krim im März 2014. Zuweilen wird auch die jüngere Geschichte gleich umgeschrieben. War es im August 2008 noch Allgemeingut, dass die damalige georgische Regierung den Krieg um Südossetien begonnen hatte und Russland den entsprechenden Angriff auf das seit 1991 von Georgien nicht kontrollierte Südossetien konterte (man lese einfach die alten Zeitungen aus der Zeit), so hat sich nachträglich die westliche Erzählung in einen Angriff Russlands auf Georgien verwandelt. Man sieht: In Sachen Feindbildproduktion ist der Kalte Krieg wieder in vollem Gange. Im Übrigen auf beiden Seiten: die russische Stimmungsmache wird den deutschen Konsument*innen über das Sputnik-Portal zur Verfügung gestellt.

Der FAZ-Redakteur Frankenberger sieht die Dinge so: »Wer die Manöver, die Russland und die Nato abgehalten haben, miteinander vergleicht, kann nie und nimmer zu dem Schluss gelangen, Russland werde militärisch bedroht. Umgekehrt wird ein Schuh daraus. Nato-Länder werden bedroht, und das ist nicht nur so ein „Gefühl“.«[9]

Also muss „nachgerüstet“ und es müssen weitere, immer größere Manöver veranstaltet werden. Entsprechend bedroht sieht sich die Gegenseite, also Russland. Ob das nur „so ein Gefühl“ ist oder real, ist am Ende völlig egal. Im Ergebnis wird „nachgerüstet“, es werden „Gegenmaßnahmen“ ergriffen. Und so geht es dann immer weiter.

Nun mag sich bisher niemand hinstellen und sagen, mit den Russen solle nicht mehr geredet werden. Vielmehr wird aus der Mottenkiste des Kalten Krieges 1.0 wieder das Argument hervorgekramt, man müsse Aufrüstung und Verhandlungen bzw. Dialog kombinieren. Am besten funktioniere nun einmal der Dialog, wenn man ordentlich aufrüste und militärisch stark sei. Militärisches Imponiergehabe gehört natürlich auch dazu.

Erfunden hat diesen Denkansatz jedoch nicht die NATO. Lange vor deren Gründung hatte der berühmte US-Gangster Al Capone schon die Weisheit verbreitet: Man kommt weiter mit einer Kanone und einem freundlichen Wort als nur mit einem freundlichen Wort.

Vorschläge zu Deeskalation und Vertrauensbildung

Mit der „rotierenden“ Stationierung von NATO-Truppenteilen an der russischen Grenze ist die Grundakte NATO-Russland von 1997 Makulatur. Das KSE-Abkommen zur Begrenzung der konventionellen Streitkräfte ist Geschichte; nachdem die westliche Seite das Abkommen jahrelang nicht ratifizierte, ist Russland 2015 aus dem Vertrag ausgestiegen. Das INF-Abkommen über landgestützte atomare Mittelstreckenraketen wird von Russland offenbar nicht mehr eingehalten. Moskau will seine konventionelle Unterlegenheit gegenüber der NATO durch neue Atomraketen kompensieren und hat bereits entsprechende neue Waffen getestet. »In den USA werden infolgedessen die Stimmen derjenigen lauter, die jetzt neue atomare NATO-Mittelstreckenraketen in Europa stationieren wollen.«[10]

Wer die Eskalationsspirale anhalten will, sollte sich – statt die nächsten politischen, wirtschaftlichen und militärischen Eskalationsschritte anzugehen – fragen: Was kann die eigene Seite dazu beitragen, wieder Vertrauen aufzubauen? Die Bürde des Vertrauensaufbaus voll und ganz der anderen Seite zu überlassen (die autistisch für alles verantwortlich gemacht wird), ist das beste Rezept, die Welt immer weiter an den Abgrund zu manövrieren. Da sich beide Seiten bedroht sehen, würden militär- und manöverfreie Zonen helfen. Darum geht es jetzt. Statt die nächste Panzerbrigade nach Osten zu schicken oder die nächste Raketenabwehrstellung in Dienst zu nehmen bzw. russischerseits die nächste Überraschungsübung zur „Überprüfung der Gefechtsbereitschaft der Waffenlager und der Truppenführung“ anzuordnen, sind Entspannungssignale erforderlich.

