Syrienkrieg: Schlechte Aussichten für Genf-2

Von Uli Cremer, 17.November 2013

Der November 2013 verstreicht. Die angekündigten Verhandlungen zur Beilegung des Syrien-Konflikts („Genf-2“) sind bis auf Weiteres verschoben. Der UN-Vermittler Brahimi hofft noch unverdrossen auf einen Termin im Dezember. Aber die Chancen stehen schlecht.

All das ist nicht weiter überraschend und verwunderlich, denn eine Verhandlungslösung kann es nur geben, wenn alle Beteiligten an den Verhandlungen teilnehmen dürfen und wollen bzw. dazu genötigt werden. Das ist jedoch nicht der Fall.

Betrachtet man es einfach, gibt es zwei Konfliktparteien: Das Assad-Regime auf der einen Seite und die Aufständischen, die Assad stürzen wollen, auf der anderen Seite. Kronzeuge für diese einfache Sicht der Dinge ist der britische Außenminister Hague. Auf die Frage „Kann Assad Teil einer Übergangsregierung sein?“ antwortete er: „Nein, denn dafür müssten beide Konfliktparteien zustimmen.“(1) Beide – also zwei Konfliktparteien. Demnach braucht man zwei syrische Verhandlungsdelegationen, für jede Konfliktpartei eine.

Schauen wir uns also einmal an, wie es um die Verhandlungsbereitschaft der beiden Seiten steht.

Die Verhandlungsbereitschaft des Assad-Regimes

Das Assad-Regime war auf der Basis des 6-Punkte-Plans des damaligen UN-Vermittlers Annan im Sommer 2012 verhandlungsbereit. Dieser Plan ist auch Grundlage der aktuellen Verhandlungsbemühungen, also für Genf-2. Im Frühjahr 2013 betonte der syrische Außenminister Walid Muallem: «Wir sind bereit, mit jedem zu sprechen, der es will … – sogar mit denen, die Waffen tragen»(2) .

Auch im Herbst 2013 ist die Verhandlungsbereitschaft des Assad-Regimes weiterhin im Grundsatz gegeben. Das behaupten nicht nur der Verbündete und Hauptwaffenlieferant Russland, sondern das wird in den westlichen Medien ebenfalls so berichtet (3). Das Verhältnis von UN-Vermittler Brahimi und syrischem Regime ist allerdings nicht ganz ungetrübt. Nach Brahimis Besuch in Damaskus Anfang November 2013 kritisierte der syrische Informationsminister Omran al-Zoubi den Algerier scharf. Dieser „werde seiner Rolle als unparteiischer Mediator nicht gerecht… Nicht einmal habe Brahimi die beim Namen genannt, »die terroristische Gruppen (in Syrien) unterstützen, an erster Stelle Saudi-Arabien«. Offensichtlich verstehe er nicht, was in Syrien geschehe, sonst könne er die syrische »Regierung und bestimmte Oppositionsgruppen nicht auf eine Stufe stellen«, rügte der Minister.“ (4) Außerdem verbreitete er, »die geplante Konferenz seit „Teil eines politischen Prozesses und keine Machtübergabe“« (5). Dass Assad entsprechend jüngst erklärte, bei der 2014 normalerweise anstehenden syrischen Präsidentenwahl erneut kandidieren zu wollen («Ich sehe kein Hindernis für eine Nominierung für die nächste Präsidentenwahl» (6)), ist allerdings wenig realistisch und nicht vertrauensbildend. Gerade dieser turnusmäßige Wahltermin böte die Chance für einen Gesicht wahrenden Abtritt.

Auch von den Aufständischen wird Brahimi seit seiner Ernennung 2012 angegiftet. Das ging seinem Vorgänger nicht anders: Gegen Kofi Annan war im Juli 2012 zu Demonstrationen unter dem Motto „Nieder mit Kofi Annan, dem Diener von Assad und Iran“ aufgerufen worden (7). Anfang November 2013 hat der Syrische Nationalrat, eine der größten Gruppierungen der Opposition, die „Außenminister arabischer Staaten gebeten, Brahimi auszuwechseln“ (8). Insofern scheint Brahimi durchaus ein neutraler Vermittler zu sein!

