Sava Stomporowski / Uli Cremer (26. Mai 2015)
Die Östliche Nachbarschaftspolitik der EU ist offensichtlich gescheitert: Von den sechs Ländern, die an die EU angebunden werden sollten, haben nur drei ein Assoziationsabkommen mit der EU abgeschlossen und werden entsprechend als „In-Länder“ bezeichnet: Georgien, Moldawien und die Ukraine. Dort war das Assoziationsabkommen 2013/2014 sogar der Ausgangspunkt für das Auseinanderbrechen des Staates, Bürgerkrieg inklusive. Von den drei anderen Kandidaten, den „Out-Ländern“ haben sich zwei (Armenien und Weißrussland) der Eurasischen Union angeschlossen, aber auch Aserbaidschan konnte bisher nicht für die EU-Einflusszone gewonnen werden.
Vor diesem Hintergrund kamen die EU-Regierungen zu einem Gipfel in Riga zusammen, um über die EU-ÖNP (Östliche Nachbarschaftspolitik) zu beraten. Zentrales Ergebnis: Dem Wunsch einiger ÖNP-Staaten nach einer EU-Beitrittsperspektive wurde eine Absage erteilt. Manuel Sarrazin, Abgeordneter aus Hamburg und europapolitischer Sprecher der GRÜNEN Bundestagsfraktion, kritisierte EU und Bundesregierung auf Grund dieser inhaltlichen Position und legte seine Sicht der Dinge am 21.5.2015 in einem Positionspapier dar. [i] Mit seinem Standpunkt möchten wir uns im Folgenden auseinandersetzen.
ÖNP = Geopolitik konkret
Schon 2014 gehörte Manuel Sarrazin erfreulicherweise zu denjenigen, die die geostrategische Ebene des Ukraine-Konflikts nicht leugneten. In einem Interview mit der ZEIT drückte er sich im September so aus: »Aber die EU muss jetzt ihre Interessen in der Ukraine voranstellen und darf sich nicht davon abhängig machen, was Russland denkt und will.«[ii]
Am 20.5.2015 fordert er: »Deswegen muss sich die EU nach über zehn Jahren Nachbarschaftspolitik jetzt endlich zu den eigenen strategischen Interessen in der Region offen bekennen und diese auch den Partnern und Russland gegenüber klarstellen. Andernfalls verspielt sie früher oder später die Möglichkeit, stabilisierend Einfluss auf die Region nehmen zu können. Es bedarf eines klaren Bekenntnisses, das die EU in Zukunft nachhaltig und strategisch in die Region investieren wird und damit auch die frühere Politik eines „Russia First“ ausdrücklich beendet.«
Geopolitisch war die ÖNP für die EU von Anfang an ein Projekt, um die eigene Einflusszone in Osteuropa zu arrondieren. Anfang 2012 formulierten die Mitglieder der Expertengruppe „Östliche Partnerschaft“ der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik es so: »Der außenpolitische Diskurs in Deutschland meidet die Thematisierung geostrategischer Überlegungen. Doch sollten die Realitäten anerkannt werden: Wenn Russland von Stabilität redet, wird dort in Kräfteverhältnissen und Einflusssphären gedacht. Genauso legitim ist es, die Östliche Partnerschaft auch unter geostrategischen Überlegungen zu betrachten. Die Europäische Union zielt mit diesem Konzept auf die Verbreitung ihrer politischen, rechtlichen sowie ökonomischen ‚Spielregeln’ und damit auf eine schrittweise Anbindung der Region. Dabei versucht die EU mit Kooperationsangeboten zu vermeiden, dass die wirtschaftliche Zwangslage der östlichen Partner diese zur Annahme anderer Integrationsmodelle führt, die den europäischen Interessen widersprechen.« Sprich, sich der von Russland lancierten Eurasischen Union anzuschließen. Das Abkommen hätte, so schreiben die Autoren weiter, »die Übernahme von bis zu 80% des acquis communautaire« bedeutet und damit »faktisch die Übernahme eines großen Teils des rechtlichen Besitzstandes der EU.«[iii]
Die Wiener Zeitung „Die Presse“ formuliert es am 22.5.2015 etwas softer: »Es wurde versucht, das Einflussgebiet der EU sanft zu vergrößern…«
Nationalistischer Extremismus, Oligarchentum und westliche Werte
Dennoch fehlen bei Manuel Sarrazin nicht die üblichen Verweise auf die westlichen Werte, die in der bzw. von der Ukraine verteidigt würden: »Es sind vor allem die europäischen Werte, die die Menschen teilen und in ihren Ländern umgesetzt sehen wollen.« Zusammengenommen ergibt das eine »wertegebundene Interessenspolitik«.