Das westliche Bündnis, das Russland militärisch weit überlegen ist, sollte die Demilitarisierung des Grenzgebiets zwischen NATO und Russland und ein neues Abkommen über konventionelle Abrüstung vorschlagen. Ein 50 km breiter entmilitarisierter Korridor im Baltikum von Narwa bis Daugapils (auf NATO-Seite) bzw. von Kingisepp bis Sebesch (auf russischer Seite) wäre doch mal ein Anfang. Neben einer »Vereinbarung dauerhaft militärfreier Zonen beiderseits der Landgrenzen zwischen Russland und den osteuropäischen Nato-Staaten« regt Andreas Zumach, taz-Korrespondent aus Genf, für den bevorstehenden Warschauer NATO-Gipfel an: »Zum einen sollten die 28 Staats-und Regierungschefs die Grundsatzentscheidung der Verteidigungsminister zur dauerhaften Stationierung von 4‘000 Nato-Soldaten in Osteuropa nicht absegnen. Auch eine eindeutige Entscheidung, dass die vom Gipfeltreffen 2008 beschlossene Option für einen Beitritt der Ukraine, Georgiens und Moldawiens nicht mehr besteht, wäre ein sehr wichtiges Entspannungssignal an Moskau… Ebenso sollte der im Vorfeld des Gipfels von verschiedener Seite geforderte Beschluss zur Aufnahme Montenegros nicht erfolgen. Derartige Signale der Nato könnten Moskau zu einem Ende der hybriden Kriegsführung in der Ukraine bewegen. Um die seit Beginn des Konflikts um die Ukraine im Frühjahr 2014 ständig wachsende Gefahr ungewollter militärischer Zusammenstösse zu verringern, sollte die Nato Moskau ein Moratorium vorschlagen für Manöver beider Seiten in der Ostsee, im Schwarzen Meer sowie im grenznahen Luftraum.«[11]

Einseitige Vorleistungen kann gerade die militärisch stärkere Seite erbringen. Der Willy-Brandt-Kreis hat vorgeschlagen, die NATO solle auf ihrem Warschauer Gipfel den Bau der Raketenabwehrstellung in Polen aufgeben.[12] Noch vertrauensbildender wäre, die gerade komplettierte Raketenabwehrstellung in Rumänien wieder abzubauen.

Den Säbel aus der Hand nehmen

Es ist verdienstvoll, dass Außenminister Steinmeier das Säbelrasseln angeprangert hat. Aber im zweiten Schritt ist auch nötig, den Säbel aus der Hand zu nehmen und zu schreddern. An Deeskalationsvorschlägen mangelt es nicht. Leider ist der zugehörige politische Willen bei den NATO-Regierungen bisher nicht erkennbar.

Uli Cremer

Hamburg, 25.06.2016

 

[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Gro%C3%9Fe_Anakonda

[2] http://www.nato.int/nato_static_fl2014/assets/pdf/pdf_2016_06/20160615_1606-factsheet_exercises_en.pdf

[3] siehe: FAZ 20.06.2016

[4] http://rebecca-harms.de/post/zu-den-aeusserungen-von-bundesaussenminister-steinmeier-ueber-nato-manoever-12685

[5] http://rebecca-harms.de/presse/mitteilungen#item/@freilassung-von-nadija-sawtschenko-58608

[6] Bernd Musch-Borowska: Blutige Kämpfe in der Ostukraine. In: tagesschau.de. 29. September 2014, abgerufen am 1. Oktober 2014

[7] http://rebecca-harms.de/presse/mitteilungen#item/@freilassung-von-nadija-sawtschenko-58608

[8] http://www.welt.de/debatte/kommentare/article156358027/Steinmeiers-beispielloser-Akt-der-Illoyalitaet.html

[9] Klaus-Dieter Frankenberger: Signale, FAZ 22.6.2016

[10] http://www.willy-brandt-kreis.de/pdf_16/wbk-zu-nato-gipfel-2016.pdf

[11] Andreas Zumach: Ziel für Nato-Gipfel: Entspannung mit Russland, abrufbar über: http://www.infosperber.ch/Politik/Nato-Moskau

[12] http://www.willy-brandt-kreis.de/pdf_16/wbk-zu-nato-gipfel-2016.pdf

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