Die Verhandlungsbereitschaft der Aufständischen

Wie steht es um die Verhandlungsbereitschaft der Rebellenseite? Nachdem die Aufständischen lange Zeit überhaupt nicht verhandeln wollten, hat die Syrische Nationale Koalition hat 11.11.2013 das erste Mal rudimentäre Verhandlungsbereitschaft erkennen lassen. Allerdings wurden einige schwerwiegende Vorbedingungen formuliert: Erstens müsse Assad abtreten und zweitens dürfe der Iran nicht zu den Verhandlungen eingeladen werden. Ahmed Dscharba, Chef der Nationalen Koalition, führte dazu aus, „die syrische Opposition habe nicht die Absicht, an der Konferenz teilzunehmen, wenn dieser eine iranische Delegation beiwohne und vor dem Beginn der Konferenz kein Termin für den Rücktritt von Syriens Präsident Baschar al-Assad festgelegt würde.“ (9)

Insofern handelt es sich eher um eine vergiftete Verhandlungsbereitschaft. Entsprechend ist auch konsequent, dass gleich am nächsten Tag eine eigene „Übergangsregierung“ mit Sitz in der Türkei ausgerufen wurde, obwohl eine Aufgabe der Genfer Verhandlungen ja gerade die Bildung einer Übergangsregierung sein sollte. Gleichzeitig haben auch die syrischen Kurden eine eigene autonome Übergangsregierung für das von ihnen kontrolliert Gebiet installiert (10).

Aber jenseits der Inflation von Übergangsregierungen ist die spannende Frage, wen die Syrische Nationale Koalition überhaupt vertritt. In Kenntnis eigener Repräsentations- und Relevanzdefizite verlangt sie selbst die Teilnahme einer zweiten Rebellen-Delegation, um die „Präsenz von Vertretern des militärischen Flügels der Opposition“ (11) sicherzustellen – eine durchaus vernünftige Forderung. Nur: wer soll die militärischen Oppositionskräfte vertreten? Etwa der Chef der der Freien Syrischen Armee, Idris? Der militärische Aufstand wird bekanntermaßen von islamistischen Verbänden dominiert, die Freie Syrische Armee stellt inzwischen „nicht einmal mehr 20% der Kämpfer“ (12). Ohne Teilnahme der relevanten militärischen Gruppen wird kein umfassender Waffenstillstand zu erreichen sein. Die Bereitschaft der Islamisten strebt jedoch gegen Null: „Die Syrische Islamische Front, ein Zusammenschluss von 19 radikalen islamistischen Rebellengruppen, kündigte einen Boykott der Konferenz an. In einer gemeinsamen Videobotschaft hieß es…, wer an der Konferenz teilnehme, werde sich später «vor unseren Gerichten verantworten müssen».“ (13) Und dann wären da noch die kurdischen Kämpfer, für die zur Zeit keine eigene Delegation in Genf vorgesehen ist.

Die Einbeziehung nicht-syrischer Akteure in die Verhandlungen

Nun wird der syrische Krieg durch die Einmischung äußerer Mächte in Gang gehalten. Das Assad-Regime wird durch Russland und den Iran am Leben gehalten, die Rebellen genießen die Unterstützung der „Freunde Syriens“. Dabei haben die einzelnen Regierungen ihren jeweiligen syrischen Klientelgruppen. Die Islamisten werden von Qatar und Saudi-Arabien finanziert und ausgerüstet; außerdem können sie die Türkei als Aufmarsch- und Rückzugsgebiet nutzen; Ägypten ist nach dem Militärputsch allerdings als internationaler Partner ausgefallen . Die westlichen Regierungen setzen auf die „gemäßigten“ Rebellen, die sie mit Waffen, Militärausbildung und Spionageinformationen von der Türkei und Jordanien aus unterstützen. Wenn also alle externen Player in Genf am Tisch säßen, würde man eventuell auch Fortschritte machen können. Hier haben die „Freunde Syriens“ und die „Syrische Nationale Koalition“ ein weiteres, bereits erwähntes Verhandlungshindernis errichtet: Der Iran soll in Genf nicht dabei sein.