Nun soll nicht in Abrede gestellt werden, dass viele Aktive auf dem Maidan oder in bei Demonstrationen in Chișinău für demokratische Werte und gegen Korruption, für das westliche Gesellschaftsmodell auf die Straße gegangen sind und noch gehen. Gleichzeitig gab es jedoch schon auf dem Maidan eine unappetitliche Querfront mit Nationalisten bzw. Rechtsextremisten vom Rechten Sektor oder der Svoboda. Nach dem Umsturz im Februar 2014 stellten diese Kräfte sogar Minister in der Übergangsregierung. Auch heute sind sie in einflussreichen Positionen tätig; der Chef des Rechten Sektors ist „Berater des Verteidigungsministers“. Auch aus Moldawien wird in diesen Wochen von nationalistischen Demonstrationen mit tausenden TeilnehmerInnen berichtet, auf denen der Anschluss an Rumänien gefordert wird.[iv]
Dieses einflussreiche politische Spektrum kommt in den Beiträgen von Manuel Sarrazin nicht vor, bestenfalls wird noch darauf verwiesen, dass die rechtsradikalen Parteien bei den letzten Wahlen in der Ukraine schlecht abgeschnitten hätten. Das Problem existiere also gar nicht. Die Wahlergebnisse hatten in Wirklichkeit mehr damit zu tun, dass die entsprechenden Ideen den Mainstream erreicht hatten. Das entsprechende Personal hatte auf den Listen sogar von aktuellen Regierungsparteien kandidiert (z.B. Jazenjuks Volksfront). Die Parlamentsmehrheit verabschiedete im April 2015, als der polnische Präsident gerade zum Staatsbesuch in Kiew eingetroffen war, ein Gesetz, das »die Ukrainische Aufstandsarmee, kurz UPA« ehrt. »Sie kämpfte im Zweiten Weltkrieg nicht nur gegen die Sowjetunion, sondern ebenso gegen die polnische Heimatarmee. Ihre Einheiten sind auch für das sogenannte „Massaker von Wolhynien“ verantwortlich, dem Zigtausende polnische Zivilisten in der heutigen Westukraine zum Opfer fielen. Der polnische Präsident Komorowski war irritiert.«[v] So berichtete der Deutschlandfunk.
Völlig ausgeblendet wird von M. Sarrazin auch der dominante gesellschaftliche Einfluss der Oligarchen in den ENP-Ländern. Deren Omnipräsenz beginnt bei Sponsoringmaßnahmen für den Maidan und endet bei der Aufstellung von Privatarmeen und konkurrierenden Kommandostrukturen im Bürgerkrieg.[vi] Der Deutschlandfunk beschreibt die Lage in Moldawien als nicht besser: »Moldau ist Oligarchenland.«[vii]
Beitrittsperspektive für die ÖNP-Länder?
Wenn ÖNP-Länder die »freie Entscheidung« treffen, sich der EU anschließen zu wollen, müsse das respektiert werden, findet Manuel Sarrazin: »Eine Beteiligung Russlands an der Aushandlung bilateraler Verträge zwischen der EU und Dritten kommt auf keinen Fall in Frage.« Dass man also wichtige vertragliche Vereinbarungen mit seinen Nachbarn bzw. anderen Akteuren austariert, ist also nicht sein Ausgangspunkt. Ein positives Beispiel für derartiges Austarieren war übrigens der 4+2-Vertrag, der 1990 die Wiederherstellung der deutschen Einheit absicherte.
In Übereinstimmung mit den Forderungen der Kiewer Regierung verlangt Manuel Sarrazin von der EU und der Bundesregierung noch mehr, denn was wäre die „freie Entscheidung“ für die EU wert, wenn man ihr gar nicht beitreten könnte, weil diese das nicht will? Sein Credo lautet, man müsse den „In-Ländern“ klipp und klar eine EU-Beitrittsperspektive geben, »wenn sie sich frei und demokratisch für diesen Weg entscheiden wollen«. Dass die Bundesregierung das ablehnt, hält er für einen fatalen Fehler und sieht »unter Rücksicht auf zweifelhafte russische Interessen eine Beitrittsperspektive verwehrt«. Denn: »Es war und ist abzusehen, dass eine Nachbarschaftspolitik mit den östlichen Partnerländern ohne das grundsätzliche Inaussichtstellen einer Beitrittsperspektive, die proeuropäischen Zivilgesellschaften in den Nachbarstaaten schwächen und die Staaten anstatt auf einen Reformweg in Richtung von Demokratie und Marktwirtschaft, gewollt oder ungewollt anfällig für die Einflusssphärenpolitik Moskaus machen würde.« Es gilt also, die Staaten vor Russland in Sicherheit zu bringen. Das ist das treibende Motiv.
