Obamas neue Syrien-Strategie

Von Uli Cremer (14.09.2014)

Die am 10.9.2014 verkündete US-Strategie für Syrien dürfte schnurstracks ins Desaster führen. Erster Pfeiler der Strategie sind Luft- bzw. Drohnenangriffe auf ISIL-Ziele in Syrien. Diese werden sich wie in anderen Fällen zu einem „Terroristen-Aufzucht-Programm“ entwickeln, da die ISIL-Organisation dadurch ganz sichtbar die USA als Gegner hat. Denn die Vermehrung der „Terroristen“ ist das Resultat der US-Kriegsführung im Irak, in Afghanistan, im Jemen und in Somalia. Eine Erkenntnis, die man sogar auch in britischen Zeitungen lesen kann: »Doch leider wird die Lage dort (gemeint ist der Nahe Osten, UC) durch amerikanische Eingriffe oft nur noch schlimmer. Dschidhadisten bekommen durch US-Interventionen mehr Zulauf.« (Independent 12.9.2014)

Keine neue Erkenntnis allerdings. Als US-Präsident Bush 2001 seinen „Krieg gegen den Terror“ begann, wurde war dieser Aspekt auch schon ein wichtiger Kritikpunkt. »Jede abgeworfene Bombe treibt Al Qaida neue Unterstützer zu, nicht nur in Afghanistan selbst.«[i] hieß es z.B. in einem (nicht angenommenen) Antrag an die GRÜNE BDK in Rostock 2001, bei der sich die GRÜNE Partei stattdessen mehrheitlich hinter den Afghanistan-Krieg stellte.

Selbst syrische Rebellenkämpfer und BewohnerInnen des nördlichen Syriens sind skeptisch und sagen: »US air strikes would have little military effect, would kill civilians and might even encourage sympathy for the insurgents.«[ii]

Waffen und Ausbildung für „zertifizierte“ Rebellen

Der zweite Eckpfeiler von Obamas Strategie: Die „gemäßigten“ Rebellen von der Freien Syrischen Armee sollen Waffen- und Ausbildungshilfe erhalten. Aber Moment! Gab es so etwas nicht schon? Hatte man sich nicht auch in der EU schon über Waffenlieferungen gestritten? Genau, fast nichts daran wäre neu. Waffenlieferungen an syrische Aufständische finden seit Jahren statt und der US-Geheimdienst bildet seit Jahren syrische Aufständische in Jordanien aus. Neu ist lediglich, dass zusätzlich ein Ausbildungslager in Saudi-Arabien eingerichtet werden soll. Dafür sollen weitere 500 Mio. US-$ zur Verfügung gestellt werden. »Laut Pentagon würde es … Monate dauern, bis die Ausbildung der Kämpfer in Saudi-Arabien beginnen würde.«[iii] Den Zeitplan kann man glauben, muss man aber nicht.

Schon am 5.3.2013 berichtete die FAZ: »Mitarbeiter der CIA versorgen „ausgewählte syrische Rebellengruppen mit Lagebildern und über mögliche Ziele von Angriffen. Außerdem bilden sie Aufständische in Lagern in Jordanien aus, etwa im Umgang mit Boden-Luft-Raketen zum Einsatz gegen Assads Luftwaffe… Schließlich unterstützt die CIA verbündete Staaten der Region wie die Türkei, Saudi-Arabien und Qatar bei der Beschaffung von Waffen für die Rebellen sowie bei deren Lieferung über den Landweg von der Türkei in die befreiten Gebiete im Norden Syriens… Das Stockholmer Friedensforschungsinstitut Sipri schätzt, dass in den vergangenen Wochen mindestens 3500 Tonnen Waffen, Munition und Ausrüstung an ausgewählte syrische Rebellengruppen geliefert wurden.«

In Jordanien sind seit Mai 2012 1.000 US-Militärausbilder tätig, um syrische Aufständische zu trainieren. Das bestätigte US-Generalstabschef Martin Dempsey in einem Hintergrundgespräch mit Pressevertretern Anfang Mai 2013.[iv] Im Juni 2013 wurde die Zahl nach Angaben der „tagesschau“ auf 2.000 verdoppelt. Laut der Zeitung „Welt“ handelt es sich sogar um eine Verdreifachung: »Nach Angaben eines jordanischen Militärs hat Washington, um das Ausbildungsprogramm für die FSA auszuweiten, in der vergangenen Woche rund 2000 zusätzliche Berater und Ausbilder nach Jordanien geschickt.«[v]