Unterm Strich: Solange die syrischen Aufständischen so uneinig und zersplittert sind und auch die „Freunde Syriens“ die errichteten Hindernisse nicht beiseite räumen, wird die Genf-2-Konferenz nicht zustande kommen. Leider ist die US-Regierung nicht in der Lage, möglicherweise auch nicht willens (14), die eigene Konfliktseite in welcher Formation auch immer an den Verhandlungstisch zu holen. Die russische Regierung scheint ihre Hausaufgaben da besser gemacht zu haben.

Lichtblick Chemiewaffen-Vernichtung

Ein Lichtblick im Syrien-Krieg ist die begonnene Vernichtung der Chemiewaffen bzw. der entsprechenden Produktionsstätten. Hier kooperiert das syrische Regime – auch nach Aussagen der US-Regierung zuverlässig.

Inzwischen kommen immer mehr Details der deutschen Hilfe für das syrische Chemiewaffenprogramm ans Tageslicht, allerdings nicht durch Entdeckungen der Inspekteure vor Ort, sondern durch Fragen aus der Bundestagsfraktion „Die Linke“. Während andere westliche Länder in den 2000er Jahren die Lieferung von Fluorkohlenwasserstoff an das Assad-Regime, das bekanntermaßen ein riesiges Chemiewaffenprogramm unterhielt und dem internationale Chemiewaffenabkommen erst im Herbst 2013 beitrat, ablehnten, lieferte Deutschland. Im Rahmen des „Kriegs gegen den Terror“ war das Assad-Regime offenbar ein willkommener westlicher Bündnispartner. Es half mit seinen Folterkellern aus und erhielt im Gegenzug Chemikalien, die für den Bau von Chemiewaffen benutzt werden konnten. Die mutmaßliche Schlüsselfigur bei diesem Skandal: Frank-Walter Steinmeier, der erst als Kanzleramtschef und später als Außenminister Verantwortung trug. (15)

Wermutstropfen ist bei der Vernichtung der syrischen Chemiewaffen allerdings, dass wegen des Bürgerkriegs zwei Standorte nicht aufgesucht werden konnten. In einem Fall konnte „die Inspektion… mit versiegelten Kameras von syrischem Personal unter Anleitung der Inspekteure ausgeführt“ werden. Das entsprechende „Gebäude weise schwere Kampfspuren auf… Das könnte ein Hinweis darauf sein, dass Aufständische versucht haben, sich des Standorts und seines Inhalts zu bemächtigen.“ (16)

Der blinde Fleck des OPCW-Programms zur Vernichtung der syrischen Chemiewaffen ist eben bisher die Ausklammerung der zweiten Bürgerkriegsseite. So fragt die Frankfurter Allgemeine Zeitung: „Weshalb haben die Inspekteure nicht bei den Rebellen nach Giftgaslabors geschaut?“ (17) Denn offenbar hat sich der Bürgerkrieg seit Längerem in einen schmutzigen Krieg verwandelt. Denn der bisher nicht wirklich aufgeklärte Giftgaseinsatz vom 21.August 2013 war nicht der erste seiner Art. FAZ-Korrespondent Rainer Hermann erwähnt z.B. den folgenden Vorfall aus dem Frühjahr 2013: „Jenseits der großen, bekannt gewordenen Giftgasangriffe finden in Syrien kleinere statt, die nicht den Weg in die Weltpresse finden. So seien am 26. April bei einem kleinen Giftgasangriff im Damaszener Stadtteil Barzeh, durch den die Front verläuft, elf Soldaten der regulären Armee durch Sarin getötet worden, berichtete ein Arzt, der die Toten untersucht hat. Bei dem Angriff seien vermutlich nur wenige Milligramm Sarin eingesetzt worden.“ (18) Von Barzeh aus könnte übrigens auch der Angriff vom 21.8.2013 erfolgt sein. (19)