Böte die EU zurzeit den Staaten tatsächlich den Beitritt an, hätte das doch innenpolitisch und international destabilisierende Auswirkungen.
Innenpolitisch würden die Gesellschaften insbesondere in der Ukraine und Moldawien in eine Zerreißprobe getrieben. Schon bei der Auseinandersetzung um das jeweilige EU-Assoziationsabkommen hat sich gezeigt, dass es eben keinen Konsens, nicht einmal eine überzeugende Mehrheit für diesen Schritt gab. Insbesondere die Bevölkerungen der abtrünnigen Gebiete (Krim, Ostukraine) dürften kaum für einen EU-Beitritt zu haben sein, zumal sie besonders massive wirtschaftliche Einbrüche zu befürchten hätten. Auch in Moldawien sind die Mehrheiten nicht sonderlich überzeugend. Bei den Wahlen im November 2014 erhielten die selbstdeklarierten pro-europäischen Parlamentsparteien nur 45%, also nicht einmal mehr die Mehrheit der Stimmen. Zur stärksten Kraft stieg die neugegründete Sozialistische Partei auf. Zusammen mit den zwei kommunistischen Parteien addiert das Potential der EU-GegnerInnen auf 43%.[viii] Die Bevölkerung des abtrünnigen Transnistriens, das den Beitritt zu Russland beantragt hat, geht in diese Rechnung noch nicht einmal ein. D.h. auch Moldawiens Gesellschaft ist tief gespalten.
Auch international wären die EU-Beitritte nicht geeignet, die Spannungen und Konfrontation in Europa abzubauen. Im Gegenteil: Der Konflikt zwischen Russland bzw. der Eurasischen Union und der EU würde vertieft. Letztlich vertritt Manuel Sarrazin (im Gegensatz zur Bundesregierung) eine Containment-Politik in der Tradition des Kalten Krieges 1.0. Diesen Politikansatz, der gerade in den baltischen Ländern und Polen viele UnterstützerInnen hat, beschreibt die SWP (die bekanntlich Bundesregierung und Bundestag berät) so: »Eine auf Containment bedachte Russlandpolitik zielt darauf ab, den russischen Einfluss sowohl auf die Nachbarn als auch innerhalb der EU einzudämmen… Eine solche Containment-Politik würde die Nachbarn dazu zwingen, sich für das eine oder andere Lager zu entscheiden, und sie würde die Differenzierungen, die sich unter den ÖP-Ländern abzeichnen, frühzeitig zementieren. Diese Politik würde potentiell zur Herausbildung starrer Blöcke der drei Assoziierten (Moldau, Georgien und die Ukraine) einerseits und der übrigen Nachbarn andererseits beitragen und latente Konflikte verschärfen Das gilt beispielsweise für den Konflikt um die abtrünnigen Gebiete in einigen dieser Länder.«[ix]
Notwendig wären jetzt Schritte, um die Spaltung zu überwinden. Dauerhafte und stabile Sicherheitsstrukturen in Europa können nicht als Sicherheit vor oder gegen Russland organisiert werden. Dazu ist die EU in Europa ein ungeeignetes Forum. Genauso wenig kann Russland mit seinen wenigen Verbündeten unter Ausgrenzung der EU eine gesamteuropäische Sicherheitsordnung aufbauen. Das gemeinsame europäische Haus kann nur auf dem Boden der OSZE gebaut werden, mit einem Bauherrenkonsortium, dem auch Russland angehört. Ein- und Durchgänge im Haus zuzumauern und mit NATO-Draht abzusichern, ist keine sinnvolle Perspektive.
Es ist eine Illusion, dass sich Russland auf die von der EU bzw. Manuel Sarrazin formulierten Bedingungen einlässt, ohne selbst mitbestimmen zu können. Deswegen hat sich Russland natürlich auch schon nicht an der EU-ÖNP beteiligt, auch dieses war kein gemeinsames Projekt, bei dem sich EU und Russland auf Augenhöhe begegnet wären. Das war seitens der EU kein seriöses Angebot.
