von Uli Cremer
Seit dem 1. August 2013 ist das 2011 verhängte EU-Waffenembargo in Sachen Syrien Geschichte. Natürlich erhält das Assad-Regime weiterhin keine EU-Waffen – das ist angesichts des nicht nachlassenden Nachschubs aus dem Iran und aus Russland auch nicht erforderlich. Aber wenn jetzt vom französischen Staat bezahlte französische Waffen oder vom britischen Staat bezahlte britische Waffen an die syrischen Aufständischen geliefert werden, verstößt das gegen keine EU-Beschlüsse mehr. Das hatten Paris und London bei den EU-Beratungen Ende Mai durchgesetzt. In der Folge, quasi als EU-Beitrag für den Frieden im Nahen Osten, ist am 31.7.13 auch der letzte österreichische Blauhelmsoldat von den Golanhöhen abgezogen worden.
Das Völkerrecht brechen Britannien und Frankreich mit solchen Waffenlieferungen ohnehin. In einer rechtlichen Expertise für die FAZ kommen Thilo Marauhn und Sven Simon von der Giessener Justus-Liebig-Universität zu dem Schluss: „Die Kompetenz für die Zustimmung zu Waffenlieferungen verbleibt also – solange der Sicherheitsrat nichts anderes entscheidet – bei der syrischen Regierung, auch wenn man dieser aufgrund ihres gewaltsamen Vorgehens gegen die Aufständischen die Legitimität dazu absprechen möchte.“. Sie warnen: „Wenn sich Staaten entscheiden, den Aufständischen Waffen zu liefern, stellen sie das auf Deeskalation und Gewaltvermeidung angelegte UN-Friedenssicherungssystem zur Disposition.“ (Marauhn, Thilo / Simon, Sven, Nur an das Assad-Regime dürfen Waffen geliefert werden, FAZ 28.06.2013)
Davon lassen sich eingefleischte AnhängerInnen der Denkschule „Responsibility to Protect“ nicht beeindrucken. Für sie ist die Moral ausschlaggebend. Hier kommen ihnen aber zunehmend die von Rebellen verübten Kriegsverbrechen in die Quere. Was tun? Man führt die Unterscheidung in „gute“ und „böse“ Rebellengruppen ein. Dabei müsse man die „guten“ unterstützen, sprich: ihnen Waffen liefern, damit sie mächtiger würden. Da der Westen das seit Beginn des Bürgerkrieges nicht getan habe, hätten die „bösen“ Rebellengruppen heute leider so viel Einfluss. Peter Neumann, Professor für Sicherheitsstudien am King’s College London, kleidete das im Cicero am 10.1.2013 in diese Worte: „Die Logik der westlichen Politik ist pervers. Aus Angst davor, dass Waffen und Geld in die falschen Hände gelangen, überlässt man die Opposition sich selbst und stärkt damit genau die Extremisten, deren Aufstieg ja eigentlich verhindert werden soll.“
Nun hat sich zwischenzeitlich herausgestellt, dass der britische Regierungschef Cameron wohl gar keine gesellschaftliche Unterstützung und keine parlamentarische Mehrheit für die beabsichtigen Waffenlieferungen an die Rebellen besitzt. Doch ist nun tatsächlich „eine atemberaubende Kehrtwende“ der britischen Regierung erfolgt, wie Nikolas Busse in der FAZ vom 22.7.2013 meint? Da Cameron die Argumente seiner britischen Widersacher ja bereits seit langem kennt (schließlich sind es genau die, die die anderen EU-Regierungen bereits seit Monaten vortragen) ist ein Gesinnungswandel in der Downing Street auszuschließen. Bleibt die Frage, was nun passieren wird. Es gibt zwei Möglichkeiten: 1. Cameron respektiert, dass es kein britisches Plazet für Waffenlieferungen an die Rebellen gibt, und hält sich zähneknirschend an Recht und Gesetz. 2. Die Cameron-Regierung umgeht das politische Hindernis, indem wie bisher mit Hilfe westlicher Regierungsstellen illegal Waffen ihren Weg in die Hände syrischer Rebellen finden. Denn genau das ist seit zwei Jahren gängige Praxis. Insofern geht auch die Argumentation der R2P-AnhängerInnen ins Leere.