Einige Waffenlieferungen bezahlten die USA in der Vergangenheit sogar selbst: »Die Vereinigten Staaten bewaffnen sogenannte moderate syrische Regimegegner offenbar in größerem Stil als öffentlich bekanntgegeben. Die Nachrichtenagentur Reuters berichtete… unter Berufung auf amerikanische und europäische Regierungsvertreter, über Jordanien erhielten „nichtislamistische“ Rebellen überwiegend leichte Waffen, aber auch Panzerfäuste. Das Geld für die verdeckte Aktion habe der Kongress in geheimer Sitzung für das gesamte Haushaltsjahr gebilligt.« (FAZ 29.01.2014) Bei den Waffenlieferungen war auch hochmodernes Gerät nicht tabu: Im Herbst 2013 erhielt die FSA die ersten zehn Drohnen aus französischer bzw. US-amerikanischer Produktion; in diesem Fall bezahlte Saudi-Arabien die Rechnung.[vi]

Die Endverbleibsgarantie im Syrien-Krieg

Bekanntes Problem bei Waffenlieferungen war und ist wie im Irak der Endverbleib. Denn von der Freien Syrischen Armee (FSA) wanderten die Waffen an deren Bündnispartner weiter, sei es der Al Qaida Ableger Al-Nusra oder andere islamistische Gruppierungen. Inzwischen sind die gelieferten Waffen natürlich auch im Arsenal der ISIL-Organisation gelandet, entweder durch Eroberung ehemals von der FSA gehaltener Gebiete oder durch Seitenwechsel von Rebellengruppen. Rainer Hermann von der FAZ berichtet: »Darüber hinaus waren hundert Kämpfer der Brigade Dawud, die lose mit der Freien Syrischen Armee verbunden war, samt Ausrüstung zum „Islamischen Staat“ übergelaufen.«[vii]

Zur Besänftigung versprachen die Rebellen das Blaue vom Himmel: »FSA­Sprecher Mukdad betonte, seine Armee werde dafür sorgen, dass die Waffen nach dem Ende des Konflikts wieder eingesammelt würden.« (SPON 21.6.2013) Der französische Präsident Hollande war schon im März 2013 ganz beruhigt und gab zu Protokoll, »die Rebellen hätten ihm versichert, dass die Waffen nicht in falsche Hände kämen.« (FAZ 16.3.2013)[viii] Dennoch wurden die Sponsoren Ende 2013 vorsichtiger: »Das Verhältnis zwischen dem Westen und der Freien Syrischen Armee ist gestört, seitdem islamistische Milizen am 7. Dezember 2013 deren Waffenlager im Grenzort Bab al Hawwa geplündert hatten und der „Islamische Staat“ deren Hauptquartier angegriffen hat. Eine Folge davon war, dass die elf arabischen und westlichen Länder in der Gruppe der „Freunde Syriens“ keine Waffen mehr direkt an den Obersten Militärrat der Freien Syrischen Armee liefern und auch Geld nicht mehr direkt zahlen. Stattdessen zahlen sie an zwei Ausschüsse, den aus der Türkei heraus operierenden „Nordausschuss“ und den aus Jordanien heraus operierenden „Südausschuss“. Diese wiederum versorgen, am Obersten Militärrat vorbei, einzelne Einheiten, denen sie vertrauen.«[ix]

Die Sponsoren werden auf der Suche nach „zertifizierten Rebellen“ („vetted rebels“)[x] offenbar immer weniger fündig. Trotzdem wird die Waffenhilfe von Obama wieder als geeignetes Heilmittel präsentiert. Auch die deutschen RebellenparteigängerInnen zeigen sich unbeeindruckt. Die Journalistin und Buchautorin Kirsten Helberg rät in der taz: »Wer als Vorbedingung für Waffenlieferungen eine sofortige Abkehr von islamistischen Positionen fordert, bringt Rebellenführer in Gefahr, als korrumpierte Handlanger des Westens dazustehen und Kämpfer an radikalere Gruppen zu verlieren.« Als Problem analysiert sie, dass der ISIS besser zahlt: »Muss ein junger Mann gar seine Großfamilie durchbringen, wird er schnell zum Islamischen Staat überlaufen, der einen ordentlichen Sold bezahlt. Trotzdem ist er nicht über Nacht zum überzeugten Dschihadisten geworden.« Entsprechend sieht sie »ein großes Potenzial an freiwilligen syrischen Kämpfern, die der Westen mit finanziellen Anreizen für sich gewinnen kann… Wer bei der FSA mehr Geld verdient als beim IS, wird ihr treu bleiben.«[xi]