Nach Manuel Sarrazin hätte die EU »Russland gegenüber klarzustellen, dass es seinen Einfluss in der Region nur unter Rückkehr zur Prämisse souveräner, selbstständiger Staaten in akzeptierten Grenzen eines post-sowjetischen Zentraleuropas erhalten kann.« Die Angliederung der Krim wäre also rückgängig zu machen, die Einmischung in der Ostukraine zu beenden. Das Problem sind hierbei weniger die Forderungen selbst, sondern die Akteure, die sie erheben. Wer selbst 1999 gewaltsam Staatsgrenzen in Europa geändert und im Ergebnis den Kosovo als neuen Staat geschaffen hat, kann sich schlecht als Moralapostel und Richter aufführen, wenn Russland seinerseits Völkerrecht bricht und Staatsgrenzen verändert.
Lösung des Ukraine-Konflikts
Nach Auffassung Manuel Sarrazins handelt(e) es sich bei den bewaffneten Auseinandersetzungen um eine ausschließliche »Intervention Russlands in der Ostukraine«. Wie Spiegel Online schreibt, »ist Moskaus militärische Beteiligung inzwischen gut belegt: Russland schickt Soldaten und Panzer. Sie werden aber in der Regel in Verbände der Separatisten integriert.«[x] Die kabarettreife Erläuterung der russischen Regierung, es kämpften nur ehemalige bzw. beurlaubte russische Soldaten in der Ostukraine, flankiert dieses Vorgehen. Am Rande sei bemerkt, dass die prominenteste Armee-Urlauberin auf der anderen Seite kämpfte: die in Moskau gefangen gehaltene Pilotin Sawtschenko. Die taz fasste die Fakten am 7.3.2015 so zusammen: »Im Frühjahr 2014 nimmt sich Sawtschenko unbezahlten Urlaub von der Armee und macht sich auf eigene Faust in Richtung Luhansk auf. Unterwegs schließt sie sich dem Freiwilligenbataillon „Aidar“ an.«[xi]
Wie bei allen Bürgerkriegen gibt es auch in der Ukraine massive äußere Einmischung. Das ändert jedoch nichts daran, dass es in der Ostukraine eigenständige politische Akteure gibt: die Separatisten. Ein Hindernis für eine Lösung des Konflikts ist, dass diese für Kiew nicht als Kombattanten, sondern als Terroristen gelten und damit rechnen müssen, dass ein „Sieg“ Kiews im „Anti-Terror-Operation“ (ATO) genannten Bürgerkrieg für sie den Tod oder bestenfalls Jahrzehnte hinter Gittern bedeuten.
Insgesamt hat der Krieg in der Ostukraine Kämpfer aus diversen Staaten angelockt – auf beiden Seiten. In den nationalukrainischen Freiwilligenverbänden kämpft Personal aus dem Baltikum, Polen und vielen anderen Ländern.
Diese Privatisierung der Gewalt gefährdet die Umsetzung der Minsk-II-Vereinbarungen, da sich Freiwilligen-Verbände daran nicht gebunden fühlen.
Das Minsk-II-Abkommen besagt, dass alle ausländischen bewaffneten Formationen, militärische Ausrüstung und Söldner vom Territorium der Ukraine zurückgezogen werden müssen. Insofern muss sich Russland daran halten. Aber auch die Regierung in Kiew. Doch trotz des Abkommens stimmte die Oberste Rada dem achtmonatigen Aufenthalt von bis zu 1.000 US-Soldaten im westukrainischen Jaworiw zu. Die USA, die in Minsk nicht selbst mit am Tisch saßen, hatten die Entsendung von Ausbildern für Regierungssoldaten in Aussicht gestellt. Es handelt es sich hier um nichts weniger als einen Verstoß gegen Minsk II und ein Unterlaufen der Friedensbemühungen[xii].
Die Sarrazinsche Lösung ist denkbar einfach: »Ohne dass Putin gezwungen wird, seine Truppen aus der Ukraine abzuziehen und seine Unterstützung für die Separatisten einzustellen, wird eine dauerhafte friedliche Lösung schwierig werden.«[xiii] Der Ukraine-Konflikt wird sicherlich nicht dadurch gelöst, dass nur die eine Seite die Minsker Vereinbarungen umsetzt. Diese waren schließlich keine bedingungslose Kapitulation Moskaus, sondern fordern allen Konfliktbeteiligten etwas ab.