Bisherige Waffenlieferungen an syrische Rebellen
Denn in Wirklichkeit herrscht bei den Rebellen kein Waffenmangel. Seit Beginn des bewaffneten Aufstandes liefern Qatar und Saudi-Arabien Waffen und bezahlen diese. Allein Qatar hat in gut zwei Jahren ca. 3 Mrd. US-$ für sein Projekt „Rent a revolution“ ausgegeben -> Uli Cremer 8.7.2013.
Z.B. informiert die FAZ am 18.6.2013 auf Seite 1: „Die Nachrichtenagentur Reuters berichtete, dass Saudi-Arabien den Obersten Militärrat der Freien Syrischen Armee (FSA) bereits seit zwei Monaten mit Flugabwehrraketen ausstatte. Die Waffen stammten aus französischer und belgischer Produktion, die Regierung in Paris habe den Transport finanziert.“ So viel zum Thema EU-Beschlusstreue.
Die jahrzehntelange mafiöse Kooperation zwischen britischer Rüstungsindustrie und Saudi-Arabien (am britischen Parlament vorbei bei gleichzeitiger Deckung durch die jeweilige britische Regierung und Schmieren wichtiger Beteiligter) ist allgemein bekannt, gut dokumentiert und bei Andrew Feinstein in seinem Buch „Der Waffenhandel“ (Hamburg 2012) en detail nachzulesen. Dieser resümiert: Das entsprechende zwischen Briten und Saudis geschlossene „Al-Yamamah-Abkommen war gewiss das größte – und korrupteste – Waffengeschäft aller Zeiten…“ (S.259)
Die langjährig eingeübte Zusammenarbeit funktioniert offenbar auch in Bezug auf Syrien ausgezeichnet. Die WELT liefert dafür jedenfalls am 18.3.2013 einen Anhaltspunkt. Dabei geht es um eine Lieferung von immerhin 3.000t Waffen über Kroatien. Es sind in der Hauptsache Restbestände aus dem Balkan-Kriegen der 1990er Jahren (nytimes 25.2.2013). Die Arbeitsteilung funktionierte so: „Das Geld dafür kam aus Saudi-Arabien, transportiert wurden die Rüstungsgüter von türkischen und jordanischen Flugzeugen, unter logistischer Mithilfe von Großbritannien.“ (Welt 18.3.2013) Paddy Ashdown, der ehemalige Hohe Repräsentant für Bosnien und Herzegowina und frühere Vorsitzende der britischen Liberaldemokraten, lehnt britische Waffenlieferungen an die Rebellen vehement ab. Er geht bei der Lieferung sogar von 3.500t Waffen aus. Ashdown gibt allerdings abweichend an, „die Lieferungen seien mit Unterstützung des US-Geheimdiensts CIA auf dem Luft- und Seeweg nach Syrien gebracht worden“ (Der Standard). Dass die CIA ihre Finger im Spiel hatte, schließt die britische „logistische Mithilfe“ selbstverständlich nicht aus. Vielleicht wollte Ashdown aber seine liberaldemokratischen Parteikollegen in der Cameron-Regierung nicht zu sehr in Bedrängnis bringen. Die kroatische Zeitung Jutarnji List, die die Lieferungen aufdeckte, sprach sogar davon, dass die Waffen auch aus einigen anderen europäischen Ländern inklusive Britannien stammten (telegraph.co.uk 8.3.2013). Dass die Lieferscheine nicht auf die „Freie Syrische Armee“ ausgestellt waren, liegt auf der Hand. Schließlich traten Saudi-Arabien als Käufer auf.
Folgen hatte diese Waffenschieberei bisher weder in Britannien, noch in den USA, sondern nur für Kroatien, das daraufhin seine Blauhelmsoldaten von den Golanhöhen vorsichtshalber abzog.