Begrenztes Bündnis

Die dritte Schwachstelle der Obama-Strategie ist, dass er nur ein begrenztes politisches und militärisches Bündnis anstrebt. Der Iran ist unerwünscht, das Assad-Regime ebenso. Insofern sollen die Luftangriffe in Syrien ohne Abstimmung mit Damaskus geflogen werden – oder gleich auch gegen Damaskus? Das eine wie das andere ist bekanntlich vom Völkerrecht nicht gedeckt. Und einen UN-Sicherheitsratsbeschluss strebt der US-Präsident gar nicht erst an. Dann müsste er sich nämlich mit Russland verständigen, gegen das der Westen aktuell einen Wirtschaftskrieg führt. Das Vertrauen, dass die US-Luftwaffe nur ISIS-Ziele, aber keine Truppenverbände des Assad-Regimes bombardiert, wird Moskau aktuell wohl kaum aufbringen. Jedenfalls »hieß es in Moskau« (laut russischer Nachrichtenagentur): »Moskau befürchtet, dass die USA bei ihrem Vorgehen gegen die Terroristen in Syrien auch die Regierungskräfte angreifen könnten. Dies würde nur zur weiteren Eskalation des syrischen Konflikt führen«[xii].

Obama drohte dem Assad-Regime in der Vergangenheit bereits mit Luftangriffen für den Fall, dass Chemiewaffen eingesetzt würden. Das sei die „rote Linie“. Assad-Regime und Rebellen warfen sich monatelang gegenseitig Giftgaseinsätze vor. Kaum waren UN-Inspektoren im August 2013 endlich zur Untersuchung eingetroffen, wurde in den Vororten von Damaskus ein massiver Giftgaseinsatz verübt, den die US-Regierung sofort Assad anlastete. Der US-Geheimdienst fabrizierte ein entsprechendes Dossier. Jenseits aller logischen Überlegungen sollte zusammengefasst also Folgendes geschehen sein: »Die US-Regierung markiert für das Assad-Regime eine rote Linie. Würde diese überschritten, zöge das ein direktes militärisches Eingreifen der USA nach sich. Daraufhin überschreitet das Regime immer wieder die rote Linie, um sich bombardieren zu lassen. Kaum sind die UN-Inspekteure im Land – schon ordnet Assad den nächsten Chemiewaffeneinsatz an, damit nun wirklich endlich die westlichen Raketen auf Syrien abgeschossen werden. Nur: warum sollte das Assad-Regime diese politische Selbstmordstrategie verfolgen?«[xiii]

In Wirklichkeit war die Beweislage für eine Täterschaft Assads entsprechend sehr dünn. Auch das Argument, die Rebellen verfügten nicht über entsprechende Raketen und Chemiewaffen, erwies sich als wenig stichhaltig. Natürlich konnten auch sie Sarin herzustellen und einsetzen. Auch der ISIL kommt dabei ins Spiel: Am 7.1.2014 wies die FAZ darauf hin, dass der Führer des ISIL, Abu Bakr al Baghdadi, »gefährliche Weggefährten« habe. »Einer von ihnen ist der frühere Chemiewaffenfachmann der irakischen Armee. Er soll sich im Damaszener Vorort Ghouta aufhalten, wie der amerikanische Journalist Seymour Hersh unter Berufung auf amerikanische Geheimdiensterkenntnisse vom Sommer 2013 berichtete.«[xiv] Also dort, wo sich im August 2013 die Giftgasangriffe zutrugen.[xv] Wenn die US-Luftwaffe nun die ISIL in Syrien bombardieren sollte, würden ironischerweise die möglichen Täter der Giftgasattacken getroffen.