Frieden wird es in der Ukraine nur geben, wenn die externen Sponsoren, insbesondere Russland sowie die USA und die EU ihre jeweilige Klientel an die Kandare nehmen statt sie weiter aufzurüsten und in die Lage zu versetzen, den Krieg fortzuführen. In diesem Sinne ist die Ermahnung Manuel Sarrazins an Putin, er möge auf die Separatisten einwirken, damit diese Minsk-II einhielten, wenig zielführend. Eher mag die Bibel weiterhelfen: »Was siehest du aber den Splitter in deines Bruders Auge und wirst nicht gewahr des Balkens in deinem Auge?« (Matthaeus 7:3) Auch der Westen und seine Verbündeten in Kiew müssen liefern: Was ist mit den ausländischen Kämpfern und Militärberatern auf dieser Seite? Auch diese müssen abgezogen werden.
Sicherheitspolitisches Angebot
Nach Manuel Sarrazin müsse die EU »bereit sein Unterstützung zu leisten, um die Verwundbarkeit der Partner im Osten für diese russische Politik zu mindern und Widerstandsfähigkeit der betroffenen Staatlichkeiten zu stärken.« Das soll durch energiepolitische bzw. ökonomische Hilfsmaßnahmen geschehen. Aber damit nicht genug: »Darüber hinaus muss sich die EU aber auch damit beschäftigen, welches sicherheitspolitische Angebot sie künftig den Ländern der Östlichen Partnerschaft machen will, deren innenpolitische Lage aufgrund des Handelns des Kreml inzwischen tragischerweise vor allem über Sicherheitsinteressen definiert wird. Will die EU die Sicherheitspolitik nicht alleine der NATO überlassen, wird sie eine Antwort auf diese Frage geben müssen.« Dabei schwebt ihm »Unterstützung bei der Reform der Sicherheitsorgane zur Steigerung von mehr Effizienz«. Ansonsten ist noch vom Zugang zum EU-Binnenmarkt ein Anreiz die Rede, der »mit Elementen der Konfliktbearbeitung und zivilen Krisenprävention kombinierbar wäre«. In Wirklichkeit gibt bereits in den Assoziationsabkommen darüber hinaus gehende Festlegungen für die militärische Zusammenarbeit: Das EU-Assoziationsabkommen mit der Ukraine enthält ungewöhnlich konkrete Passagen zum Ausbau der Militärkooperation und der Integration in die EU-Militärpolitik: »Die Parteien sollten die praktische Zusammenarbeit bei der Konfliktprävention und dem Krisenmanagement verbessern, vor allem mit Blick auf eine Steigerung der ukrainischen Teilnahme an EU-geführten zivilen und militärischen Krisenmanagementoperationen sowie an den wichtigen Übungen und Manövern, einschließlich denen im Rahmen der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP).« (Quelle: Association Agreement, Artikel 7, Absatz 1 bzw. Artikel 10, Absatz 1)
Real läuft natürlich das „sicherheitspolitische Angebot“ für die Ukraine oder auch Georgien über die NATO. Beiden wurde 2008 der NATO-Beitritt in Aussicht gestellt. Allerdings verhinderte insbesondere die deutsche Regierung die Verabschiedung eines Zeitplans und des üblichen Membership Action Plans. Sicher ist es so, dass »die EU die Sicherheitspolitik nicht alleine der NATO überlassen« könnte und auch noch ein Angebot aus der Tasche zaubern könnte. Die militärpolitischen Realitäten sind jedoch so, dass EU und NATO ohnehin voll kooperieren, wie man gerade in den Abstimmungen zum Einsatz von Militär „gegen die Schlepper“ sehen kann. Eigenständige EU-Militärpolitik ist eine Fiktion, alle Pooling&Sharing-Projekte in Europa dienen dem Aufbau eines europäischen Pfeilers innerhalb der NATO.
Interessant wäre gewesen, wie Manuel Sarrazin, der bisher nicht als NATO-Kritiker in Erscheinung getreten ist, die „sicherheitspolitischen Angebote“ der NATO bewertet. Ist er für einen Beitritt der „In-Länder“ zur NATO? Bereits jetzt ist die NATO mit diversen Manövern in und um die ÖNP-Ländern Ukraine, Georgien und Moldawien höchst aktiv. Einzelne NATO-Staaten liefern Waffen an die Ukraine und haben Militärberater und –ausbilder in die Ukraine geschickt. Da die Ukraine so gut wie bankrott ist, stellt sich die Frage: Wer bezahlt denn die Rechnungen für Krieg und Aufrüstung?