Anfang November 2013 hat die türkische Armee „nach eigenen Angaben einen mutmaßlichen Chemikalien-Transport ins benachbarte Bürgerkriegsland Syrien gestoppt… Die chemischen Substanzen ‚könnten zu Waffen verarbeitet’ werden“ . Es ist nicht der erste Hinweis in dieser Richtung: „In der türkischen Stadt Adana hat inzwischen ein Prozess gegen fünf Türken und einen Syreer begonnen, denen die Beschaffung von Material mit der Absicht vorgeworfen wird, Sarin zu produzieren.“ Auch „die irakische Polizei“ hatte „nahe der Grenze zu Syrien Dschihadisten festgenommen, die in einem Labor Sarin herstellten.“ Deswegen muss das Mandat der OPCW unbedingt auf die von den Aufständischen kontrollierten Gebiete ausgeweitet werden!

Die Aussichten für Genf-2 sind schlecht, doch das Mindeste wäre, wenn die als „Freunde Syriens“ zusammengeschlossenen Regierungen als Freunde wenigstens ausreichende Unterstützung für die syrischen Flüchtlinge bereit stellten bzw. und diese aufnehmen würden. Leider mangelt es an solcher praktischen Schutzverantwortung.

Uli Cremer, GRÜNE FRIEDENSINITIATIVE

Hamburg, den 17.11.2013

1 Interview mit Hague, FAZ 3.6.2013
2 http://www.derwesten.de/politik/syriens-regierung-zeigt-sich-offenbar-verhandlungsbereit-id7657630.html – gefunden 16.11.2013
3 z.B.: „Die Regierung Assad hatte ihre Bereitschaft zur Teilnahme an der Genfer Konferenz bereits erklärt.“ http://de.euronews.com/2013/11/12/arabische-liga-begruesst-genf-teilnahme-der-syrischen-opposition/ – gefunden 16.11.2013
4 http://www.neues-deutschland.de/artikel/837802.vermittler-brahimi-das-orakel-von-damaskus.html – gefunden 16.11.2013
5 Andreas Zumach: Kein Termin für die geplante Syrien-Friedenskonferenz, in: taz 7.11.2013
6 http://www.tagesanzeiger.ch/ausland/naher-osten-und-afrika/Assad-will-2014-wieder-als-Praesident-kandidieren/story/19376998 – gefunden 16.11.2013
7 FAZ 13.7.2012 „Heftige Kritik an Annan aus syrischer Opposition“
8 http://www.tagesspiegel.de/politik/syriens-opposition-poltert-gegen-un-vermittler/9007432.html – gefunden 16.11.2013
9 http://de.ria.ru/world/20131111/267255271.html – gefunden 16.11.2013
10 http://www.vaterland.li/index.cfm?id=155903&source=sda&ressort=home gefunden 16.11.2013
11 Ebenda
12 http://www.gruene-friedensinitiative.de/cms/us-strategiewechsel-im-syrienkrieg/
13 „Brahimi zu Gesprächen in Damaskus“, FAZ 29.10.2013
14 Zur US-Interessenlage vergleiche: http://www.gruene-friedensinitiative.de/cms/us-strategiewechsel-im-syrienkrieg/
15 Jan van Aken: Warum lieferte Deutschland heikle Chemikalien nach Syrien? –http://www.jan-van-aken.de/?newid=375#d375 – gefunden 16.11.2013
16 „Inspekteure setzen auf Ferndiagnose“, FAZ 8.11.2013
17 „Der Krieg geht weiter“, FAZ 1.11.2013
18 Rainer Hermann: Der schmutzige Krieg, in: FAZ 2.11.2013
19 Vergl. http://www.gruene-friedensinitiative.de/cms/giftgaseinsatz-in-syrien-klarheit-nach-dem-un-inspektorenbericht/
20 „Türkei stoppt Konvoi nach Syrien“, AFP-Meldung 4.11.2013
21 Rainer Hermann: Der schmutzige Krieg, in: FAZ 2.11.2013

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