Die der US-Strategie zugrunde liegende Annahme, man könne die FSA militärisch so stark aufzurüsten, dass sie in der Lage wäre, mit dem ISIL und mit dem Assad-Regime fertig zu werden und diesen Prozess noch mit Luftangriffen zu unterstützen, ist abenteuerlich und realitätsfern. Wie so oft wird es keine militärische Lösung geben. Phillis Bennis, die das „New Internationalism Project“ am Institut für Politikforschung (Institute for Policy Studies-IPS) in Washington leitet, schlägt deswegen „Sechs nicht-militärische Schritte für den Sieg über ISIS“ vor. Sie fordert:

»Eine wirkliche Koalition wird nicht für Militärschläge benötigt, sondern für machtvolle Diplomatie. Das bedeutet, den US-Verbündeten Saudi-Arabien unter Druck setzen für ein Beenden der Bewaffnung und Finanzierung von ISIS und anderer extremistischer Kämpfer; den US-Verbündeten Türkei unter Druck setzen, für ein Beenden der Erlaubnis für ISIS und andere Kämpfer, über die türkische Grenze nach Syrien einzudringen; die US-Verbündeten Katar, Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate und andere unter Druck setzen, das Finanzieren und Bewaffnen von jedem und allen in Syrien, die von sich behaupten, gegen Assad zu sein, zu beenden. Wir brauchen keine weitere Koalition der Tötenden (Coalition of the Killing: ein Wortspiel mit „.. of the Willing“, d. Übers.) … Warum nicht an einer Koalition der Wiederaufbauenden arbeiten?«[xvi]

Uli Cremer (GRÜNE FRIEDENSINITIATIVE)

Hamburg, 14.09.2014

 

[i] http://www.gruene-friedensinitiative.de/cms/110912_antrag-bdk-rostock-2001-2/

[ii] http://www.theguardian.com/world/2014/sep/12/syrian-rebels-obama-bombing-wont-deter-isis

[iii] Republikaner unterstützen Obama, FAZ 13.9.2014

[iv] http://www.nytimes.com/2012/10/10/world/middleeast/us-military-sent-to- jordan-on-syria-crisis.html?_r=0 – gefunden 23.6.2013

[v] http://www.welt.de/politik/ausland/article117375826/Syrische-Rebellen-werden- in-Jordanien-ausgebildet.html

[vi] http://www.zeit.de/news/2013-10/10/konflikte-syriens-rebellen-stehen-angeblich-drohnen-zur-verfuegung-10181833

[vii] http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/naher-osten/kaempfer-der-syrischen-opposition-vom-westen-verlassen-13140380.html

[viii] Vergl. auch: Uli Cremer: „Westliche Syrienpolitik: Von allen guten Geistern verlassen oder Spekulation auf Abnutzungskrieg?“ vom 8.7.2013, abrufbar unter: http://www.gruene-friedensinitiative.de/cms/130708_westliche_syrien-politik-2/

[ix] http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/naher-osten/kaempfer-der-syrischen-opposition-vom-westen-verlassen-13140380.html

[x] Vergl. http://www.imi-online.de/2013/06/14/keine-schlechte-sache-abnutzungsburgerkrieg-statt-intervention-die-us-syrien-strategie/

[xi] Kirsten Helberg: Ideologisch flexibel, in: taz 13.9.2014; http://www.taz.de/Opposition-in-Syrien/!145921/

[xii] http://de.ria.ru/security_and_military/20140911/269524513.html

[xiii] http://www.gruene-friedensinitiative.de/cms/130901_giftgas-in-syrien_us-beweise-3/

[xiv] Zweifrontenkrieg gegen die Islamisten, FAZ 06.01.2014

[xv] Wer sich genauer über die Beweislage bezüglich der Giftgasangriffe informieren möchte, finden Details hier: Uli Cremer: Giftgaseinsatz in Syrien: Klarheit nach dem UN-Inspektorenbericht? (2.10.2013), abrufbar hier: http://www.gruene-friedensinitiative.de/cms/giftgaseinsatz-in-syrien-klarheit-nach-dem-un-inspektorenbericht/

sowie: Uli Cremer: Ein Brahimi macht noch keinen Mandela (29.1.2014), abrufbar hier: http://www.gruene-friedensinitiative.de/cms/genf-2-ein-brahimi-macht-noch-keinen-mandela/

[xvi] http://www.ag-friedensforschung.de/regionen/Irak1/is-bennis.html

zur pdf-Version hier:

GFI_Blog_Obamas neue Syrien14092014

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