Doch ordnen wir die Transporte via Kroatien einmal in das Gesamtbild ein: Die New York Times zählte am 24.3.2013 allein von Januar 2012 bis Ende März 2013 160 Frachtflüge, die Waffen für die Rebellen ins Kriegsgebiet transportierten: Die 36 Frachtflüge aus Kroatien entsprechen 22,5% der Flüge. Weitere 37 Flüge (=23%) erfolgten aus Saudi-Arabien und der Hauptteil der Flüge, nämlich 85 (=53%), startete in Qatar (www.nytimes.com). Der Titel der nytimes-Grafik bringt die Sache auf den Punkt: „An Arms Pipeline to the Syrian Rebels“. Die Waffenmassen, die auf dem See- oder Landweg nach Syrien gebracht werden, kommen natürlich noch hinzu. Eine größere Ladung aus Libyen wurde Ende April 2013 im Beiruter Hafen abgefangen, andere werden ihr Ziel erreicht haben. (Bilder auf tagesschau.de)
Im Gegensatz zu Britannien haben in den USA ganz offiziell die entsprechenden „intelligence committees“ von Repräsentantenhaus und Senat am 23.7.2013 den Weg für massive Waffenlieferungen an die Rebellen freigemacht. Der CIA ist nunmehr erlaubt, freigegebene Gelder umzuschichten: „The agreement allows money already in the CIA’s budget to be reprogrammed for the Syria operation, a covert action that President Obama approved early last month. The infrastructure for the program, which also includes training, logistics and intelligence assistance — most of it based in Jordan — is already in place and the arms would begin to flow within the next several weeks.“ So die Washington Post (Karen DeYoung, Congressional panels approve arms aid to Syrian opposition, 23.7.2013).
Militärische Ausbildungshilfe
Laut Cameron kann man bezüglich der syrischen Rebellen drei Dinge tun: „There are three things you can do: arm, train and advise.“ (Daily Mail 14.07.2013)
Um die Rebellen schlagkräftiger zu machen, benötigen sie also auch militärische Ausbildung und Beratung. Diese Erkenntnis hatte Cameron allerdings nicht erst im Juli 2013 sondern schon erheblich früher. So berichtete der britische Guardian bereits am 8. März 2013: „Jordanian security sources say the training effort is led by the US, but involves British and French instructors.“ (theguardian) Vor diesem Hintergrund erwog die britische Regierung im Juli 2013, was schon längst Praxis war: „die Stationierung von Militärfachleuten in Jordanien, welche die syrischen Rebellenführer taktisch und strategisch beraten könnten.“ (FAZ 16.7.2013)
Die Größenordnung der Ausbildung wurde im Juni in diversen Medien (z.B. SZ 22.6.13) mit 5.000 beziffern. So viele Rebellen seien unter US-Führung in Jordanien seit Anfang 2012 ausgebildet worden. Dabei war die Betreuung durch die Ausbilder durchaus intensiv: Immerhin 1.000 Ausbilder bildeten die 5.000 Rebellen aus. Im Juni 2013 wurde nach Angaben von tagesschau.de die Ausbilderzahl auf 2.000 verdoppelt.
Vergleiche hierzu: -> Uli Cremer 8.7.2013
Ende des EU-Waffenembargos keine Wendemarke
Das Ende des EU-Waffenembargos verändert im Syrienkrieg also nichts, denn westliche Staaten, insbesondere die Türkei, die USA, Frankreich und Britannien haben auch bisher schon Aufständische ausgebildet und beraten sowie bei Waffenlieferungen mitgemischt bzw. sie getätigt. Insofern ist der 1.8.2013 keine Wendemarke für den Syrienkrieg.