Fazit
Die von Manuel Sarrazin propagierten EU-Beitrittsangebote für die ÖNP-Länder sind letztlich Element einer Containment-Politik. Sie treiben die Aufspaltung Europas in neue Blöcke voran, ohne aus den Fehlern der vergangenen fehlgelaufenen Verhandlungen zur EU-ÖNP zu lernen. Die Gesellschaften der betroffenen Staaten würden vor neue Zerreißproben gestellt, da es in der Realität keine belastbaren Mehrheiten für EU-Beitritte gibt und durch die EU-Beitritte eine Reintegration der abtrünnigen Gebiete verunmöglicht wird. Die EU-Beitritte würden mit dem dauerhaften Verlust dieser Gebiete bezahlt.
Notwendig wären stattdessen Schritte, um die Spaltung zu überwinden, wie sie z.B. von den GRÜNEN Österreichs vorgeschlagen werden. Diese lehnen insbesondere den EU-Beitritt der Ukraine ab und fordern in ihrem Sechs-Punkte Plan:
- »Die Ukraine erklärt ihre immerwährende Neutralität. Die Ukraine wird in aller Zukunft keinen militärischen Bündnissen beitreten und die Errichtung neuer militärischer Stützpunkte fremder Staaten auf ihrem Gebiet nicht zulassen.
- Russland, die USA und die EU erklären, dass sie die Neutralität der Ukraine respektieren werden.
- Russland, die USA und die EU garantieren durch einen Staatsvertrag, dass sie die Unabhängigkeit und territoriale Unversehrheit der Ukraine achten werden.
- Die Ukraine verpflichtet sich mit Staatsvertrag zur Wahrung der Menschenrechte und der Rechte von Minderheiten.
- Mit Hilfe der OSZE wird eine Lösung über die Zukunft der Krim verhandelt. Erst wenn es eine gemeinsame Lösung gibt, kann darüber eine Volksabstimmung abgehalten werden.
- Österreich setzt sich dafür ein, dass auch Georgien und Moldau dem Beispiel der Ukraine folgen und immerwährend neutral werden.«[xiv]
Dauerhafte und stabile Sicherheitsstrukturen in Europa können nicht als Sicherheit vor oder gegen Russland organisiert werden. Statt einer Ausweitung der NATO- und EU-Strukturen nach Osten brauchen wir eine Stärkung der OSZE, die zu einer Europäischen Sicherheitsgemeinschaft weiterentwickelt werden muss.
Sava Stomporowski (Hamburg-Altona)
Uli Cremer (Hamburg-Eimsbüttel)
26. Mai 2015
[i] Der Text von Manuel Sarrazin findet sich hier: http://www.manuelsarrazin.de/meinung/21-05-2015/f%C3%BCr-eine-klare-strategie-der-eu-der-%C3%B6stlichen-nachbarschaft
[iii] Markus Meckel, Georg Milbradt, Friedbert Pflüger, Christian Schwarz-Schilling, Rainder Steenblock, Rita Süssmuth, Günter Verheugen, Karsten D. Voigt, Deutsche Außenpolitik und Östliche Partnerschaft, DGAP Standpunkt Februar 2012 S. 2
[iv] https://www.jungewelt.de/2015/05-18/027.php
[vi] Vergleiche hierzu: http://www.gruene-friedensinitiative.de/cms/g7-aussenminister-auf-distanz-zu-kiew/
[viii] Wahlergebnisse, siehe: http://de.wikipedia.org/wiki/Parlamentswahl_in_Moldawien_2014
[ix] „Optionen der EU für den Umgang mit Russland und den östlichen Partnerländern“, SWP-Aktuell 2015/A 43, April 2015, http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2015A43_lng_lpt.pdf
[xi] http://www.taz.de/!155811/
[xii] http://derstandard.at/2000013103833/Ukraine-Kein-Sonderstatus-fuer-Separatistengebiete
[xiii] http://www.zeit.de/politik/ausland/2014-09/ukraine-russland-sanktionen-eu-beitritt-manuel-sarrazin
[xiv] https://www.gruene.at/themen/sicherheit/unser-sechs-punkte-plan-fuer-eine-neutrale-ukraine