Allerdings könnte sich das Einsatzfeld der gelieferten Waffen verändern. Kritiker der westlichen Waffenexporte verwiesen stets darauf, dass die Endverbleibsgarantie gewissermaßen nicht gewährleistet sei: Die Waffen könnten bei den islamistischen Rebellen landen, nicht nur bei den „gemäßigten“. An Belegen für die entsprechende Weitergabe fehlte es in der Vergangenheit nicht. Elmar Brok (CDU) Chef des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten im EU-Parlament, »hält es nicht für möglich, Waffen zielgerichtet an die vernünftigen Teile der syrischen Opposition zu liefern. „Ein großer Teil der aktiven Kräfte, die gegen Assad kämpfen, sind radikale Islamisten, die noch schlimmer sind als er. Da sind Leute darunter, die El Kaida nahestehen und aus Saudi-Arabien und Katar unterstützt werden. Ich sehe nicht, wie man es schaffen kann, Waffenlieferungen nur an die ‚richtige’ Opposition zu liefern.“« (Neue Westfälische 28.5.2013)
Nun kommt es jedoch in den letzten Wochen verstärkt zu militärischen Auseinandersetzungen zwischen den „guten“ (= Freie Syrische Armee [FSA]) und den „bösen“ Rebellen (= Al-Nusra-Front und Islamischer Staat im Irak und in der Levante). Dabei ermordeten die Islamisten sogar im Juli 2013 schon einen Kommandeur der FSA sowie ein Mitglied des Hohen Kurdischen Komitees. Es kursieren Berichte, „das internationale Terrornetzwerk al-Qaida“ wolle „in nächster Zeit die Gründung eines ‚islamischen Staates’ im Norden Syriens verkünden“. Als Hintergrund macht die russische Nachrichtenagentur RIA Novosti am 16.7.2013 aus: „Die al-Qaida-Kämpfer haben nach Zeitungsangaben vor, die gegen die syrische Armee kämpfenden FSA-Truppen mit Gewalt zu vertreiben und die Grenzübergänge an der syrisch-türkischen Grenze zu besetzen. Damit wollen die Islamisten den Zustrom von Waffen- und Munition aus der Türkei sowie die Einnahmen aus dem Ölschmuggel aus Syrien unter ihre Kontrolle bringen.“ RIA Novosti Dieser sich abzeichnende „Zweifrontenkrieg gegen Regime und Islamisten“ (FAZ 24.7.2013) mag in westlichen Hauptstädten die Hoffnung befördern, dass gelieferte Waffen nicht mehr direkt an die „bösen“ Rebellen weitergegeben oder weiterverkauft werden. Vielmehr würden die Waffen auch gegen diese zum Einsatz kommen.
Ob ein solches Kalkül aufgeht? Man darf seine Zweifel haben, wenn man die Äußerungen der Rebellenführer liest. Ghassan Hitto, bis vor ein paar Wochen „Übergangspräsident der syrischen Nationalen Koalition“ und US-Staatsbürger, macht z.B. aus der Nähe zu Al-Nusra kein Hehl: „Nach allem, was ich aus Syrien höre, werden der Einfluss und die Präsenz dieser Gruppen übertrieben dargestellt. Darüber hinaus teilen sie mit uns ein Ziel: Sie wollen das Regime Baschar al Assads stürzen. Es wäre falsch, bewaffnet gegen sie vorzugehen oder in Konkurrenz zu ihnen zu treten. Konfrontation ist nicht der Weg, wir können unsere Regierung nur schrittweise als Alternative etablieren. Schließlich haben die Menschen sich diesen Gruppen aus purer Not angeschlossen…“ (FAZ-Interview 2.7.2013). Außerdem sind die Grenzen zwischen FSA und den islamistischen Gruppen fließend. Nicht nur die Al Nusra wird seitens der USA als „Terrororganisation“ eingestuft: „Das amerikanische Ministerium für ‚Homeland Security’ hat mittlerweile in seiner öffentlich zugänglichen ‚Global Terrorism Database’ auch mehrere Anschläge der ‚Freien Syrischen Armee’ als Terrorakte klassifiziert.“ („Kampfzone Levante“, FAZ 30.7.2013)
Damit bleibt die westliche Syrienpolitik abenteuerlich und zauberlehrlinghaft. Um mit dem stellvertretenden Bundesvorsitzenden der CDU, Armin Laschet, zu sprechen: „Geradezu bizarr ist eine europäische Außenpolitik, die die Rebellen in Syrien als ‚Freiheitskämpfer’ glorifiziert und die gleichen Kämpfer mit den gleichen Methoden und Zielen… in Mali als Terroristen bekämpft.“ (Winter statt Frühling für Syriens Christen, FAZ 22.03.2013)
Uli Cremer
Hamburg, 2.8.2013